30.09., West-Shinjuku, Ueno und ein Besuch auf dem Lande

Ich hatte meinen Wecker auf 8 Uhr gestellt, weil es von 7 bis 9 Frühstück gibt in diesem Hotel. Aber als er klingelt, mache ich ihn eine halbe Stunde lang alle neun Minuten aus und beschließe dann, dass es doch noch zu früh ist zum Aufstehen. Die Zeitumstellung ...

Um kurz nach 10 klingelt das Telefon. hai hai, was gibt es denn? Die Rezeption fragt höflich an, wann sie denn heute das Zimmer sauber machen darf. Ich hatte wohlweiselich das Schildchen "bitte nicht stören" an die Tür gehängt, daher durften sie mich an der Tür nicht stören. Aber telefonisch scheint was anderes zu sein. Ich sage, dass ich vorhabe, in einer halben Stunde das Zimmer zu verlassen, und man entschuldigt sich vielmals und legt auf. (In Wirklichkeit habe ich im Halbschlaf gesagt, dass ich vor einer halben Stunde ausgehen möchte, wie mir nach dem Auflegen bewusst wird. Aber das können Ausländer schon mal verwechseln, man hat mich anscheinend trotzdem verstanden.)

Jetzt fühle ich mich richtig munter, die anderthalb Stunden Schlaf-Nachschlag haben Wunder gewirkt. Ich ziehe los, kaufe mir im Supermarkt nebenan ein paar Sandwiches, O-Saft, und einen kalten Milchkaffee im Plastikbecher. Erst mal auf die Mauer. Schon gestern Abend habe ich einen neuen Internet-Zugang ausgekundschaftet, gleich um die Ecke vor einem großen Apartment-Haus Foto dazu. Ich nehme mal an, der Besitzer des Netzes hat eine Flatrate, sonst hätte er sein WLAN ja wohl nicht für die Allgemeinheit freigegeben ;-).

Nachdem ich schnell die obligatorischen Fotos von der Umgebung meines Hotels geschossen habe Foto dazu Foto dazu, will ich von der großen, lauten Straße weg, an der es liegt, und laufe durch die kleinen Seitensträßchen. In unmittelbarer Nähe ist eine Olympus-Niederlassung; das Bemerkenswerte daran ist ein kleiner Schrein auf dem Dach Foto dazu – inklusive den typischen geschwungenen Toren davor.

Die Straßen hier sind teilweise wirklich winzig Foto dazu; gestern Abend war Hiko aus Versehen am Hotel vorbeigefahren und musste durch diese Sträßchen zurücknavigieren – mit einem VW Passat durchaus ein Problem. Man kann von hier aus die Hochhäuser von West-Shinjuku sehen Foto dazu, also beschließe ich, erst einmal dorthin einen Spaziergang zu machen. Ich kenne es ja bisher nur bei Nacht. Auf dem Weg schieße ich wieder mal ein Foto zum alten Thema Elektroleitungen; diese oberirdische Verkabelung ist wirklich erstaunlich für europäische Augen Foto dazu.

West-Shinjuku fühlt sich nicht ganz so an wie Chikago oder so, aber das Gebäude der Stadtverwaltung Foto dazu und manche anderen Hochhäuser Foto dazu sind doch ganz schön schön hoch. In meinem Reiseführer steht, dass es im Sumitomo-Gebäude eine Aussichtsplattform gibt. Also fahre ich mit dem Lift in das höchste erreichbare Stockwerk (52), finde aber nur zwei Restaurants, aber Hunger habe ich gerade nicht. Ansonsten kann man durch die Fenster in den Innenhof sehen :-(. Das Gebäude der Stadtverwaltung soll angeblich auch eine Aussichtsplattform haben, aber egal, letztes Jahr war ich ja schon auf dem Tokyo Tower, da muss das mit der Aussicht vielleicht gar nicht schon wieder sein.

Eigentlich hatte ich für den Rest des Tages Ginza ins Auge gefasst. Aber vorhin habe ich mit Pamela telefoniert, der Schweizerin, die ich im Frühjahr bei meinem Sprachkurs in Okazaki kennengelernt habe und die jetzt ein Postdoc-Jahr an der toudai, der Universität Tokyo macht. Sie hat mich zum Abendessen eingeladen, und sie wohnt im Norden von Tokyo; gemäß ihrer Wegbeschreibung muss ich in Ueno oder Nippori umsteigen. Daher beschließe ich, nicht nach Ginza zu fahren, das in der entgegengesetzten Richtung liegt, sondern nach Ueno.

Ueno kenne ich zwar schon ein bisschen, aber letztes Jahr hat es ununterbrochen geregnet; mal schauen, wie es bei schönem Wetter aussieht. Leider gibt es nicht mehr viel Tageslicht; ich komme in der Abenddämmerung dort an. Der Zoo soll sehr schön sein, aber um diese Tageszeit kann ich allenfalls durch die Gitter des Zauns einen Blick auf die im Zoo stehende fünfstöckige Pagode erhaschen, die in meinem Reiseführer erwähnt ist Foto dazu.

Nachdem ich noch ein paar Fotos geschossen habe, trinke ich in einem Cafe in der Nähe des Bahnhofs noch einen Kaffe und klappe mein Notebook auf – oh, ein WLAN namens FREESPOT, da muss ich doch gleich ...

Pamela wohnt nördlich von Tokyo in Hatsuishi. Zuerst muss ich nach Kashiwa fahren und dann umsteigen in eine andere Linie. Man merkt schon, dass man auf dem Lande ist, denn hier sind alle U-Bahn-Netzpläne nur noch in Kanji. Und ich weiß doch nicht, wie man Hatsuishi mit Kanji schreibt! Aber ich habe inzwischen keine Hemmungen mehr, irgendwelche Leute zu fragen, und außerdem hatte mir Pamela schon gesagt, dass es 160 Yen kostet nach Hatsuishi. Was mich wundert: Auf dem Plan sind es nur zwei Stationen, in Wirklichkeit aber drei (wie mir Pamela auch vorher per Mail mitgeteilt hat). Ja, die neue Station hat erst vor kurzem eröffnet, die ist wohl noch nicht auf allen Plänen drauf, erklärt mir Pamela später, ach so.

Nach einem netten Abendessen mache ich mich um kurz nach 22 Uhr wieder auf den Heimweg. Anderthalb Stunden dauert es mindestens, und ich möchte nicht riskieren, irgendwo auf dem Lande zu stranden, wo keine U-Bahn mehr fährt. Geniales Schild in der Bahn auf dem Lande Foto dazu: Man beachte auch die bildliche Darstellung, die besonders Ausländern das Verständnis erleichtern soll, weil in Englisch beschriftet.

Meine Sorge, dass es mit dem Nach-Hause-kommen schwierig werden könnte, ist nicht unbegründet. Ich habe mich ja noch nicht wirklich mit der Frage beschäftigt, wie denn die Linie heißt, an der "mein" Bahnhof Hatagaya liegt. Das war ein Fehler. Denn die komplette Beschilderung ist natürlich nach Linien. Ich kann in Shinjuku also in die Yamanote, die Marunouchi, die Toei Oedo, ach, was weiß ich in was für Linien wechseln, dieser Bahnhof ist echt die Hölle. Mein Reiseführer meint dazu nur lapidar: Achtung, manche Stationen haben verwirrend viele Zugänge.

Auf dem Plan, den ich heute Nachmittag extra noch fotografiert habe Foto dazu, sah es so aus als würde ich an einer grünen Linie wohnen, die in Shinjukusanchoume hält, eigentlich ein anderer Bahnhof, wenn man so will, aber unterirdisch durch ein einziges riesiges Labyrinth mit dem Bahnhof Shinjuku verbunden. Aber alles hat schon zu, die Passagen, an die ich mich dunkel erinnere, die auch zu den Kaufhäusern führen, sind alle verrammelt. Ich gehe an die Oberfläche, laufe die Straße herunter, die ich kenne, wo der Eingang zur Marunochi-Linie ist, aber überall sind schon die Rollläden runter. Kann es wirklich sein, dass man an einem Freitagabend um 23.45 (so spät ist es inzwischen) nicht mehr mit der U-Bahn nach Hause kommt in Tokyo?

Ich irre zurück in die Unterwelt des Bahnhofs Shinjuku. An einer Linie, von der ich mir sicher bin, dass es nicht die richtige ist, frage ich noch einmal, wie ich nach Hatagaya komme. Von der Erklärung verstehe ich allerdings nur, dass ich zunächst nach rechts durch diesen Tunnel muss, anschließend nach links und dann .. irgendwas mit minami guchi, Südausgang. Ok, arigatou gozaimashita, mal schauen. Der Tunnel führt mich an die Oberfläche, genau da hin wo ich vorher schon war. Südausgang? Ich bin immer noch östlich von diesem Riesenbahnhof. Also versuche ich ihn in südlicher Richtung zu umrunden.

Irgendwann wird mir die Lauferei zu blöd. Ich habe inzwischen den Bahnof umrundet und bin südlich des Bahnhofs an der Straße Nummer 20, wie ich den Verkehrsschildern entnehme. Das ist genau die Straße, an der ich wohne, so viel habe ich auf dem Stadtplan gesehen, als ich für Hiko versucht habe, die Navigation zu übernehmen. Also will ich jetzt ein Taxi nehmen. Taxi gefahren bin ich schließlich auch noch nicht in Japan; dieses Erlebnis muss ja irgendwann sein.

Ich habe bei all der Aufregung ganz das Fotografieren vergessen; sorry, keine Bilder. In japanischen Taxis sitzt man jedenfalls hinten, und der Fahrer macht über irgendeine Mechanik die hintere linke Tür für einen auf (in Japan ist Linksverkehr!). Ich sage hatagaya eki he onegaishimasu, und er fährt in die richtige Richtung los. Ein kleines Erfolgserlebnis wieder (ja, ja, ich freue mich mit meinen bescheidenen Japanisch-Kenntnissen immer noch, wenn ein Japaner die einfachsten Sachen, die ich sage, auf Anhieb versteht).

Besorgt behalte ich das Taxameter im Auge; irgendwo habe ich gelesen, dass Taxifahren in Japan sehr teuer sein soll. Aber es steht fest auf 680 Yen; ja, außen am Taxi stand was von 2 km und 680 Yen; die ersten zwei Kilometer sind wohl ein Pauschalpreis. Aber dann beginnt das Taxameter doch zu laufen. Wir sind auf dem richtigen Weg, ich erkenne schon die Schnellstraße, die auf Stelzen über uns verläuft, und immer wieder Fußgängerbrücken, auf denen steht, wo wir sind.

Als wir unter einer Brücke durchkommen, auf der ich hatagayaeki lesen kann (Bahnhof Hatagaya), sage ich dem Taxifahrer, dass er mich doch hier bitte rauslassen soll, bezahle brav und steige aus. Etwas über 1000 Yen hat es gekostet, so um die 8 Euro. Tja, und nun stehe ich hier, und mir wird klar, dass auf den Brücken immer der Name der nächsten Brücke angeschrieben steht. Ich weiß nicht, warum, aber ich dachte irgendwie, der japanische Taxifahrer will mich übers Ohr hauen. Ich Idiot, was lege ich mich auch mit einem Einheimischen wegen der Fahrtroute an! Na ja, wahrscheinlich habe ich ein paar hundert Yen gespart, und so weit ist es zum Glück nicht mehr bis zur nächsten Fußgängerbrücke, wo ich eigentlich hin wollte. Ich muss unbedingt erkunden, wie man mit der U-Bahn hierher kommt. Es kann ja wohl nicht sein, dass das schon vor Mitternacht nicht mehr geht.

 

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©2005 by Harald Bögeholz