Nach dem Frühstück und dem obligatorischen Aufenthalt auf
meiner Internet-Mauer erkunde ich heute den Bahnhof von Hatagaya. Aha,
Ich bin an der Keio-Linie, und zwar genauer der neuen Keio-Linie
(keio shinsen). Mit der fahre ich jetzt erst einmal nach
Shinjuku, steige aus und schaue mir sehr genau an, wo der Eingang zur
Haltestelle ist. In der Tat komplett woanders, als ich mir gestern
vorgestellt hatte, und wie der freundliche Japaner mir gestern zu
erklären versucht hat am südwestlichen Ende des Bahnhofs
Shinjuku. Wahrscheinlich hätte ich auch eine Station weiter
fahren können und wäre dann in Shinjuku-sanchoume
rausgekommen, wo ich gestern die Station gesucht habe; das muss ich
ein andermal erkunden. Den Fahrplänen entnehme ich jedenfalls,
dass auch nach Mitternacht noch Züge fahren; es wäre gestern
also auch möglich gewesen, mit der Bahn nach Hause zu kommen.
Heute fahre ich nach Ginza, eine Gegend, in der es laut meinem
Reiseführer große, schicke Kaufhäuser gibt. Wenn ichs
recht bedenke, weiß ich allerdings gar nicht, was ich wirklich
hier will, denn Kaufhäuser interessieren mich eigentlich nicht so
sehr. Ich schaue sie mir daher nur von außen an und lasse den Anblick der
Menschenmenge auf mich wirken .
Im Sony-Gebäude gibt es den Sony-Showroom, wo auf fünf
Etagen die neusten Sony-Produkte ausgestellt sind. PCs , Notebooks , MP3-Player , Kameras , Camcorder , Heimkino-Anlagen,
große HDTV-Fernseher ,
Blu-ray-Disc-Recorder ... was das Herz begehrt.
Auch ein Librie übrigens , Sven, aber die hier
ausgestellten Geräte stehen nicht zum Verkauf. Es gibt zwar eine
kleine Verkaufsabteilung, aber die führt nur eine kleine Auswahl
der Produkte.
Zur Erholung gibts erst mal einen Cappucino mit Blick auf die beliebte
Kreuzung Yonchoume . Obwohl ich im Prinzip nur
eine Straße langgegangen bin, habe ich von Ginza eigentlich
schon genug gesehen. Ich blättere in meinem Reiseführer und
komme auf die Idee, eine Bootsfahrt nach Asakusa zu machen. Die
Anlegestelle ist in einem Garten hier in der Nähe und es ist
prächtiges Sonnenwetter, genau das Richtige.
Also laufe ich erst einmal in Richtung Fluss. Unterwegs komme ich
an einem Kabuki-Theater vorbei , ansonsten ist die
Straße eher unspektakulär. Am Fluss angekommen stelle ich fest, dass es
gar keinen Weg am Ufer entlang gibt. Hätte ich mal genauer in
meinen Stadtplan geschaut; zwischen der Brücke, an der ich stehe,
und dem Garten, zu dem ich will, liegt ein goßer Fischmarkt. Der
soll an und für sich auch eine Sehenswürdigkeit sein, aber
zu einer Tageszeit, wo ich noch schlafe. Ich muss also wieder ein
Stück des Weges zurückgehen, werde dafür aber in einem
Seitensträßchen mit einem kleinen Schrein
entschädigt . Der Fischmarkt oder
jedenfalls die Geschäfte an seinem Rand sind jedenfalls total
ausgestorben um diese Zeit .
Heute ist irgendein besonderer Tag und deshalb der Eintritt in den
Garten frei. Entsprechend viele Leute sind dort unterwegs. Ein
Künstler balanciert auf einem mit dem Mund gehaltenen Stock eine
Teekanne und die Leute
genießen oder fotografieren die Blumen.
Ich suche erst einmal die Anlegestelle. Dort werde ich mal wieder
nicht schlau aus den Schildern ... alles nur in Kanji. Man sollte doch
meinen, dass dies ein Ort ist, an den sich auch mal ein Tourist
verirren könnte, doch Fehlanzeige, nichts mit lateinischen
Buchstaben. Immerhin kann ich auf japanisch äußern, dass
ich gerne eine Bootsfahrt machen würde, hier aber leider nichts
lesen kann, woraufhin man mir anhand einer englischsprachigen
Broschüre, die es unterm Tresen denn doch gab, die Optionen
erklärt. Nach Asakusa bitte, das soll ohnehin sehenswert sein,
und in Odaiba war ich schon.
Es bleiben noch 20 Minuten, in denen ich schnell noch eine
Blitztour durch den Garten mache , dann gehts aufs
Boot . Die Fotos mögen
für sich sprechen . Mir fällt auf, dass
entlang des Ufers an vielen Stellen Zelte stehen , und Pamela bestätigt
mir später meine Vermutung, dass es sich dabei um Obdachlose
handelt. Obdachlose waren mir zuvor schon zahlreiche aufgefallen,
allerdings habe ich mich irgendwie geschämt, sie zu
fotografieren. In der unterirdischen Passage von Bahnhof Shinjuku nach
Westen zum Beispiel liegen sie, meist hinter aus Pappkartons
gebastelten kleinen Wandschirmen. Auch im Park von Ueno sind mir viele
aufgefallen. Vielleicht werd ich irgendwann meine Scheu
überwinden und doch mal das ein oder andere Foto
schießen.
Es ist schon wieder kurz vor Sonnenuntergang, als das Boot in
Asakusa anlegt. Wie die Zeit nur immer so schnell vergeht! Ich muss
mich sputen, wenn ich den Senso-ji-Tempel, laut meinem
Reiseführer Tokyos "heiligster und spektakulärster Tempel"
noch bei Tageslicht sehen will.
Mit dem Wort Tempel verbindet man eigentlich einen Ort der Ruhe,
aber Senso-ji ist anders: Hier herrscht regelrechte Volksfest-Stimmung
(vielleicht ist auch gerade ein besonderes Fest, ich sehe den Tempel
ja zum ersten Mal). Durch das erste Tor erreicht man einen langen
Weg zum Tempel, der von Geschäften aller Art gesäumt
wird . Ich spurte auf der
Rückseite der Geschäfte entlang und kriege das
Hauptgebäude des Tempels gerade noch im Licht der letzten
Sonnenstrahlen vor die Linse . Die Leute stehen hier
Schlange, um zu beten ; einer nach dem anderen
wirft etwas Geld ein, klatscht in die Hände und verharrt
kurz.
Seitlich gibt es für 100 Yen mikuji – das Wort
steht komischerweise nicht in meinem elektronischen Wörterbuch.
Man schüttelt eine sechseckige Blechdose, zieht aus einem kleinen
Loch ein Stäbchen mit einer Nummer und nimmt dann aus der
entsprechenden Schublade einen Zettel mit einer Art Horoskop . Was dann kommt, beobachte
ich erst später: Man bindet nämlich dann den Zettel an einem
der dafür vorgesehenen Drähte fest , um sich zu wünschen,
dass die Weissagung so in Erfüllung geht. Aber nur, wenn es ein
gutes Horoskop ist – sonst bindet man es nicht an und holt sich
im Zweifelsfalle lieber noch mal ein neues, wie mir Hiko später
erklärt.
In und um den Tempel tobt jedenfalls das Leben. Natürlich ist
auch die Dichte ausländischer Touristen höher als sonstwo,
aber die Kombination aus heiliger Stätte und Volksfest finde ich
schon faszinierend. Direkt neben dem Tempel ist anscheinend ein
kleiner Vergnügungspark; hier ein Foto zum Thema Tradition und
Moderne .
Zwischendurch wieder eine jener typischen Begegnungen, die ich
inzwischen fast hassen gelernt habe: Ein älterer Japaner schaut
mich freudig an und fragt mich: "Where are you from?" "doitsu kara
kimashita." "Which city?" "Hannover desu." "moi moi!" ? ... was will
er? "moi moi!". Der Groschen fällt nur pfennigweise, aber nachdem
er es noch ein paarmal wiederholt hat, beginnt es wie "Moin Moin" zu
klingen. Ach, die Japaner! Er fragt mich auf Englisch, ob man das den
ganzen Tag lang sagen kann, und ich antworte "hai, tsukaemasu. demo
kita no doitsu dake ...". [ja, man kann, aber nur in
Norddeutschland.] "doitsu he itta koto ga arimasu ka?" [Waren Sie
schon einmal in Deutschland?] "Guten Morgen. Guten Tag. Guten Abend.
Auf Wiedersehen. Bitte. Danke. Prost." (Mit überraschend guter
Aussprache, aber vollkommen inhaltsleer.) Das wars, mein
Gesprächspartner hat sein Englisch und sein Deutsch geübt
und verabschiedet sich ... und ich habe mein Japanisch geübt.
Kennt Ihr den Film "The Last Samurai"? "I have introduced myself, you
have introduced yourself. It was a goooood conversation."
Ich esse in Asakusa zu Abend und fahre dann nach Hause; genug
gesehen für heute. Die Navigation im Bahnhof Shinjuku gelingt mir
immer besser: Zielsicher finde ich den Weg zu der entlegenen
Bahnlinie, die mich bis vor die Haustür meines Hotels bringt.
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