16.06., Jindaiji

Heute besuche ich mal wieder Hiko in seiner Mittagspause. Wir verbringen sie bei dem kleinen Schrein, den ich die Tage entdeckt habe und den er noch gar nicht kannte beziehungsweise nicht als möglichen Pausenraum wahrgenommen hatte. Dabei sind dort offensichtlich extra Bänke und ein Tischchen vorgesehen Foto dazu.

Was ich den Nachmittag über vorhabe? Keine Ahnung, habe wie immer keinen Plan. Ob ich Jindaiji schon kenne? Nein, was ist das? Na das ist aber eine Bildungslücke! Hiko malt mir mit sichtlichem Vergnügen einen Plan Foto dazu. Erst erklärt er mir, wie ich mit den verschiedenen Bahnlinien da hinkomme, aber dann fällt ihm noch eine Abkürzung ein: Das Schnellste ist vermutlich ein Bus nach Sengawa, dann von da ein Hüpfer mit dem Zug und dann ein weiterer Bus. Liebevoll zeichnet er mir auch noch die Haltestellen der Expresszüge ein sowie einen Pfeil nach links nach Deutschland und einen Pfeil nach rechts nach Amerika, damit ich den Überblick habe :-). Na dann kann ja nichts mehr schiefgehen Foto dazu.

Obwohl Hiko mir nicht genau erklärt hat, wo die Bushaltestelle ist, laufe ich dem abfahrbereiten Bus zufällig über den Weg, sehe jedenfalls auf seinem Schild Sengawa angeschrieben. Allerdings in Kanji. Wer in Japan den richtigen Bus finden will, muss definitiv Kanji lesen können beziehungsweise die Kanji für seinen Zielort kennen und wiedererkennen. Während in den Zügen und U-Bahnen doch auch alles irgendwo in lateinischen Buchstaben steht, wenn auch längst nicht auf jedem Plan, sind die Busse konsequent ohne.

Der Bus setzt mich an einer Haltestelle namens Bahnhof Sengawa ab, aber ein Bahnhof ist weit und breit nicht in Sicht Foto dazu. Ich laufe ein bisschen die Straße entlang, bestaune einen Laden, der gebrauchte Computer verkauft Foto dazu Foto dazu, und frage mich an der nächsten Kreuzung erneut, wo auf diesen Suchbildern der Bahnhof versteckt sein könnte Foto dazu Foto dazu. Der Umgebungsplan ist auch keine wirkliche Hilfe Foto dazu.

Ich könnte natürlich nach dem Bahnhof fragen, beschließe aber, erst einmal diese nette Fußgängerzone von Sengawa entlangzugehen Foto dazu Foto dazu. Und da kommt dann auch der Bahnhof, ganz von alleine Foto dazu.

Jindaiji ist ein sehr schön grüner Stadtteil Foto dazu mit einer großen Tempelanlage mittendrin Foto dazu. (Fotos bitte einfach über die Foto-Navigation durchklicken.) Auch hier nehme ich nach einem ausgieben Spaziergang um kurz nach 17 Uhr überrascht zur Kenntnis, dass der botanische Garten bereits um 16 Uhr geschlossen hat Foto dazu. Und auch bei einem anderen Park um die Ecke sind die Tore schon zu Foto dazu. Unbegreiflich. Die einzige Erklärung, die mir dafür einfällt, ist, dass das Parkpersonal pünktlich Feierabend machen muss. Wenn die natürlich morgens um 8 anfangen und nur eine Schicht haben ...

Zurück am Bahnhof bleibt mir noch ein bisschen Zeit, in einem Elektronikladen um die Reagale mit Nintendo DS herumzuschleichen Foto dazu Foto dazu. Es scheint sie hier auch gebraucht zu geben. Ob ich wohl noch ein neues Gadget brauche? Eigentlich trage ich ja nun wirklich schon genug Elektronik mit mir herum. Aber Chandra hat mir auf dem Ding ein Kanji-Lernprogramm gezeigt, das ganz nützlich sein könnte. Ach, heute nicht.

Um 19.30 treffe ich in Sengawa wieder Hiko Foto dazu. Er möchte erst einmal baden gehen, und da bin ich natürlich mit Feuer und Flamme dabei. War in all meinen Japanreisen noch nie in einem öffentlichen Bad, das interessiert mich. Zwar knurrt der Magen schon ein wenig, aber egal. Ein Bad vor dem Essen erhöht die Vorfreude umso mehr.

Natürlich darf man im Bad keine Fotos machen, aber schade, dass ich Euch das nicht zeigen kann. Drüben im Live-Foto-Log gibts immerhin noch einen Schnappschuss von der Eingangshalle, in der unter anderem Massagesessel stehen. Bevor man die betritt, zieht man natürlich seine Schuhe aus und schließt sie in einem kleinen Schließfach ein. An einem Automaten ziehen wir eine Eintrittskarte und ein Ticket für ein kleines Handtuch, das man hier für 150 Yen kaufen, aber nicht leihen kann. Wir werfen es nachher trotzdem weg; was soll ich mit einem nassen Handtüchlein im Rucksack?

Im Bad gibt es einen Bereich, in dem man sich zunächst reinigt. Und zwar tut man dies im Sitzen auf einem kleinen Hocker, wo man sich mit einer Brause abduschen kann und wo Haarshampoo und Duschgel bereitsteht. Anschließend hat man die Wahl zwischen allerlei Becken mit verschieden warmem Wasser, blubbernde und nicht blubbernde. Auch außen gibt es Badebecken und ein paar Tatami wo man sich an frischer Luft ausruhen kann.

Die Handtücher sind übrigens wirklich winzig, kein Vergleich mit dem, was man bei uns so als Duschhandtuch benutzen würde. Die Japaner benutzen sie aber auch anders, insbesondere nicht in erster Linie zum Abtrocknen: Schon von Anfang an wird das Ding nass gemacht. Gleich wenn man sich wäscht, kann man sich damit zum Beispiel den Rücken schrubben. Ansonsten benutzen es viele Japaner, um beim Herumlaufen ein wenig ihre Blöße zu bedecken, etliche laufen aber auch ungeniert nackt rum. Im Bad ist es wohl Tradition, das Handtüchlein zusammengefaltet auf dem Kopf zu tragen. Viele machen das, Hiko nicht.

Eine besondere Erwähnung verdient noch die Sauna. Es beginnt damit, dass sie strahlend hell erleuchtet ist, während man bei uns ja eher schummriges Licht kennt. Es gibt fünf oder sechs Stufen, und alles ist von oben bis unten mit Frotteetüchern ausgelegt, auf denen man sitzt. Das Handtüchlein legt man allenfalls über seinen Schritt, oder auch daneben. Alle schauen in die gleiche Richtung – auf einen großen Fernseher. Dort läuft eine dieser völlig dusseligen, unbeschreiblichen japanischen Unterhaltungssendungen. Darunter ein Schild, auf dem steht, dass das Fernsehprogramm vom Bad ausgesucht wird. Die grammatische Konstruktion dafür löst jenes unbeschreibliche Gefühl in mir aus, von dem Jay Rubin in seinem Buch Making Sense of Japanese schreibt, jenes Erstaunen, dass es gelingt, eine solch verschnörkelte Denk- und Ausdrucksweise mit dem eigenen Hirn nachzuvollziehen. Das Fernsehprogramm ist nämlich vom Haus kimeraresaseteitadaiteorimasu, ach, ich erklär das jetzt nicht. Wer Japanisch lernt, wird es nachvollziehen können. kimeta wäre die Form, die man unter Freunden vielleicht benutzen würde. Das hier ist jedenfalls die höflichste Form, die ich je in freier Wildbahn gesehen habe. Übrigens ein gutes Buch das, auch für Leute, die nicht selbst Japanisch lernen.

Der Fußmarsch nach dem Bad ist länger, als wir dachten; Hiko hat wohl nicht so ganz den kürzesten Weg gefunden. Erst um 21.40 Uhr kommen wir an dem Restaurant an, das er heute für uns ausgesucht hat. Es ist koreanisch, mit einem im Tisch eingelassenen Grill, auf dem wir allerhand Leckeres brutzeln Foto dazu. Es kostet zwar 800 Yen Eintritt, dafür sind die Getränke aber billig. Na ja, wir essen und trinken jedenfalls mal wieder sehr ausgiebig. Wie immer überlasse ich Hiko das Bestellen, weil ich auf der Speisekarte eh nichts lesen kann. Nur Kimchi bestelle ich selbst; weil es hier koreanisch ist, habe ich ganz zu Recht vermutet, dass es das hier geben müsste. Es mag ein billiges Restaurant sein, aber wir werden am Ende doch 10.000 Yen los für zwei (ca. 60 Euro).

Um 23.30 am Bahnhof stellen wir aber fest, dass es leider keine Verbindung mehr für mich nach Hause gibt. Hiko setzt mich noch in den Zug nach Shinjuku und ich erkundige mich dort noch einmal, ob man nich doch noch irgendwie nach Kichijouji kommen kann – Fehlanzeige. Also eine weitere Nacht im wilden Shinjuku ...

 

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©2008 by Harald Bögeholz