Endlich scheint morgens mal die Sonne. Da hat man doch gleich eine
ganz andere Motivation zum Aufstehen. Heute könnte ich ja wirklich mal
wieder rüberfahren zu Hiko, um ihm beim Mittagessen am Fluss
Gesellschaft zu leisten. Ich schreibe ihm eine entsprechende SMS, aber
er antwortet nicht. Was tun? Gegen 11.30 beschließe ich, mich auf den
Weg zu machen, sonst kann ich es nicht zu seiner Mittagspause
schaffen. Bus nach Yokohama, Soutetsu-Linie nach Yamato,
Oodakyuu-Linie in Richtung Shinjuku ... und da kommt die Antwort: Er
ist heute in Narita und hat keine Zeit. Na gut, bleibe ich eben
einfach in diesem Zug sitzen und fahre nach Shinjuku. Ich will mir
unbedingt einen Japan-Reiseführer kaufen und überlegen, ob ich nicht
doch in meiner restlichen Zeit hier mal noch irgendwas besichtigen
fahre. Da ist die große Buchhandlung Kinokuniya gerade recht.
Außerdem steht noch das Projekt Internet-Cafe auf dem Programm.
Kollege Urs hat mich gebeten, ob ich nicht eines für ihn fotografieren
kann, als Illustration für seinen Artikel über Internet im Urlaub.
Wenn man weiß, wonach man suchen muss, ist es nicht schwer: manga
kissa, also Manga-Cafe. Es steht in riesigen Lettern dran,
natürlich auf Japanisch . Das Wort Internet in
lateinischen Buchstaben muss man schon mit der Lupe suchen.
Das Manga-Cafe ist im ersten Untergeschoss. Am
Empfangstresen vereinbare ich eine halbe
Stunde Internet-Nutzung und bekomme einen Platz zugewiesen. Der Laden
ist ein düsteres Labyrinth mit lauter kleinen Kabinen, im
Eingangsbereich ein Lageplan (Dusche und WC links,
Kleine-Mädchen-Mangas im 2. Untergeschoss). Es gibt anscheinend
Einzel- und Doppelkabinen. Den Gang entlang , da ist es: Kabuff Nummer
19 . Auf engstem Raum findet
sich hier alles, was man zur Unterhaltung braucht: Ein bequemer
Sessel, sogar mit einem Hocker zum Füße Hochlegen, PC, Fernseher mit
Videorecorder, Playstatioin 2 und ein kleiner Safe für Wertsachen. Von
der Atmosphäre her könnte man fast denken, es fehlen nur die
Papiertaschentücher, aber so ist das hier nicht.
Das Manga-Cafe heißt natürlich so, weil es Unmengen an Manga zu
lesen gibt, in Regalen rund herum thematisch sortiert . Es ist aber anscheinend
ein Ort, der allgemein der Unterhaltung dient, ob es nun Mangas,
Internet, DVDs oder Spiele sind. Und nicht zuletzt kann man hier
übernachten. Ich habe gelesen, dass Manga-Cafes dafür gerne genutzt
werden, wenn man den letzten Zug verpasst hat. Wer sich in Tokyo ins
Nachtleben stürzt, muss nämlich wissen, dass es keinen Nachtverkehr
gibt. Spätestens um 1 fährt nix mehr, auch am Wochenende, und es geht
erst gegen 5 wieder los. Was also tun, wenn man Freitagabends um 2
genug hat vom Nachtleben? Manga kissa. Entsprechend findet man hier
auch eine Dusche , freie Soft-Drinks,
Automaten mit diversen Fertiggerichten , Mikrowelle, Wasserkocher,
was man halt so braucht . Ach ja, und einen
Handy-Auflade-Automaten . Als ich da Foto machte,
war ich mir da nicht ganz sicher, aber inzwischen habe ich in Ruhe die
Kanji entziffert. Es gibt deshalb so viel Text und so viele
Schubladen, weil ja jedes Handy einen anderen Stecker hat. Daher
steckt oben eine Kompatibilitätsliste mit den Handy-Modellen der
diversen Mobilfunkanbieter. Und bitte das Handy während des Ladens in
den manaamoodo (manner mode, also stumm) schalten.
200 Yen hat die halbe Stunde gekostet , obwohl außen auf dem
großen Schild stand: 100 Yenn pro Stunde, das billigste in Japan!
Betrogen wird man also auch in Japan; wahrscheinlich steht im
Kleingedruckten, dass der Preis nur Mittwochnachts zwischen 1 und 5
Uhr gilt oder so.
Auf dem Weg zur Buchhandlung will ich etwas in meinen Rucksack
stecken und muss feststellen, dass ich ihn nicht bei mir habe. Mist,
im Manga-Cafe vergessen! Also noch mal zurück. Ich muss schmunzeln und
an den Tag zurückdenken, wo wir in der Sprachschule geübt haben, wie
man sich im Fundbüro nach einem verlorenen Gegenstand erkundigt. Den
genauen Inhalt der Lektion habe ich zwar vergessen, aber ich komme
ganz gut klar. Die Mitarbeiter suchen hektisch hinter ihrem Tresen
nach meinem Rucksack, finden ihn aber nicht. Ich wende ein, dass er
vielleicht ja noch in dem Kabuff (buusu) sein könnte, das ich
benutzt habe. Wir gehen zusammen nach hinten, und da ist er natürlich.
yokatta! Ich war eigentlich recht unbesorgt und erst im
Nachhinein denke ich, dass dieser Rucksack doch ein schmerzlicher
Verlust gewesen wäre. Reisepass, Führerschein, Notgroschen in Form von
Reiseschecks (500 US-$, trage ich seit vier Jahren auf all meinen
Reisen mit mir rum und habe ich nie gebraucht), Teleobjektiv,
elektronisches Wörterbuch, PDA ... da kommt schon einiges zusammen.
Aber es ist ja nichts passiert.
Ich kaufe einen Reiseführer und noch ein anderes lustig aussehendes
Buch (Hard-to-Answer Questions about Japan, zweisprachig
Englisch-Japanisch) und fahre rüber nach Harajuku. Yoyogi wäre
wahrscheinlich schlauer gewesen, denn es ist doch weiter als ich
dachte von Harajuku, vorbei am Meiji-Schrein zu der Liegewiese im
Yoyogi-Park auf der ich den Nachmittag mit Lesen zu verbringen
gedenke .
Das Wetter ist genau richtig dafür, endlich mal Entspannung in
Tokyo. Ich fotografiere ein paar Menschen , wobei ich plötzlich einen
Japaner erwische, der anscheinend dasselbe tut und mich
bemerkt . Er ist mit seiner Freudin
da und sie kichern und winken mir zu, und wir knipsen uns zum Spaß
gegenseitig . Meins ist aber deutlich
länger als seins (Objektiv).
Dass wir heute Abend Shabushabu essen gehen, hielt ich eigenlich
für eine ziemlich verbindliche Verabredung. Aber den ganzen Nachmittag
über antwortet Hiko nicht auf meine SMS, bis ich dann gegen 18.30
endlich von ihm höre: Er ist immer noch in Narita, die Arbeit zieht
sich in die Länge, heute wird das nichts. Ob morgen auch OK sei? Na
wird es ja sein müssen. Ein bisschen enttäuscht bin ich schon, obwohl
ich immerhin als Erfolgserlebnis verbuche, dass ich die Nachricht
vollständig lesen kann, trotz Kanji. Und mir knurrt der Magen: Ich
habe extra wenig gegessen, weil ich mich auf ein
tabenomihoudai-Gelage (essen und trinken zum Pauschalpreis)
gefreut hatte. Zum Trost gibts kaitensushi, Sushi in so einem
Laden mit Karussell . Geralds Mail mit dem
Wunsch nach detaillierten Sushi-Fotos kam leider zu spät ... nächstes
Mal.
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