05.05., Ein Ausflug nach Tokyo

Obwohl mit Kyoutaro gestern Abend eingeschärft hat, dass ich unbedingt einen möglichst frühen Zug nehmen soll, schlafe ich bis kurz vor 9 aus – schließlich habe ich Ferien. Es ist zwar Golden Week, aber es fährt nun wirklich alle halbe Stunde von Mikawa-Anjou aus ein Shinkansen nach Tokyo. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die ausgerechnet am Samstagmorgen alle überfüllt sein sollen. Vielleicht sind gerade die frühen Züge alle total überfüllt, weil alle Japaner wie Kyoutaro denken und heute ganz früh losfahren.

Da am Schalter die Leute Schlange stehen, versuche ich mein Glück am Fahrkartenautomaten. Obwohl ich ja nun schon seit geraumer Zeit die Kanji studiere, fühle ich mich immer noch leicht unwohl, wenn ich auf sie angewiesen bin; dieser Automat hat jedenfalls keine englische Benutzerführung. Aber es klappt ganz gut. Lediglich die Frage ob einfach oder hin und zurück macht mich nachdenklich; es wird nämlich nicht gefragt, wann ich zurückfahren will. Wie lange die Karte wohl gilt? Na ja, morgen zurückfahren wird schon kein Problem sein. Als unüberwindliche Hürde erweist sich dann aber die Frage nach der Geheimzahl meiner Kreditkarte. Die Frage kan ich zwar prima lesen, aber die doofe Geheimzahl habe ich schlicht vergessen. Ich meine mich zu erinnern, dass ich sie mir irgendwann mal ganz klein mit Bleistift in meinem Pass notiert hatte, weil ich sie ja praktisch nur im Ausland brauche. Aber ich habe einen neuen Pass :-(.

Also wohl doch der Schalter. Als ich mich gerade abwenden will, fragt mich eine aufmerksame Japanerin, ob alles in Ordnung sei. Nein, nicht wirklich. Ich sage – nur halb der Wahrheit entsprechend –, dass ich Probleme mit den Kanji habe, und sie hilft mir noch einmal durch die Menüs. Bei der Frage nach der Rückfahrt sage ich ihr, dass ich morgen zurückfahren will, und sie meint, dann müsse ich eine Einzelfahrt kaufen. Ob das stimmt? Einzeln kostet jedenfalls 9.480 Yen, während Hin- und Rückfahrt knapp 15.000 hätte kosten sollen. Letzteres wäre mir also lieber gewesen, aber gilt die Hin- und Rückfahrkarte wirklich nur am selben Tag? Nach all den Japanreisen ist es schon erschreckend, welchen alltäglichen Kleinigkeiten man dann doch immer wieder hilflos gegenübersteht.

Der Shinkansen ist jedenfalls nicht gerade leer, aber weit von der angedrohten Überfüllung entfernt, vielleicht halb besetzt Foto dazu. Erst auf den letzten Stückchen vor Tokyo füllt er sich etwas, aber ich habe nicht den Eindruck, dass irgendwo jemand stehen muss. Während der Fahrt blättere ich ein wenig in meinem Reiseführer und mache einen hübschen Garten ausfindig, den ich noch nicht kenne. Den werde ich mir erst einmal anschauen, irgendwie ist mir schon wieder nach Ruhe zumute.

Ruhe ist etwas, das ich hier wirklich sehr vermisse, das wird mir immer mehr bewusst. Obwohl ich eigentlich viel schlafe, bin ich permanent müde hier. Zu Hause donnert von ca. 6 bis 23 Uhr alle paar Minuten lang ein Shinkansen vorbei, und ich habe den Eindruck, dass vor allem nachts auf der dicken Straße direkt vor dem Haus viele Lastwagen unterwegs sind. Völlige und vor allem lang andauernd Stille – wann habe ich die zuletzt erlebt? Ich glaube, in Deutschland.

Neben den natürlichen Geräuschen, zu denen ich im weitesten Sinne auch den Verkehrslärm zähle, weil er halt irgendwie sein muss, reichern die Japaner ihre Umgebung ja noch mit allerlei künstlicher Geräuschkulisse an. Wenn man zum Beispiel am Bahnhof sitzt und auf den Zug wartet, dann wäre es eigentlich fast still. Aber aus allen möglichen Ecken macht es permanent Ding Dong, mit verschiedenen Tonhöhen und verschiedenem Rhythmus. Ich glaube, das sind Orientierungshilfen für Sehbehinderte, jedenfalls ertönt das Dingdong an jedem Aufzug aus und auch an der Fahrkartenkontrolle. In der Ferne hört man die Rolltreppe vor sich hin erzählen: Diese Rolltreppe fährt nach oben. Bitte Vorsicht. Diese Rolltreppe fährt nach oben. Bitte Vorsicht. Diese Rolltreppe ... Bei vielen (allen?) Lastwagen ist der Blinker mit einer Lautsprecheransage gekoppelt. Ich biege nach links ab! Vorsicht! Ich biege nach links ab! Vorsicht! Ich biege ... hört man zum Beispiel, wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist. Wenn man Japanisch kann, hilft es vielleicht sogar ;-).

Tokyo ist natürlich auch nicht gerade als Ort der Ruhe bekannt, obwohl der Hauptbahnhof im Vergleich etwa mit dem von Shinjuku geradezu menschenleer ist Foto dazu. Am Hauptpostamt gegenüber will ich erst einmal Geld abheben; dass ich den unerwartet teuren Shinkansen auch noch in bar bezahlen musste, hat meine Finanzplanung doch ein bisschen durcheinandergebracht. Doch leider Fehlanzeige: Ausgerechnet vom 3. bis 6. Mai sind die Geldautomaten wegen Wartungsarbeiten geschlossen. Immerhin hätten sie sonst wenigstens theoretisch auch am Wochenende geöffnet. Das Postamt in Okazaki hat nachts und am Wochenende zu – einschließlich der Geldautomaten.

An der U-Bahn-Haltestelle, an der ich eigentlich einen beschaulichen japanischen Garten erwarte, herrscht Volksfeststimmung. Der Blick fällt als erstes auf eine große Achterbahn Foto dazu, dann auf ein Stadion – Baseball, wie ich inzwischen weiß, den toukyou doomu. Also lasse ich mich erst mal ein wenig durch das Getümmel treiben und mache ein paar Fotos, bevor ich dann rüber gehe in den Garten.

korakuen heißt er, und er ist ebenfalls recht überlaufen Foto dazu. Im Folgenden fällt es mir nur schwer, Fotos ohne Menschen zu machen; der Eindruck trügt Foto dazu. Und immer sieht man irgendwo ein Hochhaus aufragen oder hört das Gedonner der nahegelegenen Achterban und das Gekreische ihrer Benutzer Foto dazu. Ruhe ist relativ in Tokyo; von der Vorstellung, mich irgendwo in Ruhe in die Sonne zu setzen oder gar zu legen, verabschiede ich mich.

Nach dem Garten schaue ich nochmal im Vergnügungspark vorbei, trinke im Biergarten Foto dazu ein Bier und wandere dann noch ein bisschen in einem Viertel herum, das laut meinem Reiseführer ein Uni-Viertel und für seine zahlreichen Buchhandlungen bekannt ist (stimmt, vor allem viele gebrauchte Foto dazu), bevor ich nach Shinjuku rüberfahre, dort noch ein Stündchen Zeit in einer Buchhandlung totschlage, um mich dann mit Hiko zu treffen. Ich hatte mich sehr auf Shabushabu gefreut, aber Hiko überredet mich, Thailändisch essen zu gehen ... auch lecker Foto dazu.

 

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©2007 by Harald Bögeholz