Als wir gegen Mittag frühstücken gehen , regnet es in Strömen.
Hiko will gerne nach Hause, und bei Regen macht Tokyo nicht wirklich
Spaß, daher schwinge auch ich mich in den nächsten Shinkansen und
mache mich auf den Heimweg.
Der Shinkansen ist übrigens auch frei konfigurierbar. Wenn man das
kleine Pedal unten an einer Sitzbank tritt , kann man sie um eine
senkrecht verlaufende Achse um 180 Grad drehen. War das verständlich?
Mehrere Leute haben mich nämlich gefragt, wie das Umklappen der Sitze
im Nahverkehrszug funktioniert, das ich neulich beschrieben habe. Ich
dachte, das wäre klar gewesen. Vielleicht nochmal zur Verdeutlichung:
Dort sind die Rückenlehnen beidseitig gepolstert. Man stelle sich vor,
man sitzt (alleine) auf so einer Bank. Dann steht man auf, zieht die
gesamte Lehne zu sich her, geht um die Bank rum und kann sich auf der
anderen Seite wieder hinsetzen. Erklärt das die Mechanik hinreichend?
Beim Shinkansen muss man die Bank aber drehen.
Zu Hause wartet Post auf mich: Die Leute, mit denen wir letztes
Wochenende in Gamagori waren, haben Erinnerungsfotos geschickt . Wirklich sehr freundlich.
Die Adresse auf dem Umschlag ist sehr ordentlich geschrieben , sodass ich sie sogar
lesen kann (hüstel, ich übertreibe mal wieder maßlos, sagen wir
zweifelsfrei als meine derzeitige Adresse wiedererkennen, Ortsnamen
sind ein extrem schwieriges Kapitel für sich). Aber die beiliegende
(eigentlich an meine Gastmutter gerichtete) Postkarte ist mir ein Tuch
mit sieben Siegeln . Da kann ich nur unter
größten Mühen einige wenige Zeichen entziffern. Wenn Mama sie mir
vorliest, habe ich so eine Ahnung, dass das da tatsächlich stehen
könnte, aber mit Lesen hat das wenig zu tun. So rückt das Ziel,
Japanisch zu verstehen, immer noch weiter weg, je näher man ihm kommt.
Nun kann ich doch schon einen ganzen Haufen Kanji lesen, aber
Handschrift – oh weh. Also noch ein paar Jahre studieren.
Abends treffe ich Nami-san, zeige ihr meine Fotos und lasse mir von
ihr auch noch einmal beim Entziffern der Postkarte helfen. Sie meint,
oh, das ist ja eine sehr schöne Handschrift. Ach ja? Ach, ach! Ich
werde wohl auch mein Empfinden für die Ästhetik japanischer
Schriftzeichen noch nachschulen müssen. Jedenfalls habe ich mit ihrer
Hilfe den Text der Postkarte nun abgetippt und habe ihn als Datei
vorliegen, die ich jetzt Zeichen für Zeichen in Ruhe interpretieren
und mit dem handschriftlichen Exemplar vergleichen kann.
Ein Beispiel gefällig? Was ich ohne die Hilfe meiner Gastgeberinnen
im Traum nicht erkannt hätte, sie aber schwören, da zu lesen, ist das
Wort fuukei (Landschaft, Aussicht):
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