Für heute hat Pamela ungefähr 15 Leute zur
Einweihungsparty ihrer Wohnung eingeladen. Jeder soll eine Kleinigkeit
zu essen mitbringen, aber wir haben uns im Vorfeld darauf geeinigt,
dass das in meinem Fall keine gute Idee ist und ich lieber das Bier
kaufe ;-). Ich ziehe gegen 10 mit Pamela los zum Einkaufen und
gönne mir auf dem Weg als erstes bei sukiya ein
klassisches japanisches Frühstück: Reis, Misosuppe und
Lachs .
Zum Einkaufen führt mich Pamela in eine Gegend, die ich noch
nicht erkundet habe; ein weiteres nettes Einkaufssträßchen
in der Nähe ihrer Wohnung . Hier springt mir wieder
so ein unscheinbarer Schrein ins Auge: Ich finde es immer noch
faszinierend, wie beiläufig sich sowas ins Straßenbild
integriert. Neben dem Cola-Automaten steht das torii am Eingang zu einem
unspektakulären Hinterhof , wo der Schrein dann
eingepfercht zwischen den Häusern seine paar Quadratmeter
belegt .
Pamela braucht erst einmal ein zweites Frühstück, und
für sie bedeutet das etwas Süßes. Daher kehren wir
erst einmal in der Bäckerei ein. Dort gibt es eine große
Auswahl raffinierten Gebäcks , und sie wird fündig.
Was jedoch in Japan wirklich schwierig aufzutreiben ist, ist ein ganz
normales Brötchen. Oder ein ganz normales Brot. Oder auch ein
ganz normales Croissant, nicht eines, das mit irgendeiner
süßen Creme gefüllt ist. Noch hält sich das
Heimweh in Grenzen, aber wenn ich mir das Angebot hier so anschaue,
dann bin ich mir sicher, dass ich mich gegen Ende meiner Reise wieder
auf das Frühstück Palermo im Mezzo freuen werde.
Bei Oozeki (übrigens die Supermarktkette, bei der Hiko
arbeitet) kaufen wir ein paar Sachen für die Party ein: Pamela
ist für Salat, Tomaten, Mozarella und dergleichen zuständig
und ich verabredungsgemäß für Bier und Chips.
Anschließend machen wir die Wohnung flott und holen dann um 15
Uhr ihre Gäste vom Bahnhof ab.
Die ersten Gäste sind überwiegend Japaner : Ein Arbeitskollege von
Pamela, ihr Japanischlehrer, ihr Konversationspartner aus der
Kashiwa-Zeit mit Frau und Tochter und Saito san. Und ein Nichtjapaner,
David von der toudai (Uni Tokyo). Das bedeutet, dass die
gesamte Konversation auf Japanisch stattfindet, und schon nach einer
halben Stunde beginnt mein Kopf zu rauchen und ich empfinde wieder
diese totale Reizüberflutung, die immer eintritt, wenn mein Hirn
versucht, flüssig gesprochenes Japanisch in Echtzeit zu
verstehen. Immerhin gelingt es mir, auch ein bisschen von mir zu
erzählen; im Laufe der Zeit halte ich mich aber immer mehr
zurück und höre überwiegend zu. Das ist auch eine gute
Übung; ich kriege doch schon so einiges mit.
Als ich allerdings höre, dass es in Deutschland einen
großen Unfall mit einer Magnetschwebebahn gegeben hat und
diskutiert wird, was das für wirtschaftliche Auswirkungen haben
könnte, zweifle ich dann doch an meinem Japanisch: Habe ich das
richtig verstanden? Wir haben doch gar keine Magnetschwebebahn. Haben
wir aber doch, und inzwischen habe ich im Internet vom Unfall auf der
Transrapid-Versuchsstrecke gelesen. Wie ich das im Urlaub meist so
mache, habe ich mich von Nachrichten aus Deutschland komplett
abgekoppelt; schon lustig, dass ich sowas auf einer Party in Japan
erfahre. Und auf Japanisch. Hätten sie auch nur einmal Transrapid
gesagt, dann hätte ich weniger an mir gezweifelt. Aber die Rede
war die ganze Zeit von rineaa mootaa (oder so, die
Katakanifizierung von linear motor).
Gegen 8 verlasse ich die Party, um mich mit Hiko zu treffen. Sie
hat großen Spaß gemacht, war aber unglaublich anstrengend
wegen des ganzen Japanisch. Daher bin ich doch ganz froh, dass ich
mich entschuldigen darf. Lange ging sie dann sowieso nicht mehr;
Pamela hat mir schon im Vorfeld gesagt, dass sie es noch nie erlebt
hat, dass Japaner länger als bis 22 Uhr bleiben. Daher auch der
frühe Beginn um 15 Uhr.
Hiko stand eigentlich erst für morgen auf dem Programm, da hat
er frei. Aber er hat mir heute morgen eine Mail geschrieben, ob wir
uns statt Sonntag nicht doch schon heute treffen und zusammen
abendessen wollen. Auf Japanisch übrigens; er mailt zurzeit
über sein Handy, und da fällt es ihm anscheinend so schwer,
mit lateinischen Buchstaben zu schreiben, dass er es lässt. Auch
wieder eine gute Übung. Also fahre ich jedenfalls nach
Kichijouji, Hikos alter Uni-Stadt, wo ich ihn um 9 treffe (heute
belaste ich mich mal nicht mit der dicken Spiegelreflexkamera, daher
keine Fotos mehr vom Abend). Heute gibt es
yakiniku, Fleisch, das wir uns an einem im Tisch eingelassenen
Grill selber grillen. Lecker, leckerleckerlecker!
Hiko kann schon einiges verdrücken; es kommt mir vor, als
müsste er tagelang gehungert haben. Als ich schon pappsatt bin,
fängt er schon wieder an zu bestellen, und ja, weil es so lecker
ist, geht tatsächlich noch was rein. Vollgefressen und auch schon
recht lustig von einigen Bieren verlassen wir den Laden. Es ist
spät geworden, schon nach Mitternacht, und wir diskutieren die
Frage, ob ich vielleicht bei ihm übernachten könnte. Aber
das geht nicht; in seine Wohnung darf er keine auffälligen
Ausländer mitnehmen, und zu seinen Eltern schon gar nicht. Also
schwingen wir uns erst einmal in die U-Bahn nach Shinjuku, wo ich dann
aber spontan beschließe, doch nach Hause zu Pamela zu
fahren.
Leider ist es schon so spät, dass ich gerade noch den letzten
Zug der Yamanote-Linie bis Gotanda erwische; dann stehe ich vor dem
verschlossenen Eingang zu meiner Anschlusslinie. Ich finde es schon
komisch, dass eine Stadt wie Tokyo an einem Samstagabend um
spätestens 1 Uhr nachts ihren kompletten Nahverkehr dicht macht,
die "Provinzlinien" schon eher. Hiko meint, man bleibt einfach in der
Stadt, bis um 5 die ersten Bahnen wieder fahren, aber das kann doch
nicht allen Japanern so gefallen. Ob es vielleicht doch ein geheimes
Nachtbusnetz für Eingeweihte gibt? Ich habe es jedenfalls noch
nicht gefunden.
So bleibt mir nur, in Gotanda ein Taxi zu nehmen. Jetzt wäre
es irgendwie von Vorteil gewesen, wenn ich einen Zettel mit Pamelas
Adresse zur Hand gehabt hätte oder mich wenigstens an sie
erinnern könnte. Hab ich aber nicht, sodass ich den Taxifahrer
erst bitte, mich zum Bahnhof Magome zu fahren und ihm dann
erkläre, dass ich irgendwo zwischen Magome und Nagahara wohne und
er mal irgendwie auf die Kannanadouri fahren soll; zum Glück
erinnere ich mich wenigstens an einen Straßennamen. Das klappt
tatsächlich, und ich werde bis vor die Haustür gefahren
– ich bin stolz auf mich.
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