Heute fahre ich mal wieder ohne schussbereite Kamera und sehe
prompt wieder mehrere Hundehalter mit ihrem charakteristischen
Schäufelchen, es ist schon wie verhext. Da ich etwas spät
dran bin, halte ich aber nicht an, um die Kamera auszupacken.
Vor dem Unterricht bleiben mir gerade mal 10 Minuten Zeit, in denen
ich versuche, den Vokabelzettel aus dem Kopf auszufüllen, den ich
mir für heute aufgehoben habe. Das ist Bestandteil der
täglichen Routine: Es gibt jeden Tag als Hausaufgabe ein Blatt
zum Ausfüllen, auf dem die Vokabeln des nächsten Tages
bildlich dargestellt sind. Leider war das Lernen gestern nur bedingt
erfolgreich; ich muss doch bei etlichen Wörtern in mein Buch
spicken. Das kann ja heiter werden, wenn gleich der Vokabeltest
kommt.
Wir bleiben heute aber verschont. Der Unterricht beginnt ohne Test
mit einer Wiederholung der Grammatik der letzten paar Lektionen. Das
ist auch bitter nötig, wie ich merke. Nur in der dritten Stunde
gibts einen Happen neuer Grammatik aus Lektion 32, und die Lehrerin
verwendet auch einige der neuen Vokabeln, aber ehe man sichs versieht,
ist der Unterricht auch schon vorbei für heute. Als Ausgleich
für den fast schon entspannenden Unterrichtstag gibt es einen
großen Packen Hausaufgaben. Na ja, wir haben ja das ganze
Wochenende Zeit.
Ich treffe Markus, den Go-Spieler aus Finnland, und Grant aus
Amerika, die beide in die fortgeschrittenste SILAC-Klasse gehen.
Markus hat mir gestern schon erzählt, dass er heute irgendwas
besichtigen gehen will. Inzwischen hat er sich überlegt, was es
sein soll: Atsuta jingu, ein wohl relativ berühmter
Shinto-Schrein im Süden von Nagoya. Ich hadere kurz mit mir, ob
ich den Nachmittag nicht doch lieber im Aufenthaltsraum der Schule mit
sinnlosem Internet-Surfen, Tagebuchschreiben, Fotos Entwickeln und
Lernen verbringen soll, schließe mich dann aber den beiden an.
Wenn ich schon mal in Japan bin, dann will ich auch ein bisschen was
sehen.
Markus gefällt sich anscheinend gut in der Rolle des
Reiseführers. Er leitet uns zielsicher zum Bahnhof Kanayama, das
ist eine Station südlich von Nagoya, und dann GPS-gestützt
weiter zum Atsuta jingu. Ich schieße unterwegs ein paar Fotos
vom Straßenbild, nichts Besonderes ... .
Markus scheint ganz gerne zu Fuß zu gehen; das soll sich auch
im weiteren Verlauf des Nachmittags noch bestätigen. Wir laufen
ca. 40 Minuten bis zum Schrein. Atsuta jingu ist einer jener Schreine,
wo man an das Hauptgebäude gar nicht herankommt, sondern nur bis
zu einem Vorgebäude . Dort beten die Japaner
dann, und die Touristen schießen Fotos .
Mit der U-Bahn geht es jetzt in den Norden der Stadt zur Station
Kurokawa. Markus will dort seine Lieblings-Buchhandlung
besuchen und dann mit uns am
Schloss von Nagoya vorbei in die Einkaufsgegend Sakae spazieren. In
der U-Bahn sieht oft schlafende Japaner, hier mal drei auf einen
Haufen .
Nach dem dreistündigen Fußmarsch durch die Stadt bin ich
ziemlich kaputt und sehne mich nach einer Sitzgelegenheit und einem
Bier. Das Bier gibts allerdings erst später, aber wir finden ein
nettes kleines Schnellrestaurant fürs Abendessen. Restaurants
gibts hier in Hülle und fülle, aber dies ist eines, wo ma
Plastikimitationen der Gerichte im Schaufenster sehen kann . Dann merkt man sich so
gut wie möglich die Schriftzeichen auf dem Schildchen, um dann
drinnen an einem Automaten sein Essen zu bezahlen und zu
bestellen . Das wird dann am Tish
serviert, dazu gibts kostenlosen Tee. Ich esse knusprig gebratenes
Hühnchen mit einer scharfen Soße, dazu Misosuppe und
Salat . Sehr lecker, und mit 690
Yen recht preiswert (gut 5 Euro).
Markus hat erzählt, dass es nach seiner Erfahrung fast
überall in Nagoya ein offenes WLAN gibt, sei es absichtlich oder
offiziell. Und in der Tat: Als wir beide nach dem Essen kurz unsere
Notebooks aufklappen, haben wir sofort eine Internet-Verbindung, und
ich kann kurz in meine Mail schauen. Dazu war ich den ganzen Tag noch
nicht gekommen.
Gegen 8 komme ich völlig erschöpft in Okazaki an und
freue mich auf ein Bierchen in der Campus-Bar. Wie letzten Freitag
habe ich wieder Ausgang, und da ich inzwischen einen
Hausschlüssel habe, gehe ich davon aus, dass ich auch nicht um
Mitternacht nach Hause sein muss. Es wird ein lustiger Abend, nur mit
der Go-Partie wird es nichts mehr, weil der Laden rappelvoll ist und
einfach kein Platz zum spielen wäre. Ich trinke wohl doch ein
Bier mehr als gut gewesen wäre. Der Japaner, mit dem ich mich die
letzte Zeit unterhalten habe, überzeugt mich, dass ich doch
besser nicht mehr mit dem Fahrrad fahre und fährt mich
freundlicherweise nach Hause, das ist ja sehr nett. Da muss ich morgen
nur sehen, wie ich wieder an mein Fahrrad komme ...
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