23.4., Besuch im Kunstmuseum

Der Wecker klingelt wie jeden Tag um 7 – den Running Gag hatten wir auch schon letztes Jahr –, ich habe mit viel Mühe dem Organizer dieses Samsung-Handys einen sich täglich wiederholenden Termin eingegeben, und der macht auch vor einem Wochenende nicht Halt. Macht aber nichts, mein Kopf ist noch viel zu schwer zum Aufwachen. Um 10 weckt mich schließlich meine Gastmutter, weil wir ja zusammen ins Museum wollen. Sie erklärt mir, dass sie schon jetzt in die Stadt fährt und ich mit ihrem Mann nachkomme. So bleibt Zeit, gemütlich zu duschen und das vorbereitete Frühstück zu essen.

Katsuaki san gesellt sich zu mir an den Frühstückstich, und ich frage ihn, was auf dem Zettel steht, den ihm seine Frau hinterlassen hat. Ich kann nämlich die meisten Kanji nicht lesen. Er entschuldigt sich zunächst, dass seine Frau so schlampig schreibt und schreibt die Kanji für mich nochmal deutlicher hin. Das nützt aber natürlich nichts, ich kann halt nur ungefähr 100, und diese hier sind nicht darunter. Aber er erklärt mir geduldig jedes Zeichen, was eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre. Hätte er einfach vorgelesen, so hätte ich reizouko schon verstanden: Kühlschrank. Und auch natto ist mir ein Begriff. kimuchi war in Katakana geschrieben, das konnte ich lesen. Unterm Strich lautete des Rätsels Lösung also: Ganz oben im Kühlschrank ist Kimchi-Natto und Joghurt. Nimm bitte den Zug um 11:22 Uhr.

So richtig viel unterhalten wir uns nicht; irgendwie habe ich immer noch nicht mein persönliches Eis gebrochen und traue mich nicht, auf Japanisch einfach drauflos zu plappern. Und Katsuaki san traut sich auch nicht; er versucht es immer auf Englisch, aber das fällt ihm sichtlich schwer.

Um kurz nach 11 brechen wir in Richtung Bahnhof auf. Der Bahnhof ist eher ein Bahnhöfchen Foto dazu, aber auch mit reichlch Fahrrädern davor Foto dazu. Ich frage, wo ich denn eigentlich eine Fahrkarte kaufen soll (in Wirklichkeit ist das auf Japanisch total einfach: kippu wa – die Fahrkarte betreffend ...?) und Katsuaki san erklärt mir, das wir das im Zug machen. Aber im Zug passiert gar nichts, auch die wichtig aussehenden uniformierten Schaffner wollen nichts von mir. Wir müssen zweimal umsteigen auf dem Weg nach Nagoya, aber nirgendwo will jemand was von mir. Die Züge fahren übrigens ziemlich schnell; ich sehe zufällig auf einem Display die Geschwindigkeit: Im Moment 108 km/h Foto dazu. Ich glaube, die S-Bahnen zu Hause fahren langsamer, kann mich aber täuschen. Mir gegenüber sitzt eine Japanerin, die auf ihrem Handy herumtippt. Ich mache verstohlen ein (nicht besonders gutes) Foto: der Handy-Schmuck ist in diesem Fall anscheinend fast so groß wie das Handy Foto dazu.

In Nagoya habe ich das Thema Bezahlen schon ganz vergessen, als mich Katsuaki san darauf hinweist, dass ich jetzt an einem dieser Schalter, die auf Englisch mit "fare adjustment" beschriftet sind, bezahlen soll. Ich frage ihn nochmal, wo wir eigentlich herkommen, denn japanische Ortsnamen sind für mich genauso schwierig wie japanische Familiennamen: gehört, nachgesprochen, vergessen. Dem Mann am Schalter sage ich schließlich, dass ich in Yamanaka eingestiegen bin, und bezahle. Schon merkwürdig; da könnte ja jeder kommen beziehungsweise sich einen beliebigen Herkunftsort ausdenken!

Wir nehmen die U-Bahn nach Sakae – so ein Zufall, genau da war ich doch gerade erst gestern. Wir treffen Keiko san an einem der Eingänge zu Mitsukoshi – das ist glaube ich eine recht bekannte Kaufhauskette in Japan, kam sogar in einem meiner Japanisch-Lernprogramme vor. Als erstes gehts zum Mittagessen. Auf dem Weg dorthin lässt sich Keiko san endlich mal unverkrampft fotografieren Foto dazu Foto dazu; ich kann schon verstehen, dass ihr das nicht unbedingt recht ist, wenn ich sie zu Hause in ihrer Küchenschürze fotografiere.

Eigentlich bin ich noch gar nicht wirklich hungrig, aber jetzt gibts halt Sushi Foto dazu. Sushi sind für mich natürlich nichts Neues, aber die Tasse zu meiner Linken schon: Wie beschreib ich das ... eine Art Suppe, weitgehend aus Ei bestehend, aber von der Konsistenz her wie Pudding. Und warm. Und mit fischigen Dingen und Pilzen drin – ich weiß hier in Japan nie so genau, was ich esse, aber es ist schon überraschend, dass ich fast alles total lecker finde. Also Eierpilzfischgetierglibber zu den Sushi.

Nach dem Essen sagt mir Keiko san, dass mein Essen 1200 Yen gekostet hat (ca. 8 Euro). Ich bin ein winziges Bisschen überrascht; hatte mir schon im Kopf ein bisschen zurechtgelegt, was ich zu dem Thema sagen wollte. Erwartet hatte ich, dass meine Gastfamilie sich anschickt zu bezahlen, ich irgendwie höflich versuche, selbst zu bezahlen, und dann eingeladen werde. So würde es jedenfalls ziemlich sicher in Deutschland laufen. Aber nein: Ich bin ganz klar nicht eingeladen. Was mich nicht im Geringsten stört – natürlich kann ich mein Essen selbst bezahlen, und es wäre mir auf die Dauer auch sicher peinlich, wenn ich andauernd eingeladen würde. Aber ein winziges Bisschen kühl finde ich die Atmosphäre dadurch schon. Wer weiß, vielleicht war ich auch zu aufdringlich und hätte mich von vornherein gar nicht zu diesem Museumsbesuch mit einladen sollen.

Als nächsten Programmpunkt hat Keiko san Strickunterricht, und ihr Mann muss mit mir eine Stunde Zeit totschlagen. Was ich denn gerne unternehmen möchte? Was weiß ich, was man in Nagoya unternimmt! Nun war ich gestern ausgerechnet genau in dieser Gegend, insofern fällt mir erst recht nichts ein. Also sage ich, dass ich gerne ein bisschen einkaufen gehen möchte – brauche ein original japanisches Mitbringsel (omiyage) für einen Zwölfjährigen (oder wie alt ist der doch inzwischen gleich?). Was ich denn da kaufen will? Keine Ahnung, ich habe doch auch noch keine Idee. Das löst eine hektische Diskussion zwischen den beiden aus; ich werfe ein, dass vielleicht irgendwas elektronisches ganz cool wäre, eine Japanisch sprechende Uhr oder sowas. Schließlich verabschiedet sich Keiko san, und Katsuaki san zieht mit mir los.

Das Wort Uhr zu erwähnen, war keine gute Idee; Katsuaki san schleppt mich mehrere Uhrenläden, aber an eine Armbanduhr hatte ich nun wirklich nicht gedacht. Egal, die Stunde Shopping geht kurzweilig vorbei, wenn ich auch noch nicht das passende Mitbringsel gefunden habe.

Der Haupt-Programmpunkt des Tages ist eine Sonderausstellung über Natur in der japanischen Kunst anlässlich der Expo. Apropos Expo: Eigentlich hätte ich dieses Wochenende hingehen wollen, aber die Japaner haben sich immer noch nicht wegen der Akkreditierung gemeldet. Dann geh ich halt nächstes Wochenende, dacht ich mir, aber ich fürchte, das klappt bestimmt sowieso nicht. Ist ja auch ein abenteuerliches Verfahren, eine Diskette mit einem Passfoto per Schneckenpost nach Japan zu schicken!

Mit der Kunstausstellung kann ich leider recht wenig anfangen. Kunst im Allgemeinen sagt mir schon nicht so besonders viel, und für diese uralten japanischen Gemälde, auf denen die Farben so dunkel und verblasst sind, dass man kaum etwas erkennen kann, fehlt es mir leider doch etwas an Sachverstand. Es sind jedenfalls wohl alles besonders ausgewählte Kunstschätze, die anlässlich der Expo aus allen möglichen Museen Japans hierher gebracht wurden, und ich gebe mir redlich Mühe, das irgendwie zu schätzen.

Zwei Stunden später bin ich total erledigt. Meine Füße tun mir vom gestrigen Ausflug noch weh. Keiko san nimmt mir das Wort aus dem Mund, als sie sagt, dass sie jetzt müde ist und allmählich nach Hause gehen möchte. Meine neugierigen Blicke auf das Glasdach vor der Kunstgalerie, auf dem augenscheinlich Wasser steht, bleiben jedoch nicht unbemerkt Foto dazu Foto dazu, und so fahren wir noch schnell mit dem Aufzug rauf, um dieses "Wasser-Raumschiff" zu besichtigen Foto dazu.

Von dort kann man auch nochmal schön die Kunstgalerie als Ganzes sehen Foto dazu, und der Blick durch das mit Wasser überflutete Glasdach ergibt ein paar nette Bilder Foto dazu Foto dazu Foto dazu.

Auf dem Weg zur U-Bahn-Station erkläre ich den beiden, dass ich gerne mit dem Zug zum Bahnhof Okazaki fahren möchte, um von der Schule mein Fahrrad abzuholen und damit nach Hause zu fahren. So trennen sich dann am Bahnhof unsere Wege, und ich beschließe, noch einmal schnell einen Abstecher zu bikku kamera zu machen, einem großen Elektronik-Kaufhaus neben dem Bahnhof. Nach einem Rundgang durch die Spielwarenabteilung habe ich immer noch keine rechte Idee für ein Mitbringsel für Willem; mir fehlt aber auch heute die rechte Ruhe. Sind ja auch noch ein paar Tage Zeit.

Als ich an der Computerabteilung vorbeikomme, springt mir ein Riesendisplay von Apple ins Auge. Bestimmt hatten wir das schon in der Redaktion, aber ich sehe es heute zum ersten Mal Foto dazu. Unglaubliche 2560 × 1600 Pixel für schlappe 2500 Euro – da könnte man glatt schwach werden. Jetzt zieht es mich aber doch erst einmal nach Hause.

Inzwischen habe ich schon etwas Übung in der Benutzung japanischer Bahnhöfe und Züge, sodas ich fehlerfrei meine Fahrkarte kaufe. Die Navigation zum richtigen Bahnsteig klappt allerdings erst beim zweiten Versuch: Ich könnte schwören, dass ich auf dem Fahrplan gelesen habe, dass um 17:22 von Gleis 3 ein Zug nach Okazaki fährt, aber als ich vorsichtshalber dort einen Uniformierten frage, ob dieser Zug in Okazaki hält, schickt er mich rüber zu Gleis 1/2. Na ja, immerhin kann ich auf Japanisch fragen. Eigentlich sollte ich die Kanji für Okazaki allmählich mal wiedererkennen, aber so ganz sicher bin ich mir halt immer noch nicht.

An Gleis 2 stehen schon ordentliche Schlangen von Japanern zum Einsteigen bereit, und ich reihe mich in eine davon ein Foto dazu. Die Züge halten hier fast zentimetergenau, und überall, wo später eine Tür sein wird, hängt eine Anzeigetafel mit dem Ziel des Zuges, sodass man weiß, wo man eine Schlange bilden muss Foto dazu. Wie erwartet, bekomme ich keinen Sitzplatz mehr und kann mich erst kurz vor Okazaki hinsetzen. Immerhin ist dies ein ziemlich schneller Zug, der vor Okazaki nur dreimal hält und in 27 Minuten dort ist.

Auf dem Weg vom Bahnhof zur Schule schlage ich heute mal wieder den Weg ein, der am Porno-Kino vobeiführt Foto dazu, und nehme belustigt zur Kenntnis, dass Porno auf Japanisch auch poruno heißt – ich glaube, als ich letztes Jahr hier vorbeikam, konnte ich noch keine Katakana lesen.

Das Abendessen hält heute wieder eine kleine Überraschung für mich parat: Keiko san erklärt mir, dass jetzt Wochenende sei und ich gelegentlich mein Zimmer saubermachen müsse. Chihiro müsse das auch jedes Wochenende tun, und ich solle einfach, wenn ich Zeit habe, den Staubsauger benutzen. Ok, klar kann ich das machen. Es überrascht mich zwar, das so direkt gesagt zu bekommen, aber besser so als wenn man etwas von mir erwartet, es mir nicht mitteilt und ich dann später zu hören bekomme, dass ich mich nicht anständig benommen habe. Schon lustig, man merkt sehr genau, wer die Herrin im Hause ist. Was den Haushalt betrifft, so kommandiert sie gelegentlich die ganze Familie, warum sollte ich da also eine Ausnahme sein?

Heute abend habe ich aber keine Lust mehr, bis morgen wird das schon warten können. Schon vor dem Abendessen habe ich mit der Bildbearbeitung angefangen, bin doch arg im Rückstand durch die vielen Fotos von gestern und heute – vom Tagebuch ganz zu schweigen. Noch ein weiteres Stündchen Arbeit, und alle Bilder sind "entwickelt". Ich gehe mit meinem Notebok in die Wohnküche und zeige meiner Familie die Fotos; bin mir allerdings nicht wirklich sicher, ob sie sie sehr interessieren. Wirkliches Interesse erzeugt nur das Foto vom gestrigen Abendessen Foto dazu, und helle Aufregung gar das von den in der Vitrine ausgestellten Plastikgerichten Foto dazu. Das sieht ja so lecker aus und ist ja so billig, wo denn das gewesen sei? Lustigerweise fragen sie mich das nicht (ich könnte es eh nicht erklären), sondern unterhalten sich minutenlang aufgeregt darüber, wo denn das wohl sein könne (glaube ich). Essen scheint für Japaner sehr wichtig zu sein (nicht wahr, Hiko?).

Immerhin kommt durch die Foto-Session wieder eine kleine Unterhaltung in Gang, und ich erzähle noch einmal, dass ich ja täglich Tagebuch schreibe und meine Fotos ins Internet stelle (verflixt, dieses doofe Verb will schon seit Tagen nicht in meinem Gedächtnis haften bleiben, ich schreibs jetzt einfach nochmal hier hin: noseru). Das ist natürlich eine prima Überleitung zu der Frage, ob ich denn hier eigentlich auch mal das Internet benutzen kann. Schließlich war ich jetzt fast zwei Tage offline; bin Freitag irgendwie zu gar nichts gekommen.

Hmm, das Internet benutzen, schwierig ... irgendwie unterhalten wir uns minutenlang über die Frage, ob und wie das denn gehen könnte, ohne so recht weiterzukommen. Der Hausherr erzählt immer wieder was von ISP – so weit klar, natürlich braucht man einen Provider. Dann fragt er irgendwas mit Telefon, nein, an die Benutzung eines Modems hatte ich nicht ernsthaft gedacht, wo es doch im Haushalt anscheinend einen DSL-Anschluss gibt. Als wir so gar nicht weiterkommen, versucht er seinen Sohn anzurufen, der in diesem Haushalt der Computerexperte ist (woher kenn ich das nur?), aber der ist gerade nicht da. Das ist mein Einsatz: Ich verstehe ja auch ein bisschen was von Computern, ob ich wohl den Computer von Chihiro mal sehen darf? Na klar, kein Problem.

Katsuaki san poltert ohne anzuklopfen in Chihiros Zimmer rein, murmelt etwas in seinen nicht vorhandenen Bart und zeigt mir den Computer, während Chihiro unbeeindruckt weiter an ihrem Schreibtisch sitzt und in ihr Buch starrt. Das finde ich nun auch etwas befremdlich: Mir ist die Tage schon einmal in einem Gespräch mit der Mutter aufgefallen, dass ein 17-jähriges Mädchen hier wohl als kleines Kind gilt, das man anscheinend nicht richtig für voll nimmt. Ich glaube, als ich 17 war, haben meine Eltern an meinem Zimmer schon angeklopft und mir etwas mehr Privatsphäre zugestanden. Und dass es sie so gar nicht zu interessieren scheint, was wir da in der einen Ecke ihres Zimmers am Computer treiben, nehme ich ihr auch nicht so richtig ab.

Ich erkenne jedenfalls mit fachmännischem Blick das Ethernet-Kabel, das vom DSL-Modem im Nachbarzimmer zu diesem Computer führt und frage, ob ich es einfach mal in mein Notebook stecken darf. Und zack, so leicht geht das, ich bin drin. Das Ganze findet im Stehen statt: Ich habe mein Notebook auf den Flügel gestellt, und Katsuaki san schaut mit auf meinen Bildschirm, während ich schnell meine E-Mail überfliege und in einem zweiten Fenster die Bildgalerien rsynce. Immerhin habe ich eine Mail von einer mir bisher unbekannten Leserin meines Tagebuchs bekommen, ansonsten nur Spam und etliche weitere Leserbriefe zu ATASecurity. Aber mit Katsuaki san im Nacken macht das Mail Lesen keinen Spaß, geschweige dann, dass ich die Muße zu einer Antwort hätte, und so bedanke ich mich unmittelbar nach Upload meiner Foto-Galerie artig und stecke das Netzwerkkabel wieder in Chihiros (?) PC. Noch nicht einmal die Tagebuchseiten der letzten drei Tage habe ich fertig, was sollen meine Leser nur denken?

 

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©2005 by Harald Bögeholz