Es regnet. In Strömen. Und kein Ende ist in Sicht. Nicht, dass
das überraschend käme, die Wettervorhersage scheint hier
recht präzise zu funktionieren, jedenfalls bis zum nächsten
Tag. Da ich mich heute mit dem Duschen beeilen musste (heut ist
Waschtag), habe ich ein Viertelstündchen länger Zeit zum
Frühstück und scherze mit meiner Gastmutter: Wenn es regnet,
gehe ich einfach nicht zur Schule. Kommt überhaupt nicht in
Frage! ...
Um 8 will ich eigentlich aufbrechen, aber es hört nicht auf zu
regnen. Ich lasse dem Wetter noch 10 Minuten Zeit, seine Meinung zu
ändern, aber es hilft alles nichts: Ich muss zur Schule. Also
ziehe ich den Regenmantel an, den ich gestern geliehen bekommen habe
(kashite moraimashita, das mit dem Geben und Bekommen geht mir
nicht aus dem Kopf). Ob ich nicht doch einen Schirm mitnehmen
möchte? Nein, ich kann mir nicht vorstellen, mit einem
Regenschirm Fahrrad zu fahren, das ist unpraktisch. Also ziehe ich
ohne Schirm los.
Es kommt mir so vor, als wären heute weniger Schüler mit
dem Fahrrad unterwegs und mehr zu Fuß. Außerdem beobachte
ich an der High School, an der ich vorbeikomme, eine
ungewöhnliche Dichte an dort einbiegenden Autos. Anscheinend
lassen sich etliche Schüler von ihren Eltern bringen. Die
Schüler, die trotz des Regens mit dem Fahrrad unterwegs sind,
tragen entweder knallhart nur ihre Schuluniform (keinen Regenmantel
drüber) oder radeln mit Schirm.
In der Schule angekommen, bin ich von den Oberschenkeln
abwärts klatschnass. Und mein Rucksack hat auch nicht ganz
dichtgehalten; als ich das Notebook heraushole, sehe ich mit Sorge
einige Wassertropfen. (Ich schreibe dies abends, Notebook und Kamera
geht es gut.) Ich muss unbedingt heute Nachmittag eine Regenhose
kaufen gehen. Und mir etwas für den Rucksack einfallen lassen;
vielleicht einfach ein Regenmantel Größe XL, den ich
über den Rucksack ziehen kann.
Der Schultag beginnt wie immer mit einem Test. Ich habe es glaube
ich noch nicht erwähnt, aber der allmorgendliche Test ist
anspruchsvoller als im letzten Jahr. Letztes Jahr wurden stumpf so an
die 10 Vokabeln abgefragt, und das auch noch genau in der Reihenfolge,
wie sie im Buch standen. Das Frühjahrs-Kursprogramm oder
zumindest meine Klasse hat anscheinend ein höheres Niveau: Mit
Bildern, Händen und Füßen erklärt die Lehrerin
einen Sachverhalt, und wir müssen dann einen ganzen Satz
aufschreiben. Vokabeln werden anschließend auch noch abgefragt,
aber immerhin in etwas anderer Reihenfolge. Diese Tests bekommen wir
übrigens, wie alle abgegebenen Hausaufgaben, am nächsten Tag
zurück. Oder schon am selben Nachmittag, hier zum Beispiel der
von heute . (Ja, ich bin ein Streber,
schon wieder alles richtig. Abgesehen davon, dass ich, wenn ich
schnell schreiben muss, leider manchmal Teile der Hiragana-Zeichen
verschlucke, sodass sie eine andere Bedeutung bekommen. Das ist nicht
wirklich gut, das muss ich noch üben.)
Der Schultag lässt sich halbwegs aushalten, aber vermutlich
auch nur, weil ich auch diese Lektion im Prinzip schon beherrsche (nur
nicht in der Praxis). Trotzdem bin ich nach fünf Stunden
Unterricht fix und fertig. Erst einmal daddle ich ein Stündchen
lang mit dem Internet herum (danke, die ein oder andere Mail habe ich
inzwischen bekommen), und dann mache ich mich daran, mit meiner
schlauen Vokabellern-Software Vokabeln zu wiederholen. Markus (der
Go-Spieler) sitzt am Nachbartisch und hat auch keine rechte Lust zum
Lernen. Nach einigen Fehlversuchen (Declan ist nicht wirklich immer
während der Öffnungszeiten des International Office da)
erwische ich Declan und leihe das Go-Brett aus.
Die Go-Partie macht Spaß, wenn ich sie auch verliere; ich
habe den Eindruck, Markus ist etwas stärker als ich. Wie in
unserer ersten Partie hat er am Anfang was größeres
vermasselt. Leider habe ich die schon gefangenen Steine dann durch
einen technischen Fehler doch wieder entkommen lassen... ach, ich
erspare Euch die Details, musste jedenfalls aufgeben, als er einer
großen Gruppe den Todesstoß versetzt hat. Leben und Tod
muss ich echt noch üben.
Es regnet immer noch ununterbrochen, und ich habe immer noch keine
Regenhose. Da ich üblicherweise gegen 7 zu Hause bin, muss ich
mich halt jetzt in den Regen stürzen, um im nahegelegenen
100-Yen-Shop eine Regenhose kaufen zu gehen. Er ist zwar nur ein paar
hundert Meter entfernt, aber meine Hose ist schon wieder feucht, als
ich dort ankomme. Nachdem ich einige Minuten lang erfolglos gesucht
habe, frage ich eine Verkäuferin nach einer Regenhose und werde
zu einem Regal weit ab jeglicher Bekleidung geführt, wo ich im
Traum nicht gesucht hätte.
Es gibt eine große Auswahl an Regenmänteln verschiedener
Größen (reinkooto steht auf den meisten in Katakana
drauf), aber nur eine Sorte Hosen, 70 cm lang. Was weiß ich, wie
lang meine Beine sind. Und von Bauchumfang steht gar nichts auf der
Packung :-). Na ja, für 100 Yen (plus Steuer, also 105 Yen, das sind
75 Cent) kann man nicht viel falsch machen, und ich entscheide mich
für die einzige verfügbare Hose und einen reinkooto
Größe XL, in der Hoffnung, dass der über den Rucksack
passt.
Draußen unter dem Dach schlüpfe ich in die Hose und
packe die Regenjacke aus – um festzustellen, dass es sich
ebenfalls um eine Hose handelt! Ich Idiot! Dabei war sogar eine Hose
auf der Packung abgebildet, ist denn das die Möglichkeit ? Ich war so stolz, dass
ich Katakana lesen kann, dass ich bei reinkooto zugegriffen
habe. kooto heißt Mantel, das ist ein Wort, das ich schon
offiziell im Unterricht gelernt hatte. Der Schluss, dass
reinkooto dann Regenmantel heißen muss, war leider
falsch. Beziehungsweise laut meinem Wörteruch absolut richtig,
aber ich musste heute erfahren, dass nicht unbedingt ein Regenmantel
drin ist, wenn reinkooto draufsteht. Ich ertappe mich kurz bei
dem Gedanken, nach einem Umtausch zu fragen, aber das ist mir dann
doch zu peinlich. Habe ich halt 75 Cent in den Sand gesetzt. Aber soll
ich jetzt nochmal reingehen und mir noch einen Regenmantel
Größe XL kaufen? Während ich so mit mir hadere, geht
mir auf, dass es tatsächlich inzwischen aufgehört hat zu
regnen. Na also, dann fahr ich jetzt einfach so los.
Es ist schon fast ganz dunkel, und nicht genug, dass es nach Hause
überwiegend bergauf geht, heute weht auch noch ein fieser
Gegenwind, sodass ich ziemlich kaputt bin, als ich zu Hause ankomme.
Und durchgeschwitzt, über meiner ohnehin feuchten Hose hatte ich
ja jetzt noch die undurchlässige Regenhose an. Bäh,
Mistwetter. Hoffentlich wird es morgen wieder besser.
Nach dem Abendessen unterhalte ich mich wieder mal ein bisschen mit
meiner Gastmutter. Sie steckt Geld in einen Umschlag, beschriftet ihn
und klebt ihn zu und versucht mir dabei das japanische Wort für
Klebstoff beizubringen – hat aber nichts genützt, ist schon
wieder weg. Vielleicht sollte ich zukünftig mein Notizheft auch
mit an den Esstisch nehmen, in dem ich mir immer die neuen Vokabeln
notiere, die ich lernen will.
Das Geld ist für eine Probe-Aufnahmeprüfung für die
Uni, und so unterhalten wir uns ein bisschen über das japanische
Bildungssystem und später über das deutsche. Das alles
allerdings überwiegend auf Englisch, wobei ich immerhin versuche,
wenigstens mal ein paar Brocken auf Japanisch einzustreuen, wenn ich
ausnahmsweise mal etwas weiß.
Gegen 21:30 möchte Chihiro gerne noch CDs kaufen gehen und
bittet ihre Mutter, sie zu fahren. Ob ich mit will? Nein danke, ich
muss ja noch meine Hausaufgaben machen. Obwohl es nur zwei Seiten
sind, beschäftigen sie mich über eine Stunde lang; irgendwie
schwierig heute...
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