Heute geht es nach Nara, der ersten dauerhaften Hauptstadt Japans.
Nara und Umgebung sind voll von historischen Tempeln und Schreinen,
sodass wir uns auf einen relativ kleinen Teil beschränken
müssen. Leider regnet immer wieder, unterbrochen von nur kurzen
Pausen. Das erschwert das Fotografieren ungemein, denn ich muss mit
Kamera und Schirm jonglieren, und das auch noch mit einem rechten Arm,
den ich nicht recht heben kann. Aber egal, das Wetter können wir
uns nicht aussuchen. Es hat immerhin den Vorteil, dass die
berühmten Plätze relativ menschenleer sind. Japaner, die
sich überlegen, Nara zu besichtigen, werden sich dazu nicht
ausgerechnet einen Regentag aussuchen.
Das erste Foto des Tages ist die Rückseite eines Lastwagens
auf der Autobahn . Declan, der wie gesagt
fließend Japanisch lesen kann, weist mich auf die besondere
Komik der Situation hin: Auf der Rückwand steht geschrieben, dass
der Fahrer sich leider an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten muss
und man dies doch bitte entschuldigen und ihn überholen
möge. Das an sich hat ja schon was, aber er fährt mit 120
auf der Überholspur bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 80
:-).
Als ich aus dem Auto aussteige, springen mir als erstes Rehe ins
Auge, die ohne jede Scheu frei auf einer Wiese rumlaufen und sich
sogar von Passanten füttern lassen . Im Laufe des Tages stellt
sich heraus, dass das nicht auf eine einzelne Wiese beschränkt
ist, sondern die Rehe in dem ganzen Stadtteil, den wir besichtigen,
unterwegs sind. Declan erzählt, dass es insgesamt ungefähr
2000 sind und es sich dabei um heilige Rehe handelt, die zu den
Gottheiten von kasuga taisha gehören . Na dann haben sie wohl
das Recht, überall zwischen den Schreinen herumzuspazieren.
Der Weg zum Schrein ist gesäumt von einer großen Anzahl
steinerner Laternen . Man sieht sie in der Nähe von Schreinen und
Tempeln und auch sonstwo alle Naselang, aber so viele auf einem Haufen
sind mir noch nicht untergekommen. Viele von ihnen sind mit Papier
zugeklebt, auf dem etwas geschrieben steht . Dabei handelt es sich um
Wünsche oder vielmehr Gebete: Gegen eine Spende an den Schrein
wird das Ansinnen dort ausgehängt.
Kasuga taisha ist ziemlich groß und besteht wie die
meisten solcher Anlagen aus ganz vielen kleinen Schreinen für
alle möglichen Gottheiten. Je nachdem, wofür man beten will,
muss man sich an den richigen Gott wenden. Wir picken uns exemplarisch
die Gottheit für die Liebe und die für beruflichen Erfolg
und Geld heraus, unter anderem, weil die sehr praktisch nebeneinander
liegen .
Wie bei so ziemlich allen Shinto-Schreinen können die Leute
hier kleine Holztäfelchen erwerben, auf die sie ihre Wünsche
schreiben und die anschließend an daür bereitstehenden
Wänden aufhängen . Dort hängen sie dann eine Weile und
werden beim nächsten Festival feierlich verbrannt, wenn ich das
richig verstanden habe.
Vor dem Hauptgebäude(?) steht ein überdachter Vorbau, in
dem sich unter anderem die Kisten für die Geldopfer befinden.
Ausgerechnet hier soll man seine Andacht
halten, wo man den Schrein gar nicht sehen kann? Declan erklärt,
dass dem tatsächlich so ist. Den Japanern kommt es anscheinend
nicht darauf an, das angebetete Objekt sehen zu können; sie
wissen ja, wie es aussieht.
Nach einem Mittagessen und weiteren Gebäuden, deren Bedeutung
ich irgendwie schon wieder vergessen habe, steuern wir nun auf ein
weiteres Highlight zu: Toodaiji . Ich summe innerlich vor
mich hin "Toodaiji in the rain, Toodaiji in the
rain ...", wundere mich, warum um alles in der Welt die Benutzung
von Stativen verboten ist , wo hier doch alles
solider Steinboden ist, und staune beim Anblick des 16 Meter hohen
Daibutsu . Leider habe ich so
gründlich um die ganzen Touristen herumfotografiert, dass man auf
den Bildern nicht so recht sehen kann, wie groß das Ding ist.
Die außerdem in den Seitenflügeln ausgestellten kleineren
Buddhas und Kriegerstatuen sind jedenfalls auch noch
mehr als mannshoch.
Eine der hölzernen Säulen im hinteren Bereich des Tempels
hat unten ein Loch, durch das man mit etwas Mühe hindurchkriechen
kann. Das soll einen angeblich auf dem Weg der Erleuchtung nach vorne
bringen. Hauptsächtlich haben Kinder ihren Spaß daran, aber
als ich vorbeikomme, zwängt sich tatsächlich gerade ein
Japaner durch . Wäre die Schulter
nicht kaputt, würde ich das ja auch machen; ein bisschen
näher an der Erleuchtung kann mir ja nicht schaden. So muss ich
leider verzichten, finde aber außerhalb des Tempels genau das
richtige Aktionsprogramm für mich: Eine Statue von
binzuru, ein okkulter Heiler (hab ich vergessen zu
fotografieren, ist nur ganz aus der Ferne auf einem Bild mit
drauf ). Wenn man einen
Körperteil seines Ebenbildes berührt und anschließend
den entsprechenden Körperteil bei sich selbst, dann soll er mit
seinen magischen Kräften helfen. Leider ist er etwas zu
groß, sodass ich nicht ganz bis an die Schulter, sondern nur bis
zum Oberarm komme. Vielleicht hilft es ja trotzdem.
Auf der Rückfahrt machen wir noch einen Abstecher in eine
einsame Gegend, wo in einem kleinen Dorf ein netter kleiner Schrein
steht und gegenüber, auf der anderen Seite eines Flusses, in der
Felswand ein Buddha eingemeißelt ist . Ich muss schon sagen,
unser Reiseführer kennt wirklich abgelegene
Sehenswürdigkeiten; diese steht bestimmt in keinem
Reiseführer.
Nachdem ich in der Idylle noch ein bisschen mit meinem Teleobjektiv
einem Reiher nachgestellt habe , gehts nun endgültig nach Hause.
Auf der Autobahn noch ein seltener Anblick: Ein lichterloh brennendes
Auto auf der Gegenfahrbahn . Hoffentlich war da keiner mehr drin; wenig
später kommt uns jedenfalls nicht nur ein Feuerwehrauto, sondern
auch eine Ambulanz entgehen.
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