Nach dem Frühstück um 7 bleibt noch etwas Zeit, das
Tagebuch weiterzuschreiben. Wenn ich in dieser Ausführlichkeit
weiter mache, dann wird das wohl nichts mit dem Japanisch Lernen.
Daher wird es wohl ab jetzt etwas weniger werden.
Um kurz vor 9 treffen sich alle in der Aoi Hall und warten gespannt
auf die Dinge, die da kommen - etwa 30 Leute insgesamt. Getreu der
Philosophie der hiesigen Sprachschule sprechen alle Lehrer uns nur auf
Japanisch an. Die Einführungsveranstaltung beginnt
dementsprechend anspruchsvoll - mein Gott, wie soll denn das ein
Anfänger verstehen, der noch nie Japanisch hatte (solche sind
auch dabei!)? Aber sie sind nicht ganz so gnadenlos. In den Handouts,
die es auf Papier gibt, steht hinten auch eine englische Version.
Nach einer kurzen Begrüßung gehts an den
Einstufungstest. Kann hier etwa irgendjemand noch keine Hiragana
lesen? Dann ists ja gut. Alles auf Japanisch ! Puh, bin ich froh, dass
ich Hiragana ungefähr lesen kann, wenn es auch mit den Katakana
noch hapert. Die Einstufungsfragen sind Lückentexte im
Multiple-Choice-Verfahren, und gerade, als ich mich freue, dass ich
die ersten drei Fragen gemeistert habe, werde ich auch schon zur
mündlichen Verhandlung, pardon, zum mündlichen
Einstufungstest, gerufen. Ich bin tierisch nervös und mein
bisschen Japanisch verlässt mich vollends, als ich mit Mühe
die Frage verstehe, was ich denn an Deutschland am schönsten
finde. Was weiß denn ich, die Frage kann ich ja nicht mal auf
Deutsch beantworten!!!? Na ja. Was ich für einen Eindruck bei den
Tests gemacht habe, werde ich morgen erfahren, wenn der Unterricht
beginnt. Erst dann erfahre ich, in welche Klasse ich gehe, und zwar
schlicht dadurch, dass mein Name an einer Tür wie dieser stehen wird. So ist das
hier bei Yamasa.
Der schriftliche Test läuft durchwachsen. Das Dumme ist, dass
ich noch kaum Katakana lesen kann. Und in den Fragen sind immer mal
wieder welche dazwischen. Da hilft nur beherztes Raten. Obwohl ich
beschließe, nicht wirklich zu raten. Denn es nützt mir ja
nichts, wenn ich jetzt viel zu hoch eingestuft werde und dann kein
Wort verstehe. Denn der Unterricht erfolgt ausschließlich auf
Japanisch! Uns wurde eingeschärft, dass es strikt verboten ist,
innerhalb der Klassenräume nichtjapanische Wörter zu
benutzen, und selbst "OK", das durchaus vereinzelt Einzug in die
neumodische japanische Teenager-Sprache gehalten hat, ist
unerwünscht. Au Backe, bin ich gespannt auf morgen!
Ab 13 Uhr gibts orienteishun oder so ähnlich. Die erste
halbe Stunde ist ausschließlich auf Japanisch, und ich denke
mir, das ist eine echt optimale Orientierung für Anfänger.
Schnappe aber doch so einiges auf. Aber dann kommt die Erlösung:
Der Direktor der Schule, Declan Murphy, ist gebürtiger Australier
und macht die vermutlich auf absehbare Zeit letzte Ausnahme von der
nihongo dake-Regel: Er erzählt alles höchst
ausführlich auf Englisch. Und zwar auch alles noch einmal, was
wir vorher auf Japanisch gehört haben. Puh, da haben wir ja
Glück gehabt!
Auffällig an der Einführungsveranstaltung sind zwei
Punkte, die er sich bis zum Schluss aufgehoben hat und für die er
sich jeweils richtig viel Zeit nimmt, ich würde sagen, jeweils
mindestens eine Viertelstunde: Mülltrennung und Lärm. Mir
war ja schon aufgefallen, dass das mit dem Müll hier unglaublich
wichtig ist, aber der Vortrag zieht mir echt die Socken aus. Es gibt
hier verschiedene Unterkünfte, und mich geht der Vortrag
eigentlich nichts an, da ich zurzeit im Hotel, später im "Student
Village" wohne, wo der Hausmeister die komplizierten Details
übernimmt. Oder in einer Gastfamilie, was ich eigentlich gebucht
hatte und worauf ich immer noch hoffe. Egal, wenn man jedenfalls in
einer der anderen Unterkünfte von Yamasa wohnt, muss man die
einheimischen Müllregeln erlernen. Und die sind so kompliziert,
dass es dazu eine ca. 20-seitige Broschüre gibt .
Damit ich mir hier nicht die Finger wundtippe, hier nur einige
Highlights aus der Erklärung zum Thema Müll: Wenn ich mir
eine Flasche Cola aus dem Automaten ziehe, muss ich die Flasche
hinterher in drei Komponenten zerlegen: Der Deckel gehört in den
Plastikmüll, das Etikett ebenfalls (ist extra perforiert, damit
man es abreißen kann). Die Flasche selbst gehört in die
Tonne für PET-Flaschen, wenn es denn eine PET-Flasche ist. Aber
insgesamt ist das in Japan gar nicht so schwierig, denn auf jedem
Gegenstand, den man hier kaufen kann, ist ein Symbol aufgedruckt, das
sagt, in welchen Eimer er gehört, wenn man ihn wegwerfen will.
Die komplizierte Broschüre ist also in erster Linie für
Dinge, die man vielleicht aus dem Ausland mitgebracht hat und
wegwerfen will. Ach ja, und die Pappptassen gehören
natürlich nicht in die Papiertonne, sondern in den separaten
Papptassen-Eimer, weil sie ja mit irgedwas Nichtpapierenem beschichtet
sind. Das Komplizierte für die armen Studenten, die in den etwas
authentischeren Unterkünften wohnen (ich Hotel-Weichei werfe
alles in einen Mülleimer und stelle mir jetzt vor, wie die armen
Hotelangestellten meine Rotzfahnen von den Bierdosen trennen, igitt!)
ist, dass sie die richtigen Müllbeutel an den richtigen Tagen zur
richtigen Zeit an die richtige Stelle stellen müssen. Sonst
werden sie nicht nur nicht abgeholt, sondern es gibt viellicht
Ärger. Und wenn in einem Müllbeutel was falsches drin ist,
kann es vorkommen, dass man den Müll zurückgebracht bekommt
von einem freundlchen Müllman mit weißen Handschuhen, der
einem erklärt, was man falsch gemacht hat. Echt, das hat man mir
heute erzählt. Ich würde ja sagen, die Geschichte ist
erfunden, aber ich bin in Japan und ich glaube, die meinen das hier
alles wirklich ernst! Ach ja, und die Dosen soll man nicht
zusammenknüllen, sondern ordentlich in die Dosentonne werfen.
Aber leer machen. Und die Zahnpastatuben soll man ganz leer machen,
indem man sie einfach seitlich aufschneidet und putzt, bevor man sie
wegwirft. An der Stelle bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob da
nicht doch ein Fünkchen Ironie im Spiel ist.
Der zweite megawichtige Punkt ist Lärm. Anscheinend sind die
Yamasa-Unterkünfte (nicht das Hotel, in dem ich im Moment wohne)
mittten in alteingesessenen Wohngebieten, wo original-japanische
Rentner wohnen, die keine Klimaanlage haben und nachts ihre Fenster
offen lassen. Deshalb bekommen wir ernsthaft(!) die Anweisung, uns
nach 20 Uhr nicht auf der Straße zu unterhalten. Die Lektion
über Lärm ist ausgesprochen lang, es geht darum, ganz
bestimmt nach 20 Uhr absolut gar kein Geräusch zu machen,
über das sich irgendein japanischer Rentner beschweren
könnte. Es fällt mir schwer, die sehr lange Lektion hier kurz
wiederzugeben, aber es scheint mir in der Kurzfassung so, als
wäre das wirklich alles enorm wichtig. Puh, im Moment wohn ich
zum Glück im Hotel im "Industriegebiet" ;-).
Die Orientierungstour endet in der kleinen Campus-Bar , die eine bewusste
Ausnahme von der Alles-auf-Japanisch-Regel ist. Hier gibt es Guinness
vom Fass (mag ich aber leider
nicht) und das Fassbier in 8 verschiedenen Größen vom
Viertele bis zum Zweieinhalb-Liter-Glas . Da fällt die Wahl
schwer ... ich glaube, 700 ml sind für mich eine angemessene
Bierglas-Größe :-). [Argh! Ich schreibe dies um 8:30 am
nächsten Morgen und hab mich gerade am Kaffeeautomaten vertippt.
Jetzt hab ich einen Eiskaffee. Na ja, auch nicht schlecht.] Ich trinke
mit dem netten Jason ;-) zwei Bier und bin
völlig knülle - und das am frühen Nachmittag um kurz
nach vier. In der Bar gibt es WLAN; ich glaube, ich habe den richtigen
Ort für meine zukünftige Tagebuch-Arbeit gefunden.
Allerdings keine Steckdosen, in die mein doofer Adapter reinpasst,
weil kein Erdungskontakt. Also kann ich in der Bar nur maximal eine
Akkuladung lang arbeiten.
Aber erstmal muss ich zur Post, Geld holen, denn die ersten 20.000 Yen
sind schon weg (ok, 12.000 allein fürs Zugfahren). Der
Geldautomat begrüßt mich -
wie sollte es anders sein - mit einem freundlichen
irasshaimase, und nachdem ich die Englisch-Taste gedrückt
habe, erschließt sich mir die Bedienung und er gibt mir brav
Geld. Interessantes Detail: Ein aufgeklebter Taschenrechner - ob das ein
Währungsrechner für Touristen ist?
Der Abend endet mit Tagebuchschreiben im Computerraum und später
in der Bar, und ich gehe ohne Abendessen gegen 21 Uhr ins Bett.
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