22.7., Einstufungstest

Nach dem Frühstück um 7 bleibt noch etwas Zeit, das Tagebuch weiterzuschreiben. Wenn ich in dieser Ausführlichkeit weiter mache, dann wird das wohl nichts mit dem Japanisch Lernen. Daher wird es wohl ab jetzt etwas weniger werden.

Um kurz vor 9 treffen sich alle in der Aoi Hall und warten gespannt auf die Dinge, die da kommen - etwa 30 Leute insgesamt. Getreu der Philosophie der hiesigen Sprachschule sprechen alle Lehrer uns nur auf Japanisch an. Die Einführungsveranstaltung beginnt dementsprechend anspruchsvoll - mein Gott, wie soll denn das ein Anfänger verstehen, der noch nie Japanisch hatte (solche sind auch dabei!)? Aber sie sind nicht ganz so gnadenlos. In den Handouts, die es auf Papier gibt, steht hinten auch eine englische Version.

Nach einer kurzen Begrüßung gehts an den Einstufungstest. Kann hier etwa irgendjemand noch keine Hiragana lesen? Dann ists ja gut. Alles auf Japanisch Foto dazu! Puh, bin ich froh, dass ich Hiragana ungefähr lesen kann, wenn es auch mit den Katakana noch hapert. Die Einstufungsfragen sind Lückentexte im Multiple-Choice-Verfahren, und gerade, als ich mich freue, dass ich die ersten drei Fragen gemeistert habe, werde ich auch schon zur mündlichen Verhandlung, pardon, zum mündlichen Einstufungstest, gerufen. Ich bin tierisch nervös und mein bisschen Japanisch verlässt mich vollends, als ich mit Mühe die Frage verstehe, was ich denn an Deutschland am schönsten finde. Was weiß denn ich, die Frage kann ich ja nicht mal auf Deutsch beantworten!!!? Na ja. Was ich für einen Eindruck bei den Tests gemacht habe, werde ich morgen erfahren, wenn der Unterricht beginnt. Erst dann erfahre ich, in welche Klasse ich gehe, und zwar schlicht dadurch, dass mein Name an einer Tür wie dieser Foto dazu stehen wird. So ist das hier bei Yamasa.

Der schriftliche Test läuft durchwachsen. Das Dumme ist, dass ich noch kaum Katakana lesen kann. Und in den Fragen sind immer mal wieder welche dazwischen. Da hilft nur beherztes Raten. Obwohl ich beschließe, nicht wirklich zu raten. Denn es nützt mir ja nichts, wenn ich jetzt viel zu hoch eingestuft werde und dann kein Wort verstehe. Denn der Unterricht erfolgt ausschließlich auf Japanisch! Uns wurde eingeschärft, dass es strikt verboten ist, innerhalb der Klassenräume nichtjapanische Wörter zu benutzen, und selbst "OK", das durchaus vereinzelt Einzug in die neumodische japanische Teenager-Sprache gehalten hat, ist unerwünscht. Au Backe, bin ich gespannt auf morgen!

Ab 13 Uhr gibts orienteishun oder so ähnlich. Die erste halbe Stunde ist ausschließlich auf Japanisch, und ich denke mir, das ist eine echt optimale Orientierung für Anfänger. Schnappe aber doch so einiges auf. Aber dann kommt die Erlösung: Der Direktor der Schule, Declan Murphy, ist gebürtiger Australier und macht die vermutlich auf absehbare Zeit letzte Ausnahme von der nihongo dake-Regel: Er erzählt alles höchst ausführlich auf Englisch. Und zwar auch alles noch einmal, was wir vorher auf Japanisch gehört haben. Puh, da haben wir ja Glück gehabt!

Auffällig an der Einführungsveranstaltung sind zwei Punkte, die er sich bis zum Schluss aufgehoben hat und für die er sich jeweils richtig viel Zeit nimmt, ich würde sagen, jeweils mindestens eine Viertelstunde: Mülltrennung und Lärm. Mir war ja schon aufgefallen, dass das mit dem Müll hier unglaublich wichtig ist, aber der Vortrag zieht mir echt die Socken aus. Es gibt hier verschiedene Unterkünfte, und mich geht der Vortrag eigentlich nichts an, da ich zurzeit im Hotel, später im "Student Village" wohne, wo der Hausmeister die komplizierten Details übernimmt. Oder in einer Gastfamilie, was ich eigentlich gebucht hatte und worauf ich immer noch hoffe. Egal, wenn man jedenfalls in einer der anderen Unterkünfte von Yamasa wohnt, muss man die einheimischen Müllregeln erlernen. Und die sind so kompliziert, dass es dazu eine ca. 20-seitige Broschüre gibt Foto dazu.

Damit ich mir hier nicht die Finger wundtippe, hier nur einige Highlights aus der Erklärung zum Thema Müll: Wenn ich mir eine Flasche Cola aus dem Automaten ziehe, muss ich die Flasche hinterher in drei Komponenten zerlegen: Der Deckel gehört in den Plastikmüll, das Etikett ebenfalls (ist extra perforiert, damit man es abreißen kann). Die Flasche selbst gehört in die Tonne für PET-Flaschen, wenn es denn eine PET-Flasche ist. Aber insgesamt ist das in Japan gar nicht so schwierig, denn auf jedem Gegenstand, den man hier kaufen kann, ist ein Symbol aufgedruckt, das sagt, in welchen Eimer er gehört, wenn man ihn wegwerfen will. Die komplizierte Broschüre ist also in erster Linie für Dinge, die man vielleicht aus dem Ausland mitgebracht hat und wegwerfen will. Ach ja, und die Pappptassen gehören natürlich nicht in die Papiertonne, sondern in den separaten Papptassen-Eimer, weil sie ja mit irgedwas Nichtpapierenem beschichtet sind. Das Komplizierte für die armen Studenten, die in den etwas authentischeren Unterkünften wohnen (ich Hotel-Weichei werfe alles in einen Mülleimer und stelle mir jetzt vor, wie die armen Hotelangestellten meine Rotzfahnen von den Bierdosen trennen, igitt!) ist, dass sie die richtigen Müllbeutel an den richtigen Tagen zur richtigen Zeit an die richtige Stelle stellen müssen. Sonst werden sie nicht nur nicht abgeholt, sondern es gibt viellicht Ärger. Und wenn in einem Müllbeutel was falsches drin ist, kann es vorkommen, dass man den Müll zurückgebracht bekommt von einem freundlchen Müllman mit weißen Handschuhen, der einem erklärt, was man falsch gemacht hat. Echt, das hat man mir heute erzählt. Ich würde ja sagen, die Geschichte ist erfunden, aber ich bin in Japan und ich glaube, die meinen das hier alles wirklich ernst! Ach ja, und die Dosen soll man nicht zusammenknüllen, sondern ordentlich in die Dosentonne werfen. Aber leer machen. Und die Zahnpastatuben soll man ganz leer machen, indem man sie einfach seitlich aufschneidet und putzt, bevor man sie wegwirft. An der Stelle bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob da nicht doch ein Fünkchen Ironie im Spiel ist.

Der zweite megawichtige Punkt ist Lärm. Anscheinend sind die Yamasa-Unterkünfte (nicht das Hotel, in dem ich im Moment wohne) mittten in alteingesessenen Wohngebieten, wo original-japanische Rentner wohnen, die keine Klimaanlage haben und nachts ihre Fenster offen lassen. Deshalb bekommen wir ernsthaft(!) die Anweisung, uns nach 20 Uhr nicht auf der Straße zu unterhalten. Die Lektion über Lärm ist ausgesprochen lang, es geht darum, ganz bestimmt nach 20 Uhr absolut gar kein Geräusch zu machen, über das sich irgendein japanischer Rentner beschweren könnte. Es fällt mir schwer, die sehr lange Lektion hier kurz wiederzugeben, aber es scheint mir in der Kurzfassung so, als wäre das wirklich alles enorm wichtig. Puh, im Moment wohn ich zum Glück im Hotel im "Industriegebiet" ;-).

Die Orientierungstour endet in der kleinen Campus-Bar Foto dazu Foto dazu, die eine bewusste Ausnahme von der Alles-auf-Japanisch-Regel ist. Hier gibt es Guinness vom Fass Foto dazu (mag ich aber leider nicht) und das Fassbier in 8 verschiedenen Größen vom Viertele bis zum Zweieinhalb-Liter-Glas Foto dazu. Da fällt die Wahl schwer ... ich glaube, 700 ml sind für mich eine angemessene Bierglas-Größe :-). [Argh! Ich schreibe dies um 8:30 am nächsten Morgen und hab mich gerade am Kaffeeautomaten vertippt. Jetzt hab ich einen Eiskaffee. Na ja, auch nicht schlecht.] Ich trinke mit dem netten Jason Foto dazu ;-) zwei Bier und bin völlig knülle - und das am frühen Nachmittag um kurz nach vier. In der Bar gibt es WLAN; ich glaube, ich habe den richtigen Ort für meine zukünftige Tagebuch-Arbeit gefunden. Allerdings keine Steckdosen, in die mein doofer Adapter reinpasst, weil kein Erdungskontakt. Also kann ich in der Bar nur maximal eine Akkuladung lang arbeiten. Aber erstmal muss ich zur Post, Geld holen, denn die ersten 20.000 Yen sind schon weg (ok, 12.000 allein fürs Zugfahren). Der Geldautomat Foto dazu begrüßt mich - wie sollte es anders sein - mit einem freundlichen irasshaimase, und nachdem ich die Englisch-Taste gedrückt habe, erschließt sich mir die Bedienung und er gibt mir brav Geld. Interessantes Detail: Ein aufgeklebter Taschenrechner Foto dazu - ob das ein Währungsrechner für Touristen ist? Der Abend endet mit Tagebuchschreiben im Computerraum und später in der Bar, und ich gehe ohne Abendessen gegen 21 Uhr ins Bett.

 

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©2004 by Harald Bögeholz