Für heute sind wir um 15 Uhr in Kichijouji verabredet, wo Hiko
praktisch aufgewachsen ist: Hier hat er 12 Jahre seines Lebens
verbracht in der Highschool und an der Uni. Wir sind erst um 15 Uhr
verabredet; ich brauche nicht ganz so viel Schlaf und kann in der
Zwischenzeit ein bisschen Tagebuch nachschreiben.
Das ist also ein Studentenviertel. Hmm, also in der Nähe des
Bahnhofs sieht es erst einmal aus wie jedes andere kleinere Wohngebiet
in Tokyo . Aber im Laufe der Zeit
fällt mir schon auf, dass die Dichte an jungen Leuten irgendwie
höher ist als bisher. Leider ist es sehr bewölkt und nieselt
immer mal wieder; weder zum Spazierengehen noch zum Fotografieren ein
wirklich gutes Wetter.
Das Schulgelände ist ein riesiger Komplex, denn hier ist von
der Grundschule bis zur Hochschule alles auf einem Campus. Eine
für meine Verhältnisse eine ungewöhnliche
Atmosphäre: Hier die ABC-Schützen (äh, nein, ABC kommt
ja erst später, vielleicht Hiragana-Männchen, oder wie
heißen die wohl da?) und 20 Meter weiter links der Hof der um
die 20-Jährigen .
Als wir alles angeschaut haben, dämmert es bereits und der
fiese Nieselregen hat wieder eingesetzt. Karaoke jetzt? Na klar,
gerne! Das hat mir echt Spaß gemacht, was sicherlich zu einem
beträchtlichen Teil an Hiko liegt, der wirklich schön singen
kann. Da halten wir die Minuten zwischendurch, wenn ich dran bin, auch
irgendwie aus. Heute aber nur eine Stunde, wir wollen nicht
übertreiben.
Hiko möchte mir heute eine Studentenkneipe zeigen, obwohl
Kneipe wirklich das falsche Wort dafür ist. Izakaya heißt
das in Japan, das bedeutet irgendwie ein Restaurant, wo man essen und
auch trinken kann, ich muss das gelegentlich nochmal mit Kanji
nachschlagen. Die Leute stehen oder besser gesagt sitzen auf der
Treppe Schlange, um da reinzukommen, ein wirklich beliebter Laden.
Hiko lässt uns vormerken – in anderhthalb Stunden bekommen
wir einen Termin, um 19:40 Uhr. Das passt mir prima, so großen
Hunger habe ich noch nicht. Was würde ich nur ohne meinen
einheimischen Reiseführer machen? In so einen Laden hätte
ich mich nie reingetraut beziehungsweise hätte bestimmt das mit
der Reservierung nicht kapiert. Aber dank Hiko klappt alles; nachdem
wir ein bisschen durch die Kaufhäuser gebummelt sind, um dem
Regen zu entgehen, bekommen wir pünktlich unseren Platz am
Tresen.
Dass dies eine Studentengegend ist, merkt man nicht nur am
Publikum, sondern auch an den Preisen. Zurzeit sind sie besonders
niedrig, weil der Laden ein Jubiläum feiert, aber Hiko
erzählt mir, dass sie sich hier immer irgendwelche Rabatte
einfallen lassen für die Studenten. Das Bier (die Gläser
haben keinen Eichstrich, aber mein Augenmaß sagt 0,4 l)
kostet heute 80 Yen, das sind 60 Cent! Kein Wunder ist hier die
Hölle los; mit der Kamera kann ich das gar nicht recht einfangen,
aber ich habe mit dem Handy ein Video aufgezeichnet. Sobald ich
rausgefunden habe, wie man das in den PC kriegt und in etwas
konvertiert, das man mit normalen Mitteln anschauen kann ...
Wir sitzen am Tresen , aber als hinter uns eine
große Gruppe von 20 Leuten geht, schaffe ich es doch mal, ein
Foto zu schießen : Große Teile des
Ladens sind japanisch eingerichtet, man zieht also seine Schuhe aus
und kniet auf Kissen an niedrigen Tischen. Das ist der Anfang einer
verrückten Nacht, in der wir noch nach Shinjuku fahren und die damit endet, dass
ich um 5:30 in Hatagaya an einem Kombini noch eine Dose Bier kaufe und
darauf warte, dass mein Hotel mich reinlässt – von 2 bis 6
haben die zu –, während Hiko weiter zu Fuß nach Hause
läuft und versuchen will, ins Bett zu gehen, bevor seine Eltern
aufstehen (klappt natürlich nicht). Wenn man so überlegt,
bin ich schon fast wieder in der deutschen Zeitzone zurück. Dem
Portier sage ich um kurz vor 6, dass ich heute lange schlafen
möchte und das Zimmer daher nicht saubergemacht werden muss, und
er winkt verständnisvoll ab, bevor ich den Satz zuende gebracht
habe ... gute Nacht!
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