Heute stehen wir noch ein bisschen früher auf, es ist glaube
ich sogar noch Vormittag. Schade, dass wir schon wieder nach Tokyo
zurückmüssen; ich hätte es noch eine Weile ausgehalten
in diesem gemütlichen Nest am Fuße des Fuji. Vielleicht
hätte man ihn ja sogar mal zu sehen gekriegt.
Noch vor dem Frühstück ist der wolkenverhangene Fuji
jedenfalls Anlass für eine kleine Japanisch-Lektion: Als ich auf
den Balkon trete und sage "fujisan ga mienai. zannen.", korrigiert
mich Hiko: mirarenai. Ach, ach! Und ich dachte, ich hätte
den Unterschied verstanden und habe bewusst mienai gesagt. Aber
Hiko besteht darauf, dass in diesem Fall mirarenai richtig ist.
Beides heißt sehen können; ich wollte sagen: Schade, man
kann den Fuji nicht sehen. Aber es gibt von den beiden Verben sehen
und hören jeweils zwei Formen, die "können" ausdrücken,
und der Unterschied ist ein eher subtiler. Hiko versucht lange, mir
das zu erklären (obwohl ich wie gesagt eigentlich schon im
Sprachkurs gedacht hatte, ich hätte das begriffen), und ich
denke, ich habs jetzt endlich: Das eine sehen können
(mieru) ist ein objektives, also etwas ist zu sehen, egal ob
jemand es sehen will. Das andere sehen können (mirareru)
drückt aus, dass man etwas sehen kann, wenn man will. Also: Von
diesem Fenster aus kann man den Fuji sehen: mieru. Im Kino kann
man Filme sehen: mirareru. Da es aber, wenn ich auf dem Balkon
stehe, nicht darum geht, ob man von hier aus im Allgemeinen den Fuji
sehen kann, sondern darum, dass wir ihn heute im Speziellen nicht
sehen können, obwohl wir ja gerne würden, heißt es
mirarenai. Hätten wir das endlich geklärt.
Nach dem Frühstück ist Aufräumen angesagt. Hiko
steckt die Bettwäsche in die Waschmaschine, ich saugstaube. Jetzt
ist das Zimmer, in dem ich geschlafen habe, wieder in einem
fotografierfähigen Zustand , eines von zwei
japanischen Zimmern mit Tatami-Matten.
Als wir aufbrechen, ist der Fuji immer noch von Wolken verhangen;
es hat nicht sollen sein, dass ich ihn zu Gesicht bekomme. Da muss ich
wohl nächstes Jahr noch einmal wiederkommen, und wir fahren dann
zusammen wieder hierher. Wenn ich nochmal eingeladen bin. Wir fahren
wieder die kurvige Landstraße, wobei sich das bei Tage
landschaftlich sehr lohnt. Kurz vor Sonnenuntergang machen wir eine
Pause an einer Stelle, wo eine Hängebrücke hoch über
einen Fluss führt ; wirklich eine sehr nette
Strecke.
Das ändert sich allerdings, als wir bei einbrechender
Dunkelheit ins Stadtgebiet fahren und uns wieder mal im Stop&Go,
mal mit bis zu 50 km/h durch den Moloch Tokyo bewegen. Obwohl
(oder weil?) ich mit einem Atlas bewaffnet die Navigation
übernommen habe, verfahren wir uns zu allem Überfluss noch,
was Hiko zwar ärgert, aber uns glaube ich sogar etwas schneller
ans Ziel gebracht hat, weil wir nämlich versehentlich auf ein
Stück mautpflichtige Schnellstraße geraten sind. Zumindest
hat es die Reise subjektiv etwas beschleunigt, wenigstens mal ein,
zwei Kilometer lang etwsa zügiger fahren zu können.
Das Hotel, in dem mich Hiko einquartiert hat, heißt
nooburu ein echtes Nobel-Hotel also. Für 6825 Yen
pro Nacht (ca. 50 Euro) habe ich jetzt doch etwas mehr Komfort als im
Kimi Ryokan: Eigenes Bad, Fernseher, Kühlschrank ... wenn
das Zimmer auch winzig ist . Es herrschen allerdings
ebenfalls strenge Sitten: Besucher dürfen nicht mit aufs Zimmer,
und um 2 Uhr nachts schließt das Hotel. Na ja, ich hatte ohnehin
nicht vor, mich ins Nachtleben zu stürzen.
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