Ab heute werde ich endlich ein paar Tage mit Hiko verbringen. Wir
wollen in ein Ferienhaus seines Onkels fahren, das am Fuße des
Fuji an einem See liegt. Aber erst muss Hiko ausschlafen; er schiebt
ja am Wochenende immer Nachtschichten in einem Kombini, um etwas Geld
zu verdienen. Von Samstag auf Sonntag und von Sonntag auf Montag
jeweils von 21 bis 7 Uhr. Daher sind wir erst für 15 Uhr
verabredet; bis 14 Uhr will er schlafen.
Ich checke aus dem Ryokan um 11 aus, lasse mein Gepäck aber da
und besorge mir erst mal was zum Frühstück. Dann auf meine
Treppe ans Internet, die übliche Routine. Schließlich
wollen meine Leser aktuelle Fotos sehen (nehme ich jedenfalls an:
Hallo, liest das hier noch wer, der mir keine E-Mail geschrieben hat?
Dann aber los jetzt, ich möchte von Dir hören!).
Nach dem anstrengenden Tag gestern ist mir heute nach etwas Ruhe.
Ich finde in meinem Reiseführer einen nur wenige
Yamanote-Stationen entfernten Garten namens Rikugien; der soll es
sein. Ich habe mein Kanji-Buch dabei; vielleicht setze ich mich
einfach unter einen Baum und lerne ein bisschen.
Auf dem Weg fällt mir ein, endlich mal ein Foto von den gelben
Linien zu machen, die man hier an vielen Stellen auf den Gehwegen
sieht , auf jeden Fall in allen
Bahnhöfen. Nicht immer sind sie gelb, aber immer haben sie
Längsrillen, die ich beim Gehen ziemlich lästig finde, oder
kreisförmige Huppel. Hiko hat mir das eigentlich Offensichtliche
erklärt: Diese Linien sind Hilfen für Sehbehinderte. Man
spürt beim Laufen deutlich, in welche Richtung die Linien weisen,
und an den gepunkteten Stellen empfiehlt es sich, anzuhalten. Sehr
fortschrittlich, wenn ich auch als nicht Sehbehinderter das Gehen auf
diesen Linien wie gesagt unangenehm finde.
Obwohl der Garten für Tokyoter Verhältnisse ganz in der
Nähe ist, hat es doch eine halbe Stunde gedauert, hinzukommen. Es
bleibt mir also nur eine Stunde für die Besichtigung, und die
reicht gerade so, überall rumzukommen und ein paar Fotos zu
machen . Zwischendurch ruft Hiko
an, dass er etwas später aufgewacht ist und wir uns erst um 15:30
treffen, also habe ich noch eine halbe Stunde Verlängerung, in
der ich mich damit beschäftigen kann, diesen Reiher auf der
kleinen Insel ins rechte Licht zu setzen (oder was immer das
für ein Federvieh ist). Und die sich sonnenden
Schildkröten .
Wir treffen uns wie verabredet um 15:30 am Kimi Ryokan, laden mein
Gepäck ins Auto und fahren los. Es ist ein unglaublicher Verkehr
in Tokyo – für meine Verhältnisse, Hiko findet das
ganz normal.
Nach einer Viertelstunde geht die Öl-Kontrolllampe
an, was das wohl bedeutet? Na dass wir schnellstens an der
nächsten Tankstelle anhalten, damit sollte man nicht
spaßen, meine ich. Es gibt in Japan so gut wie nur Tankstellen
mit Bedienung; der Selbstbedienungsgedanke beginnt sich erst ganz
allmählich an einigen wenigen Tankstellen durchzusetzen, und dort
gibt es dann immer noch die Alternative, an eine Zapfsäule mit
Bedienung zu fahren. Folglich ist so eine aufleuchtende
Öl-Kontrolllampe eine sehr bequeme Angelegenheit: Man sagt dem
Tankwart, dass die Lampe leuchtet, öffnet die Motorhaube und er
überprüft den Ölstand und diagnostiziert, dass, oh
Wunder, Öl fehlt.
Was mich dann aber überrascht ist, dass sich ein laaanges
Gespräch mit dem Tankwart zum Thema Öl entwickelt, von dem
ich trotz oder wegen meiner rudimentären Japanischkenntnisse
nicht wirklich viel verstehe. Als endlich der Entschluss gefallen ist,
neues Öl einzufüllen, verhandeln Hiko und der Tankwart
– Hiko ist inzwischen ausgestiegen, wieder minutenlang,
wahrscheinlich über die Sorte. Ich habe ja nicht mitgehört,
was das Problem war, aber irgendwie schien mir das Ganze doch sehr
wortreich und kompliziert abzulaufen. Nur so mein persönlicher
Eindruck aus Sicht eines Ausländers.
Nach der ebenfalls sehr wortreichen Verabschiedung durch den
freundlichen Tankwart stürzen wir uns wieder in den Verkehr.
Immer wieder geht es nur im Stop&Go voran, und selbst wenn es mal
kurz flüssig läuft, ist es immer noch Stadtverkehr, man
fährt also 50 oder so. Und die Stadt endet nicht und endet nicht
und nimmt kein Ende. Ich sehe immer wieder Schilder zum
Chuo-Expressway und frage Hiko, ob man denn nicht auch eine Autobahn
nehmen könnte, kousokudouro ha ikaga? Ja, klar
könnte, man, möchtest Du? Ich weiß nicht, ob ich
möchte, ich kenne mich ja hier nicht aus, ich denke nur nach
über einer Stunde Fahrzeit und wenig sichtbaren Fortschritten,
dass es doch schnellere Möglichkeiten geben müsste, aus
dieser Stadt herauszukommen. Ja, das muss man überlegen. Aber
kousokudouro ist teuer, und jetzt läuft es ja gerade
wieder gut. Na gut, Hiko ist der ortskundige Fahrer und ich bin der
Gast.
Wir bringen in den nächsten Stunden das Thema
kousokudouro noch ein paar Mal zur Sprache, fahren aber eisern
Landstraßen. Knapp 120 Kilometer ist der Ort weg, und wir haben
vier Stunden reine Fahrzeit gebraucht, davon über die Hälfte
im Dunklen. Autofahren in Japan ist wirklich unglaublich nervig! Auf
dem Rückweg nehmen wir aber die Autobahn, ja?
Immerhin habe ich auf der Fahrt reichlich Kanji-Unterricht
bekommen. Wie viel er nützt, wird sich noch rausstellen, aber ich
habe mir die Zeit damit vertrieben, möglichst viele Schilder
anzuschauen und im Zweifelsfalle Hiko zu fragen, was da steht.
Yamanakako, unser Reiseziel, besteht zum Beispiel aus drei Kanji, von
denen ich die ersten beiden schon kannte, weil sie sehr einfach sind:
Yama (Berg) und Naka (Mitte). Und vom ditten kenne ich schon die
Grundkomponenten: Wasser, alt, Mond. Ein Wasser-alt-Mond, ja, mit
etwas Fantasie ist das ein See. Also ist Yamanakako ein See mitten in
den Bergen, ja, stimmt genau.
Da es so spät wurde, haben wir unterwegs schon bei einem
Supermarkt angehalten und etwas zu essen und zu trinken gekauft.
Fertige Sachen, die wenig Mühe machen: Sashimi (rohen Fisch) und
Gemüse, das man einfach so auf den Tisch stellt, sowie
frittiertes Hähnchenfleisch und Bällchen mit Schweinefleisch,
von denen ich schon wieder vergessen habe, wie sie heißen, die
man kurz in die Mikrowelle steckt. Und natürlich Reis; ebenfalls
faulerweise die Fertigversion für die Mikrowelle . Lecker Essen, da lacht
mein Hiko :-).
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