07.06., Kalligraphie

Eigentlich hatte Chandra mir angekündigt, dass er heute morgen ins Fitness-Studio wolle und wir uns irgendwo in der Stadt treffen würden. Aber als ich um 10 aus meinem Zimmer luge, ist die Wohnzimmertür noch zu und seine Schuhe stehen noch da. Also lege ich mich wieder hin und wir stehen erst um 11.30 auf. So viel zum Thema gegen 13 Uhr bei der Kalligraphie-Meisterin sein. Bis wir mit den diversen Bussen und Bahnen bis Akabane gekommen sind, ist es 15 Uhr.

Auf dem Weg dahin begegnen uns zwei kleine Umzüge: Trommeln auf Rädern, von Kindern gezogen (na wahrscheinlich in Wirklichkeit eher von ihren Eltern) Foto dazu Foto dazu. Anscheinend steht in diesem Stadtteil ein matsuri an. Wenn es so läuft wie bei meiner zweiten Japanreise 2005 beobachtet, dann findet das eigentliche Fest wohl morgen statt und heute machen sie schon mal vorweg die Kinder-Umzüge.

Diesmal meint Chandra, ich sollte für den Kalligraphie-Unterricht etwas bezahlen: 1000 Yen kostet kengaku, eine Probestunde, und ich fülle dafür brav ein Anmeldeformular aus. Daran soll es nicht scheitern: umgerechnet 6 Euro für einen ganzen Nachmittag, das würde ich liebend gerne jeden Samstag bezahlen, wenn ich diese Schule nur vor meiner Haustür hätte.

Nachdem wir die Meisterin förmlich begrüßt haben, darf ich wieder an mein Tischchen – es ist dasselbe wie im letzten Jahr. Den Vortrag über Tinte und Pinsel überspringen wir diesmal, aber wir fangen noch einmal mit den vier grundlegenden Strichen an. Dazu bekomme ich diesmal das Kinderpapier: Ein wiederverwendbares Papier, das sich bei Kontakt mit Wasser verfärbt. So schreibe ich meine ersten Übungen einfach mit Wasser und verschwende kein kostbares Papier.

Fünf Blätter voll den waagrechten Strich Foto dazu, fünf Blätter voll den senkrechten Strich Foto dazu, die Meisterin ist zufrieden mit mir. Zwischendurch weist sie eine andere Anfängerin ins Tintemachen ein Foto dazu. Noch fünf Blätter lang den schrägen Strich nach links unten, fünf Blätter lang den nach rechts unten, der besonders schwierig ist, weil er so breit auslaufen muss, dann können wir darangehen mit echter Tinte zu arbeiten. Ob ich schon Kanji für meinen Namen habe? Nein. (Jedenfalls nicht wirklich; letztes Jahr hat sie mir ein einziges Kanji gewidmet, das fand ich etwas wenig und erwähne es daher nicht.) Sie setzt sich daraufhin mit einer fortgeschrittenen Schülerin zusammen und überlegt, mit welchen Kanji man wohl hararudo schreiben könnte. Nach eingehender Beratung kommen vier Schriftzeichen heraus, die mir ganz gut gefallen: Welle (ha), ein Zeichen, das Seidengaze bedeutet, aber auch verknüpfen, verbinden (ra), Fließen/Strömung (ru) und überqueren/übersetzen (do).

Ich lerne erst eines nach dem anderen in groß schreiben, was mich durchaus einige Zeit lang beschäftigt und wieder deutlich schwieriger ist, als es aussieht. Liebevoll hat sie es mir vorgemalt und dabei auch extra die Strichfolge danebengeschrieben – das wäre eigentlich nicht nötig gewesen, aber sie weiß ja nicht, wie intensiv ich die Kanji studiert habe.

Absolut verblüffend ist es wieder einmal für mich, wie kontrolliert und exakt sie den Pinsel führt. Na ja, sie ist ja nicht umsonst Meisterin ihres Faches, aber trotzdem. Das klappt sogar, wenn sie, wie sie das vorhin bei den einzelnen Strichen gemacht hat, den Pinsel mit mir gemeinsam in die Hand nimmt und über das Blatt führt. In meiner Hand dagegen benimmt sich dieser Pinsel wesentlich unzivilisierter, macht viel zu dicke Linien mit weniger schönen Anfängen und Enden, na ja. Der Unterschied zwischen Vorlage und meinen Versuchen ist jedenfalls deutlich Foto dazu. Trotzdem ist sie sehr zufrieden und lobt mich: Ob ich viel geübt hätte? Eigentlich nicht. Seit ich es letztes Jahr zum ersten Mal bei ihr gelernt habe, habe ich nur zu Hause ein bisschen geübt (und selbst das ist noch übertrieben, genau einen Nachmittag lang habe ich mich in Hannover mal drangesetzt). Ganz alleine? Ja, alleine, ich habe in Hannover leider keinen Lehrer finden können. Anscheinend stelle ich mich nicht allzu doof an für einen Anfänger.

Chandra ist da auf einem ganz anderen Niveau. Ich schnappe zwischendurch auf, dass er wohl 3 Kyu erreicht hat, den dritten Schülergrad. Wäre es Judo, trüge er also schon einen grünen Gürtel ;-).

Die Zeit vergeht wie im Fluge, und wie schon im letzten Jahr wird etwas zu essen serviert. Und wie letztes Jahr fragt sie besorgt, ob ich das essen kann, weil es ein wenig scharf ist. Ja, natürlich, lecker! Sie ist glaube ich Koreanerin und es ist einiges Kimchi im Essen Foto dazu.

Nach dem Essen meint Chandra, wir sollten allmählich mal los. Aber die Meisterin hat noch eine Aufgabe für mich: Kleiner schreiben. Alle vier gelernten Schriftzeichen auf ein Blatt. Sie betont, dass das viel schwieriger sei, vielleicht, um mich auf die Enttäuschung vorzubereiten. Oh ja, das ist viel schwieriger, und ich nehme all meine Konzentration zusammen. Chandra hat schon zusammengepackt und dies ist das letzte Blatt Papier, das ich habe, und so bleibt es bei einem einzigen Versuch, den sie aber auch anerkennend würdigt Foto dazu.

Ich freue mich schon sehr darauf, in 14 Tagen noch einmal wiederkommen zu dürfen (nächste Woche ist Feiertag oder so, jedenfalls fällt es aus). Und nach einem förmlichen Abschied mit Verbeugung bis auf den Boden ziehen wir los Richtung Shinjuku, wo wir uns ins Nachtleben stürzen, ein paar lustige Japaner kennenlernen Foto dazu ...

 

Neu: Von meinem Handy aus kann ich mühelos Bilder per E-Mail verschicken. Christiane hat mir daraufhin ein Live-Fotolog eingerichtet: Nur vier Tastendrücke brauche ich und ein gerade gemachtes Foto landet sofort dort. Mal schauen, was ich in nächster Zeit alles erlebe. Wer sich das anschaut, ist natürlich erst recht in der Pflicht, mir eine E-Mail zu schicken und die Bilder zu kommentieren. Etwas bessere Fotos von der Spiegelreflexkamera gibt es natürlich weiterhin, meist auch etwas aktueller als der Text hier.

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©2008 by Harald Bögeholz