04.06., Der Telefonkauf

Als Chandra gegen 8.30 aus dem Haus geht, lege ich mich noch einmal hin und schlafe bis 12. Dann packe ich erst einmal die Kamera aus. Chandras Wohnung ist vom Grundriss her sehr ähnlich wie die von Pamela, wo ich vor zwei Jahren eingeladen war. Ein schmaler Flur mit Waschgelegenheit, rechts gehts ins Schlafzimmer, links zu Dusche und WC Foto dazu. Wohnzimmer und Esszimmer/Küche mit einem großen Durchgang, das wars Foto dazu Foto dazu Foto dazu. Wie man an den Wänden sieht, ist Chandra seit unserem Erstkontakt mit der Kalligraphie dabei geblieben, er hat auch schon eine stattliche Pinsel-Sammlung Foto dazu.

Wie Chandra mir versprochen hatte, hat man vom Wohnzimmer aus einen schönen Blick auf die Shinkansen-Linie Foto dazu, wo alle fünf bis zehn Minuten deutlich hörbar, aber eigentlich doch überraschend leise einer dieser schnellen Züge vorbeibrettert. Das Haus heißt gurinuraifu (green life), hmm, na ja, mit ein klein bisschen Abstand betrachtet ist tatsächlich ein wenig Grün drumrum Foto dazu.

Nach meinem kleinen Rundgang durch die Nachbarschaft mache ich mich zu Hause erst einmal daran, die Bildgalerie und das Tagebuch anzufangen. In seiner Mittagspause habe ich kurz mit Hiko telefoniert (über Skype) und ihn gefragt, ob er mit mir in Shinjuku ein Handy kaufen gehen kann. Aber er meint, er muss heute lange arbeiten. Da der Handy-Laden, den ich gestern gefunden habe, um 8 zu macht, wird das wohl nichts. Als ich gerade dabei bin, mich per E-Mail mit Chandra zu verabreden, sehe ich aus dem Augenwinkel doch noch eine Mail von Hiko, dass er mich um 20.15 in Shinjuku treffen möchte. Ok, dann also los, ich muss mich sputen. Es ist zwar erst 18 Uhr, aber ich habe keine Ahnung, wie ich von hier aus da hinkomme. Chandra hat mir zwar beschrieben, wo die Bushaltestelle ist, aber den Rest muss ich selber rausfinden.

Immerhin habe ich bei Chandra abgekuckt, dass es eine Fahrplanauskunft namens goo gibt. Ich kann zwar nur etwa die Hälfte der Kanji lesen, aber es reicht, um zu verstehen, dass es eine direkte Bahnlinie von Yokohama nach Shinjuku gibt. Also mache ich mich auf zur Bushaltestelle (ohne Kamera, weil es schon wieder so regnerisch ist). Dort steht eine Horde Grundschüler, so um die 10 Jahre alt, und ich frage, ob dieser Bus auch wirklich zum Bahnhof Kibougaoka fährt. Ja, tut er, und es ist die Endstation.

Während ich so warte – über 10 Minuten, der Bus fährt nur alle halbe Stunde – frage ich mich, wie ich wohl wieder hierhin zurückfinden soll. Ich kann den Namen der Haltestelle nicht lesen, ja nicht einmal identifizieren, welche der Zeichen auf dem Haltestellenschild überhaupt der Name der Haltestelle sind Foto dazu. Und wenn es am Bahnhof mehrere Buslinien geben sollte, wie finde ich dann die, die hierher fährt? Jemand wie Chandra, der zehn Jahre in Japan gelebt hat, denkt offensichtlich nicht daran, dass das für einen Ausländer ganz schön schwierig sein könnte.

Also bitte ich einen der Schüler, mir vorzulesen, obwohl ich mir etwas blöd dabei vorkomme: Was heißt das da? Ah, soutetsu, das ist die Haltestelle? Nein, die Buslinie. Und wie heißt die Haltestelle? Er sagt es mir, aber nach fünf Minuten ist es wieder vergessen. Diese vermaledeiten japanischen Namen. Man kann sie sich einfach nicht merken, sie klingen einer wie der andere. Wobei ich inzwischen das Geheimnis erkannt habe: Wenn man die Kanji kann, ist es auch mit den Namen einfacher. Alle Ortsnamen, deren Kanji ich verstanden habe, kann ich mir dann auch merken. kibougaoka, der meiner Wohnung nächstgelegene Bahnhof, heißt zum Beispiel so etwas wie Hoffnungs-Hügel.

Dort angekommen, stelle ich erleichtert fest, dass es anscheinend an dieser Haltestelle nur eine Buslinie gibt. Der letzte Bus nach Hause fährt allerdings um 22.15 Uhr, das kann ich garantiert vergessen. Wenn ich mich erst um 20.15 in Shinjuku mit Hiko treffe, dann müsste ich vermutlich nach einer halben Stunde wieder umkehren, um diesen Bus noch zu erwischen. Werde nachher also wohl Taxi fahren müssen, aber egal.

In Shinjuku schleppt mich Hiko zielsicher in einen Laden, wo wir tatsächlich problemlos ein Handy für mich bekommen. Bevor Hiko unterschreiben darf, liest der Verkäufer eine ganze Seite Nutzungsbedingungen vor. Gut, dass ich mir das im Internet schon alles auf Englisch durchgelesen hatte. So verstehe ich zwar weniger als die Hälfte, weiß das Wesentliche aber schon. Etwas drollig finde ich wie eindringlich er darauf hinweist, wie schweineteuer doch die Gesprächsgebühren sind. 9 Yen pro 6 Sekunden, ich weiß, das ist takai (0,54 Euro/min). Dafür ist E-Mail billig: 300 Yen für 30 Tage pauschal (1,80 Euro).

Der Verkäufer empfiehlt mir noch, mich doch von Hiko zurückrufen zu lassen, wenn ich was von ihm will. Hiko hat nämlich auch ein Softbank-Handy und eine netzinterne Flatrate (lustigerweise nur in der Zeit von 1 bis 21 Uhr, also ausgerechnet am späten Abend ist es kostenpflichtig!).

Als ich kurz einen Blick auf meine Taschenuhr werfe, kriegt der Verkäufer große Augen: Ist das etwa ein iPhone? Ob er es mal sehen darf? Sichtlich hin- und hergerissen zwischen seiner Rolle als Verkäufer, wo er uns in höchst geschliffenem keigo anspricht, und fast kindlicher Neugier auf das iPhone lässt er es sich ein bisschen zeigen, wobei ich ja nicht viel zeigen kann ohne Netz. Wie ich beim Tagebuchschreiben merke, hat SoftBank übrigens genau heute angekündigt, das iPhone auf den japanischen Markt zu bringen. (Die Pressemeldung dazu ist von grandioser Ausführlichkeit.)

Nun habe ich also ein japanisches Handy und gleich für 300 Yen den E-Mail-Empfang freigeschaltet. Was noch fehlt, ist E-Mail: Wenn Du das hier liest, dann schreib mir doch mal (Nachtrag: Handy-Adresse entfernt, ich bin ja wieder in Deutschland)! Ihr kennt meine Bettelei nach E-Mail ja schon von den Tagebüchern der letzten Jahre; ich kann nur wiederholen, dass ich angefeuert werden muss, wenn ich weiter für Euch schreiben soll. (Wenns geht ohne Umlaute, die kann es nicht. Kanji dürft Ihr dagegen verwenden ;-).)

 

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©2008 by Harald Bögeholz