03.06., Mal wieder nach Tokyo

Ich habe ja nun eine gewisse Routine darin, nach Japan zu fliegen. Insofern ist die Aufregung nicht mehr so groß, als ich mich am Montagmorgen in Richtung Flughafen in Bewegung setze. Der Flug nach Paris hat eine halbe Stunde Verspätung, sodass die knapp kalkulierte Umsteigezeit in CDG gerade so reicht – als ich den langen Weg von Terminal 2D nach Terminal 2F geschafft habe, steht da schon last call, und als einer der Letzten steige ich in die Maschine.

Neben mir sitzt ein älterer Japaner, der, nachdem ich seine Frage, wo ich herkomme, auf Japanisch beantwortet habe, sofort fleißig auf Japanisch anfängt, Smalltalk zu halten. Klappt überraschend gut, dafür dass ich die Sprache jetzt ja wieder ein Jahr lang unbenutzt in der Schublade liegen hatte, er lobt jedenfalls meine Aussprache. Nur als ich versuche, mich gleichzeitig auf die französischsprachigen Durchsagen von Air France zu konzentrieren, ist es zu viel.

Seit letztem Jahr muss man nun auch in Japan bei der Einreise ein Foto von sich machen und sich Fingerabdrücke abnehmen lassen. Verstohlen mache ich mit dem iPhone ein Matsche-Foto davon (ich glaube man darf hier nicht fotografieren) Foto dazu. Ansonsten überrascht mich diesmal, dass ich am Zoll direkt auf Japanisch angesprochen werde. Bei meinen ersten Japan-Expeditionen hatte ich eigentlich immer das Problem, dass die Japaner Englisch mit mir sprechen wollen, auch wenn ich sie auf Japanisch anspreche. Die freundliche Zollbeamtin dagegen wechselt die paar wenigen Sätze mir mir auf Japanisch: Ist das all Ihr Gepäck, nur diese Zwei Gepäckstücke? Was sind Sie von Beruf? Was machen Sie in Japan? Wie lange bleiben Sie? und so.

Um ca. 8.45 bin ich durch den Zoll, ziehe routiniert am Bankautomaten Bargeld (die japanischen Yen vom letzten Urlaub, die ich wieder mitbringen wollte, liegen sorgfältig zu Hause in der Schublade) und mache mich an den Ticket-Kauf. Chandra hat mir die Kisei-Linie empfohlen, weil sie die billigste Möglichkeit ist, nach Tokyo reinzufahren. Ich glaube, die habe ich 2005 auch schon entdeckt. Die Verhandlungen über das Ticket gelingen mir mühelos auf Japanisch – ja, ich möchte in Nippori umsteigen und bis Tokyo fahren und ja, ich möchte gleich den nächsten Zug um 9.05 nehmen und ich bin Nichtraucher.

Auf dem Weg in die Station dämmert mir aber, dass doch schon wieder was nicht stimmt. Chandra sagte, der Zug würde etwa 1000 Yen kosten, und die Größenordnung hatte ich auch in Erinnerung. Ich habe aber 2070 Yen bezahlt. Außerdem fällt mir, als ich mein Ticket so betrachte, auf, dass zwischen all den Kanji 9.23 steht. Das ist aber ein Zug später, ich wollte doch um 9.05 fahren. Was tun? Mit der falschen Platzreservierung in den früheren Zug steigen? Doch den späteren Zug nehmen? Und überhaupt, was ist mit dem Fahrpreis?

Da es erst 9 ist, nehme ich meinen Mut zusammen, gehe zur Bahnsteigsperre und spreche den Bahnbeamten an: Kann es sein, dass dieses Ticket für den falschen Zug ist? Ich möchte gerne den nächsten nehmen um 9.05. Und außerdem hätte ich gerne gewusst, warum ich 2070 Yen bezahlen musste, das käme mir teuer vor. Und schon klärt sich das Rätsel: Er behält eines der beiden Kärtchen ein und drückt mir dafür 770 Yen in die Hand. Die freundliche Fahrkartenverkäuferin hat mir anscheinend eine Platzreservierung in so einem Superduper-Express-Dingens verkauft, die ich gar nicht wollte. Das Ticket, das ich jetzt noch übrig habe, kostet 1150 Yen plus 150 für die Anschlussfahrt von Nippori nach Tokyo, das kommt hin. Ich weiß nicht wie viel schneller der Zug gewesen wäre, der 18 Minuten später losfährt, aber eilig habe ich es ja sowieso nicht, denn ich bin erst um 12.15 mit Hiko zum Mittagessen verabredet. Und bis dahin weiß ich eh nicht recht was tun. Da ist im Zug sitzen gar nicht schlecht, denn es regnet in Strömen.

Auch der Bahnhof Tokyo schreckt mich nicht mehr. War ich letztes Jahr noch so blöd, auf der falschen Seite rauszugehen, so finde ich jetzt den richtigen Ausgang und wüsste sogar zur Not noch, wo die verwinkelte Passage ist, die mich auf die andere Seite bringen würde, wenn ich da hinwollte. Jetzt erst einmal das Gepäck in ein Schließfach und dann nach Shinjuku. Eigentlich war mein Plan, mir sofort bei der Ankunft in Shinjuku ein japanisches Handy zu kaufen, aber ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich mich wohl doch besser gleich auf den Weg mache. Wer weiß, wie weit genau der mit Hiko vereinbarte Treffpunkt entfernt ist beziehungsweise wie lange man mit dem Zug dorthin braucht.

Meine Verabredung mit ihm ist nämlich diesmal etwas abenteuerlich: Er hat mir im Chat einen Google-Maps-Link gemailt und gemeint, wir sollten uns an dieser Kreuzung treffen, dort in der Nähe arbeite er. Ich solle einfach mit der oodakyuu-Linie bis seijougakuenmae fahren und dann würde ich es schon finden. Ist in der Tat nicht wirklich schwierig, aber ein bisschen stolz bin ich trotzdem auf mich, als ich eine knappe halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit im strömenden Regen unter dem Dach eines Fahrradtänders an der vereinbarten Kreuzung stehe und das Wetter verwünsche Foto dazu Foto dazu.

Bei dem Wetter ist es natürlich völlig dusselig, sich dort zu verabreden, denn wir müssen bei Sturm und Wind genau dieselbe Strecke zurück zum Bahnhof, die ich gerade gekommen bin, um dort in einem Restaurant einzukehren. Die eine Stunde Mittagspause ist schnell vorbei, und Hiko geht wieder arbeiten, während ich mich in den Zug schwinge und zurück nach Shinjuku fahre.

Jetzt das Projekt Prepaid-Handy. Ich besichtige ausgiebig das Angebot bei Bic Camera, einem großen Elektronik-Laden, und bin froh, dass ich vorher zu Hause im Internet rechechiert habe, was ich eigentlich haben will. Denn an flüssiges Lesen der japanischen Sprache ist immer noch nicht zu denken und schon gar nicht daran, das Gestrüpp der japanischen Mobilfunktarife zu durchschauen. Es soll ein UMTS-Handy von SoftBank sein. Die drei großen Mobilfunkanbieter Docomo, au und SoftBank (ehemals Vodafone) sind alle mit eigenen, großen Ständen bei Bic Camera vertreten, aber die freundliche SoftBank-Mitarbeiterin erklärt mir, dass es zwar von SoftBank Prepaid-Handys gibt, aber nicht hier. Da müsse ich in einen der speziellen SoftBank-Shops gehen. Sie drückt mir einen Zettel mit einem Lageplan in die Hand, auf dem natürlich alles in Kanji beschriftet ist. So weit vom Bahnhof weg scheint es nicht zu sein, wird schon klappen.

Eine Windböe zertrümmert meinen heute morgen erst nagelneu gekauften Regenschirm – es ist wirklich ein unglaubliches Mistwetter! Zum Glück muss ich nur ein einziges Mal mit meinem Lageplan einen Passanten fragen, um das Hochhaus zu finden, in dessen erstem Untergeschoss der SoftBank-Shop sein soll. Ein ca. 50-stöckiges Bürogebäude mit einer abgesehen von einem kleinen Info-Tresen völlig leeren Hochglanz-Lobby, durch deren Fenster man Raucher besichtigen kann Foto dazu.

Irgendwie habe ich ein Talent dafür, mich zu verlaufen. Ich fahre mit der Rolltreppe nach unten in ein Geschoss, das so gar nicht danach aussieht, als gäbe es da einen Laden. Leere, düstere Gänge, und da: ein Lageplan. Ach, das ist ein Zwischengeschoss, also noch eins tiefer. Wieder leere, beklemmende Gänge, keine Geschäfte, verschlossene Türen, ein Putzman poliert mit einer Maschine den Boden. Schließlich finde ich aber doch in den Bereich, der für Publikumsverkehr gedacht ist. Eigentlich wäre die Atmosphäre fotografierenswert gewesen, aber wie so oft an meinem ersten Tag bin ich ziemlich müde und benommen von Flug und Zeitumstellung, und bei dem Sauwetter ist die Spiegelreflexkamera tief vergraben im Rucksack besser aufgehoben als schussbereit in meiner Hand.

Das Angebot an Prepaid-Handys ist sehr übersichtlich: Ich kann mich zwischen einem roten und einem schwarzen entscheiden. Das ist ja einfach, schwarz natürlich :-). Sie packt es aus, damit ich mich überzeuge, dass es hübsch und neu ist und keine Kratzer hat. 5800 Yen soll es kosten, alles klar, das klingt gut. Tja, und dann will sie meine Aufenthaltsgenehmigung – das unaussprechliche Wort, das ich mir ums Verrecken nicht merken kann, verstehe ich erst, als sie mir im Prospekt die Kanji zeigt. Ich erkläre ihr, dass ich nur für drei Wochen in Japan bin und nur meinen Pass dabeihabe. Sie verschwindet hinter den Kulissen, um sich dann vielmals in den höchsten Höflichkeitstönen zu entschuldigen: Ohne eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung und eine amtlich beglaubigte Adresse in Japan gibts kein Prepaid-Handy. Ich ahnte es ehrlich gesagt vorher, dachte mir nur, mal probieren. Ob des denn in Ordnung sei, wenn ich meinen in Japan wohnenden Freund mitbrächte? Ja, natürlich, sie braucht nur eine amtlich beglaubigte Adresse in Japan. Tja, dann wird das wohl so schnell nichts mit dem Handy.

Den restlichen Nachmittag in Tokyo rumzubringen, fällt mir ernsthaft schwer. Ich bin hundemüde und würde mich am liebsten irgendwo hinlegen und ein paar Stündchen schlafen. Mit meinem Gastgeber Chandra bin ich nämlich erst um 19.30 Uhr verabredet, das sind noch vier Stunden. Hätte die Sonne geschienen, wäre ich einfach in den Yoyogi-Park gegangen und hätte mich auf die Wiese gelegt.

So bleibt mir nichts anderes übrig als durch die Kaufhäuser zu irren, die zum Glück alle durch das unterirdische Tunnelnetz rund um den Bahnhof von Shinjuku verbunden sind. Das kenne ich inzwischen auch recht gut und werde mich hier nicht mehr so schnell verlaufen.

Um halb acht treffe ich dann endlich Chandra. Der zeigt mir als erstes, wie man eine Suica kauft. Das ist die japanische Form der Geldkarte, nur besser, weil drahtlos per RFID auslesbar. Jetzt gehöre ich also endlich auch zu den Leuten, die am Bahnhof nur lässig ihr Portemonnaie über die Absperrung halten statt, wie ich das bisher gemacht habe, auf dem großen Plan zunächst den Preis nachzuschauen, ein passendes Ticket zu kaufen und das dann in den Schlitz zu stecken.

Suica kaufen ist wirklich ultra einfach, das hätte ich nicht gedacht. Es gibt dafür einen eigenen Automaten. 2000 Yen rein, Suica raus, fertig. 500 Yen (ca. 3 Euro) sind für die Karte, der Rest ist verwendbares Guthaben. Wobei ich mit den 1500 Yen nicht weit kommen werde, sollte ich tatsächlich von Chandras Wohnung aus öfter nach Tokyo reinfahren. Denn der Zug von Tokyo nach Yokohama kostet erst einmal 450 Yen, dann steigen wir in einen anderen Zug nach Kibougaoka, der auch nochmal etwa 200 Yen kostet, und dann würden wir unter normalen Umständen noch Bus fahren (170 Yen). Für das letzte Stück nehmen wir heute aber wegen meines Gepäcks ein Taxi.

 

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©2008 by Harald Bögeholz