23.05., Sayonara-Party

Allmählich kommt Abschiedsstimmung auf. Etliche der anderen Klassen schreiben Prüfungen, wie so oft am Ende eines Zwei-Wochen-Zyklus, nach dem bei Yamasa die Klassen neu gemischt werden. So sitzen auch meine beiden deutschen Bekannten Jonas und Joachim und der Schweizer Leos über ihren Aufgaben, während ich entspannt Pause mache Foto dazu.

Der Unterricht folgt dem üblichen Schema: Vormittags kommt irgendeine bestimmte grammatische Konstruktion dran, zunächst an Hand von Hörübungen, dann die Theorie und dann die praktische Anwendung. Für den Nachmittag denken sie sich normalerweise etwas Leichtes aus. Aber heute stimmt irgendetwas mit meinem Hirn nicht. Wir lernen irgendwelche Ausdrücke und Redewendungen, in denen das Wort hito (Mensch) vorkommt, so viel ist mir klar. Aber so sehr ich versuche, den Erklärungen der Lehrerin zu folgen, ich verstehe immer nur Bahnhof. Es wird im Laufe der Stunde immer schlimmer; es fühlt sich an, als würde irgendetwas nach und nach sämtliches Japanisch aus meinem Kopf heraussaugen. Zwischendurch versuche ich es mit "mogeln", greife zu meinem elektronischen Wörterbuch, und als ich darin nichts finde, zu meinem Notebook, um das große Japanisch-Deutsche Wörterbuch im Internet zu benutzen, aber nichts hilft. Ich kapiere überhaupt nichts. Völliger Blackout. Die anderen versuchen es mir zu erklären – auf Japanisch, versteht sich, eiserne Regel –, aber es hilft nichts.

Das Interessanteste an dieser Erfahrung ist, dass sich am Ende der Stunde die Lehrerin bei mir entschuldigt. So richtig höflich und mit Verbeugungen sagt sie, dass es ihr leid tut, es für mich zu schwierig gemacht zu haben. Das finde ich geradezu bizarr: Ich boxe mich in eine Klasse hoch, deren Niveau ich nur mit Mühe folgen kann, habe dann mal einen Aussetzer, und die Lehrerin gelobt Besserung. Es wird dann in der nächsten Stunde auch besser. Aber diese eine Stunde war glaube ich die schlimmste, die ich in all meiner Zeit bei Yamasa je hatte. Ich beschließe, den Vorfall so zu behandeln, als wäre ich versehentlich mal für eine Stunde in den Chinesisch-Unterricht gegangen. Zurück in der Japanisch-Klasse kann ich dann mit der üblichen Mühe wieder folgen.

Mein Privatlehrer Kawashima-Sensei ist glaube ich ein bisschen eine faule Socke. Nein, wahrscheinlich tue ich ihm damit Unrecht, er ist nur sehr höflich. Als ich ihm erzähle, dass ich von dem gerade Erlebten etwas erschöpft bin, meint er, dass wir dann vielleicht erst einmal eine Pause machen sollten und öffnet das Fenster. Das ist sehr gut gemeint, aber ich hatte ja gerade schon eine Stunde Pause, und fürs Ausruhen im Beisein eines Japanischlehrers will ich nun wirklich keine 23 Euro die Stunde ausgeben. Nein, fangen wir lieber an.

Nach der Einzelstunde schaue ich noch kurz in meine Mail, um mich dann in das nächste Abenteuer zu stürzen: sayounarapaatii, die Abschiedsparty, die in meiner Gastfamilie heute zu meinen Ehren stattfindet. Wir hatten 17.30 gesagt, aber als ich gegen 17.15 nach Hause komme, sind schon alle da: Vier der Leute, die uns neulich nach Gamagoori geschleppt haben, zwei Männer und zwei Frauen. Der Tisch ist voll mit leckerem Essen: Einiges haben die Gäste mitgebracht, anderes hat Mama zubereitet, wie ich erklärt bekomme. Es stehen schon ein paar leere Bierdosen auf dem Tisch und ich bekomme auch gleich ein Bier eingeschenkt. Na das kann ja heiter werden.

Nicht dass ich einem Bierchen abgeneigt wäre (wer mich kennt, wird sich kaputtlachen). Aber Japanisch zu verstehen, wenn es von fünf Rentnern quasi-gleichzeitig in umgangssprachlichem Tempo gesprochen wird, das erfordert so viel Konzentration, dass eigentlich eher Espresso als Bier angemessen wäre. Zumal ich schon sechs Stunden Unterricht hinter mir habe. Aber es hilft nichts, heute gibt es die volle Dröhnung.

Kaum habe ich mich gesetzt, einen Schluck Bier getrunken und einen Happen gegessen, steht Katou-san (auf dem Bild rechts Foto dazu) auf und überreicht mir feierlich meine Geschenke. Es sind nur kleine, billige Sachen, versichert er (ja, so sagt man das höflicherweise immer in Japan, das stand auch in einem meiner Lehrbücher :-) ). Zunächst gibt es drei von diesen Tüchern, wie sie immer am Eingang von Restaurants hängen. Dann zwei Zeitschriften mit schönen Fotos von japanischen Landschaften (ob ich den Titel lesen kann? Äh, ja, den Sinn der Kanji kapiere ich sofort, nur die Aussprache weiß ich mal wieder nicht ... berühmte Gewässer, berühmte Flüsse oder so). Die große Schachtel soll ich doch bitte sofort aufmachen. Ich habe in Reiseführern gelesen, dass es in Japan üblich ist, Geschenke nicht im Beisein des Schenkenden auszupacken, aber mit meinen Erfahrungen deckt sich das nicht. Beziehungsweise stimmt es vielleicht doch, denn sonst hätte mich der Japaner nicht explizit darum bitten müssen, doch ausnahmsweise mein Geschenk sofort auszupacken.

Es ist eine Puppe einer Geisha mit einem schicken Kimono. Wird sich als Dekoration in meinem japanischen Zimmer ganz nett machen, vielen Dank. Überhaupt bin ich ganz überwältigt von den vielen Geschenken. Der andere ältere Herr überreicht mir noch ein Fotoalbum mit selbstgeknipsten Fotos von schönen Blumen, nicht ohne mir von jeder einzelnen zu erklären, wie sie heißt und wo sie wächst und mich zu fragen, ob es sie in Deutschland auch gibt. Wie peinlich, dass ich in der Grundschule in Sachkunde immer so schlecht aufgepasst habe ;-).

Anschließend bedanken sich alle noch einmal bei mir: Ohne mich hätten sich meine Gastfamilie und diese Gruppe ja schließlich nicht kennengelernt. Na wenn ich schon weiter nichts für sie tun kann ... bitte, gern geschehen.

Der Abend verläuft wie erwartet anstrengend. Katou-san wird nach einigen Bierchen immer redseliger, schenkt mir eifrig nach und betont immer wieder, ich solle doch ein bisschen lockerer werden und nicht immer so ernst sein. Wahrscheinlich ist ihm überhaupt nicht bewusst, wie viel Konzentration es mich kostet, dem Gespräch auch nur annähernd zu folgen. Immerhin habe ich Übung im Biertrinken; so schnell wird mich kein Japaner unter den Tisch trinken, zumal wenn das Bier aus zierlichen 0,33-Liter-Döschen in noch viel kleinere Gläschen gefüllt wird. Mama und Katou-san scheinen sich recht gut zu verstehen, entdecken im Laufe des Abends sogar, dass sie ziemlich genau gleich alt sind ... freut mich, dass Mama auf diese Art neue Freunde gefunden hat.

Um kurz nach 21 Uhr signalisieren die Frauen dem redseligen Katou-san, dass es jetzt wohl an der Zeit wäre zu gehen, und die Runde löst sich auf. Ich bin völlig erledigt von diesem Intensivprogramm Japanisch; immerhin hat man mich jetzt vier Stunden lang vollgequatscht. Ich falle daher unverzüglich in mein Bett und schlafe mich erst einmal aus.

 

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©2007 by Harald Bögeholz