Schreck in der Morgenstunde: Wir schreiben einen kleinen Test über
das am Freitag Gelernte und ich verstehe – genau gar nichts. Ich
habe gerade einmal den Lückentext entziffert, aber keine Ahnung, was
da reingehören könnte, als die anderen abgeben. Ich traue mich kaum,
meinen Zettel abzugeben ... nur in eine Lücke habe ich etwas
hineingeschrieben, und das soll sich heute Nachmittag noch als falsch
herausstellen. Ich bereue bitterlich, am Wochenende nicht gelernt zu
haben, aber irgendwie brauchte ich auch mal eine Pause.
Zum Glück komme ich in den nun folgenden Hörübungen halbwegs mit,
kann sogar, als wir uns den Dialog noch einmal Satz für Satz als
Diktatübung anhören, alles fehlerfrei mitschreiben (im Gegensatz zu
manch anderem, wie ich durch einen vorsichtigen Rundumblick in der
Klasse feststelle). Das baut mich wieder so weit auf, dass ich den
Vormittag durchstehe, aber mächtig anstrengend ist es allemal.
Willkommen in chuukyuu, der sogenannten Mittelstufe des
Japanischstudiums.
Am Nachmittag wird es wieder etwas einfacher; wir üben verkürzte
Formen, bei denen man hie und da die eine oder andere Silbe weglässt.
Das fällt mir vergleichsweise leicht; man muss nur ein bisschen
nuscheln, dann kommt es automatisch in der verkürzten Form raus :-).
Zwischendurch spricht mich die Lehrerin auf den Test von heute Morgen
an. Was denn los gewesen sei, ob ich die Aufgabenstellung nicht
richtig gelesen hätte? Äh, habe ich wirklich nicht, nein, die ersten
beiden Zeilen habe ich schlicht überlesen. In der Tat ist der
Lückentext wohl nicht ganz so schwierig, wenn man nur eines von fünf
Wörtern zur Auswahl hat. Aber ich kapiere ihn trotzdem nicht. Ich soll
es doch bitte noch einmal versuchen – hai! Abgesehen
davon empfinde ich diese Stunde als relativ erholsam. Die anderen
scheinen jedoch eher erschöpft zu sein .
Nach dem Unterricht zeige ich Verena meine selbstgebastelten
Kanji-Lernseiten, und sie ist ziemlich angetan. Sie ist bisher die
Erste, die ich treffe, die auch nach dem Heisig-Buch lernt. Die Zeit
vergeht wie im Fluge. Eigentlich wollte ich sie noch um Hilfe bei dem
vergurkten Test bitten, aber dafür haben wir nur noch wenige Minuten,
bevor ich in meinen Einzelunterricht muss. Daher muss mein
Privatlehrer dran glauben, dafür bezahle ich ihn ja schließlich.
Mit seiner Hilfe gelingt es mir, den Knoten in meinem Kopf zu
lösen und den Zettel auszufüllen. Aber wirklich sitzen tut dieses
Stück Grammatik vom Freitag noch nicht, damit werde ich mich wohl noch
beschäftigen müssen.
Eigentlich auf dem Programm steht heute wieder eine Feinheit in der
Kommunikation mit Japanern. Nämlich wie man durch den Ausstausch einer
einzigen Partikel unterschwellig kommuniziert, dass man eigentlich
gerade das Gegenteil von dem sagt, was man meint. Wenn sich zwei
Freunde beispielsweise darüber unterhalten, was sie heute Abend
zusammen essen wollen, und der eine vorschlägt, wie es denn mit Sushi
wäre, dann kann der andere antworten o sushi ga ii yo, oder
aber auch o sushi de ii yo. Ersteres ist die Form, die ich
bisher gelernt habe, und sie drückt die ehrliche Meinung aus. Mit
de in der Mitte sagt man zwar, dass Sushi in Ordnung sind,
deutet aber gleichzeitig an, dass man eigentlich vielleicht lieber
etwas anderes hätte. Also man hat zur Kenntnis genommen, dass der
andere gerne Sushi essen möchte und sagt sozusagen – sehr
höflich – na ja, wenns nichts anderes gibt, ist es ok. Dieselbe
Antwort hat aber nicht diese Konnotation, wenn schon die Frage mit
de gestellt wurde, was man zum Beispiel dann tut, wenn es
ohnehin keine Alternativen gibt.
Wir üben das ein bisschen, und in der Theorie ist es mir jetzt
klar. Ob ich den feinen Unterschied in der Praxis bemerken oder ihn
gar aktiv anwenden können werde ... wer weiß? Viel zu schnell ist
diese Stunde um, und ich bedanke mich herzlich bei Taniyama-sensei und
verabschiede mich von ihm. Dies waren die beiden einzigen Stunden, die
wir zusammen haben, die restlichen vier bestreitet wieder
Kawashima-sensei. Kawashima-sensei ist auch nicht schlecht, aber ich
muss sagen, wenn ich die Wahl hätte, dann würde ich Taniyama-sensei
auf jeden Fall den Vorzug geben. Er geht mehr aus sich heraus, steht
auch mal auf, macht auch mal einen Witz, spricht mich zum Spaß mal mit
sonkeigo an ... ja, den buche ich nächtes Mal wieder, wenn es
mich denn noch einmal nach Yamasa verschlagen sollte.
Obwohl der Einzelunterricht im Prinzip Spaß gemacht hat, bin ich
wieder mal mit meinen Kräften am Ende und schaffe es nicht mehr,
irgendwelches Japanisch in meinen Kopf hineinzubekommen, bevor ich
nach Hause muss. Am Bahnhof erkenne ich meinen Zug auf der
Anzeigetafel inzwischen mit einem Blick, auch wenn es gerade in Kanji
dasteht und nicht mit lateinischen Buchstaben.
Ich habe einen ungünstigen Moment erwischt und muss leider eine
Viertelstunde warten. Der nächste Zug in meine Richtung fährt um 18.50
Uhr von Gleis 3, aber komischerweise steht an Gleis 4 am selben
Bahnsteig bereits ein Zug in die gleiche Richtung, der erst um 19.05
abfahren soll und in den nach und nach immer mehr Leute einsteigen.
Habe ich hier wieder mal irgendwas nicht kapiert? Aber die Anzeigen
sind nun wirklich unmissverständlich, auch in Kanji: Gleicher Zugtyp,
gleiches Ziel, nur unterschiedliche Abfahrtszeiten und
unterschiedliche Länge. Der nächste Zug fährt von Gleis 3, das steht
auch auf dem gedruckten Fahrplan. Als ich das Beweisfoto schieße, macht ein
Schaffner gerade irgendeine Durchsage, die nur innerhalb des Zuges zu
hören ist, und schließt zwei Drittel der Türen – nur die
mittlere in jedem Waggon bleibt offen. Das erhärtet meinen Verdacht,
dass die Leute diesen Zug nur als kuscheligen Warteraum benutzen, bis
der andere Zug kommt – nach einem schönen Sonnentag ist es jetzt
windig und ganz schön kühl geworden. Und in der Tat: Als auf Gleis 3
der Zug ankommt, steigen alle um. Na ja, fast alle. Zwei, drei Leute
sind anscheinend so in ihr Handy vertieft, dass sie das nicht
mitkriegen.
Heute esse ich wieder alleine zu Abend, obwohl ich halbwegs
pünktlich um kurz nach 19 Uhr zu Hause eintreffe. Ich bin mir sehr
sicher, dass Mama mir vor einiger Zeit gesagt hat, wir essen jetzt
gegen sieben, halb acht zu Abend, weil es allmählich Sommer wird.
Entweder habe ich das missverstanden oder es ist der Familie einfach
nicht so wichtig, gemeinsam zu essen, zumal mit mir. Ich kriege
jedenfalls gleich mein Abendessen hingestellt und werde sehr lecker
durchgefüttert, über das Essen kann ich absolut nicht klagen. Nur
erfordert der im Ganzen gegrillte Fisch heute wieder mein ganzes
Können mit den Stäbchen. Nami, die mir (fernsehenderweise) beim Essen
Gesellschaft leistet, pflichtet mir bei, dass der Fisch ein bisschen
tabenikui ist – schwierig zu essen. Und ich finde in der
Nähe des Kopfes etwas in dem Fisch, dass ganz grauslig bitter
schmeckt. Ich muss richtiggehend würgen und tue so, als hätte ich mich
an einer Gräte verschluckt, um den Bissen schnell in die Spüle zu
spucken ... ich bin leider nicht sehr erfahren darin, welche Teile von
ganzen Fischen genießbar sind und welche nicht :-(. Der Rest hat
geschmeckt, aber das da ...
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