14.05., chuukyuu und die Magie der Partikel

Schreck in der Morgenstunde: Wir schreiben einen kleinen Test über das am Freitag Gelernte und ich verstehe – genau gar nichts. Ich habe gerade einmal den Lückentext entziffert, aber keine Ahnung, was da reingehören könnte, als die anderen abgeben. Ich traue mich kaum, meinen Zettel abzugeben ... nur in eine Lücke habe ich etwas hineingeschrieben, und das soll sich heute Nachmittag noch als falsch herausstellen. Ich bereue bitterlich, am Wochenende nicht gelernt zu haben, aber irgendwie brauchte ich auch mal eine Pause.

Zum Glück komme ich in den nun folgenden Hörübungen halbwegs mit, kann sogar, als wir uns den Dialog noch einmal Satz für Satz als Diktatübung anhören, alles fehlerfrei mitschreiben (im Gegensatz zu manch anderem, wie ich durch einen vorsichtigen Rundumblick in der Klasse feststelle). Das baut mich wieder so weit auf, dass ich den Vormittag durchstehe, aber mächtig anstrengend ist es allemal. Willkommen in chuukyuu, der sogenannten Mittelstufe des Japanischstudiums.

Am Nachmittag wird es wieder etwas einfacher; wir üben verkürzte Formen, bei denen man hie und da die eine oder andere Silbe weglässt. Das fällt mir vergleichsweise leicht; man muss nur ein bisschen nuscheln, dann kommt es automatisch in der verkürzten Form raus :-). Zwischendurch spricht mich die Lehrerin auf den Test von heute Morgen an. Was denn los gewesen sei, ob ich die Aufgabenstellung nicht richtig gelesen hätte? Äh, habe ich wirklich nicht, nein, die ersten beiden Zeilen habe ich schlicht überlesen. In der Tat ist der Lückentext wohl nicht ganz so schwierig, wenn man nur eines von fünf Wörtern zur Auswahl hat. Aber ich kapiere ihn trotzdem nicht. Ich soll es doch bitte noch einmal versuchen – hai! Abgesehen davon empfinde ich diese Stunde als relativ erholsam. Die anderen scheinen jedoch eher erschöpft zu sein Foto dazu.

Nach dem Unterricht zeige ich Verena meine selbstgebastelten Kanji-Lernseiten, und sie ist ziemlich angetan. Sie ist bisher die Erste, die ich treffe, die auch nach dem Heisig-Buch lernt. Die Zeit vergeht wie im Fluge. Eigentlich wollte ich sie noch um Hilfe bei dem vergurkten Test bitten, aber dafür haben wir nur noch wenige Minuten, bevor ich in meinen Einzelunterricht muss. Daher muss mein Privatlehrer dran glauben, dafür bezahle ich ihn ja schließlich.

Mit seiner Hilfe gelingt es mir, den Knoten in meinem Kopf zu lösen und den Zettel auszufüllen. Aber wirklich sitzen tut dieses Stück Grammatik vom Freitag noch nicht, damit werde ich mich wohl noch beschäftigen müssen.

Eigentlich auf dem Programm steht heute wieder eine Feinheit in der Kommunikation mit Japanern. Nämlich wie man durch den Ausstausch einer einzigen Partikel unterschwellig kommuniziert, dass man eigentlich gerade das Gegenteil von dem sagt, was man meint. Wenn sich zwei Freunde beispielsweise darüber unterhalten, was sie heute Abend zusammen essen wollen, und der eine vorschlägt, wie es denn mit Sushi wäre, dann kann der andere antworten o sushi ga ii yo, oder aber auch o sushi de ii yo. Ersteres ist die Form, die ich bisher gelernt habe, und sie drückt die ehrliche Meinung aus. Mit de in der Mitte sagt man zwar, dass Sushi in Ordnung sind, deutet aber gleichzeitig an, dass man eigentlich vielleicht lieber etwas anderes hätte. Also man hat zur Kenntnis genommen, dass der andere gerne Sushi essen möchte und sagt sozusagen – sehr höflich – na ja, wenns nichts anderes gibt, ist es ok. Dieselbe Antwort hat aber nicht diese Konnotation, wenn schon die Frage mit de gestellt wurde, was man zum Beispiel dann tut, wenn es ohnehin keine Alternativen gibt.

Wir üben das ein bisschen, und in der Theorie ist es mir jetzt klar. Ob ich den feinen Unterschied in der Praxis bemerken oder ihn gar aktiv anwenden können werde ... wer weiß? Viel zu schnell ist diese Stunde um, und ich bedanke mich herzlich bei Taniyama-sensei und verabschiede mich von ihm. Dies waren die beiden einzigen Stunden, die wir zusammen haben, die restlichen vier bestreitet wieder Kawashima-sensei. Kawashima-sensei ist auch nicht schlecht, aber ich muss sagen, wenn ich die Wahl hätte, dann würde ich Taniyama-sensei auf jeden Fall den Vorzug geben. Er geht mehr aus sich heraus, steht auch mal auf, macht auch mal einen Witz, spricht mich zum Spaß mal mit sonkeigo an ... ja, den buche ich nächtes Mal wieder, wenn es mich denn noch einmal nach Yamasa verschlagen sollte.

Obwohl der Einzelunterricht im Prinzip Spaß gemacht hat, bin ich wieder mal mit meinen Kräften am Ende und schaffe es nicht mehr, irgendwelches Japanisch in meinen Kopf hineinzubekommen, bevor ich nach Hause muss. Am Bahnhof erkenne ich meinen Zug auf der Anzeigetafel inzwischen mit einem Blick, auch wenn es gerade in Kanji dasteht und nicht mit lateinischen Buchstaben.

Ich habe einen ungünstigen Moment erwischt und muss leider eine Viertelstunde warten. Der nächste Zug in meine Richtung fährt um 18.50 Uhr von Gleis 3, aber komischerweise steht an Gleis 4 am selben Bahnsteig bereits ein Zug in die gleiche Richtung, der erst um 19.05 abfahren soll und in den nach und nach immer mehr Leute einsteigen. Habe ich hier wieder mal irgendwas nicht kapiert? Aber die Anzeigen sind nun wirklich unmissverständlich, auch in Kanji: Gleicher Zugtyp, gleiches Ziel, nur unterschiedliche Abfahrtszeiten und unterschiedliche Länge. Der nächste Zug fährt von Gleis 3, das steht auch auf dem gedruckten Fahrplan. Als ich das Beweisfoto Foto dazu schieße, macht ein Schaffner gerade irgendeine Durchsage, die nur innerhalb des Zuges zu hören ist, und schließt zwei Drittel der Türen – nur die mittlere in jedem Waggon bleibt offen. Das erhärtet meinen Verdacht, dass die Leute diesen Zug nur als kuscheligen Warteraum benutzen, bis der andere Zug kommt – nach einem schönen Sonnentag ist es jetzt windig und ganz schön kühl geworden. Und in der Tat: Als auf Gleis 3 der Zug ankommt, steigen alle um. Na ja, fast alle. Zwei, drei Leute sind anscheinend so in ihr Handy vertieft, dass sie das nicht mitkriegen.

Heute esse ich wieder alleine zu Abend, obwohl ich halbwegs pünktlich um kurz nach 19 Uhr zu Hause eintreffe. Ich bin mir sehr sicher, dass Mama mir vor einiger Zeit gesagt hat, wir essen jetzt gegen sieben, halb acht zu Abend, weil es allmählich Sommer wird. Entweder habe ich das missverstanden oder es ist der Familie einfach nicht so wichtig, gemeinsam zu essen, zumal mit mir. Ich kriege jedenfalls gleich mein Abendessen hingestellt und werde sehr lecker durchgefüttert, über das Essen kann ich absolut nicht klagen. Nur erfordert der im Ganzen gegrillte Fisch heute wieder mein ganzes Können mit den Stäbchen. Nami, die mir (fernsehenderweise) beim Essen Gesellschaft leistet, pflichtet mir bei, dass der Fisch ein bisschen tabenikui ist – schwierig zu essen. Und ich finde in der Nähe des Kopfes etwas in dem Fisch, dass ganz grauslig bitter schmeckt. Ich muss richtiggehend würgen und tue so, als hätte ich mich an einer Gräte verschluckt, um den Bissen schnell in die Spüle zu spucken ... ich bin leider nicht sehr erfahren darin, welche Teile von ganzen Fischen genießbar sind und welche nicht :-(. Der Rest hat geschmeckt, aber das da ...

 

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©2007 by Harald Bögeholz