13.05., Nagoya, nochmal ausführlich

Heute gehts nochmal etwas früher nach Nagoya. Diesmal treffe ich Mama noch, und sie erklärt mir, wie ich zu der großen Buchhandlung namens Maruzen finde. Nachdem ich ihr einmal voller Selbstbewusstsein gesagt habe, dass sie ruhig Kanji schreiben darf, tut sie das jetzt Foto dazu. Gut, dass ich beim Schreiben dabei war und mir die Namen merken konnte. Denn bei Orts- und sonstigen Namen bin ich immer noch aufgeschmissen, weil ich bisher nur die Bedeutung und die Schreibweise der Kanji studiert habe, aber nicht die verschiedenen Lesungen. Deshalb sehe ich bei dem Namen der Buchhandlung die beiden Kanji für rund und das Gute, aber es ist schon nützlich zu wissen, dass sie maruzen ausgesprochen werden, zumal es später in großen lateinischen Buchstaben auf dem Schild steht Foto dazu (und nur viel kleiner in Kanji).

Gestern habe ich beobachtet, dass der Zug lange in Kariya gehalten hat und etliche Leute in einen anderen Zug umgestiegen sind. Mir schwante, dass das vielleicht eine Möglichkeit ist, schneller nach Nagoya zu kommen, aber die Lautsprecherdurchsage habe ich gestern leider nicht verstanden. Heute gibt es keine, aber ich fasse mir ein Herz, steige aus und nach einem kurzen Blick auf die Anzeige in den Zug am Bahnsteig gegenüber, der in der Tat meinen Zug überholt und etliche Bahnhöfe auslassend deutlich schneller in Nagoya ist.

Es ist ein schöner Sonnentag. Vor einem Brunnen sind vier junge Männer in schwarzen Lederhosen und langen, gegelten Haaren dabei, zu lautstark abgespielter Rockmusik zu tanzen Foto dazu. Auf der anderen Seite nochmal das gleiche, identischer Aufbau mit eigenem Generator und fettem Lautsprecher Foto dazu. Ein älterer Herr geht vorbei und wippt im Takt der Musik als wollte er gleich mitmachen und auch eine Breakdance-Nummer aufs Parkett legen Foto dazu.

Während ich mir die Sache noch so anschaue, spricht mich plötzlich ein anderer älterer Herr an. Er könne leider kein Englisch, aber was ich denn von der Musik hielte? Das überrascht mich jetzt total, ich kann mich nicht erinnern, in Japan jemals ohne besonderen Grund von einem Japaner auf Japanisch angesprochen worden zu sein. Ich kannte bisher eher die umgekehrte Situation: Ich frage was und kriege die Antwort auf Englisch. Leider nuschelt er ziemlich (und hat eine Bierfahne, womöglich liegt es auch daran), sodass ich nicht ganz hundertprozentig mitkriege, was er nun bezüglich der Musik genau von mir wissen will. Aber den üblichen Begrüßungs-Smalltalk beherrsche ich schon halbwegs (wo ich herkomme, wie lange ich bleibe usw.). Als ich auf seine Frage, warum ich denn nach Japan gekommen bin, antworte, dass ich hier bin, um die Sprache zu lernen, verbeugt er sich tief vor mir und nuschelt irgendwas, dass in Japan noch immer sehr viele interessante Orte gäbe, obwohl vieles nicht mehr schön sei. Oder so. Wirklich schwer zu verstehen. Aber es ist erstaunlich, wie sehr er sich freut, dass ich Japanisch lerne (und eigentlich müsste er schon durch das vorausgegangene Gespräch gemerkt haben, dasss ich es ein bisschen kann ;-) ).

Ich verbringe viel Zeit in der Buchhandlung mit der Überlegung, welche neuen Japanisch-Bücher ich mir noch kaufen sollte. Meine alten sind ja alle, und es sieht nicht aus, als würde ich von der Schule noch ein neues bekommen. Irgendetwas muss ich ja studieren, wenn ich wieder zu Hause bin. In der Ausländer-Abteilung der großen Buchhandlung steht doch tatsächlich ein Schild auf Englisch, dass man nichts aus Büchern kopieren soll. Wieder ein Beispiel für die vielen kleinen Vorurteile, die die Japaner anscheinend doch Ausländern gegenüber haben. Ich kann jedenfalls kein japanisches Äquivalent dieses Schildes irgendwo entdecken; ich bin sicher, ich würde es auch mit meinen beschränkten Kanji-Lesefähigkeiten erkannt haben.

Eines der Bücher, die ich gezielt suche, ist leider nicht vorrätig, und zwar das, was in den auf längeres Studium ausgelegten Kursen bei Yamasa nach Minna no Nihongo kommt (es ist für Fortgeschrittene, daher steht der Titel nur in Kanji drauf :-) ). Das wollte ich eigentlich auf jeden Fall haben, wieso nur habe ich es nicht mitgenommen, als ich es in Tokyo in einer Buchhandlung bereits in der Hand hatte? (Weil der Schwabe in mir dachte, dass ich es sowieso von der Schule bekomme, wenn ich in die höhere Klasse darf. Habe ich aber nicht.) Die freundliche Buchhändlerin, bei der ich mich nach dem Buch erkundige, macht sich gleich diensteifrig daran, eine Vorbestellung auszufüllen, und in zwei bis drei Wochen soll ich das Buch dann abholen dürfen. Zwei bis drei Wochen?!? Äh, das ist leider zu spät. Und die lange Lieferzeit überrascht mich doch ziemlich; da bin ich in Deutschland Schnelleres gewohnt (wenn das Buch nicht gerade deutschlandweit vergriffen ist, aber in Tokyo lag ein großer Stapel davon ganz vorne, als sei es ein sehr beliebtes Buch).

Zum Rest des Tages schreibe ich jetzt nicht mehr viel, da mögen die Fotos für sich sprechen. Zwei m.E. recht schöne sind vielleicht diese Foto dazu Foto dazu.

Eines noch: Auf dem Weg zu dem Tempel sehe ich unter einer Brücke, unter die sich wahrscheinlich außer dem ortsunkundigen Ausländer keiner verirrt, wieder mal eine Behelfsunterkunft Obdachloser Foto dazu. An einer öffentlichen Wasserstelle waschen einige anscheinend gerade ihr Geschirr Foto dazu. Ich glaube, ich schrieb es bei passender Gelegenheit schon einmal in einem meiner älteren Tagebücher, aber das Thema Obdachlosigkeit in Japan müsste man mal recherchieren. (Ehrlich gesagt bin ich eine faule Socke und würde mir lieber eine fertige Reportage darüber im Fernsehen ansehen *g*. Als Ergänzung zu meinen eigenen Wahrnehmungen, versteht sich.)

 

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©2007 by Harald Bögeholz