Heute gehts nochmal etwas früher nach Nagoya. Diesmal treffe ich
Mama noch, und sie erklärt mir, wie ich zu der großen Buchhandlung
namens Maruzen finde. Nachdem ich ihr einmal voller Selbstbewusstsein
gesagt habe, dass sie ruhig Kanji schreiben darf, tut sie das
jetzt . Gut, dass ich beim
Schreiben dabei war und mir die Namen merken konnte. Denn bei Orts-
und sonstigen Namen bin ich immer noch aufgeschmissen, weil ich bisher
nur die Bedeutung und die Schreibweise der Kanji studiert habe, aber
nicht die verschiedenen Lesungen. Deshalb sehe ich bei dem Namen der
Buchhandlung die beiden Kanji für rund und das Gute, aber es ist schon
nützlich zu wissen, dass sie maruzen ausgesprochen werden,
zumal es später in großen lateinischen Buchstaben auf dem Schild
steht (und nur viel kleiner in
Kanji).
Gestern habe ich beobachtet, dass der Zug lange in Kariya gehalten
hat und etliche Leute in einen anderen Zug umgestiegen sind. Mir
schwante, dass das vielleicht eine Möglichkeit ist, schneller nach
Nagoya zu kommen, aber die Lautsprecherdurchsage habe ich gestern
leider nicht verstanden. Heute gibt es keine, aber ich fasse mir ein
Herz, steige aus und nach einem kurzen Blick auf die Anzeige in den
Zug am Bahnsteig gegenüber, der in der Tat meinen Zug überholt und
etliche Bahnhöfe auslassend deutlich schneller in Nagoya ist.
Es ist ein schöner Sonnentag. Vor einem Brunnen sind vier junge
Männer in schwarzen Lederhosen und langen, gegelten Haaren dabei, zu
lautstark abgespielter Rockmusik zu tanzen . Auf der anderen Seite
nochmal das gleiche, identischer Aufbau mit eigenem Generator und
fettem Lautsprecher . Ein älterer Herr geht
vorbei und wippt im Takt der Musik als wollte er gleich mitmachen und
auch eine Breakdance-Nummer aufs Parkett legen .
Während ich mir die Sache noch so anschaue, spricht mich plötzlich
ein anderer älterer Herr an. Er könne leider kein Englisch, aber was
ich denn von der Musik hielte? Das überrascht mich jetzt total, ich
kann mich nicht erinnern, in Japan jemals ohne besonderen Grund von
einem Japaner auf Japanisch angesprochen worden zu sein. Ich kannte
bisher eher die umgekehrte Situation: Ich frage was und kriege die
Antwort auf Englisch. Leider nuschelt er ziemlich (und hat eine
Bierfahne, womöglich liegt es auch daran), sodass ich nicht ganz
hundertprozentig mitkriege, was er nun bezüglich der Musik genau von
mir wissen will. Aber den üblichen Begrüßungs-Smalltalk beherrsche ich
schon halbwegs (wo ich herkomme, wie lange ich bleibe usw.). Als ich
auf seine Frage, warum ich denn nach Japan gekommen bin, antworte,
dass ich hier bin, um die Sprache zu lernen, verbeugt er sich tief vor
mir und nuschelt irgendwas, dass in Japan noch immer sehr viele
interessante Orte gäbe, obwohl vieles nicht mehr schön sei. Oder so.
Wirklich schwer zu verstehen. Aber es ist erstaunlich, wie sehr er
sich freut, dass ich Japanisch lerne (und eigentlich müsste er schon
durch das vorausgegangene Gespräch gemerkt haben, dasss ich es ein
bisschen kann ;-) ).
Ich verbringe viel Zeit in der Buchhandlung mit der Überlegung,
welche neuen Japanisch-Bücher ich mir noch kaufen sollte. Meine alten
sind ja alle, und es sieht nicht aus, als würde ich von der Schule
noch ein neues bekommen. Irgendetwas muss ich ja studieren, wenn ich
wieder zu Hause bin. In der Ausländer-Abteilung der großen
Buchhandlung steht doch tatsächlich ein Schild auf Englisch, dass man
nichts aus Büchern kopieren soll. Wieder ein Beispiel für die vielen
kleinen Vorurteile, die die Japaner anscheinend doch Ausländern
gegenüber haben. Ich kann jedenfalls kein japanisches Äquivalent
dieses Schildes irgendwo entdecken; ich bin sicher, ich würde es auch
mit meinen beschränkten Kanji-Lesefähigkeiten erkannt haben.
Eines der Bücher, die ich gezielt suche, ist leider nicht vorrätig,
und zwar das, was in den auf längeres Studium ausgelegten Kursen bei
Yamasa nach Minna no Nihongo kommt (es ist für Fortgeschrittene, daher
steht der Titel nur in Kanji drauf :-) ). Das wollte ich eigentlich
auf jeden Fall haben, wieso nur habe ich es nicht mitgenommen, als ich
es in Tokyo in einer Buchhandlung bereits in der Hand hatte? (Weil der
Schwabe in mir dachte, dass ich es sowieso von der Schule bekomme,
wenn ich in die höhere Klasse darf. Habe ich aber nicht.) Die
freundliche Buchhändlerin, bei der ich mich nach dem Buch erkundige,
macht sich gleich diensteifrig daran, eine Vorbestellung auszufüllen,
und in zwei bis drei Wochen soll ich das Buch dann abholen dürfen.
Zwei bis drei Wochen?!? Äh, das ist leider zu spät. Und die lange
Lieferzeit überrascht mich doch ziemlich; da bin ich in Deutschland
Schnelleres gewohnt (wenn das Buch nicht gerade deutschlandweit
vergriffen ist, aber in Tokyo lag ein großer Stapel davon ganz vorne,
als sei es ein sehr beliebtes Buch).
Zum Rest des Tages schreibe ich jetzt nicht mehr viel, da mögen die
Fotos für sich sprechen. Zwei m.E. recht schöne sind vielleicht
diese .
Eines noch: Auf dem Weg zu dem Tempel sehe ich unter einer Brücke,
unter die sich wahrscheinlich außer dem ortsunkundigen Ausländer
keiner verirrt, wieder mal eine Behelfsunterkunft Obdachloser . An einer öffentlichen
Wasserstelle waschen einige anscheinend gerade ihr Geschirr . Ich glaube, ich schrieb
es bei passender Gelegenheit schon einmal in einem meiner älteren
Tagebücher, aber das Thema Obdachlosigkeit in Japan müsste man mal
recherchieren. (Ehrlich gesagt bin ich eine faule Socke und würde mir
lieber eine fertige Reportage darüber im Fernsehen ansehen *g*. Als
Ergänzung zu meinen eigenen Wahrnehmungen, versteht sich.)
| |
|