04.05., Mädchen beim Kaffeeklatsch

Heute sind meine Gastgeberinnen mal beide zu Hause. Als ich Langschläfer um 9.30 Uhr aufstehe, brutzelt Mama mir ein Spiegelei und ich erfahre, dass um 11 Freundinnen von Nami ins Haus kommen. Da werde ich mich doch mal schnell anziehen. Ich setze mich raus auf den Balkon in die Sonne und beginne mich mit Keigo zu beschäftigen, der besonders höflichen Sprache, die ich zwar schon gehört, aber noch nie wirklich verstanden habe und schon gar nicht sprechen kann. Oh je, wenn man sich besonders respektvoll über die Handlungen anderer äußert, benutzt man dieselbe Form wie für den Passiv. Aber wie um Himmels Willen soll man das auseinanderhalten?

Heute ist allgemein Frust angesagt, was meine Sprachkenntnisse betrifft. Der ging eigentlich schon beim Frühstück los, als Nami und Mama mehrere vergebliche Anläufe gemacht haben, sich mit mir zu unterhalten. Ich nehme ja schon immer mein elektronisches Wörterbuch mit zum Frühstück, damit ich notfalls mal schnell was nachschlagen kann. Aber wenn sie völlig unvermittelt ein Thema anschlagen, zu dem mir komplett das Vokabular fehlt, dann stehe ich trotz Wörterbuch erst einmal minutenlang im Wald. Ob ich wisse, was ich für eine Blutgruppe habe, was ist denn das auch für eine Frage zum Frühstück?

Unten im Wohnzimmer sind inzwischen vier junge Frauen eingetroffen und schnattern unentwegt. Ich gehe kurz runter, um mir was zu trinken zu holen, und sage kurz guten Tag, aber irgendwie fühle ich mich in der Runde völlig fehl am Platze, außerdem verstehe ich kein Wort von dem, was sie sagen. Es ist als hätte ich nie Japanisch gelernt. Nach einem kurzen konnichiwa ziehe ich mich frustriert wieder in mein Zimmer zurück und höre mir respektvolle Verbformen an.

Gegen 12.30 fragt mich Mama, ob ich Hunger habe. Wenigstens die Frage verstehe ich wieder, hmm, eigentlich noch nicht so richtig. Sie wolle mit mir auswärts essen gehen. Offensichtlich hat sie schon Hunger und will los, wie lösen wir das diplomatisch? Ich würde gerne noch eine halbe Stunde lernen, aber dann können wir gerne gehen. Ein kurzer Blick durch die Wohnzimmertür zeigt mir, dass die Mädels inzwischen gemeinschaftlich beim Kochen sind, sie zaubern Salate, gyouza und wer weiß noch was. Aber Mama und ich sind anscheinend nicht eingeladen.

Ich ärgere mich ziemlich über meine Schüchternheit, als ich wieder in meinem Zimmer sitze. Jetzt bin ich extra in Japan, aber traue ich mich nicht, mich einfach zu den fünf Frauen dazuzusetzen und darauf zu warten, dass vielleicht mal jemand etwas sagt, das ich verstehe.

Mama immerhin spricht langsam und deutlich, als wir schließlich ins Auto steigen und nen Kilometer weiter in ein kleines Restaurant fahren Foto dazu. Das ist original und nicht auf Ausländer eingestellt Foto dazu. Speziell bei den Lebensmitteln helfen meine bescheidenen Kanji-Kenntnisse gar nicht, zumal ich verschiedene Fischsorten ja schon auf Deutsch kaum auseinanderhalten kann. Aber an Hand von Mamas Erklärungen und den Kanji (ich kann gedünstet, gegrillt und frittiert unterscheiden, juhu) entscheide ich mich, und was ich bekomme, entspricht tatsächlich meinen Vorstellungen Foto dazu.

Zurück zu Hause scheucht mich Mama wieder ins Wohnzimmer, und ich mache schnell ein Foto von den Damen Foto dazu. Sie sind anscheinend auch mit Essen fertig, aber ich weiß wieder nicht so recht, was ich in dieser Runde soll, zumal ich wieder so gut wie nichts verstehe. Ich ziehe mich daher wieder leicht gefrustet in mein Zimmer zurück, um dann nach einer Weile zu beschließen, dass ich ein bisschen raus mus.

Mit dem Fahrrad erkunde ich zunächst den Shinkansen-Bahnhof. Morgen will ich mal nach Tokyo fahren und Hiko besuchen – die Züge fahren alle halbe Stunde, das wird also kein Problem sein. In Mikawa-Anjou halten allerdings nur die Bummelzüge, die fast drei Stunden nach Tokyo brauchen; von Nagoya aus gibts auch schnelle, die in weniger als zwei Stunden da sind.

Weiter gehts in eine Richtung, in der auf dem Stadtplan ein Park eingezeichnet ist. Welch Enttäuschung! tsuinpaaku (Twin Park) besteht aus zwei trostlosen Freiflächen, eine mit einem kleinen, grasbewachsenen Hügel in der Mitte Foto dazu, eine weitgehend gepflasterte Foto dazu, dazwischen eine Straße. Hmm. Auch sonst entdecke ich auf meiner Tour durch Mikawa-Anjou keine wirklich schönen Fleckchen. Man muss wohl wirklich einen Tempel oder Schrein aufsuchen dazu.

Mama hat mir erzählt, dass heute Kyoutaro (Namis älterer Bruder) und seine Frau zu Besuch kommen und hier übernachten. Übernachten!? Wo denn eigentlich? Als ich nach einem Abstecher zum Hotspot unter Palmen nach Hause komme, sind sie jedenfalls schon da und unterhalten sich alle angeregt. Mama hat den Nachmittag über ihr Zimmer aufgeräumt und baut nach dem Abendessen Betten, anscheinend zieht sie zu ihrer Tochter und überlässt ihr Zimmer den Gästen. Mamas Zimmer ist übrigens das einzige washitsu im Haus, ein klassisches japanisches Zimmer mit Tatami und Shouji, und es dringt immer ein Geruch von Räucherstäbchen heraus, vermutlich der Familienaltar. Ich habe auch schon einmal gesehen, wie sie ein winziges Schälchen mit Reis in das Zimmer gebracht hat (wohl für ihre Vorfahren oder für die Götter, so genau habe ich mich mit den religiösen Sitten noch nicht beschäftigt). Vielleicht frage ich sie morgen einmal, ob ich es fotografieren darf; bisher hat sie die Tür stets sorgfältig verschlossen gehalten, und ich habe ihre Privatsphäre auch in ihrer Abwesenheit nicht verletzt.

 

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©2007 by Harald Bögeholz