03.05., Freizeit in Balkonien

Heute schlafe ich mal wieder aus; als ich um 9 aufstehe, ist die Familie ausgeflogen und ich finde auf dem Esstisch wieder einen Brief von Mama: Sie sei heute den ganzen Tag nicht da, ich könne mir Ramen machen oder sonst essen, was ich wolle. Abendessen würden wir dann gemeinsam mit Nami-san.

Ich verbringe den schönen Tag weitgehend mit meinem Büchern auf dem Balkon Foto dazu Foto dazu, wiederhole meine Kanji und lese das Keigo-Kapitel in meinem Japanischbuch an. Gegen Sonnenuntergang fahre ich kurz rüber zu meinem Hotspot, um die paar wenigen Fotos und das Tagebuch-Update hochzuladen.

Noch eine Kleinigkeit habe ich bisher nicht die Zeit gefunden zu erzählen: Ich bin ja nun schon das fünfte Mal in Japan, aber noch nie habe ich mich getraut, einen der Knöpfe auf den High-Tech-Toilletten zu drücken (abgesehen von der Spülung natürlich). Zu groß war die Angst, mich irgendwie zum Affen zu machen. (Wie heißt doch gleich der Film, in dem Sylvester Stallone einen Cop spielt, der in der Zukunft wieder aufgetaut wird? Wo sich alle darüber amüsieren, dass er nicht weiß, wie man die drei Muscheln benutzt?) Als ich jedenfalls das erste Mal allein zu Haus war, dachte ich mir, dass ich das doch jetzt einmal ausprobieren muss. Zur Not kann ich ja in Ruhe aufwischen, falls ich etwas missverstanden habe. Aber alle Sorgen waren unbegründet. Wenn man ganz normal auf der Toilette sitzt und den dafür gedachten Knopf drückt, spült einem ein schön warmer Wasserstrahl mit regulierbarer Stärke den Hintern sauber. Sehr ungewohnt, aber eigentlich ganz angenehm. (Den in Katakana mit bide beschrifteten rosa Knopf mit eindeutigem Frauen-Symbol drauf habe ich nicht ausprobiert ;-).) Ich benutze das jetzt regelmäßig, aber wie störanfällig das Ganze ist und ob ich es putzen wollen würde, weiß ich nicht so recht.

Das Abendessen kocht heute zu meiner Überraschung Nami-san, Mama ist noch nicht da. Als sie mich zu Tisch ruft, eröffnet sie mit Entschuldigungen: Der Reis sei ihr leider etwas hart geraten. Ich könnte schwören, sie sagt, dass sie heute zum ersten Mal Reis kocht, sonst würde Mama das immer machen. Aber das kann nicht sein, oder? Da muss mit meinem Japanisch was nicht stimmen. Ich bin ja nun auch wirklich kein großer Koch, aber eine 33-jährige Japanerin, die noch nie selbst Reis gekocht hat, weil das bisher immer ihre Mutter für sie getan hat, das will mir nicht in den Kopf. Vielleicht heißt hajimete im lokalen Anjou-Dialekt was anderes als zum ersten Mal. (Wahrscheinlicher: Sie lügt schlicht, es ist einfach eine Ausrede.)

Der Reis ist ein bisschen al dente, aber durchaus essbar. Es gibt Paprikaschoten mit Hackfleischfüllung und einer gehörigen Portion Ketchup drauf, dazu ein paar Gurken und Kimchi. Ganz lecker für meinen Geschmack. Wahrscheinlich etwas weniger gesund als Mamas Küche und definitiv mit höherem Fleischanteil, aber das ist mir mal wieder ganz Recht.

Noch während wir essen, kommt Mama nach Hause und außerdem ihre Cousine (glaube ich) und eine Frau, die schon einmal da war, um Mama die Bedienung des PC zu erklären. Die vier Frauen unterhalten sich ganz angeregt miteinander, und ich finde es wieder einmal erschreckend, wie wenig ich verstehe, wenn sie im Originaltempo reden und kein Rücksicht auf mich nehmen.

Immerhin verstehe ich die Cousine, als sie mich (extra langsam) anspricht und mich fragt, wie ich das denn mit den Instant-Nudeln gemacht hätte, ob ich die Gebrauchsanweisung verstanden hätte? Es ist durchaus nicht das erste Mal, dass ich eine Instant-Nudelsuppe zubereite, und so schwierig ist das ja nun auch nicht. Ob es sowas denn auch in Deutschland gibt? Ja, gibt es.

Ich finde es schon immer wieder lustig, was für eine Vorstellung manche Japaner anscheinend von Ausländern haben. Mindestens eine recht naive. (Schrieb ich das neulich? Mama war ehrlich überrascht, dass ich ohne Erklärung in der Lage war, die Kaffeemaschine zu bedienen.) Immerhin bin ich noch nicht gefragt worden, ob wir in Deutschland auch fließend Wasser haben und Fernsehen. Ich erinnere mich deutlich zurück an meinen Schüleraustausch mit Amerika, damals, 1983. Da hat mir irgendsoein 14-Jähriger Amerikaner diese Fragen gestellt und ich fand das schon damals sehr naiv. Aber der war erst 14, während hier auch Erwachsene manchmal komische Vorstellungen haben.

Dass mich keiner missversteht: Natürlich weiß ich die liebevolle Fürsorge meiner Gastmutter zu schätzen. Aber wenn ich mir so überlege, welche intellektuelle Kapazität erforderlich ist, um den in Japanisch geschriebenen Zettel zu verstehen, auf dem sie mir erklärt, wie man Instant-Nudelsuppe kocht – damit verglichen ist das Kochen der Suppe ein Kinderspiel. Zumal es auf der Packung mit unmissverständlichen Bildern illustriert ist.

Wenn ich hier auch in einer sehr freundlichen und interessierten Familie gelandet bin – insgesamt glaube ich, dass Japan längst nicht so weltoffen ist, wie die Japaner selbst denken mögen. Englischsprachige Schilder an den Bahnhöfen machen es noch nicht. In Wirklichkeit ist die japanische Gesellschaft doch sehr isoliert von der Außenwelt. Ich habe sogar gelesen, dass sich dieser Trend noch verstärkt. Dazu kann ich nur wärmstens ein Buch empfehlen, das ich schon länger besitze, aber erst jetzt hier in Japan endlich ausgelesen habe: Dogs and Demons von Alex Kerr. Jemand hat mich gefragt, warum die Japaner eigentlich ihre Strände zubetonieren – auch das steht da ausführlich und sehr schlüssig drin.

Ist Knut eigentlich in Deutschland noch in? Ich habe vorhin beim Fernsehen fast eine Minute gebraucht, bis ich germerkt habe, dass berurindoubutsuen der Berliner Zoo ist und was ich da gerade sehe ;-).

 

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