Heute schlafe ich mal wieder aus; als ich um 9 aufstehe, ist die
Familie ausgeflogen und ich finde auf dem Esstisch wieder einen Brief
von Mama: Sie sei heute den ganzen Tag nicht da, ich könne mir
Ramen machen oder sonst essen, was ich wolle. Abendessen würden wir
dann gemeinsam mit Nami-san.
Ich verbringe den schönen Tag weitgehend mit meinem Büchern auf dem
Balkon , wiederhole meine Kanji
und lese das Keigo-Kapitel in meinem Japanischbuch an. Gegen
Sonnenuntergang fahre ich kurz rüber zu meinem Hotspot, um die paar
wenigen Fotos und das Tagebuch-Update hochzuladen.
Noch eine Kleinigkeit habe ich bisher nicht die Zeit gefunden zu
erzählen: Ich bin ja nun schon das fünfte Mal in Japan, aber noch nie
habe ich mich getraut, einen der Knöpfe auf den High-Tech-Toilletten
zu drücken (abgesehen von der Spülung natürlich). Zu groß war die
Angst, mich irgendwie zum Affen zu machen. (Wie heißt doch gleich der
Film, in dem Sylvester Stallone einen Cop spielt, der in der Zukunft
wieder aufgetaut wird? Wo sich alle darüber amüsieren, dass er nicht
weiß, wie man die drei Muscheln benutzt?) Als ich jedenfalls das erste
Mal allein zu Haus war, dachte ich mir, dass ich das doch jetzt einmal
ausprobieren muss. Zur Not kann ich ja in Ruhe aufwischen, falls ich
etwas missverstanden habe. Aber alle Sorgen waren unbegründet. Wenn
man ganz normal auf der Toilette sitzt und den dafür gedachten Knopf
drückt, spült einem ein schön warmer Wasserstrahl mit regulierbarer
Stärke den Hintern sauber. Sehr ungewohnt, aber eigentlich ganz
angenehm. (Den in Katakana mit bide beschrifteten rosa Knopf
mit eindeutigem Frauen-Symbol drauf habe ich nicht ausprobiert ;-).)
Ich benutze das jetzt regelmäßig, aber wie störanfällig das Ganze ist
und ob ich es putzen wollen würde, weiß ich nicht so recht.
Das Abendessen kocht heute zu meiner Überraschung Nami-san, Mama
ist noch nicht da. Als sie mich zu Tisch ruft, eröffnet sie mit
Entschuldigungen: Der Reis sei ihr leider etwas hart geraten. Ich
könnte schwören, sie sagt, dass sie heute zum ersten Mal Reis kocht,
sonst würde Mama das immer machen. Aber das kann nicht sein, oder? Da
muss mit meinem Japanisch was nicht stimmen. Ich bin ja nun auch
wirklich kein großer Koch, aber eine 33-jährige Japanerin, die noch
nie selbst Reis gekocht hat, weil das bisher immer ihre Mutter für sie
getan hat, das will mir nicht in den Kopf. Vielleicht heißt
hajimete im lokalen Anjou-Dialekt was anderes als zum ersten
Mal . (Wahrscheinlicher: Sie lügt schlicht, es ist einfach eine
Ausrede.)
Der Reis ist ein bisschen al dente, aber durchaus essbar. Es gibt
Paprikaschoten mit Hackfleischfüllung und einer gehörigen Portion
Ketchup drauf, dazu ein paar Gurken und Kimchi. Ganz lecker für meinen
Geschmack. Wahrscheinlich etwas weniger gesund als Mamas Küche und
definitiv mit höherem Fleischanteil, aber das ist mir mal wieder ganz
Recht.
Noch während wir essen, kommt Mama nach Hause und außerdem ihre
Cousine (glaube ich) und eine Frau, die schon einmal da war, um Mama
die Bedienung des PC zu erklären. Die vier Frauen unterhalten sich
ganz angeregt miteinander, und ich finde es wieder einmal
erschreckend, wie wenig ich verstehe, wenn sie im Originaltempo reden
und kein Rücksicht auf mich nehmen.
Immerhin verstehe ich die Cousine, als sie mich (extra langsam)
anspricht und mich fragt, wie ich das denn mit den Instant-Nudeln
gemacht hätte, ob ich die Gebrauchsanweisung verstanden hätte? Es ist
durchaus nicht das erste Mal, dass ich eine Instant-Nudelsuppe
zubereite, und so schwierig ist das ja nun auch nicht. Ob es sowas
denn auch in Deutschland gibt? Ja, gibt es.
Ich finde es schon immer wieder lustig, was für eine Vorstellung
manche Japaner anscheinend von Ausländern haben. Mindestens eine recht
naive. (Schrieb ich das neulich? Mama war ehrlich überrascht, dass ich
ohne Erklärung in der Lage war, die Kaffeemaschine zu bedienen.)
Immerhin bin ich noch nicht gefragt worden, ob wir in Deutschland auch
fließend Wasser haben und Fernsehen. Ich erinnere mich deutlich zurück
an meinen Schüleraustausch mit Amerika, damals, 1983. Da hat mir
irgendsoein 14-Jähriger Amerikaner diese Fragen gestellt und ich fand
das schon damals sehr naiv. Aber der war erst 14, während hier auch
Erwachsene manchmal komische Vorstellungen haben.
Dass mich keiner missversteht: Natürlich weiß ich die liebevolle
Fürsorge meiner Gastmutter zu schätzen. Aber wenn ich mir so überlege,
welche intellektuelle Kapazität erforderlich ist, um den in Japanisch
geschriebenen Zettel zu verstehen, auf dem sie mir erklärt, wie man
Instant-Nudelsuppe kocht – damit verglichen ist das Kochen der
Suppe ein Kinderspiel. Zumal es auf der Packung mit
unmissverständlichen Bildern illustriert ist.
Wenn ich hier auch in einer sehr freundlichen und interessierten
Familie gelandet bin – insgesamt glaube ich, dass Japan längst
nicht so weltoffen ist, wie die Japaner selbst denken mögen.
Englischsprachige Schilder an den Bahnhöfen machen es noch nicht. In
Wirklichkeit ist die japanische Gesellschaft doch sehr isoliert von
der Außenwelt. Ich habe sogar gelesen, dass sich dieser Trend noch
verstärkt. Dazu kann ich nur wärmstens ein Buch empfehlen, das ich
schon länger besitze, aber erst jetzt hier in Japan endlich ausgelesen
habe: Dogs and Demons von Alex Kerr. Jemand hat mich gefragt,
warum die Japaner eigentlich ihre Strände zubetonieren – auch
das steht da ausführlich und sehr schlüssig drin.
Ist Knut eigentlich in Deutschland noch in? Ich habe vorhin beim
Fernsehen fast eine Minute gebraucht, bis ich germerkt habe, dass
berurindoubutsuen der Berliner Zoo ist und was ich da gerade
sehe ;-).
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