Auch heute morgen regnet es, aber als ich aufbreche, nur noch ein
kleines bisschen, sodass ich wieder ohne Schirm losziehe. Heute
Nachmittag wird es sowieso wieder schön, sagt der Wetterbericht.
Womit ich gleich beim Inhalt des heutigen Sprachunterrichts wäre:
Eine Form, mit der man Informationen weitergibt, die man von jemand
anderem gehört hat, beispielsweise im Fernsehen, im Radio oder auch
aus der Zeitung. Vertrackterweise ist sie fast identisch mit der
gestern studierten, die ausdrückt, dass etwas aufgrund meiner
Sinneswahrnehmung den Anschein hat. oishisoudesu: der Kuchen
sieht lecker aus, oishiisoudesu: laut xy ist der Kuchen lecker.
Und dann gibts auch noch oishiiyoudesu: Der Kuchen ist wohl
lecker (wie ich nicht aus dem Anblick des Kuchens, sondern
beispielsweise aus der Tatsache schließe, dass viele Leute Schlange
stehen, um ihn zu kaufen). Auch diese in der Theorie verstandenen
Formen werden noch viel Übung erfordern, bis sie mir in der Praxis von
alleine korrekt über die Lippen kommen – wenn das denn je der
Fall ist.
Die Lehrerin peppt den Unterricht nach besten Kräften mit
praktischen Übungen auf (was ist wohl in dem Beutel drin? ), aber der Tag verläuft
sehr zäh ... den anderen fallen die Formen noch ein bisschen schwerer
als mir, der ich sie ja alle vor zwei Jahren schon einmal gelernt
habe. Ich bin gespannt auf meinen Einzelunterricht.
Zum Mittagessen treffe ich mich wieder mit Jonas; es ist ganz
angenehm, zwischendurch zur Entspannung mal etwas Deutsch zu sprechen.
Wir gehen rüber in das kleine Cafe und essen gyuudon, eine
Schüssel Reis mit etwas Rindfleisch, Zwiebeln und einem Ei . Die drei Frauen, die den
Laden betreiben, müssen immer ganz schön wirbeln, um in der
Mittagspause die ganzen hungrigen Mäuler aus der Schule zu
stopfen .
In meiner Privatstunde eröffnet mir Kawashima-sensei, dass er es
für gut hält, wenn wir die Grammatik wiederholen, die nächste Woche in
der Prüfung drankommen wird. Eigentlich hatten wir besprochen, dass
wir an Hand eines Buches, das er mir gestern gezeigt hat,
Dialogübungen machen, aber so ist es mir auch sehr recht. Er hat ein
Bilderbuch dabei, das Zeichnungen verschiedener Situationen zeigt, und
ich muss immer beschreiben, was auf dem Bild zu sehen muss. Und so
rasen wir in 45 Minuten durch 10 Kapitel Grammatik: Transitive und
intransitive Verben (der Kalender hängt da vs. jemand hat den Kalender
da hingehängt), ein Zustand wurde erreicht (endlich habe ich lesen
gelernt), und, und, und, bis hin zu den gefürchteten Kausativformen
(die Mutter lässt ihre Tochter beim Abwasch helfen). Ich muss sagen,
diese Stunde war sehr aufbauend für mein Selbstwertgefühl. Denn ich
habe so gut wie alles perfekt gekonnt. Nur zwei Kapitel fehlen noch:
keigo, die besonders höfliche, ehrerbietige Sprache. Wir
vereinbaren, dass ich die über die Feiertage studiere und wir sie dann
am Dienstag üben. Dann sollte ich wirklich komplett alles wissen, was
in Minna no Nihongo II steht, und die Prüfung kann kommen.
Da wir ab morgen fünf Tage frei haben, beschließe ich, den Abend in
der Campus-Bar zu verbringen und mit den Leuten ein paar Bierchen zu
trinken. Ich rufe Mama an, dass ich nicht zum Abendessen komme, und
lerne noch zwei Stunden lang Kanji, bevor ich den Abend dann
ausklingen lasse.
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