27.04., Hotspot unter Palmen

Nach dem feuchtfröhlichen Abend gestern schlafe ich heute erst einmal aus (es ist schulfrei). Gegen 10 ist niemand zu Hause, aber es steht Frühstück für mich bereit: Zwei Spiegeleier auf Schinken, die ich kurz in der Mikrowelle aufwärme, um sie dann mit einiger Mühe landestypisch mit Stäbchen zu essen. Und für Mittagessen ist auch gesorgt: Auf dem Tisch liegt ein Zettel Foto dazu, dass ich Somen essen kann, das sind Nudeln, so eine Art Spaghetti Foto dazu Foto dazu. Man isst sie übrigens kalt im Sommer (und anscheinend auch im Frühling). Mama hat eine sehr ordentliche Handschrift; ich kann ihre Zettel mühelos lesen (was übrigens auch immer wieder ein kleines Erfolgserlebnis ist).

Heute habe ich nichts Besonderes vor, aber irgendwie bin ich Internet-süchtig. Nicht zuletzt um meiner Leser willen beschließe ich, die Gegend ein bisschen zu erkunden und dabei Ausschau nach einem offenen WLAN zu halten. Als erstes habe ich mir auf der Karte einen grünen Fleck ausgesucht und radle dorthin. Der Plan ist, mich mit einem Buch irgendwo ins Grüne zu setzen. Die Grünfläche erweist sich aber als große Sportanlage, die irgendwie nicht so einladend ist, wie ich mir das vorgestellt hatte Foto dazu. Ich beobachte ein Weilchen das Treiben auf dem Platz Foto dazu und ziehe dann weiter.

Als nächstes steht das Einkaufszentrum auf dem Programm Foto dazu. Hier will ich in erster Linie einen Kaffee trinken und hoffe darauf, dass es vielleicht im Cafe einen Hotspot gibt. Aber leider Fehlanzeige, Kaffee ja, Internet nein. Trotzdem nutze ich die Kaffeepause, um das Tagebuch von gestern zu schreiben.

Ich beschließe, die Hotspot-Suche in der Nähe meiner Unterkunft fortzusetzen und schaue mal, wie es jenseits der Shinkansen-Gleise so aussieht. Überwiegend trostlos. Besonders auffällig ist ein kasernenhaftes Gelände mit abschreckend hässlichen Wohnsilos Foto dazu, daneben aber auch die typischen kleinen Einfamilienhäuschen und dazwischen Reisfelder; auf einem wird gerade der Reis gepflanzt Foto dazu. Irgendwie bilde ich mir immer wieder ein, ich würde einen Nymphensittich hören. Ich hatte nicht ernsthaft daran geglaubt, finde aber beim Umrunden der hiesigen Grundschule tatsächlich eine Voliere mit Nymphen- und Wellensittichen Foto dazu. Habe anscheinend doch ein gutes Ohr für diese Sorte Vögelchen ;-). Wie es Secundus wohl geht?

In der Nähe einer so großen Siedlung ist die Wahrscheinlichkeit vermutlich hoch, ein offenes WLAN zu finden. Nur mit einer Sitzgelegenheit ist es schwierig, zumal sie wenigstens halbwegs unauffällig sein sollte. Ein bequemer Stein unter Palmen Foto dazu mit Blick auf das Wohnsilo Foto dazu erfüllt seinen Zweck, und es gibt tatsächlich ein offenes Netz mit passablem Empfang :-). Unauffällig bin ich natürlich nicht, wenn ich da mit meinem Notebook so sitze, und ich ernte so manchen merkwürdigen Blick von den Passanten.

Viel mehr passiert heute nicht. Zu Hause vertiefe ich mich wieder in meine Japanisch-Bücher. Schließlich muss ich damit rechnen, nächste Woche eine Prüfung zu schreiben, um in eine höhere Klasse zu dürfen.

Abends bittet mich Nami-san auf einmal um Hilfe: Sie sitzt am PC und ist auf einer englischsprachigen Website unterwegs. Dass ich mal vom Englischen ins Japanische würde übersetzen müssen, hätte ich mir auch nicht träumen lassen. Sie ist dabei, die Anmeldeprozedur für irgendsoeinen Social-Networking-Dienst zu durchlaufen und hängt am Capcha fest. Dabei kann ich ihr helfen, kein Problem. Ein bisschen stolz bin ich schon, dass ich anscheinend besser Japanisch kann als sie Englisch. Immerhin kann ich ihr unter Zuhilfenahme von Händen und Füßen erklären, dass das Ding als nächstes fragt, ob es ihr Adressbuch importieren und all ihren Freunden eine Einladung schicken darf. Das will sie aber nicht, ebenso wenig die unglaublich penetranten Werbeangebote, von denen man mindestens zehn wegklicken muss, bis man endlich an diesem Dienst angemeldet ist.

Und jetzt? Ob es in Ordnung ist, wenn man das Fenster jetzt zumacht? Äh, ja natürlich, aber wozu haben wir das denn eigentlich alles gemacht? Das weiß sie auch nicht so recht. Sie hat von einer Freundin eine Mail mit einer Einladung bekommen, und da hat sie halt draufgeklickt. Und dann hat sie brav alles ausgefüllt ohne zu wissen, wofür eigentlich, dem Dienst sogar ihre Mailadresse und das zugehörige Zugangspasswort anvertraut, damit er ihr Adressbuch auslesen kann. So sorglos gehen normale Menschen mit dem Computer um.

Mama arbeitet übrigens nebenbei für eine Versicherung. Das Büro mit dem Computer grenzt an mein Zimmer an, daher höre ich sie abends gelegentlich mit Kunden telefonieren. Sie hat anscheinend Termine, zu denen sie bestimmte Leute anruft, und ihre Sprache ist am Telefon total verändert: Wenn ich es recht mitkriege alles in der super höflichen Stufe, die man eben Kunden gegenüber verwendet und die ich nur ansatzweise beherrsche. Zum Thema sorgloser Umgang mit dem Computer jedenfalls: Anscheinend hat sie übers Web Zugang zur internen Mail ihrer Firma und zu Kundendaten. Damit sie das Passwort nicht vergisst, hat sie es sich (oder jemand es ihr) gleich mit als Titel des Bookmarks notiert, und um ganz sicher zu gehen, klebt es auch noch als Klebezettel am Bildschirm. So gehen normale Leute mit dem Computer um. (Ich habe übrigens heimlich die Grafikkarte mal auf die Auflösung des Displays eingestellt, sodass das Bild jetzt gestochen scharf statt vermatscht ist. Ich weiß nicht, ob das jemand in der Familie bemerkt hat oder zu schätzen weiß, gesagt hat jedenfalls keiner was.)

 

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©2007 by Harald Bögeholz