Nach dem feuchtfröhlichen Abend gestern schlafe ich heute erst
einmal aus (es ist schulfrei). Gegen 10 ist niemand zu Hause, aber es
steht Frühstück für mich bereit: Zwei Spiegeleier auf Schinken, die
ich kurz in der Mikrowelle aufwärme, um sie dann mit einiger Mühe
landestypisch mit Stäbchen zu essen. Und für Mittagessen ist auch
gesorgt: Auf dem Tisch liegt ein Zettel , dass ich Somen essen
kann, das sind Nudeln, so eine Art Spaghetti . Man isst sie übrigens
kalt im Sommer (und anscheinend auch im Frühling). Mama hat eine sehr
ordentliche Handschrift; ich kann ihre Zettel mühelos lesen (was
übrigens auch immer wieder ein kleines Erfolgserlebnis ist).
Heute habe ich nichts Besonderes vor, aber irgendwie bin ich
Internet-süchtig. Nicht zuletzt um meiner Leser willen beschließe ich,
die Gegend ein bisschen zu erkunden und dabei Ausschau nach einem
offenen WLAN zu halten. Als erstes habe ich mir auf der Karte einen
grünen Fleck ausgesucht und radle dorthin. Der Plan ist, mich mit
einem Buch irgendwo ins Grüne zu setzen. Die Grünfläche erweist sich
aber als große Sportanlage, die irgendwie nicht so einladend ist, wie
ich mir das vorgestellt hatte . Ich beobachte ein
Weilchen das Treiben auf dem Platz und ziehe dann weiter.
Als nächstes steht das Einkaufszentrum auf dem Programm . Hier will ich in erster
Linie einen Kaffee trinken und hoffe darauf, dass es vielleicht im
Cafe einen Hotspot gibt. Aber leider Fehlanzeige, Kaffee ja, Internet
nein. Trotzdem nutze ich die Kaffeepause, um das Tagebuch von gestern
zu schreiben.
Ich beschließe, die Hotspot-Suche in der Nähe meiner Unterkunft
fortzusetzen und schaue mal, wie es jenseits der Shinkansen-Gleise so
aussieht. Überwiegend trostlos. Besonders auffällig ist ein
kasernenhaftes Gelände mit abschreckend hässlichen Wohnsilos , daneben aber auch die
typischen kleinen Einfamilienhäuschen und dazwischen Reisfelder; auf
einem wird gerade der Reis gepflanzt . Irgendwie bilde ich mir
immer wieder ein, ich würde einen Nymphensittich hören. Ich hatte
nicht ernsthaft daran geglaubt, finde aber beim Umrunden der hiesigen
Grundschule tatsächlich eine Voliere mit Nymphen- und
Wellensittichen . Habe anscheinend doch ein
gutes Ohr für diese Sorte Vögelchen ;-). Wie es Secundus wohl geht?
In der Nähe einer so großen Siedlung ist die Wahrscheinlichkeit
vermutlich hoch, ein offenes WLAN zu finden. Nur mit einer
Sitzgelegenheit ist es schwierig, zumal sie wenigstens halbwegs
unauffällig sein sollte. Ein bequemer Stein unter Palmen mit Blick auf das
Wohnsilo erfüllt seinen Zweck, und
es gibt tatsächlich ein offenes Netz mit passablem Empfang :-).
Unauffällig bin ich natürlich nicht, wenn ich da mit meinem Notebook
so sitze, und ich ernte so manchen merkwürdigen Blick von den
Passanten.
Viel mehr passiert heute nicht. Zu Hause vertiefe ich mich wieder
in meine Japanisch-Bücher. Schließlich muss ich damit rechnen, nächste
Woche eine Prüfung zu schreiben, um in eine höhere Klasse zu
dürfen.
Abends bittet mich Nami-san auf einmal um Hilfe: Sie sitzt am PC
und ist auf einer englischsprachigen Website unterwegs. Dass ich mal
vom Englischen ins Japanische würde übersetzen müssen, hätte ich mir
auch nicht träumen lassen. Sie ist dabei, die Anmeldeprozedur für
irgendsoeinen Social-Networking-Dienst zu durchlaufen und hängt am
Capcha fest. Dabei kann ich ihr helfen, kein Problem. Ein bisschen
stolz bin ich schon, dass ich anscheinend besser Japanisch kann als
sie Englisch. Immerhin kann ich ihr unter Zuhilfenahme von Händen und
Füßen erklären, dass das Ding als nächstes fragt, ob es ihr Adressbuch
importieren und all ihren Freunden eine Einladung schicken darf. Das
will sie aber nicht, ebenso wenig die unglaublich penetranten
Werbeangebote, von denen man mindestens zehn wegklicken muss, bis man
endlich an diesem Dienst angemeldet ist.
Und jetzt? Ob es in Ordnung ist, wenn man das Fenster jetzt
zumacht? Äh, ja natürlich, aber wozu haben wir das denn eigentlich
alles gemacht? Das weiß sie auch nicht so recht. Sie hat von einer
Freundin eine Mail mit einer Einladung bekommen, und da hat sie halt
draufgeklickt. Und dann hat sie brav alles ausgefüllt ohne zu wissen,
wofür eigentlich, dem Dienst sogar ihre Mailadresse und das zugehörige
Zugangspasswort anvertraut, damit er ihr Adressbuch auslesen kann. So
sorglos gehen normale Menschen mit dem Computer um.
Mama arbeitet übrigens nebenbei für eine Versicherung. Das Büro mit
dem Computer grenzt an mein Zimmer an, daher höre ich sie abends
gelegentlich mit Kunden telefonieren. Sie hat anscheinend Termine, zu
denen sie bestimmte Leute anruft, und ihre Sprache ist am Telefon
total verändert: Wenn ich es recht mitkriege alles in der super
höflichen Stufe, die man eben Kunden gegenüber verwendet und die ich
nur ansatzweise beherrsche. Zum Thema sorgloser Umgang mit dem
Computer jedenfalls: Anscheinend hat sie übers Web Zugang zur internen
Mail ihrer Firma und zu Kundendaten. Damit sie das Passwort nicht
vergisst, hat sie es sich (oder jemand es ihr) gleich mit als Titel
des Bookmarks notiert, und um ganz sicher zu gehen, klebt es auch noch
als Klebezettel am Bildschirm. So gehen normale Leute mit dem Computer
um. (Ich habe übrigens heimlich die Grafikkarte mal auf die Auflösung
des Displays eingestellt, sodass das Bild jetzt gestochen scharf statt
vermatscht ist. Ich weiß nicht, ob das jemand in der Familie bemerkt
hat oder zu schätzen weiß, gesagt hat jedenfalls keiner was.)
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