19.04., Frust beim Einstufungstest und eine nette Familie

Heute wache ich erst um 5.30 Uhr auf, schon besser. Bilder ins Web stellen, ein bisschen chatten und dann wieder zu Denny's zum Frühstück. Ich weiß gar nicht, warum ich so nervös bin vor dem Einstufungstest, aber ich verbringe nach dem Frühstück noch eine Dreiviertelstunde damit, das Buch durchzugehen.

Es ist schon lustig, die leicht bestürzten Gesichter der anderen Neuankömmlinge zu sehen, als der Schuldirektor seine Begrüßungsansprache in Japanisch hält und einige Lehrer sich vorstellen und den Tagesablauf erklären, alles nur auf Japanisch. Vor drei Jahren habe ich hier fast nur Bahnhof verstanden, jetzt komme ich gut mit.

Der schriftliche Test läuft ganz gut, glaube ich. Aber mündlich ist es eine Katastrophe. Obwohl ich genau weiß, wie das läuft und welche Satzstrukturen von mir erwartet werden, habe ich einen Blackout nach dem anderen und kriege so gut wie keinen Satz fehlerfrei auf die Reihe. Ich glaube, ich setze mich selber zu sehr unter Druck und bin wahnsinnig nervös. Am Ende meint die Lehrerin, es wäre wohl gut, wenn ich Band 2 wiederholen würde. Sie merke zwar, dass ich vieles verstanden habe, aber ich könnte wohl noch etwas Übung gebrauchen. Ich glaube jedenfalls, dass sie das gesagt hat. Eigentlich will ich ihr widersprechen, aber ich fürchte, nach der Vorstellung eben sind ihre Argumente nicht von der Hand zu weisen. Na mal sehen, in welche Klasse sie mich stecken werden.

Der Supermarkt, in dem ich mir in den letzten Jahren immer was zum Mittagessen gekauft habe, ist ja nun leider nicht mehr. Aber ich kriege schnell raus, wie das mit der Verpflegung läuft: Das kleine Kaffeehaus vor der Schule verkauft Bento-Boxen, preiswert und ok, einmal satt für 400 Yen. Ich lebe deutlich billiger hier als zu Hause :-).

Die Einführungsveranstaltung am Nachmittag gibt wie immer Declan, aber diesmal hat er eine fette Erkältung und gehört eigentlich ins Bett, weswegen sein Unterhaltungswert diesmal nicht ganz so groß war. Ich hörs mir trotzdem nochmal an, und auf der Führung sehe ich, dass sich doch ein bisschen was verändert hat. Sie haben den Computerraum verlegt und noch ein paar neue Klassenzimmer gebaut, da wo früher der große freie Raum mit der Tischtennisplatte war.

Verabredungsgemäß kreuze ich pünktlich um 15.30 Uhr beim Studentenbüro auf und werde gleich freudig empfangen, die Familie ist gerade gekommen. Ich begrüße Nami-san und ihren Bruder Kyoutaro-san, wir fahren schnell ins Studentenwohnheim und holen mein Gepäck, und schon gehts in Richtung neues Zuhause. Die Unterhaltung klappt ganz gut; ich bin erleichtert, dass mein Japanisch wenigstens im Alltag leidlich funktioniert, wenn es schon in der Prüfung versagt hat. Das baut mich wieder etwas auf, schließlich ist der Alltag wichtiger. Wir fahren eine ganze Weile, sodass ich doch das Gefühl habe, mit dem Fahrrad wird es ganz schön lange dauern. Nami-san meint, es sei viel zu weit, so weit könne man nicht mit dem Fahrrad fahren. Na ja, auch das werden wir sehen.

Zu Hause werde ich herzlich empfangen von Okano Noriko-san, wobei sie mir ihren Namen gar nicht sagt, sondern sich als mama vorstellt. Später frage ich noch einmal nach, wie ich sie nennen soll, und sie bekräftigt, dass mama ok sei, einfach nur mama. (Wenn ich es recht weiß, sagen Kleinkinder in Japan mama zu ihrer Mama, bevor sie dann irgendwann auf okaasan umschulen, um dann noch später okaasan zu anderer Leute Mütter zu sagen und über ihre eigene Mutter anderen gegenüber als haha zu sprechen.) Zu ihrer Tochter solle ich aber nicht Nami-chan sagen (darauf wär ich im Traum nicht gekommen, das ist eine Verniedlichungsform für kleine Mädchen beziehungsweise eine Anrede, die unter bestimmten, von mir noch nicht vollständig durchschauten Bedingungen auch unter engen Freunden und sogar unter Männern verwendet wird – wobei ich Letzteres nicht beschwören will, vielleicht wollte Hiko mich auch nur verarschen), sondern Nami-san oder nur Nami. Wäre das schon mal geklärt.

Der Empfang ist wirklich ausgesprochen herzlich. Mama stellt mir ein paar Fragen über Deutschland und erklärt mir sogleich, wie das mit dem Essen läuft: Montags bis Freitags macht sie mir Frühstück und Abendessen, und am Wochenende soll ich für mich selber sorgen (das sind die offiziellen Regeln der Schule). Wobei sie sogleich ausführt, dass sie damit meint, dass ich mich an ihrem Kühlschrank nach Belieben bedienen soll und alles essen und trinken darf, was ich darin finde. Zuerst bin ich nicht ganz sicher, ob ich das richtig verstanden habe, aber sie wiederholt später mehrmals, dass ich dies und das gerne jederzeit essen oder trinken darf. Ich solle mich wie zu Hause fühlen, Ihr Haus sein mein Haus, Nami-san meine Schwester. Als sie es so oft und so deutlich gesagt hat, lasse ich das Misstrauen gegenüber meinen Japanischkenntnissen fallen und glaube, dass ich es (von Anfang an) richtig verstanden habe. Was für ein Unterschied zu der zwar überhaupt nicht unfreundlichen, aber doch eher reservierten Familie vom vorletzten Jahr!

Ich könne jederzeit duschen und das Bad benutzen, die Wäsche solle ich einfach in die Waschmaschine werfen und sie würde sie für mich mit waschen. Duschhandtücher liegen dort, nach Gebrauch auch einfach in die Waschmaschine. Als nächstes kriege ich sogleich einen Haussschlüssel und wichtige Informationen: Die Handynummern der beiden und die Festnetznummer. Außerdem einen vorbereiteten Zettel in einer Plastikhülle für den Fall, dass ich mal von der Polizei angehalten werde Foto dazu. Klein Harald hat sich verlaufen, bitte liefern Sie ihn da und dort ab? Nicht ganz, aber so ähnlich: Dieses Fahrrad gehört Okano Nami, aber ich habe es im Moment an Harald verliehen, der bei uns einen Homestay macht. Adresse, gezeichnet Okano Nami. Ich lese laut vor und ernte dafür bewunderndes Lob, wie toll ich doch Japanisch kann. Und daraus folgt wohl, dass sie mir ihr Fahrrad zu leihen gedenkt, und ich habe sogar einen Fahrzeugschein dazu :-).

Als nächstes kriege ich ein Heftchen mit dem Bahnfahrplan, in das liebevoll Lesezeichen für Hin- und Rückfahrt werktags und am Wochenende eingeklebt sind, beschriftet in Japanisch und Englisch. Und die Abfahrts- und Ankunftszeiten in Mikawa-Anjo und Okazaki sind mit einem Textmarker markiert. Da muss klein Harald also nur noch lernen, welches das richtige Gleis ist, dann sollte nichts mehr schiefgehen können.

Ich frage, ob ich Fotos von ihnen und ihrem Haus machen darf und erkläre diesmal sogar ausführlich, dass ich täglich Tagebuch schreibe und die Fotos auch auf meine Webseite stellen möchte. Sie haben überhaupt kein Problem damit. Um sicherzugehen, frage ich, ob sie einen Internetanschluss haben (haben sie), und wir gehen hoch an den PC, wo ich ihnen mein Tagebuch und Fotos von der letzten Gastfamilie und den anderen Reisen zeige. Gut, Fotografieren ist also uneingeschränkt erlaubt, dann fang ich mal in meinem Zimmer an Foto dazu. Ich habe sogar einen Fernseher im Zimmer, das wird gut für die Bildung sein. Im Nachbarzimmer steht der PC, den ich jederzeit gerne benutzen darf Foto dazu – super, denn ich habe ja mein Vokabellernen inzwischen komplett auf meine Website umgestellt und kann offline gar nicht mehr so wirklich gut arbeiten. Das Thema, ob ich mein Notebook hier ans Internet anschließen kann, hebe ich mir mal noch auf; nach all den ohnehin schon freimütig angebotenen Nettigkeiten will ich nicht noch mehr fordern. Und der PC der Gastgeber hat den Vorteil, dass ich damit nicht an meine E-Mail rankomme und auch nicht an das VPN in die Firma, das bedeutet weniger Ablenkung.

So geht der Tag zuende mit einem leckeren Abendessen, bei dem meine Gastgeber eifrig Konversation mit mir machen. Ein bisschen schwierig ist es zwar dann und wann, aber für den ersten Tag kann ich doch sehr zufrieden sein. Wir müssen so gut wie nie auf Englisch ausweichen, die Tochter kann auch wohl nur ein paar Brocken, die Mutter gar nichts. Es gibt Reis mit Lachsstückchen, Gurken, einen Salat aus Karotten und Werweißwas, Tofu mit fischig schmeckenden Flocken und Sojasoße und eine Suppe mit fu, was laut meinem Wörterbuch irgendwie aus Weizen gemacht wird und von Aussehen, Form und Konsistenz her am treffendsten als kleine grüne Marshmallows zu beschreiben ist Foto dazu.

 

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©2007 by Harald Bögeholz