Heute habe ich um 14 Uhr einen Termin mit Yoshida san vom
Nihon-kiin, um weitere Gobans zu besichtigen. Irgendwie ist mir so als
wäre das nur ein halbes Stündchen weg, also trödle ich
rum bis 13.30 Uhr, um dann festzustellen, dass man da bei weitem so
schnell nicht hinkommt. Die fünf Minuten zum Bahnhof sind
inklusive Fahrkartenkauf doch eher eine Viertelstunde, dann nach
Gotanda, umsteigen in die Yamanote bis Meguro, dort orientieren, eine
neue Fahrkarte kaufen und mit der Nanboku-Linie bis Ishigaya, uff, es
ist 14.25, als ich dort ankomme.
Ich gehe zielsicher zum Ausgang der Station schaue mich kurz um,
laufe ebenso zielsicher die Straße entlang ... und gerate nach
einigen Minuten ins Zweifeln. Nein, irgendwie passt hier gar nichts zu
dem, was ich in Erinnerung habe, da wird doch nicht ...? Ich kehre um
und allmählich wird mir klar, dass sich der Stadtplan in meinem
Kopf um 180 Grad gedreht haben muss, als ich unter der Erde war. Ich
bin auf der falschen Seite des Flusses und exakt an dem Ausgang
herausgekommen, der von meinem Ziel am weitesten entfernt ist. Na ja,
jetzt hab ichs wieder und hetze zum Nihon-kiin, wo ich
schweißgebadet ankomme. Langsamer laufen und noch fünf
Minuten später kommen wäre wahrscheinlich besser
gewesen.
Ich werde schon erwartet, und zwar von der freundlichen
Mitarbeiterin, die gut Englisch kann (ich hätte es wirklich auch
auf Japanisch versucht, aber man lässt mich nicht). Ich
entschuldige mich vielmals, und dann geht es auch schon los: Wir gehen
mit Yoshida san, ihr und einer anderen Frau, die anscheinend die
Chefin ist, ins Erdgeschoss, wo man mir in einem der
Unterrichtsräume drei Gobans aufbaut . Das ganz rechte dient
wohl nur der Abschreckung, nein, das ist mir nicht gut genug. Das
mittlere, ach nein ... aber das linke, ja, das gefällt mir auch
sehr gut. Ich versuche mich vor meinem geistigen Auge an meinen
bisherigen Favoriten aus dem Laden in Shinjuku
zu erinnern. Der war vielleicht noch einen Tick schöner gemasert,
aber dünner. Welchen soll man nun nehmen, ach ist das schwierig!
Dieser hier hat auf der Spielfläche mehr Unruhe in der Maserung,
aber so wirklich aufdringlich ist es nicht. Niemand hetzt mich, aber
die Entscheidung reift: Doch, ja, ich kaufe diesen hier.
Im zweiten Stock schaue ich mir noch Steine an und hadere mir mir,
ob ich die nicht doch in dem anderen Laden kaufen soll... aber nein,
was solls, diese hier sind auch sehr scön, ich kaufe hier jetzt
einfach alles (auch Dosen).
Wie schicken wir das Goban nun nach Deutschland? Luftpost
würde 40.000 Yen kosten, das finde ich aber mächtig teuer.
Geht es nicht auch billiger? Dieser Teil der Verhandlungen findet
lustigerweise überwiegend auf Japanisch statt, obwohl die
Englisch sprechende Kollegin anwesend ist. Nach einer Weile Palaver
(die Chefin verschwindet in ihrem Büro, telefoniert und kommt
wieder) sind es auf einmal nur noch 25.000 Yen Versandkosten, obwohl
ich nicht verstehe, warum. Der Ladenbesitzer in Komagome hat gesagt,
es würde 13.500 Yen kosten, plus 850 für Versicherung. Daher
insistiere ich und frage, ob man das nicht doch mit gewöhnlicher
Post schicken kann.
Aber irgendwie ist funabin (Post auf dem Seeweg) den
Japanern ungemein suspekt. Natürlich würde das Goban auf dem
Schiff gut transportiert, aber was damit passiere, wenn es vom Schiff
runterkommt, das könne man mir überhaupt nicht garantieren.
Auf dem Schiff geht es dem Goban ja gut, aber dann wird es vielleicht
herumgeschubst oder gar geworfen. Erst neulich hätte es
Beschwerden gegeben, als etwas nach Südamerika geliefert worden
sei. Ob ich denn wisse wo von mir aus der nächste Hafen sei? Also
die Frage trifft mich jetzt völlig unvorbereitet, und
natürlich habe ich nicht vor, am Hafen zu stehen und meinem Goban
beim Einlaufen zuzusehen. Meine Versuche, dem Verkaufspersonal zu
erklären, dass Deutschland ein vergleichsweise zivilisiertes Land
ist und die Beförderung innerhalb des Landes wahrscheinlich
weniger ein Problem, laufen irgendwie ins Leere. Aber was kostet es
denn nun? Ach ach, und dann ist da ja noch nicht einmal die
Versicherung enthalten ... Aber was kostet es denn mit Versicherung?
Jedes Mal verschwindet die Chefin wieder minutenlang hinter den
Kulissen; gut, dass ich im Urlaub bin und den ganzen Nachmittag Zeit
habe.
Sie wollen das Goban irgendwie nicht einem unzuverlässigen
Schiff anvertrauen, das ehrt sie ja. Aber ich will auch keine 40.000
Yen bezahlen. Hmm. Nach langen Verhandlungen fällt der Chefin
ein, dass sie mir vielleicht doch etwas entgegenkommen kann. Wir
vereinbaren also 10.000 Yen Versandkosten, und sie versichert mir,
dass das Goban per Luftpost sicher bei mir ankommen wird. Ich bin
gespannt.
Nachdem diese Dinge geklärt sind, geht es ans Bezahlen. Schon
seit meinem ersten Besuch war klar, dass das Bezahlen per Kreditkarte
ein sehr seltener Ausnahmefall sein würde, keiner kennt sich
damit aus. Die Chefin schreibt die Nummer meiner Kreditkarte auf einen
Zettel, aber nur, weil ich helfe, sind auch wirklich alle Ziffern
korrekt. Sie verschwindet im Büro, um ganz aufgeregt
wiederzukommen; anscheinend braucht sie noch das
Gültigkeitsdatum. Das ist natürlich besonders schwierig. Auf
meiner Karte steht 06/04-05/07; sie ist völlig planlos. Also in
Japan haben wir das 18. Jahr des Kaisers, das kann es nicht sein ...
hmm, es stehen die Ziffern 4, 5, 6, und 7 zur Auswahl, aber ist der
Monat vorne oder das Jahr? Endlich kann ich wieder mal kurz mit meinem
Japanisch auftrumpfen und sagen, dass meine Karte bis Mai 2007
gültig ist. Sie verschwindet wieder, kommt noch einmal wieder und
will die Sicherheitszahl wissen. Auch die soll sie haben, ich will
wirklich bezahlen.
Sie meint, es könne jetzt ein Weilchen dauern, also gehe ich
mal einer Partie im Spielsaal zuschauen. Nach einigen Minuten werde
ich plötzlich ans Telefon gerufen. Ein Englisch sprechender Herr
von einer japanischen Kreditkartenfirma erklärt mir, dass die
Transaktion leider von meiner Bank abgelehnt wurde. Ob ich vielleicht
mal meine Bank anrufen könne? Nein, mir wäre es lieber, wenn
er dort anrufen könnte. Ich bin mir sicher, dass meine
Kreditkarte den Betrag hergibt (habe extra vor der Abreise mit meiner
Bank korrespondiert und das Kreditlimit hinreichend erhöhen
lassen), also sollen die Banken das untereinander abmachen. Ok, aber
das kann bis zu 30 Minuten dauern ... egal, ich habe Zeit. Nach 10
Minuten werde ich wieder ans Telefon gerufen, ja, man habe meine Bank
erreicht, aber jetzt müsse ich doch noch meine Adresse angeben.
Kein Problem. Irgendeine Ausweisnummer hätte er auch gern, also
gebe ich ihm meine Personalausweisnummer. Jetzt könne es
höchstens noch eine halbe Stunde dauern, na ich bin gespannt.
Irgendwann kommt dann doch der Anruf, dass alles in Ordnung ist.
Yoshida san bittet seine Kollegein, die Englisch sprechende
Berufsanfängerin, eine Art Lieferschein für das Goban
auszufüllen. Kaya goban soll sie schreiben, aber sie fragt ihn
ratlos, wie man Kaya schreibt. Tja, das ist halt ein Kanji, das nicht
zu den 1945 gehört, die an den Schulen gelehrt werden. Er
schreibt es für sie auf einen Zettel, damit sie es abschreiben
kann: 榧. Das gleiche passiert später noch einmal bei Goke
(Go-Dosen), da kennt sie das ke nicht (笥). Irgendwie hat es
etwas Beruhigendes, dass anscheinend auch die Japaner ihre Schrift
nicht vollständig beherrschen. Auf einer anderen Quittung, die
ich später noch bekomme, war ihr das anscheinend zu blöd und
sie hat mit Katakana keesu (von englisch case) geschrieben
;-).
Nachdem alles erledigt ist, überlege ich, ob ich eine Partie
spiele, aber nein, irgendwie bin ich zu faul. Ich lasse stattdessen
die Atmosphäre des Spielraums auf mich wirken , schaue noch ein
Viertelstündchen zu und mache mich dann auf den Weg. Die Sonne
beginnt schon wieder unterzugehen; noch schnell ein Foto von dem
dieses Jahr nicht durch ein Baugerüst verhüllten
Gebäude .
Ich fahre kurz noch rüber nach Shinjuku und schlendere ein
bisschen durch Isetan, ein weiteres großes Kaufhaus. Aber so
richtig Spaß macht das nicht mit dem schweren Rucksack (ich habe
ja die Steine und Dosen im Gepäck), daher knipse ich nur noch
schnell ein paar Fotos und fahre dann nach
Hause .
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