Nach Japan zu fliegen ist inzwischen fast Routine; immerhin ist es
schon meine vierte Japanreise. Aber trotzdem bin ich am Abreisetag
etwas aufgeregt. Diesmal habe ich den "Abendflug" gebucht: 19.50 ab
Hannover, 23.25 ab Paris CDG, Dienstag 18.00 an in Tokyo. Bisher war
ich immer morgens in Tokyo angekommen, total kaputt aber noch einen
ganzen Tag vor mir. Diesmal probiere ich mal, wie es ist, nachts
loszufliegen.
Und ich muss sagen, es gefällt mir besser so. Die Sitze in der
Economy Class kommen mir zwar noch enger vor als sonst, aber nach
einem Abendessen und ein paar Bierchen gelingt es mir, mit kurzen
Unterbrechungen bis fast zwei Stunden vor Ankunft zu schlafen. Dann
serviert Air France ein Frühstück, und schon bin ich in
Narita.
So habe ich vom Flug zum Glück nicht viel mitgekriegt. Der
Service war diesmal wirklich nicht dolle, die Flugbegleiter nicht
direkt unfreundlich, aber irgendwie angenervt und nicht wirklich
bemüht. Mit Ausnahme der Japanerbetreuung. Das ist wirklich ein
Unterschied wie Tag und Nacht: Geschätzt so ca. die Hälfte
der Flugbegleiterinnen kann Japanisch und widmet sich vorrangig und
mit großer Aufmerksamkeit und Höflichkeit den japanischen
Fluggäesten. Mit all den Höflichkeitsfloskeln, die man da so
kennt, und mit viel Geduld. Tja, Japaner erwarten und bekommen halt
einen höheren Standard, was die Kundenfreundlichkeit
betrifft.
Es ist schon nett, zum dritten Mal in Narita anzukommen. Statt vom
englischen "Welcome to Japan" fühle ich mich inzwischen schon
fast vom japanischen okaerinasai (sinngemäß
Willkommen daheim) angesprochen. Die beiden Schilder hängen im
Eingangskorridor übereinander. Die Zollkontrolle ist diesmal eine
Zitterpartie – ich habe zwar nichts zu verzollen, aber ein Kilo
Kartoffeln im Gepäck, und die Einfuhr von Lebensmitteln ist
meines Wissens verboten. Es musste aber sein, Hiko hat sich als
Mitbringsel aus Deutschland ausgerechnet Kartoffeln gewünscht. Er
meinte, die Kartoffeln, die man in Japan kriegt, können denen aus
Deutschland nicht das Wasser reichen ... na wenn er meint. Zum
Glück muss ich diesmal meine Tasche nicht öffnen; letztes
Jahr wurde sie durchsucht.
Ich weiß schon, wo die Geldautomaten stehen, und erinnere
mich sogar, welcher davon meine EC-Karte akzeptiert, sodass auch die
Bargeldbeschaffung reibungslos klappt. Ich habe vor der Abreise
nachgeschaut: Der Euro steht günstig und ist jetzt 149 Yen wert
– letztes Jahr waren es glaube ich nur 133.
Pamela hat mir aufgeschrieben, mit welchen U-Bahnen ich zu ihr
komme und wo ich umsteigen muss, sodass alles eigentlich kein Problem
sein sollte. Als ich gerade so in der U-Bahn-Station den
Streckennetzplan studiere und magome so gar nicht finden kann,
bin ich aber doch dankbar, dass mich eine Japanerin anspricht, ob sie
mir helfen kann. "Ich möchte nach Magome, aber ich kann es nicht
finden ..." Sie zeigt es mir, es kostet 1200 Yen. Ich stecke einen
10.000er in den Automaten, und er bietet mir allerlei Fahrkarten an
– bis zu einem Maximalpreis von 1190 Yen. Das habe ich noch
nicht erlebt und bin ratlos. Doch gut, dass ich eine Helferin habe:
Sie drückt virtuos einen mit lauter Kanji beschrifteten Knopf,
den ich micht nicht getraut hätte anzufassen (könnte ja der
Schleudersitz sein), noch ein paar Tasten und schon werden auch 1200
Yen angeboten. Und ich dachte, ich hätte kapiert, wie man sich in
der Tokyoter U-Bahn bewegt!
Sie sagt, sie müsse in die gleiche Richtung und hetzt mich in
den nächsten Zug, der gleich abfährt. Gut so, denn das ist
ein Expresszug; ich hätte wahrscheinlich wieder einen Bummelzug
erwischt. Ich glaube zwar, ich bin kurz davor, das Geheimnis zu
entschlüsseln, wie man die schnellen von den langsamen Zügen
unterscheidet, aber noch ist es mir nicht wirklich gelungen. Es ist
alles irgendwie farbcodiert, aber die entscheidende Information steckt
wahrscheinlich doch in den Kanji. Hinzu kommt, dass ich, obwohl ich im
Flugzeug geschlafen habe, doch ziemlich gerädert bin – das
bleibt halt nach einem 12-stündigen Flug nicht aus.
Kaum sitzen wir, holt sie ihr Handy raus und tippt darauf rum. Nach
einer Weile beginnt sie etwas auf einen Zettel zu schreiben, und als
ich verstohlen schaue, sehe ich, dass sie in ordentlichen lateinischen
Buchstaben für mich aufschreibt, wo ich umsteigen muss und wann
die Züge fahren. Hat sie doch tatsächlich via Internet die
Zugverbindung für mich rausgesucht, wie nett! Die Hilfe war sehr
wertvoll, denn hätte ich in dem Zug, in dem ich jetzt sitze, auf
die Umsteigestation gewartet, die mir Pamela aufgeschrieben hat, dann
hätte ich verloren – dort hält der Express nicht. So
komme ich dank der perfekten Vorbereitung gegen kurz nach halb neun in
magome an.
Raus aus der Station – und ratlos. Ich stehe vor einem
Stadtplan und halte den Lageplan von Pamelas Wohnung in der Hand, den
sie mir ausgedruckt hat. Die beiden Pläne lassen sich nach meinem
Augenmaß auf beide Arten zur Deckung bringen: Wenn ich Pamelas
Plan mit Norden nach oben halte, passt er ebensogut zu dem, was ich da
auf der Tafel sehe, wie umgekehrt. Muss ich also nun nach rechts oder
nach links loseiern? Ich frage einen herumstehenden Teenager und
erlebe live, was ich als Klischee schon mal irgendwo gelesen hatte:
Japaner können überhaupt keine Karten lesen. Na gut, ich
lese mir Pamelas Mail noch einmal genau durch, und da stehts: Wenn Du
aus dem Bahnhof rauskomsst, nach rechts. Hätte mir also sparen
können, den Japaner zu fragen, war aber lustig.
Pamelas Wohnung ist für japanische Verhältnisse riesig:
45 m2 und drei Zimmer, so leben auch schon mal
vierköpfige Familien. Ich habe ein Gästezimmer ganz für
mich alleine und kriege einen
Wohnungsschlüssel, sodass ich kommen und gehen kann, wenn ich
mag. Sehr viel Zeit zum Unterhalten ist nicht mehr, da Pamela nicht so
spät ins Bett geht. Aber als letzte Amtshandlung verrät sie
mir freundlicherweise noch die Zugangsdaten ihres Internet-Providers.
Flugs den extra für diesen Zweck mitgebrachten WLAN-Router
konfiguriert und an ihr DSL-Modem gesteckt, schon habe ich einen
Internet-Zugang in meinem Gästezimmer. Pamela hat bisher keinen
Router; sie betreibt nur einen einzigen Rechner direkt am DSL-Modem.
Jetzt müssen wir nur noch hinkriegen, dass ihr Rechner auch noch
an meinem Router läuft; schließlich will ich ihren
Internet-Zugang nicht komplett kapern :-).
Am nächsten Morgen wache ich gegen 8 auf, sodass ich mich noch
von Pamela verabschieden kann. Als sie weg ist, lege ich mich kurz
hin, aber der Hunger treibt mich aus dem Bett zum Kombini, wo ich mir
ein paar Sandwiches und eine Dose kalten schwarzen Kaffee kaufe.
Nützt aber nichts, ich bin hundemüde und lege mich wieder
hin; erst gegen 12 kann ich mich aufraffen, endgültig
aufzustehen. Immer dasselbe mit der Zeitumstellung, obwohl ... diesmal
ist es doch anders. Die letzten Male bin ich immer nachts um 4
aufgewacht und konnte nicht mehr schlafen. Diesmal kann ich schlafen,
schlafen, schlafen ...
Jetzt erstmal die Computerprobleme lösen. Computerprobleme?
Ja, ich habe sie mir extra bis hier aufgehoben, um die
Nicht-Computerleute nicht abzuschrecken. Als ich im Flugzeugt mein
Notebook eingeschaltet habe, ist es nicht vernünftig aus dem
Ruhezustand aufgewacht, sondern abgeschmiert. Nach einem Neustart
blieb es mit einer sehr garstigen Fehlermeldung stehen, ich glaube
ntfs.sys oder irgendsowas Zentrales fehle und ich solle doch eine
Reparaturinstallation machen. Na prima, meine Windows-CD hab ich
natürlich nicht mit. Abends bei Pamela hat die Kiste dann
nach gutem Zureden irgendwie gebootet, aber in einem unglaublichen
Schneckentempo. Und dann hörte man schon dem Startgeräusch
an, dass der Rechner krank ist ... es wurde nur stockend abgespielt.
Und die Festplatte klackerte komisch ... Pamela hat mir schnell einen
Rohling zugesteckt, sodass ich das, was mir am wichtigsten war, auf CD
brennen konnte – mit 3X, schneller gings nicht.
Also gleich nach Akihabara fahren und ne neue Platte kaufen? Ach
nein, erstmal schauen. Kurzfassung für Nerds: Erste Diagnose: Platte läuft im PIO-Mode. Paarmal
booten, ändert sich nicht. Event Log enthält Disk Errors.
Smartmontools laden, Gesundheitszustand der Platte angeblich gut. Im
Error Log der Platte stehen die letzten fünf Fehler; aha. Mit dem
Diskeditor und später H2benchw eingegrenzt, welche Sektoren
unlesbar sind, es sind 7 an der Zahl. Kurz überlegt, dann beherzt
diese 7 Sektoren überschrieben und chkdsk laufengelassen. Nach
dem nächsten Start ein paar Dateien weniger (Modemtreiber ade),
aber immer noch Fehler. Nochmal ein paar defekte Sektoren gesucht und
gefunden, weitere 8 Sektoren beherzt überchrieben.
Anschließend einen chkdsk mit Überprüfung aller
Sektoren ... über zwei Stunden im PIO-Mode! Immerhin hat mir das
Zeit gegeben, mich währenddessen mit meinem Kanji-Buch auf den
Balkon zu setzen. Jetzt keine defekten Sektoren mehr, allerdings ein
etwas merkwürdig gelauntes Windows: Bei jedem Rechtsklick auf
einen Ordner im Explorer startet jetzt irgendsoein
CD-Creator-Installationsprogramm und beschwert sich, dass es irgendwas
nicht finden kann. Was solls, ich rechtsklicke ja selten im Explorer.
PIO-Mode bleibt allerdings. Nach einer Internet-Recherche
entschließe mich beherzt, im Gerätemanager den Treiber
für meinen ATA-Hostadapter zu löschen und neu zu booten. Et
voila: Platte läuft wieder im DMA-Mode, übersteht einen
kompletten H2benchw (hat also keine Defekte mehr) und ist laut
smartmontools gesund. Ich werde sie misstrauisch beobachten, aber der
schwäbische Geiz in mir sträubt sich gegen den Kauf einer
neuen Platte. Muss nur mal schauen, dass ich intensiver als sonst
Backups von meinen Fotos mache ...
Die Aktion Computer hat den ganzen Nachmittag vernichtet. Immerhin
hab ich zwischendurch die Wohnung durchfotografiert, bitte den
Navigationslinks in der Fotogalerie folgen . Abends um 7 rufe ich wie
verabredet Hiko an, fahre nach Shinjuku, und wir gehen zusammen essen
und trinken ... aber ganz gesittet nur
bis kurz nach 11, dann sind wir beide müde und weil ich nicht die
letzte U-Bahn verpassen will, mache ich mich auf den Heimweg.
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