18.09. – 20.09. Das fängt ja gut an

Nach Japan zu fliegen ist inzwischen fast Routine; immerhin ist es schon meine vierte Japanreise. Aber trotzdem bin ich am Abreisetag etwas aufgeregt. Diesmal habe ich den "Abendflug" gebucht: 19.50 ab Hannover, 23.25 ab Paris CDG, Dienstag 18.00 an in Tokyo. Bisher war ich immer morgens in Tokyo angekommen, total kaputt aber noch einen ganzen Tag vor mir. Diesmal probiere ich mal, wie es ist, nachts loszufliegen.

Und ich muss sagen, es gefällt mir besser so. Die Sitze in der Economy Class kommen mir zwar noch enger vor als sonst, aber nach einem Abendessen und ein paar Bierchen gelingt es mir, mit kurzen Unterbrechungen bis fast zwei Stunden vor Ankunft zu schlafen. Dann serviert Air France ein Frühstück, und schon bin ich in Narita.

So habe ich vom Flug zum Glück nicht viel mitgekriegt. Der Service war diesmal wirklich nicht dolle, die Flugbegleiter nicht direkt unfreundlich, aber irgendwie angenervt und nicht wirklich bemüht. Mit Ausnahme der Japanerbetreuung. Das ist wirklich ein Unterschied wie Tag und Nacht: Geschätzt so ca. die Hälfte der Flugbegleiterinnen kann Japanisch und widmet sich vorrangig und mit großer Aufmerksamkeit und Höflichkeit den japanischen Fluggäesten. Mit all den Höflichkeitsfloskeln, die man da so kennt, und mit viel Geduld. Tja, Japaner erwarten und bekommen halt einen höheren Standard, was die Kundenfreundlichkeit betrifft.

Es ist schon nett, zum dritten Mal in Narita anzukommen. Statt vom englischen "Welcome to Japan" fühle ich mich inzwischen schon fast vom japanischen okaerinasai (sinngemäß Willkommen daheim) angesprochen. Die beiden Schilder hängen im Eingangskorridor übereinander. Die Zollkontrolle ist diesmal eine Zitterpartie – ich habe zwar nichts zu verzollen, aber ein Kilo Kartoffeln im Gepäck, und die Einfuhr von Lebensmitteln ist meines Wissens verboten. Es musste aber sein, Hiko hat sich als Mitbringsel aus Deutschland ausgerechnet Kartoffeln gewünscht. Er meinte, die Kartoffeln, die man in Japan kriegt, können denen aus Deutschland nicht das Wasser reichen ... na wenn er meint. Zum Glück muss ich diesmal meine Tasche nicht öffnen; letztes Jahr wurde sie durchsucht.

Ich weiß schon, wo die Geldautomaten stehen, und erinnere mich sogar, welcher davon meine EC-Karte akzeptiert, sodass auch die Bargeldbeschaffung reibungslos klappt. Ich habe vor der Abreise nachgeschaut: Der Euro steht günstig und ist jetzt 149 Yen wert – letztes Jahr waren es glaube ich nur 133.

Pamela hat mir aufgeschrieben, mit welchen U-Bahnen ich zu ihr komme und wo ich umsteigen muss, sodass alles eigentlich kein Problem sein sollte. Als ich gerade so in der U-Bahn-Station den Streckennetzplan studiere und magome so gar nicht finden kann, bin ich aber doch dankbar, dass mich eine Japanerin anspricht, ob sie mir helfen kann. "Ich möchte nach Magome, aber ich kann es nicht finden ..." Sie zeigt es mir, es kostet 1200 Yen. Ich stecke einen 10.000er in den Automaten, und er bietet mir allerlei Fahrkarten an – bis zu einem Maximalpreis von 1190 Yen. Das habe ich noch nicht erlebt und bin ratlos. Doch gut, dass ich eine Helferin habe: Sie drückt virtuos einen mit lauter Kanji beschrifteten Knopf, den ich micht nicht getraut hätte anzufassen (könnte ja der Schleudersitz sein), noch ein paar Tasten und schon werden auch 1200 Yen angeboten. Und ich dachte, ich hätte kapiert, wie man sich in der Tokyoter U-Bahn bewegt!

Sie sagt, sie müsse in die gleiche Richtung und hetzt mich in den nächsten Zug, der gleich abfährt. Gut so, denn das ist ein Expresszug; ich hätte wahrscheinlich wieder einen Bummelzug erwischt. Ich glaube zwar, ich bin kurz davor, das Geheimnis zu entschlüsseln, wie man die schnellen von den langsamen Zügen unterscheidet, aber noch ist es mir nicht wirklich gelungen. Es ist alles irgendwie farbcodiert, aber die entscheidende Information steckt wahrscheinlich doch in den Kanji. Hinzu kommt, dass ich, obwohl ich im Flugzeug geschlafen habe, doch ziemlich gerädert bin – das bleibt halt nach einem 12-stündigen Flug nicht aus.

Kaum sitzen wir, holt sie ihr Handy raus und tippt darauf rum. Nach einer Weile beginnt sie etwas auf einen Zettel zu schreiben, und als ich verstohlen schaue, sehe ich, dass sie in ordentlichen lateinischen Buchstaben für mich aufschreibt, wo ich umsteigen muss und wann die Züge fahren. Hat sie doch tatsächlich via Internet die Zugverbindung für mich rausgesucht, wie nett! Die Hilfe war sehr wertvoll, denn hätte ich in dem Zug, in dem ich jetzt sitze, auf die Umsteigestation gewartet, die mir Pamela aufgeschrieben hat, dann hätte ich verloren – dort hält der Express nicht. So komme ich dank der perfekten Vorbereitung gegen kurz nach halb neun in magome an.

Raus aus der Station – und ratlos. Ich stehe vor einem Stadtplan und halte den Lageplan von Pamelas Wohnung in der Hand, den sie mir ausgedruckt hat. Die beiden Pläne lassen sich nach meinem Augenmaß auf beide Arten zur Deckung bringen: Wenn ich Pamelas Plan mit Norden nach oben halte, passt er ebensogut zu dem, was ich da auf der Tafel sehe, wie umgekehrt. Muss ich also nun nach rechts oder nach links loseiern? Ich frage einen herumstehenden Teenager und erlebe live, was ich als Klischee schon mal irgendwo gelesen hatte: Japaner können überhaupt keine Karten lesen. Na gut, ich lese mir Pamelas Mail noch einmal genau durch, und da stehts: Wenn Du aus dem Bahnhof rauskomsst, nach rechts. Hätte mir also sparen können, den Japaner zu fragen, war aber lustig.

Pamelas Wohnung ist für japanische Verhältnisse riesig: 45 m2 und drei Zimmer, so leben auch schon mal vierköpfige Familien. Ich habe ein Gästezimmer ganz für mich alleine Foto dazu und kriege einen Wohnungsschlüssel, sodass ich kommen und gehen kann, wenn ich mag. Sehr viel Zeit zum Unterhalten ist nicht mehr, da Pamela nicht so spät ins Bett geht. Aber als letzte Amtshandlung verrät sie mir freundlicherweise noch die Zugangsdaten ihres Internet-Providers. Flugs den extra für diesen Zweck mitgebrachten WLAN-Router konfiguriert und an ihr DSL-Modem gesteckt, schon habe ich einen Internet-Zugang in meinem Gästezimmer. Pamela hat bisher keinen Router; sie betreibt nur einen einzigen Rechner direkt am DSL-Modem. Jetzt müssen wir nur noch hinkriegen, dass ihr Rechner auch noch an meinem Router läuft; schließlich will ich ihren Internet-Zugang nicht komplett kapern :-).

Am nächsten Morgen wache ich gegen 8 auf, sodass ich mich noch von Pamela verabschieden kann. Als sie weg ist, lege ich mich kurz hin, aber der Hunger treibt mich aus dem Bett zum Kombini, wo ich mir ein paar Sandwiches und eine Dose kalten schwarzen Kaffee kaufe. Nützt aber nichts, ich bin hundemüde und lege mich wieder hin; erst gegen 12 kann ich mich aufraffen, endgültig aufzustehen. Immer dasselbe mit der Zeitumstellung, obwohl ... diesmal ist es doch anders. Die letzten Male bin ich immer nachts um 4 aufgewacht und konnte nicht mehr schlafen. Diesmal kann ich schlafen, schlafen, schlafen ...

Jetzt erstmal die Computerprobleme lösen. Computerprobleme? Ja, ich habe sie mir extra bis hier aufgehoben, um die Nicht-Computerleute nicht abzuschrecken. Als ich im Flugzeugt mein Notebook eingeschaltet habe, ist es nicht vernünftig aus dem Ruhezustand aufgewacht, sondern abgeschmiert. Nach einem Neustart blieb es mit einer sehr garstigen Fehlermeldung stehen, ich glaube ntfs.sys oder irgendsowas Zentrales fehle und ich solle doch eine Reparaturinstallation machen. Na prima, meine Windows-CD hab ich natürlich nicht mit. Abends bei Pamela hat die Kiste dann nach gutem Zureden irgendwie gebootet, aber in einem unglaublichen Schneckentempo. Und dann hörte man schon dem Startgeräusch an, dass der Rechner krank ist ... es wurde nur stockend abgespielt. Und die Festplatte klackerte komisch ... Pamela hat mir schnell einen Rohling zugesteckt, sodass ich das, was mir am wichtigsten war, auf CD brennen konnte – mit 3X, schneller gings nicht.

Also gleich nach Akihabara fahren und ne neue Platte kaufen? Ach nein, erstmal schauen. Kurzfassung für Nerds: Erste Diagnose: Platte läuft im PIO-Mode. Paarmal booten, ändert sich nicht. Event Log enthält Disk Errors. Smartmontools laden, Gesundheitszustand der Platte angeblich gut. Im Error Log der Platte stehen die letzten fünf Fehler; aha. Mit dem Diskeditor und später H2benchw eingegrenzt, welche Sektoren unlesbar sind, es sind 7 an der Zahl. Kurz überlegt, dann beherzt diese 7 Sektoren überschrieben und chkdsk laufengelassen. Nach dem nächsten Start ein paar Dateien weniger (Modemtreiber ade), aber immer noch Fehler. Nochmal ein paar defekte Sektoren gesucht und gefunden, weitere 8 Sektoren beherzt überchrieben. Anschließend einen chkdsk mit Überprüfung aller Sektoren ... über zwei Stunden im PIO-Mode! Immerhin hat mir das Zeit gegeben, mich währenddessen mit meinem Kanji-Buch auf den Balkon zu setzen. Jetzt keine defekten Sektoren mehr, allerdings ein etwas merkwürdig gelauntes Windows: Bei jedem Rechtsklick auf einen Ordner im Explorer startet jetzt irgendsoein CD-Creator-Installationsprogramm und beschwert sich, dass es irgendwas nicht finden kann. Was solls, ich rechtsklicke ja selten im Explorer. PIO-Mode bleibt allerdings. Nach einer Internet-Recherche entschließe mich beherzt, im Gerätemanager den Treiber für meinen ATA-Hostadapter zu löschen und neu zu booten. Et voila: Platte läuft wieder im DMA-Mode, übersteht einen kompletten H2benchw (hat also keine Defekte mehr) und ist laut smartmontools gesund. Ich werde sie misstrauisch beobachten, aber der schwäbische Geiz in mir sträubt sich gegen den Kauf einer neuen Platte. Muss nur mal schauen, dass ich intensiver als sonst Backups von meinen Fotos mache ...

Die Aktion Computer hat den ganzen Nachmittag vernichtet. Immerhin hab ich zwischendurch die Wohnung durchfotografiert, bitte den Navigationslinks in der Fotogalerie folgen Foto dazu. Abends um 7 rufe ich wie verabredet Hiko an, fahre nach Shinjuku, und wir gehen zusammen essen und trinken Foto dazu ... aber ganz gesittet nur bis kurz nach 11, dann sind wir beide müde und weil ich nicht die letzte U-Bahn verpassen will, mache ich mich auf den Heimweg.

 

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©2006 by Harald Bögeholz