Ich kann mich wirklich nicht beklagen, dass ich auf dieser Schule
zu wenig lerne. Erstaunlich, was die japanische Sprache noch alles
für Wunder zu bieten hat. Als letzten Höhepunkt vor der
Abschlussprüfung lernen wir heute die Kausativform der Verben.
Sie drückt Zwang oder Erlaubnis aus, also jemanden etwas machen
lassen. Ich habe mehr und mehr das Gefühl, dass ich bald gar
nichts mehr auf Japanisch sagen kann, so sehr verwirren mich all diese
verschiedenen Formen, die sich immer nur in einer oder wenigen Silben
unterscheiden. Und je mehr verschiedene Arten ich lerne, ein und
dasselbe verschieden höflich auszudrücken, desto mehr
verunsichert mich das.
Die Kausativform drückt Zwang oder Erlaubnis eines
Höhergestellten gegenüber einem Niedrigergestellten aus,
wird also nur verwendet, wenn dieser gesellschaftliche Rangunterschied
klar ist (und in bestimmten Ausnahmen, sonst wäre es ja zu
einfach). Also meine Mutter hat mich als Kind viel Gemüse essen
lassen, mein Vorgesetzter hat mich die Arbeit erledigen lassen etc.
Mit dieser Form kann man auch besonders höflich einen
Höhergestellten um Erlaubnis bitten. Im Deutschen könnte man
es vielleicht so wiedergeben: Bisher hätte ich gefragt "ist es in
Ordnung, wenn ich morgen frei nehme?", und mit der Kausativform
heißt es nun "könnten Sie mich vielleicht morgen frei
nehmen lassen?". Ich glaube, wenn ich das nächste Mal in freier
Wildbahn jemanden um etwas bitten muss, weiß ich allmählich
gar nicht mehr, welche Form nun die richtige ist.
Der Aufenthaltsraum bietet in der Pause einen merkwürdigen
Anblick . Ein großer Teil der
Boden fläche ist abgesperrt und wird anscheinend gereinigt.
Während zwei, drei Leute tatsächlich putzen, stehen bestimmt
10 weitere drumrum und schauen zu. Was mag hier vorgehen?
Putzunterricht? Eine Werbeveranstaltung für neue Putzmittel? Ich
komme nicht dahinter. Immerhin ist die Kaffeemaschine noch
zugänglich, das ist das Wichtigste.
Die Putzerei dauert bis in den Nachmittag. Als ich nach dem
Unterricht mit Jerome Go spiele und dazu noch einen Kaffee will, ist
der Weg zur Kaffeemaschine abgesperrt; jetzt wird anscheinend noch der
Rest des Raums geputzt. Aber nicht so gründlich wie der morgens
abgesperrte Teil: Als die Aktion abends dann beendet ist, sieht man
einen deutlichen Rand zwischen dem gründlich unter den wachsamen
Augen vieler Zuschauer geputzten und dem einfach nur gewischten
Boden.
Wie gestern habe ich den Nachmittag mit entspannendem
Anfänger-Go verbracht; zum Lernen oder gar für die
Hausaufgaben fehlte mir die Kraft. Abends wiederhole ich die in den
letzten vier Wochen gelernte Grammatik und stelle fest, dass es doch
eine ganze Menge ist. So frustriert ich in letzter Zeit bin, so viel
habe ich doch gelernt. Das muss ich mir immer wieder
vergegenwärtigen, wenn der Frust überhand zu nehmen droht.
Noch ein Blick auf die korrigierten Hausaufgaben von gestern –
fast alles richtig, na also. Das erfüllt mich mit vorsichtiger
Zuversicht.
Sie korrigieren übrigens recht liebevoll und gründlich
jeden Tag. Ich hatte neben ein Kanji, das ich nicht kannte und dessen
Bedeutung ich raten musste, ein Fragezeichen gemalt und prompt eine
Erklärung dafür bekommen . Das allein ist nichts
Besonderes, aber wenn ich so darüber nachdenke, dann erfüllt
es mich doch mit einer gewissen Genugtuung, dass ich die
Erklärung auch verstehe. Vielleicht kann ich ja doch ein bisschen
Japanisch inzwischen.
Eigentlich wollte ich noch die Hausaufgaben machen, aber das
Wiederholen hat bis nach 23 Uhr gedauert, und ich habe einfach keine
Lust mehr. Lieber gehe ich heute früh ins Bett, damit ich morgen
für die Prüfung ausgeruht bin.
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