Heute wird mein letzter Tag auf der Expo, denn morgen unternehme
ich was mit der Familie und dann ist nur noch Schule, bis ich am
Freitag zurückfliege. Schon verdammt schnell rumgegangen die
Zeit.
Auf dem Weg zur Expo schaffe ich es heute tatsächlich, den
kleinen Friedhof mitten zwischen den Reisfeldern zu fotografieren, den
ich bei meiner letzten Fahrt dorthin mit nicht schussbereiter Kamera
entdeckt habe . Oder ist es
womöglich gar kein Friedhof, sondern was ganz anderes? Sieht aber
für mich aus der Ferne aus wie einer.
Habe ich schon mal erwähnt, dass viele Rolltreppen in Japan
ununterbrochen sprechen, mit diesen typisch hohen Piepsestimmen? Die
am Expo-Bahnhof sagt ohne Unterlass kono esukaleetaa wa kudari
senyou desu – diese Rolltreppe fährt nur nach unten.
Natürlich, sieht man doch. Und ein dicker grüner Pfeil ist
auch dran. Wozu sie es dann noch ständig sagen muss ...?
Heute will ich mir endlich mal die Hauptattraktionen anschauen, bei
denen die Schlangen immer am längsten sind. Bei Toyota bekomme
ich einen Termin für 17 Uhr, da bleibt genug Zeit, bei Hitachi
vorbeizuschauen. Die Expo-Tickets haben alle einen RFID-Chip, und um
zu unterstreichen, dass der von Hitachi stammt, wird in diesem
Pavillon ausgiebig davon Gebrauch gemacht, beginnend am Einlass, wo
die Reservierung überprüft wird , und im weiteren Verlauf
an einer Station, an der alle Besucher fotografiert werden . Das Thema des Pavillons
sind vom Aussterben bedrohte Tierarten, die hier in einer so genannten
Mixed-Reality-Show präsentiert werden. aber erstmal bekommen alle
Besucher ein kleines Gadget in die Hand gedrückt, mit dem sie
sich selbst über bedrohte Tierarten schlau lesen
können . Dass man das Ding
für jede Tierarte zu diesem Zwecke über einen "Access Point"
halten muss , ist reine
Beschäftigungstherapie und soll die Leute wohl nur motivieren,
dabei nicht stehenzubleiben, sondern langsam durch den Parcours zu
gehen . Jedenfalls hat mir der
Presseprecher vorher erklärt, dass die Fotos, Texte und Videos in
den Dingern auf einem Microdrive gespeichert sind, was mir auch
deutlich sinnvoller erscheint, als sie häppchenweise durch
irgendeine Nahfunktechnik zu laden.
Bei der Hauptattraktion ist Fotografieren leider verboten, und mein
Begleiter ist so freundlich, Kamera und Rucksack für mich so
lange zu tragen, sodass ich auch keine Chance habe, heimlich Fotos zu
machen. Sie würden aber auch nicht viel hergeben, denn "mixed
reality" lässt sich nicht ohne weiteres fotografieren.
Jeder Besucher bekommt ein Ding in die Hand gedrückt, das wie
ein Fernglas aussieht und über halbdurchlässige Spiegel
dreidimensionale Bilder einblendet. Die als Modell aufgebaute
Hintergrundszenerie sieht man auch, daher nennen sie es Mixed Reality.
An der rechten Handfläche wird ein Sensor befestigt, mit dem das
System die Position und Orientierung der Hand ortet, und dann gehts
los. In Wägelchen mit je vier Sitzen fahren die Besucher durch
vier Szenerien (Dschungel, Savanne, Ozean und ... äh, was war
doch gleich das vierte?), wo sie vom Aussterben bedrohte Tierarten
beobachten und mit ihnen interagieren können. So kann man
beispielsweise den Affen im Urwald Bananen hinwerfen, die sie dann
aufsammeln und essen. Sehr nett gemacht. Auch Position und
Orientierung des 3D-Viewers wird geortet, sodass man sich beliebig
bewegen und drehen und die Szenerie aus verschiedenen Blickwinkeln
anschauen kann. Sehr nett gemacht. Abgesehen davon, dass das Gewicht
des Vogels fehlt und er ungewöhnlich zahm ist, fühlt sich
der Papagei, der sich auf meiner Handfläche niederlässt und
sich dann von allen Seiten betrachten lässt, recht echt an.
Leider geht das Ganze viel zu schnell vorbei, nach wenigen Minuten bin
ich wieder draußen. Aber es ist verständlich, dass es nicht
länger dauern darf, denn der Andrang ist riesengroß.
Über meine Ticket-Nummer kann ich später über Internet
zwei Erinnerungsfotos downloaden:
Hunger! Gegenüber des Pavillons ist direkt so eine
Schnellimbissbude mit cariiraisu (Curry-Reis), das scheint in
Japan auch recht beliebt zu sein, und ich habe es noch nicht probiert.
Doch, halt, an einem Abend gab es das auch in meiner Gastfamilie, aber
egal. Beim Essen meines biifukarii (Beef-Curry) geht mir wieder
mal das Widersprüchliche am Umgang der Japaner mit Müll
durch den Kopf. Sie sind mächtig stolz darauf, ihren Müll in
unglaublich viele Eimer zu sortieren, aber denkt denn niemand
darüber nach, den Müll von vornherein zu vermeiden? Zum
Beispiel müsste der Plastikteller, von dem ich esse, nicht
unbedingt mit einem Plastikdeckel abgedeckt sein; schließlich
will ich mein Essen hier essen und nicht mitnehmen . Und warum ist jeder
Löffel in einer Plastikhülle eingeschweißt? Die
Krönung ist die Aufschrift . Es handelt sich also um
einen umweltfreundlichen (aber in Plastik verpackten)
Original-Gedenklöffel. Was meinen sie wohl mit "please help
yourself"? Darf ich den Löffel behalten? Es ist aber kein
besonders schöner, sondern einfach ein 0815-Kantinenlöffel;
was daran mich besonders an das Erlebnis Curryreis auf der Expo 2005
erinnern soll, bleibt mir ein Rätsel. Ich dreh die Tüte
nochmal um und schau mir den japanischen Text an. Tatsächlich,
den Löffel darf ich mit nach Hause nehmen, jedenfalls
interpretiere ich o mochi kaeri kudasai so. Und die
nächste Zeile kann ich auch fast komplett lesen, muss nur zwei
Kanji nachschlagen: Abfall nicht erzeugen Gefühl enthalten
original Erinnerung Löffel ist. Lustig, so drückt man auf
Japanisch also umweltfreundlich aus: Das Produkt vermittelt einem das
Gefühl, keinen Müll zu erzeugen. Wurde PostScript eigentlich
von einem Japaner erfunden? Die japanische Satzstellung erinnert mich
jedenfalls immer wieder an PostScript.
Nach einem kleinen Rundgang durch diverse Länderpavillons ist
es um 16:40 Zeit für den Toyota-Pavillon. Er ist aus
Recycling-Papier gebaut und aber offensichtlich auch aus einer
ganzen Menge Metallprofilen, das laut Prospekt nach der Expo
wiederverwendet werden sollen . Die Show hat zwei Teile:
Zuerst kommt ein Pausenklown mit einer Trompete, aus der er aber
keinen Ton rauskriegt, um dann einen Trompete spielenden Roboter
vorzustellen . Während der Show
beeindruckt mich das nicht allzu sehr, allenfalls, dass das Ding wie
ein Mensch auf zwei Beinen läuft und sich dabei sogar etwas im
Takt der Musik wiegt, was gar nicht so unnatürlich aussieht. Erst
später lese ich, dass der Roboter wirklich eine echte Trompete
spielt und der Sound nicht irgendwo aus einem Lautsprecher kommt. Das
wiederum erscheint mir beachtlich; da steckt bestimmt eine Menge
Entwicklungsarbeit drin. Weitere Roboter kommen dazu, bis
schließlch eine ganze Blaskapelle durch die Manege marschiert
beziehungsweise kullert . Ach hätt ich doch
ein Stativ mit, dann könnt ich vielleicht mit meinem Teleobjektiv
ein unverwackeltes Foto machen. Aber na ja, sooo schlecht sind die
Bilder auch ohne Stativ gar nicht geworden . Damit das Publikum auch
weiß, dass es im Takt zur Musik mitzuklatschen hat, wird es von
einem Animationsteam angefeuert .
Der Rest der Show präsentiert Toyotas Visionen vom
Individualverkehr der Zukunft. Eingeleitet von einem Tänzer, der
von der Decke heruntergeschwebt kommt und einem Ballett, bei dem
immer wieder Stichflammen aus dem Boden schießen , rollen merkwürdige,
futuristisch anmutende Gefährte in die Manege . Die Show ist insgesamt
sehr nett. Im Nachhinein erfahre ich, dass ein Franzose für die
Choreographie verantwortlich zeichnet; die haben einfach ein
Händchen für sowas, die Franzosen.
Ob diese Autos allerdings eine ernst gemeinte Zukunftsvision sind?
man sitzt darin fast aufrecht stehend, sodass die Dinger wenig Platz
einnehmen, sie bewegen sich aber nur im
Fußgängertempo . Sollen unsere
Fußgängerzonen eines Tages mit solchen Gefährten
vollgestopft sein? Wenn sie schneller Fahren, spreizen die
Gefährte die Räder, sodass der Fahrer eine mehr liegende
Sitzposition einnimmt. Dabei finde ich den visuellen Effekt mit den
angestrahlten Wasserstrahlen als Torbögen übrigens auch sehr
nett . Leider kriege ich bis auf
weiteres nicht raus, wie schnell diese Dinger denn fahren
können.
Als krönender Abschluss betritt ein weiteres Kuriosum die
Bühne: Eine Art Sessel mit Beinen drunter . Dass Toyota die Technik
des zweibeinigen Laufens im Griff hat, hat man ja schon am
Trompetenroboter gesehen, und ich meine, das gibts auch schon seit ein
paar Jahren. Inzwischen scheint es so ausgereift zu sein, dass sich
Menschen einem solchen Ding anvertrauen. Es läuft allerdings
recht langsam und bedächtig, dürfte also in der Praxis
völlig sinnlos sein. Oder doch nicht? Wenn ich so drüber
nachdenke, könnten sich Behinderte eines Tages mal über
einen Rollstuhl freuen, der Treppen steigen kann. Das demonstriert
Toyota hier aber (wohlweislich?) nicht, und wie viel Energie das Ding
schluckt, weiß ich auch nicht. Womöglich hat es gute
Gründe, dass der Auftritt des i-Dingens am Ende der Show erfolgt
und relativ kurz ist, wer weiß, vielleicht ist der Akku schon
leer. Aber kommt Zeit, kommt Energiequelle; auch auf dem Gebiet der
Brennstoffzellen tut sich ja einiges. Nach der Show kann man die
Gefährte noch mal von nahem fotografieren , leider allerdings hinter
ziemlich stark spiegelndem Glas .
Ich schlendere wieder ein bisschen herum und beschließe, mir
jetzt zur Abwechslung mal wieder was Japanisches anzuschauen. Laut
Plan gibt es im östlichen Teil des Geländes einen Teegarten.
Als ich endlich dort ankomme, stehe ich aber vor einer Absperrung:
Dieser Teil des Geländes schließt leider um 18 Uhr. das
hätte man wissen müssen; mit ein wenig Planung wäre das
noch zu schaffen gewesen. Na ja, um alles zu sehen, genügen auch
drei Tage Expo nicht, zumal ich immer erst am frühen Nachmittag
hier eingetroffen bin.
Irgendwie bin ich neugierig, wie sich die USA präsentieren,
und werde nicht enttäuscht. Bei diesem Pavillon gibt es als
einzigem (jedenfalls hab ich keinen anderen gesehen) eine
Sicherheitskontrolle am Eingang . Hätte nur noch
gefehlt, dass da echte, grimmige amerikanische Sicherheitsbeamte mit
geladenen Maschinenpistolen stehen, aber stattdessen sind es
freundliche Japaner, die das einerseits recht gelassen sehen und deren
Job es andererseits ist, sich andauernd sehr höflich bei den
Gästen für die Unannehmlichkeit zu entschuldigen.
Während viele andere Länderpavillons den Versuch
unternehmen, wenigstens irgendwie eine Brücke zum Leitmotiv der
Expo – die Weisheit der Natur – herzustellen,
präsentieren die Amerikaner in einem Kino einen Lobgesang auf
Benjamin Franklin und anschließend
eine Ausstellung über die Raumfahrtmissionen der NASA . Sehr amerikanisch.
Nach einem Besuch des kanadischen Pavillons beschließe ich,
dass der Expo-Tag jetzt beendet ist, genug gesehen. Ich reihe mich in
die Menschenmassen ein, die am Nordausgang in Richtung Linimo
strömen (die man doch ab 18 Uhr
gar nicht benutzen soll, damit sie nicht so überfüllt ist),
und bin angenehm überrascht, wie flüssig der Abtransport
doch vonstatten geht.
Sie drängeln allerdings ganz schön die Japaner. Erst
stehen sie ganz gesittet in Zweierreihen an, aber als dann die
Türen aufgehen, geht das Geschiebe los und obwohl ich eigentlich
nicht zimperlich bin, gelingt es einer kompletten Familie mit zwei
Kindern, sich an mir vorbeizudrängeln. Trotzdem ergattere ich
einen der letzten Sitzplätze, und der Bummelzug nach Okazaki ist
nicht ganz so voll. Das war also die Expo 2005 in Japan. Ich sinniere,
ob und was ich wohl für c't darüber schreiben soll ... ich
habe es Christian versprochen, aber ich weiß nicht recht ...
Christian, liest Du dies? (Wenn ja, dann bist Du ein böser
Schwarzleser, weil Du mir bis heute noch keine Mail geschrieben
hast!)
| |
|