7.5., Expo die dritte

Heute wird mein letzter Tag auf der Expo, denn morgen unternehme ich was mit der Familie und dann ist nur noch Schule, bis ich am Freitag zurückfliege. Schon verdammt schnell rumgegangen die Zeit.

Auf dem Weg zur Expo schaffe ich es heute tatsächlich, den kleinen Friedhof mitten zwischen den Reisfeldern zu fotografieren, den ich bei meiner letzten Fahrt dorthin mit nicht schussbereiter Kamera entdeckt habe Foto dazu. Oder ist es womöglich gar kein Friedhof, sondern was ganz anderes? Sieht aber für mich aus der Ferne aus wie einer.

Habe ich schon mal erwähnt, dass viele Rolltreppen in Japan ununterbrochen sprechen, mit diesen typisch hohen Piepsestimmen? Die am Expo-Bahnhof sagt ohne Unterlass kono esukaleetaa wa kudari senyou desu – diese Rolltreppe fährt nur nach unten. Natürlich, sieht man doch. Und ein dicker grüner Pfeil ist auch dran. Wozu sie es dann noch ständig sagen muss ...?

Heute will ich mir endlich mal die Hauptattraktionen anschauen, bei denen die Schlangen immer am längsten sind. Bei Toyota bekomme ich einen Termin für 17 Uhr, da bleibt genug Zeit, bei Hitachi vorbeizuschauen. Die Expo-Tickets haben alle einen RFID-Chip, und um zu unterstreichen, dass der von Hitachi stammt, wird in diesem Pavillon ausgiebig davon Gebrauch gemacht, beginnend am Einlass, wo die Reservierung überprüft wird Foto dazu, und im weiteren Verlauf an einer Station, an der alle Besucher fotografiert werden Foto dazu Foto dazu. Das Thema des Pavillons sind vom Aussterben bedrohte Tierarten, die hier in einer so genannten Mixed-Reality-Show präsentiert werden. aber erstmal bekommen alle Besucher ein kleines Gadget in die Hand gedrückt, mit dem sie sich selbst über bedrohte Tierarten schlau lesen können Foto dazu. Dass man das Ding für jede Tierarte zu diesem Zwecke über einen "Access Point" halten muss Foto dazu, ist reine Beschäftigungstherapie und soll die Leute wohl nur motivieren, dabei nicht stehenzubleiben, sondern langsam durch den Parcours zu gehen Foto dazu. Jedenfalls hat mir der Presseprecher vorher erklärt, dass die Fotos, Texte und Videos in den Dingern auf einem Microdrive gespeichert sind, was mir auch deutlich sinnvoller erscheint, als sie häppchenweise durch irgendeine Nahfunktechnik zu laden.

Bei der Hauptattraktion ist Fotografieren leider verboten, und mein Begleiter ist so freundlich, Kamera und Rucksack für mich so lange zu tragen, sodass ich auch keine Chance habe, heimlich Fotos zu machen. Sie würden aber auch nicht viel hergeben, denn "mixed reality" lässt sich nicht ohne weiteres fotografieren.

Jeder Besucher bekommt ein Ding in die Hand gedrückt, das wie ein Fernglas aussieht und über halbdurchlässige Spiegel dreidimensionale Bilder einblendet. Die als Modell aufgebaute Hintergrundszenerie sieht man auch, daher nennen sie es Mixed Reality. An der rechten Handfläche wird ein Sensor befestigt, mit dem das System die Position und Orientierung der Hand ortet, und dann gehts los. In Wägelchen mit je vier Sitzen fahren die Besucher durch vier Szenerien (Dschungel, Savanne, Ozean und ... äh, was war doch gleich das vierte?), wo sie vom Aussterben bedrohte Tierarten beobachten und mit ihnen interagieren können. So kann man beispielsweise den Affen im Urwald Bananen hinwerfen, die sie dann aufsammeln und essen. Sehr nett gemacht. Auch Position und Orientierung des 3D-Viewers wird geortet, sodass man sich beliebig bewegen und drehen und die Szenerie aus verschiedenen Blickwinkeln anschauen kann. Sehr nett gemacht. Abgesehen davon, dass das Gewicht des Vogels fehlt und er ungewöhnlich zahm ist, fühlt sich der Papagei, der sich auf meiner Handfläche niederlässt und sich dann von allen Seiten betrachten lässt, recht echt an. Leider geht das Ganze viel zu schnell vorbei, nach wenigen Minuten bin ich wieder draußen. Aber es ist verständlich, dass es nicht länger dauern darf, denn der Andrang ist riesengroß. Über meine Ticket-Nummer kann ich später über Internet zwei Erinnerungsfotos downloaden:

Erinnerungsfoto Hitachi 1

Erinnerungsfoto Hitachi 2

Hunger! Gegenüber des Pavillons ist direkt so eine Schnellimbissbude mit cariiraisu (Curry-Reis), das scheint in Japan auch recht beliebt zu sein, und ich habe es noch nicht probiert. Doch, halt, an einem Abend gab es das auch in meiner Gastfamilie, aber egal. Beim Essen meines biifukarii (Beef-Curry) geht mir wieder mal das Widersprüchliche am Umgang der Japaner mit Müll durch den Kopf. Sie sind mächtig stolz darauf, ihren Müll in unglaublich viele Eimer zu sortieren, aber denkt denn niemand darüber nach, den Müll von vornherein zu vermeiden? Zum Beispiel müsste der Plastikteller, von dem ich esse, nicht unbedingt mit einem Plastikdeckel abgedeckt sein; schließlich will ich mein Essen hier essen und nicht mitnehmen Foto dazu. Und warum ist jeder Löffel in einer Plastikhülle eingeschweißt? Die Krönung ist die Aufschrift Foto dazu. Es handelt sich also um einen umweltfreundlichen (aber in Plastik verpackten) Original-Gedenklöffel. Was meinen sie wohl mit "please help yourself"? Darf ich den Löffel behalten? Es ist aber kein besonders schöner, sondern einfach ein 0815-Kantinenlöffel; was daran mich besonders an das Erlebnis Curryreis auf der Expo 2005 erinnern soll, bleibt mir ein Rätsel. Ich dreh die Tüte nochmal um und schau mir den japanischen Text an. Tatsächlich, den Löffel darf ich mit nach Hause nehmen, jedenfalls interpretiere ich o mochi kaeri kudasai so. Und die nächste Zeile kann ich auch fast komplett lesen, muss nur zwei Kanji nachschlagen: Abfall nicht erzeugen Gefühl enthalten original Erinnerung Löffel ist. Lustig, so drückt man auf Japanisch also umweltfreundlich aus: Das Produkt vermittelt einem das Gefühl, keinen Müll zu erzeugen. Wurde PostScript eigentlich von einem Japaner erfunden? Die japanische Satzstellung erinnert mich jedenfalls immer wieder an PostScript.

Nach einem kleinen Rundgang durch diverse Länderpavillons ist es um 16:40 Zeit für den Toyota-Pavillon. Er ist aus Recycling-Papier gebaut   und aber offensichtlich auch aus einer ganzen Menge Metallprofilen, das laut Prospekt nach der Expo wiederverwendet werden sollen Foto dazu. Die Show hat zwei Teile: Zuerst kommt ein Pausenklown mit einer Trompete, aus der er aber keinen Ton rauskriegt, um dann einen Trompete spielenden Roboter vorzustellen Foto dazu. Während der Show beeindruckt mich das nicht allzu sehr, allenfalls, dass das Ding wie ein Mensch auf zwei Beinen läuft und sich dabei sogar etwas im Takt der Musik wiegt, was gar nicht so unnatürlich aussieht. Erst später lese ich, dass der Roboter wirklich eine echte Trompete spielt und der Sound nicht irgendwo aus einem Lautsprecher kommt. Das wiederum erscheint mir beachtlich; da steckt bestimmt eine Menge Entwicklungsarbeit drin. Weitere Roboter kommen dazu, bis schließlch eine ganze Blaskapelle durch die Manege marschiert beziehungsweise kullert Foto dazu. Ach hätt ich doch ein Stativ mit, dann könnt ich vielleicht mit meinem Teleobjektiv ein unverwackeltes Foto machen. Aber na ja, sooo schlecht sind die Bilder auch ohne Stativ gar nicht geworden Foto dazu. Damit das Publikum auch weiß, dass es im Takt zur Musik mitzuklatschen hat, wird es von einem Animationsteam angefeuert Foto dazu Foto dazu.

Der Rest der Show präsentiert Toyotas Visionen vom Individualverkehr der Zukunft. Eingeleitet von einem Tänzer, der von der Decke heruntergeschwebt kommt Foto dazu und einem Ballett, bei dem immer wieder Stichflammen aus dem Boden schießen Foto dazu, rollen merkwürdige, futuristisch anmutende Gefährte in die Manege Foto dazu. Die Show ist insgesamt sehr nett. Im Nachhinein erfahre ich, dass ein Franzose für die Choreographie verantwortlich zeichnet; die haben einfach ein Händchen für sowas, die Franzosen.

Ob diese Autos allerdings eine ernst gemeinte Zukunftsvision sind? man sitzt darin fast aufrecht stehend, sodass die Dinger wenig Platz einnehmen, sie bewegen sich aber nur im Fußgängertempo Foto dazu. Sollen unsere Fußgängerzonen eines Tages mit solchen Gefährten vollgestopft sein? Wenn sie schneller Fahren, spreizen die Gefährte die Räder, sodass der Fahrer eine mehr liegende Sitzposition einnimmt. Dabei finde ich den visuellen Effekt mit den angestrahlten Wasserstrahlen als Torbögen übrigens auch sehr nett Foto dazu Foto dazu. Leider kriege ich bis auf weiteres nicht raus, wie schnell diese Dinger denn fahren können.

Als krönender Abschluss betritt ein weiteres Kuriosum die Bühne: Eine Art Sessel mit Beinen drunter Foto dazu Foto dazu Foto dazu. Dass Toyota die Technik des zweibeinigen Laufens im Griff hat, hat man ja schon am Trompetenroboter gesehen, und ich meine, das gibts auch schon seit ein paar Jahren. Inzwischen scheint es so ausgereift zu sein, dass sich Menschen einem solchen Ding anvertrauen. Es läuft allerdings recht langsam und bedächtig, dürfte also in der Praxis völlig sinnlos sein. Oder doch nicht? Wenn ich so drüber nachdenke, könnten sich Behinderte eines Tages mal über einen Rollstuhl freuen, der Treppen steigen kann. Das demonstriert Toyota hier aber (wohlweislich?) nicht, und wie viel Energie das Ding schluckt, weiß ich auch nicht. Womöglich hat es gute Gründe, dass der Auftritt des i-Dingens am Ende der Show erfolgt und relativ kurz ist, wer weiß, vielleicht ist der Akku schon leer. Aber kommt Zeit, kommt Energiequelle; auch auf dem Gebiet der Brennstoffzellen tut sich ja einiges. Nach der Show kann man die Gefährte noch mal von nahem fotografieren Foto dazu, leider allerdings hinter ziemlich stark spiegelndem Glas Foto dazu Foto dazu.

Ich schlendere wieder ein bisschen herum und beschließe, mir jetzt zur Abwechslung mal wieder was Japanisches anzuschauen. Laut Plan gibt es im östlichen Teil des Geländes einen Teegarten. Als ich endlich dort ankomme, stehe ich aber vor einer Absperrung: Dieser Teil des Geländes schließt leider um 18 Uhr. das hätte man wissen müssen; mit ein wenig Planung wäre das noch zu schaffen gewesen. Na ja, um alles zu sehen, genügen auch drei Tage Expo nicht, zumal ich immer erst am frühen Nachmittag hier eingetroffen bin.

Irgendwie bin ich neugierig, wie sich die USA präsentieren, und werde nicht enttäuscht. Bei diesem Pavillon gibt es als einzigem (jedenfalls hab ich keinen anderen gesehen) eine Sicherheitskontrolle am Eingang Foto dazu. Hätte nur noch gefehlt, dass da echte, grimmige amerikanische Sicherheitsbeamte mit geladenen Maschinenpistolen stehen, aber stattdessen sind es freundliche Japaner, die das einerseits recht gelassen sehen und deren Job es andererseits ist, sich andauernd sehr höflich bei den Gästen für die Unannehmlichkeit zu entschuldigen.

Während viele andere Länderpavillons den Versuch unternehmen, wenigstens irgendwie eine Brücke zum Leitmotiv der Expo – die Weisheit der Natur – herzustellen, präsentieren die Amerikaner in einem Kino einen Lobgesang auf Benjamin Franklin Foto dazu und anschließend eine Ausstellung über die Raumfahrtmissionen der NASA Foto dazu. Sehr amerikanisch.

Nach einem Besuch des kanadischen Pavillons beschließe ich, dass der Expo-Tag jetzt beendet ist, genug gesehen. Ich reihe mich in die Menschenmassen ein, die am Nordausgang in Richtung Linimo strömen Foto dazu (die man doch ab 18 Uhr gar nicht benutzen soll, damit sie nicht so überfüllt ist), und bin angenehm überrascht, wie flüssig der Abtransport doch vonstatten geht.

Sie drängeln allerdings ganz schön die Japaner. Erst stehen sie ganz gesittet in Zweierreihen an, aber als dann die Türen aufgehen, geht das Geschiebe los und obwohl ich eigentlich nicht zimperlich bin, gelingt es einer kompletten Familie mit zwei Kindern, sich an mir vorbeizudrängeln. Trotzdem ergattere ich einen der letzten Sitzplätze, und der Bummelzug nach Okazaki ist nicht ganz so voll. Das war also die Expo 2005 in Japan. Ich sinniere, ob und was ich wohl für c't darüber schreiben soll ... ich habe es Christian versprochen, aber ich weiß nicht recht ... Christian, liest Du dies? (Wenn ja, dann bist Du ein böser Schwarzleser, weil Du mir bis heute noch keine Mail geschrieben hast!)

 

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©2005 by Harald Bögeholz