3.5., Schmutzig werden, schmutzig machen und schmutzig gemacht werden

Der Wecker klingelt um 6, aber ich brauche bis 6:30, um die Motivation zum Vokabeln Lernen aufzurbringen. Die halbe Stunde reicht mir gerade so, um mir die neuen Wörter so halbwegs einzuprägen. Eigentlich müsste ich noch ein Übungsblatt mit den ganzen Passiv-Formen ausfüllen, aber die Zeit reicht nicht mehr. Was das Japanischlernen angeht, gehe ich ziemlich auf dem Zahnfleisch. Letztes Jahr habe ich das Tempo irgendwie besser ausgehalten. Man wird halt nicht jünger.

Der Unterricht verläuft frustrierend wie befürchtet. In der Theorie habe ich das mit dem Passiv kapiert, aber in der Praxis ... ach, ach! Zumal wir zum Üben natürlich nicht einfach Vokabeln hernehmen, die wir schon kannten, sondern die neuen. Zum Beispiel importieren und exportieren. Das sind sowieso schwierige Wörter, weil sie sich ein bisschen ähneln und man immer aufpassen muss, von welchem Land gerade die Rede ist. Also Japan exportiert Autos nach Europa und Europa importiert sie von Japan. Und wenn dann noch die Komplikation mit dem Passiv dazukommt ... Autos werden aus Japan [nach Europa] importiert, aber werden von Japan [nach Europa] exportiert.

Und dann sind da noch die intransitiven Verben. Die haben wir ja erst letzte Woche gelernt, vorher waren die meisten irgendwie transitiv. [Kleiner Exkurs für in Grammatik weniger Versierte: Transitive Verben haben ein Akkusativobjekt, etwas, auf das sie sich beziehen, man kann mit "wen oder was?" danach fragen. Intransitive nicht. Ich esse (einen Apfel), transitiv. Ich friere, intransitiv (ich friere nämlich selbst, also nichts und niemanden, kein Akkusativobjekt).] Im Japanischen gibt es separate Verben (oder Verbformen) für die transitive und die intransitive Bedeutung, wo im Deutschen oft nur ein Verb genügt. Öffnen zum Beispiel. Ich öffne die Tür, die Tür öffnet (sich). Das sind im Japanischen zwei verschiedene Verben, wenn sie auch recht ähnlich klingen: akeru (tr.) und akiru (itr.). Sie werden übrigens mit demselben Kanji geschrieben, also ganz so verschieden sind sie nicht. Leider gibt es kein allgemeines System, nach dem sich die transitive und die intransitive Form eines Verbs voneinander ableiten ließe, hier ist also Pauken angesagt.

Worauf ich hinaus will: Wir haben nun transitive und intransitive Verben, und dann lauern im Hinterkopf noch die Potenzialformen davon (die Tür kann sich öffnen). Und jetzt kommt noch der Passiv dazu. Und all diese Formen unterscheiden sich nur in wenigen Silben, ja, nur in einzelnen Lauten. Mein Gehirn läuft auf 120 Prozent seiner Nennleistung, und trotzdem: Wie soll man das nur fließend verstehen oder gar sprechen?

yogoremasu – schmutzig werden, intransitiv. yogoshimasu – schmutzig machen, transitiv. yogosaremasu, schmutzig werden, Passiv des transitiven Verbs schmutzig machen. Jetzt habe ich also zwei Möglichkeiten zu sagen, dass meine Hose schmutzig wird: yogoremasu oder yogosaremasu. Und der feine Unterschied ist anscheinend, dass meine Hose mit der einen Verbform irgendwie von alleine oder jedenfalls durch eine Handlung von mir schmutzig wird, während die Passivform des transitiven Verbs ausdrückt, dass sie jemand gegen meinen Willen oder jedenfalls ohne mein Zutun schmutzig gemacht hat. Kawashima sensei tut ihr Bestes, mir diesen feinen Unterschied auf Japanisch zu erklären, aber wirklich kapieren tue ich ihn erst nach längerer Meditation. Wenn man sich die beiden Formen als schmutzig werden und schmutzig gemacht werden vorstellt, dann ist der Unterschied doch nicht so schwer zu begreifen.

Da am Nachmittag wieder die gefürchteten Hörübungen anstehen, nutze ich diesmal die Mittagspause, um sie mir im Voraus in Ruhe anzuhören und im Begleitbuch den Text mitzulesen. Ich hatte mir ja vor kurzem die CDs ausgeliehen und auf den Rechner gezogen, und so will ich heute wenigstens mal den Frust der Hörübungen etwas mindern.

Der Nachmittagsunterricht beginnt mit einem kleinen Quiz (von wem wurde das Flugzeug erfunden, wann wurde xy gebaut...), bei dem ich mit meinem immer noch schlechten Hörverständnis zwar keinen Blumentopf gewinne aber wenigstens das ein oder andere nette Foto schießen kann Foto dazu Foto dazu. Immerhin: Einen Punkt kann ich doch machen bei der Frage, wer die Röntgenstrahlen erfunden hat. Denn X shashin kenn ich vom letzten Jahr aus dem Krankenhaus, das heißt Röntgenbild. Und rentogen wird der gute Mann auf Japanisch ausgesprochen.

Nach dem Unterricht freue ich mich auf eine Partie Go mit Markus. Und auf die Feiertage. Am Anfang war ich ja etwas enttäuscht, dass ich meine Sprachreise ausgerechnet auf die Golden Week gelegt habe, wo drei Tage Unterricht ausfallen. Aber jetzt bin ich doch sehr erleichtert, dass ich fünf Tage frei habe, an denen ich das Gelernte in Ruhe wiederholen und vor allem sich setzen lassen kann.

Markus macht wieder mal während der Partie seine Hausaufgaben Foto dazu. Ob das wohl ein subtiles Signal sein soll, dass ich zu viel nachdenke? Er hat sich jedenfalls nie beklagt, und als Lohn fürs Nachdenken gewinne ich die Partie – wenn auch nicht so haushoch, wie ich am Anfang dachte.

Weil heute in Japan Feiertag ist, hat Katsuaki san frei und es ist einer der seltenen Abende, wo mal die ganze Familie gemeinsam zu Abend isst. Der Unterhaltung beim Essen kann ich zwar wieder mal nur bruchstückhaft folgen, aber nach dem Essen unterhalte ich mich mal wieder ein bisschen mit meinen Gasteltern – im üblichen Gemisch aus Japanisch und Englisch, aber besser als gar kein Japanisch. Was ich in den nächsten Tagen so vor habe? Morgen erst mal ausspannen. Lange schlafen, dann gemütlich ein bisschen lernen und dann mal sehen. Donnerstag und Freitag will ich auf die Expo, Samstag weiß ich noch nicht und Sonntag will mich Keiko san ja ihren Elten vorstellen. So viel kann ich immerhin schon auf Japanisch sagen; der Unterrichtsfrust beginnt sich allmählich zu legen.

 

(Gästebuch außer Betrieb)     Inhaltsverzeichnis     weiter >


©2005 by Harald Bögeholz