2.5., Ich kann kein Japanisch mehr

Heute fahre ich gut gelaunt zur Schule, denn ich habe meine Vokabeln gut geübt, die Hausaufgaben fertig, einen Blick auf die Grammatik geworfen, die wir heute lernen sollen, also alles in bester Ordnung. Den Vormittag über klappt auch alles recht gut. Obwohl ich mir noch nicht so ganz im Detail sicher bin, wann nun genau die heute gelernte Satzstruktur anzuwenden ist, komme ich im Großen und Ganzen gut mit, zumal wir Sugiura sensei haben; ich glaube, die ist dieses Jahr meine Lieblings-Lehrerin.

Aber der Nachmittag! Naruse sensei plappert munter drauflos in einem Tempo, dass mir der Kopf nur so raucht. Und ohne Unterbrechung. Die Dialogübungen verlaufen katastrophal; bis ich kapiert habe, worum es geht, ist die Zeit um. Ich übe mit unserem neuen Mitschüler Dietrich aus Deutschland, der zwar etwas mehr zu wissen scheint als ich, aber in diesem Fall auch irgendwie nicht so recht mitkommt. Oder liegt es nur an mir? Gegen Ende der ersten Nachmittagsstunde bin ich kurz davor, weinend den Raum zu verlassen, aber irgendwie halte ich bis zur Pause durch.

Aya san fragt mich, ob wir in der Pause ein bisschen das gerade Gelernte üben wollen, hat aber den denkbar ungünstigsten Moment erwischt! Um Himmels Willen, noch ein japanisches Wort und mein Kopf platzt! Ich weiß nicht, ob die 10 Minuten zur Erholung reichen, hole mir erst einmal einen Kaffee.

Nach der Pause wird es noch schlimmer. Bei den Hörübungen versteh ich alles frühestens beim dritten Mal (die Lehrerin spult glaube ich nur wegen mir andauernd zurück) und manchmal auch gar nicht. Und als krönender Abschluss kommt die Vorschau auf morgen: Eine neue Verbform, Passiv. Als ob wir nicht schon genug Verbformen hätten! Und dazu ein ganzer Sack voll neuer Verben, na Prost Mahlzeit!

Nach dem Unterricht daddle ich an meinem Rechner rum, chatte ein bisschen und ergreife dann die Flucht, als sich der Aufenthaltsraum mit der allmontäglichen Konversationsrunde zu füllen beginnt. Heute ohne mich! Ich kann echt nicht mehr. Bin auch schon wieder im Verzug mit Tagebuchschreiben (Expo war ein bisschen viel), sodass ich mich nach draußen verziehe und in der milden Nachmittagssonne die Tagebuchseite fertig mache, mal hier surfe, mal da chatte und dann nach Hause fahre.

Jetzt aber an die Hausaufgaben! Die sind wieder mal recht schwierig, was zum Teil daran liegt, dass Vokabeln fehlen. Womöglich ist das auch einer der Gründe dafür, dass ich am Nachmittag so schlecht zurechtgekommen bin. Seit einigen Tagen arbeiten wir das Lehrbuch nämlich nicht mehr sequenziell ab, sondern springen wild umher. Nach Kapitel 29 kam glaube ich 42, dann 30 und jetzt 36, ach, ich weiß es schon gar nicht mehr. Jedenfalls fehlen dazwischenliegende Kapitel, aber das Lehrbuch und die Übungen und die Hausaufgaben, die wir bekommen, sind für sequenzielles Durcharbeiten angelegt, sodass sie genau die Vokabeln aus den letzten paar Kapiteln enthalten. Tja, und wenn man Kapitel 42 studiert, aber 31 bis 35 und 37 bis 41 fehlen, dann darf man sich nicht wundern, dass man nicht alle Vokabeln kennt. Auch für die Hausaufgaben zu Kapitel 36, das heute dran ist, fehlen mir etliche, ganz abgesehen davon, dass ich mir auch die, die ich kennen sollte, bei dem Tempo noch nicht hundertprozentig merken konnte. taihen desu ne!

Ich weiß schon gar nicht mehr, ob ich das schon mal geschrieben habe, aber beim Abendessen fällt mir wieder dieses eigentümliche Familienleben auf. Gegen 19:50 ruft mich Keiko san zum Essen und legt auch sofort los. Es gibt Otokonomiyaki, hmm, wie beschreib ich das, so eine Art Pfannkuchen aus viel Gemüse, Soba (Nudeln), etwas Fleisch, Ei und Käse glaube ich. Auf dem Tisch steht eine elektrisch beheizte Pfanne, in der Keiko san die Dinger brät.

Das Überraschende: Chihiro ist noch nicht zu Hause, und Keiko san macht überhaupt keine Anstalten, auf sie zu warten! Essen gibts, wenn es fertig ist, nicht etwa pünktlich um 8 oder so. Heute halt schon zehn Minuten eher. Keiko san tut Chihiro ein(en?) Otokonomiyaki auf den Teller, als wäre sie da. Dann bereitet sie eine zweite Runde zu (es ist inzwischen kurz nach 8), und die abwesende Chihiro bekommt auch einen zweiten auf ihren Teller, obwohl sie noch nicht da ist. Als wir beim dritten sind, kommt sie endlich nach Hause und kriegt die Otokonomiyaki, die sich auf ihrem Teller angesammelt haben, aufgewärmt. Hätte man nicht einfach warten können, bis sie da ist? Ich frage mich ernsthaft, ob das jetzt nur wegen mir ist oder ob Keiko san tatsächlich alleine anfängt zu essen, wenn sie mit Kochen fertig ist. Vielleicht sollte ich eines Tages einfach mal fragen.

Nach dem Abendessen beschäftige ich mich noch weiter mit den Hausaufgaben, tippe die neuen Vokabeln in den Rechner ein, stelle mir den Wecker auf 6 Uhr und gehe früh schlafen. Heute geht nichts mehr rein in meinen Kopf, so viel ist sicher.

 

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©2005 by Harald Bögeholz