Heute will ich auf die Expo gehen. Ich schlafe aber trotzdem bis
10; irgendwie muss das am Wochenende doch sein. Nach einem
gemütlichen Frühstück frage ich Keiko san, wie ich denn
da hinkomme. Um 11:52 fährt ein Zug vom Bahnhof Yamanaka (das ist
hier gleich um die Ecke die Station, von der aus ich letztes
Wochenende aus auch mit Katsuaki san losgefahren bin). In Higashi
Okazaki soll ich dann umsteigen und mit einem anderen Zug nach
Okazakikouenmae fahren, dort zu einem anderen Bahnhof wechseln und in
die Aichi-Kanjou-Linie steigen, die dann irgendwie zur Expo
fährt. So ganz wohl fühle ich mich nicht dabei; es wäre
mir irgendwie lieber, ich hätte einen Netzplan der hiesigen
Bahnlinien. Ich diskutiere kurz noch mit Keiko san darüber, wie
ich denn abends wohl am besten nach Hause komme; Kathy san hat heute
Abend zu einer kleinen Party eingeladen, und sie wohnt mitten in
Okazaki. Ob ich wohl doch mit dem Fahrrad nach Okazaki reinfahre und
von dort aus den Zug nehme, damit ich abends mit dem Fahrrad nach
Hause fahren kann? Ach, egal, ich nehm jetzt doch den Zug. Ein
bisschen Abenteuer schadet ja nicht.
Bis Higashi Okazaki ist es erst einmal kein Problem. Als ich so im
Zug sitze und den Schaffner beobachte, wie er immer wieder einzelnen
Leuten Fahrkarten verkauft, kommen mir Zweifel, ob ich nicht auch eine
Fahrkarte kaufen müsste. Aber letztes Wochenende mit Katsuaki san
sind wir einfach so gefahren, und er hat mich erst am Ankunftsort zu
so einem Fare-Adjustment-Schalter geschickt, wo ich den Fahrpreis
bezahlt habe. Dann wird das wohl so richtig sein, denke ich mir und
spreche den Schaffener nicht an. Und er mich auch nicht.
In Higashi Okazaki steige ich aus und stehe etwas verloren auf dem
Bahnsteig. Keiko san meinte, der Anschlusszug müsste auf
demselben Bahnsteig abfahren, entweder auf demselben Gleis oder
gegenüber. Dieser Bahnhof gehört aber nicht zu den
ausländerfreundlichen, wo die Leuchttafeln ab und zu auch mal
lateinische Buchstaben anzeigen. Hier stehen die Fahrziele nur in
Kanji dran.
Nachdem ich weit und breit keinen Uniformierten sehe, frage ich
zwei junge Frauen, wie ich denn wohl zur Expo komme. Das wissen die
beiden auch nicht und erzählen mir irgendwas von Nagoya. Nein,
über Nagoya wollte ich nicht fahren; ich will einfach nur wissen,
mit welchem Zug ich nach Okazaki kouenmae komme, von dort weiß
ichs dann schon. Sie bedeuten mir, dass das der Zug am selben
Bahnsteig ist. Gut, dass ich gefragt habe, fast wäre ich auf gut
Glück gegenüber eingestiegen, denn letzte Woche mit Katsuaki
san fuhr der Anschlusszug auch am gegenüberliegenden Gleis ab.
Die beiden beraten sich kurz und beschließen dann, mich zu
begleiten. Das ist ja nett! So ergibt sich ein bisschen Smalltalk,
wobei ich versuche, so viel wie möglich auf Japanisch zu sagen,
während meine beiden Begleiterinnen ganz anständig Englisch
sprechen. Die üblichen Fragen: Wie lange ich denn schon in Japan
bin, wie lange ich noch bleibe, wie lange ich schon Japanisch lerne,
ob ich Natto essen kann (ja, das fragen sie auch oft, die
Japaner) ...
An der Station Okazaki kouenmae muss ich durch die Absperrung, aber
wie? Ich habe doch keine Fahrkarte. Unschlüssig schaue ich mich
nach Fare Adjustment um, aber das ist hier kein mit Menschen besetzter
Schalter, sondern nur ein Automat, in den ich anscheinend auch erst
mal eine Fahrkarte reinstecken müsste. Habe ich also doch was
falsch gemacht und bin schwarz gefahren! Aber meine beiden
Begleiterinnen lösen das Problem für mich: Die eine hat
anscheinend eine Monatskarte oder sowas, geht durch die Absperrung und
steckt die Karte anschließend außen wieder rein, sodass
sie innen wieder rauskommt. Ihre Begleiterin schnappt sich die Karte,
geht damit raus und schiebt sie für mich wieder rein, sodass ich
auch problemlos die Station verlassen kann. So macht man das also; die
andere ist womöglich auch schwarz gefahren.
An der Station Naka Okazaki helfen mir die beiden noch, das
richtige Ticket zu kaufen und zeigen mir den richtigen Bahnsteig, dann
verabschieden sie sich. Bis Banpaku Yakusa muss ich fahren und dann in
die Linimo umsteigen, alles klar. Linimo kommt mir bekannt vor
(womöglich eine Abkürzung für Linear Motor?) –
in dem Dokument, das ich mir für die Presse-Akkreditierung
ausgedruckt habe, ist die Linimo-Linie drauf nebst der Station, an der
ich aussteigen muss.
Der Zug braucht 50 Minuten bis Banpaku Yakusa. Ich hatte auf einem
Plan geglaubt gelesen zu haben, dass es 18 Minuten lang dauert. Aber
offensichtlich habe ich die Haltestellennummer für die
Minutenzahl gehalten. Es ist also schon recht spät, als ich
endlich dort ankomme. Obwohl der Besucherstrom nur noch recht
spärlich ist, stehen alle paar Meter Uniformierte, die die Leute
in die richtige Richtung winken oder mit Megaphonen wichtige Durchsagen
machen, die ich leider nicht verstehe . Irgendwann muss ich mir
auch mal die Zeit nehmen, zu decodieren, was die Rolltreppen
eigentlich sagen. Die meisten Rolltreppen sprechen hier nämlich
(nicht währen der Fahrt,nur am Anfang). Wahrscheinlich sagen sie,
dass jetzt eine Rolltreppe kommt und man vorsichtig sein muss oder so,
keine Ahnung, eines Tages werde ich mal genau hinhören und mein
Wörterbuch benutzen.
Da ist es nun also endlich, das Expo-Gelände . Ich fahre eine Station
weiter als die Masse, weil das Büro für die
Presse-Akkreditierung am Westeingang ist. Obwohl das erwartete
Bestätigungsfax nicht eingetroffen ist, liegt mein Presseausweis
zur Abholung bereit. Das ist sehr erfreulich, weil es mir lange
Verhandlungen und Erklärungen erspart. So habe ich nun also
für den Rest meiner Zeit hier eine Dauerkarte und kann nochmal
wiederkommen, wenn es mir gefällt. Christian hat mir das
Versprechen abgenommen, etwas über die Expo zu schreiben, wenn
ich mich schon als Journalist akkreditiere, hmm, mal schauen, ob mir
was spannendes einfällt.
Gleich am Westeingang steht der japanische Pavillon , den will ich doch gleich
mal als erstes besuchen. Wie von der Expo in Hannover gewohnt, stehen
vor den Hauptattraktionen lange Menschenschlangen; klar, es ist ja
auch ein Samstag, und ausgerechnet auch noch einer an einem langen
Wochenende. Die angezeigte Wartezeit springt gerade von 90 auf 100
Minuten . An meinem ersten
Expo-Tag in Deutschland hatte ich noch Hemmungen, meinen
Ich-bin-wichtig-Ausweis zu benutzen, aber hier gehe ich gleich zur
Information und sage, dass ich gerne den Pavillon besichtigen
möchte. Zu meiner Überraschung werde ich nicht vorgelassen:
Journalisten dürfen in diesem Pavillon während der
Öffnungszeiten nicht fotografieren, sondern können ihn nach
schriftlicher Voranmeldung außerhalb der Öffnungszeiten
besuchen – morgens zwischen 8:30 und 8:50 oder abends zwischen
21:00 und 22:00. Mit dem Anmeldeformular bewaffnet, wende ich mich
erst einmal der nächsten Attraktion zu und versuche dort mein
Glück.
Am Nagoya Earth Tower beträgt die Wartezeit 80 Minuten . Ich frage an einem
Seiteneingang nach einem Pressezugang und werde von einer aufgeregten
Japanerin zu einer Art Empfangsschalter geführt. Der dort
Sitzende ruft einen dritten Japaner an, der anscheinend ein bisschen
besser Englisch kann, aber auch nicht sehr viel. Jetzt sind sie schon
zu dritt und beraten, was zu tun ist. Meine Visitenkarte wird
gründlich unter die Lupe genommen, und dann fragen sie irgendwas
auf Japanisch – wie oft unsere Zeitschrift erscheint? Wann sie
erscheint? So ganz kapier ichs nicht, aber irgendwann geht es weiter.
Nach Rücksprache mit einer vierten Person und der Bemerkung, dass
es heute aber sehr voll ist, führen sie mich dann endlich in das
große Kaleidoskop, anscheinend das Herzstück dieses
Pavillons. Es ist zwar ganz nett anzuschauen , aber wenn ich dafür
80 Minuten Schlange gestanden hätte, dann hätte ich mich
echt geärgert, glaube ich. Insofern genau wie auf der deutschen
Expo. Meine Begleiter schauen mich ganz ungläubig an, als ich
nach einer Minute andeute, dass ich weitergehen will. Sie bleiben wie
angewurzelt stehen und schauen andächtig das Kaleidoskop an, also
bleibt mir nichts anderes übrig, als es auch noch eine Zeitlang
zu bewundern. Immerhin habe ich so die Muße, doch noch ein
interessantes Foto zu machen, das mir sonst vielleicht durch die
Lappen gegangen wäre . Tja, und das wars auch
schon. Die anderen Attraktion, die der Turm laut Prospekt zu bieten
hat, kriege ich nicht zu sehen. Oder doch, klar! Die "Aqua Wall" ist
gar nicht innen, sondern damit ist tatsächlich der
Sprühnebel gemeint, der an den Ecken des Turms zu sehen
ist . Und die windbetriebenen
Xylophone stehen ebenfalls draußen vor der Tür . So ist das begehbare
Riesenkaleidoskop also tatsächlich das Einzige, wofür man
hier Schlange steht. Immerhin ist es das weltgrößte und hat
einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde, so steht es jedenfalls im
Prospekt zu lesen (47 Meter hoch, 40 Meter Durchmesser).
Auf dem Gelände einer Ausstellung, deren Leitmotiv die
Weisheit der Natur ist, muss natürlich der Müll
umweltfreundlich getrennt und recycelt werden. Deshalb gibt es
separate Mülleimer für brennbaren Abfall, unbrennbaren
Abfall, Essstäbchen, Zeitungen und Prospekte, Plastik,
PET-Flaschen, Biomüll, Pappbecher und sogar ein Gefäß
für Getränkereste. Man kann also nicht einfach von
Mülleimern sprechen, es handelt sich hier um ausgefeilte
Entsorgungsstationen, und an jeder solchen Station steht jemand
bereit, den Besucher bei der Wahl des richtigen Mülleimers zu
beraten .
Als ich das erste Mal am deutschen Pavillon vorbeikomme, hat der
gerade wegen eines Stromausfalls geschlossen . Zwei Mitarbeiterinnen
stehen am Eingang, verbeugen sich andauernd höflich und
entschuldigen sich in geschraubtem, höflichem Japanisch
(keigo) bei der Kundschaft. Huch, das sind ja sogar Deutsche,
wie ich an den blonden Haaren und dann am Namensschildchen erkenne. Na
klar, warum sollten am deutschen Pavillon nicht auch ein paar
Deutsche arbeiten? Da der eigentliche Pavillon nicht zugänglich
ist, sichte ich das Warenangebot: Eine Flasche Weißbier für
umgerechnet 7 Euro fuffzich , da wart ich doch lieber,
bis ich wieder zu Hause bin. Dazu ein eigentlich nicht ganz dazu
passender Oktoberfest-Bierkrug für umgerechnet 17 Euro , ein Kleiner Feigling
für 1,50 und Bad Reichenhaller Alpensalz für 3,75 . Stolze Preise. Bier und
Kleiner Feigling kann ich ja noch ein bisschen verstehen, aber was die
Japaner wohl an deutschem Salz toll finden mögen, das
erschließt sich mir nicht.
Ich schlendere ein Weilchen durch die Gegend und besuche wahllos
den türkischen und den griechischen Pavillon, weil dort die
Schlangen gerade kurz sind. Zurück am deutschen Pavillon sehe
ich, dass er wieder in Betrieb ist – mit einer langen Schlange
davor. Also wende ich mich wieder an die Information – mein
Presseschildchen trage ich weisungsgemäß um den Hals
–, wo eine Japanerin mich bittet, zu warten. Ich warte bestimmt
fünf Minuten, bis sie sich bei mir entschuldigt, dass leider kein
Ansprechpartner für die Presse da sei (auf Deutsch, inzwischen
hat sie mitgekriegt, dass ich Deutscher bin). Das macht doch nichts,
ich bin schon damit zufrieden, wenn ich einfach nur den Pavillon
besichtigen darf. Das ist kein Problem, zusammen mit einer Gruppe von
Leuten, die "Easy Access"-Tickets haben, werde ich an der Schlange
vorbeigelotst und in so eine Art Mini-Achterbahn verfrachtet. Dort
gibts nichts wirklich Weltbewegendes zu sehen, und Fotos gelingen bei
dem Licht und dem Geschaukel natürlich auch nicht recht .
In den dann folgenden Ausstellungsräumen präsentiert
Deutschland einige seiner Forschungsinstitute und Firmen, immer
bemüht, dem Leitmotiv "Die Weisheit der Natur" gerecht zu werden.
So sieht man neben den Strömungssimulationen für
Flugzeuge Videos von fliegenden
Vögeln, neben der Erklärung eines schmutzabweisenden
Anstrichs Plastik-Lotusblätter
mit darauf tropfendem Wasser (oder sind die etwa echt?)
und neben Modellen von Tragekonstruktionen Knochen(modelle).
Faszinierend zum Spielen (ich bleibe da eine ganze Weile, aber
keiner der vorbeilaufenden Japaner scheint es zu kapieren) ist die
akustische Kamera . An einem Ring sind (wenn
ich mich recht erinnere) 37 Mikrofone angebracht, und aus den
Laufzeitdifferenzen errechnet das Ding, woher Geräusche kommen.
Die Webcam in der Mitte dient mehr der Demonstration, das akustische
Bild wird ihrem Bild überlagert. Einige Japaner gucken komisch,
während ich abwechselnd pfeifend und händeklatschend vor dem
Ding herumhüpfe. Wenn ich einfach pfeife, ortet das Ding die
Lärmquelle tatsächlich genau an meinem Mund. Aber wenn ich
währenddessen fotografiere etwas weiter unten, was natürlich
kein Wunder ist, denn die direkte Sicht auf meinen Mund ist ja
blockiert, und auch der Schall muss einen Umweg nehmen .
Als nächstes gehts in den französischen Pavillon.
Deutschland und Frankreich teilen sich ein Gebäude, die
gemeinsame Grenze bildet der Verkaufsraum, wo es deutsche und
französische Mitbringsel gibt.
Während der deutsche Pavillon abgesehen von der komischen
Achterbahn eine nüchterne Technik-Ausstellung beinhaltet, sind
die Franzosen die Sache künstlerischer angegangen. Der
Pressesprecher führt mich herum und erklärt mir alles, sonst
hätte ich die interessanteste Installation womöglich gar
nicht kapiert: Auf einer vielleicht 4 × 8 Meter
großen Fläche wird auf jeden Besucher ein Spot projiziert,
der ihm automatisch folgt . Auf einer großen
Leinwand leuchten im Wechsel verschiedene Schlagwörter auf,
außerdem die Positionen aller gerade anwesenden Besucher . Wenn sich genügend
Besucher auf einem Begriff versammeln, läuft ein Film zu diesem
Thema an. Hätte der Pressesprecher mir nicht die Erklärung
aufgedrängt, wäre mir das vermutlich nicht aufgefallen. Dann
haben sie noch ein ganz nettes würfelförmiges Kino mit
Leinwänden an allen vier Seiten und der Decke .
Die Sonne geht allmählich unter, und ich beschließe, mit
der Seilbahn ans andere Ende des Geländes zu fahren;
hauptsächlich wegen der Aussicht , aber auch, weil ich
allmählich los muss; meine Klassenkameradin Kathy hat mich zu
einer kleinen Party eingeladen, und ich hatte mich für
ungefähr 20 Uhr angekündigt. Das werde ich sowieso nicht
mehr ganz schaffen. Alles in allem habe ich heute nur einen winzigen
Bruchteil der Expo gesehen und beschließe, die freien Tage in
der nächsten Woche für weitere Besuche zu nutzen, statt mir
sonstige Reiseziele in Japan auszugucken. Schließlich ist nicht
alle Tage Expo, und wenn man schon mal umsonst reindarf ...
Unterwegs ruft mich Kathy an, wo ich denn bleibe und bietet mir an,
mich vom Bahnhof abzuholen. Das ist ja nett und außerdem sehr
nützlich. Ich hatte mir zwar gestern einen Plan gezeichnet, wie
ich zu ihr finde, aber den natürlich zu Hause vergessen. Zu
meiner Überraschung wartet am Bahnhof ein Auto auf mich: Kim. Ich
hatte wohl bei der Vorstellungsrunde nicht genau zugehört und gar
nicht wahrgenommen, dass Kathy verheiratet ist. Ihr Mann ist ein ganz
knuffiger Japaner, der außerdem fließend Englisch und
Chinesisch spricht. Da zwei weitere Gäste nicht gekommen sind,
bleibt die Party ein recht kleiner Kreis , und Kim ist so
freundlich, alle bis nach Hause zu fahren. So muss ich das Abenteuer
Umsteigen nicht nachts alleine meistern und gehe kein Risiko ein, den
letzten Zug zu verpassen.
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