30.4., Expo 2005

Heute will ich auf die Expo gehen. Ich schlafe aber trotzdem bis 10; irgendwie muss das am Wochenende doch sein. Nach einem gemütlichen Frühstück frage ich Keiko san, wie ich denn da hinkomme. Um 11:52 fährt ein Zug vom Bahnhof Yamanaka (das ist hier gleich um die Ecke die Station, von der aus ich letztes Wochenende aus auch mit Katsuaki san losgefahren bin). In Higashi Okazaki soll ich dann umsteigen und mit einem anderen Zug nach Okazakikouenmae fahren, dort zu einem anderen Bahnhof wechseln und in die Aichi-Kanjou-Linie steigen, die dann irgendwie zur Expo fährt. So ganz wohl fühle ich mich nicht dabei; es wäre mir irgendwie lieber, ich hätte einen Netzplan der hiesigen Bahnlinien. Ich diskutiere kurz noch mit Keiko san darüber, wie ich denn abends wohl am besten nach Hause komme; Kathy san hat heute Abend zu einer kleinen Party eingeladen, und sie wohnt mitten in Okazaki. Ob ich wohl doch mit dem Fahrrad nach Okazaki reinfahre und von dort aus den Zug nehme, damit ich abends mit dem Fahrrad nach Hause fahren kann? Ach, egal, ich nehm jetzt doch den Zug. Ein bisschen Abenteuer schadet ja nicht.

Bis Higashi Okazaki ist es erst einmal kein Problem. Als ich so im Zug sitze und den Schaffner beobachte, wie er immer wieder einzelnen Leuten Fahrkarten verkauft, kommen mir Zweifel, ob ich nicht auch eine Fahrkarte kaufen müsste. Aber letztes Wochenende mit Katsuaki san sind wir einfach so gefahren, und er hat mich erst am Ankunftsort zu so einem Fare-Adjustment-Schalter geschickt, wo ich den Fahrpreis bezahlt habe. Dann wird das wohl so richtig sein, denke ich mir und spreche den Schaffener nicht an. Und er mich auch nicht.

In Higashi Okazaki steige ich aus und stehe etwas verloren auf dem Bahnsteig. Keiko san meinte, der Anschlusszug müsste auf demselben Bahnsteig abfahren, entweder auf demselben Gleis oder gegenüber. Dieser Bahnhof gehört aber nicht zu den ausländerfreundlichen, wo die Leuchttafeln ab und zu auch mal lateinische Buchstaben anzeigen. Hier stehen die Fahrziele nur in Kanji dran.

Nachdem ich weit und breit keinen Uniformierten sehe, frage ich zwei junge Frauen, wie ich denn wohl zur Expo komme. Das wissen die beiden auch nicht und erzählen mir irgendwas von Nagoya. Nein, über Nagoya wollte ich nicht fahren; ich will einfach nur wissen, mit welchem Zug ich nach Okazaki kouenmae komme, von dort weiß ichs dann schon. Sie bedeuten mir, dass das der Zug am selben Bahnsteig ist. Gut, dass ich gefragt habe, fast wäre ich auf gut Glück gegenüber eingestiegen, denn letzte Woche mit Katsuaki san fuhr der Anschlusszug auch am gegenüberliegenden Gleis ab. Die beiden beraten sich kurz und beschließen dann, mich zu begleiten. Das ist ja nett! So ergibt sich ein bisschen Smalltalk, wobei ich versuche, so viel wie möglich auf Japanisch zu sagen, während meine beiden Begleiterinnen ganz anständig Englisch sprechen. Die üblichen Fragen: Wie lange ich denn schon in Japan bin, wie lange ich noch bleibe, wie lange ich schon Japanisch lerne, ob ich Natto essen kann (ja, das fragen sie auch oft, die Japaner) ...

An der Station Okazaki kouenmae muss ich durch die Absperrung, aber wie? Ich habe doch keine Fahrkarte. Unschlüssig schaue ich mich nach Fare Adjustment um, aber das ist hier kein mit Menschen besetzter Schalter, sondern nur ein Automat, in den ich anscheinend auch erst mal eine Fahrkarte reinstecken müsste. Habe ich also doch was falsch gemacht und bin schwarz gefahren! Aber meine beiden Begleiterinnen lösen das Problem für mich: Die eine hat anscheinend eine Monatskarte oder sowas, geht durch die Absperrung und steckt die Karte anschließend außen wieder rein, sodass sie innen wieder rauskommt. Ihre Begleiterin schnappt sich die Karte, geht damit raus und schiebt sie für mich wieder rein, sodass ich auch problemlos die Station verlassen kann. So macht man das also; die andere ist womöglich auch schwarz gefahren.

An der Station Naka Okazaki helfen mir die beiden noch, das richtige Ticket zu kaufen und zeigen mir den richtigen Bahnsteig, dann verabschieden sie sich. Bis Banpaku Yakusa muss ich fahren und dann in die Linimo umsteigen, alles klar. Linimo kommt mir bekannt vor (womöglich eine Abkürzung für Linear Motor?) – in dem Dokument, das ich mir für die Presse-Akkreditierung ausgedruckt habe, ist die Linimo-Linie drauf nebst der Station, an der ich aussteigen muss.

Der Zug braucht 50 Minuten bis Banpaku Yakusa. Ich hatte auf einem Plan geglaubt gelesen zu haben, dass es 18 Minuten lang dauert. Aber offensichtlich habe ich die Haltestellennummer für die Minutenzahl gehalten. Es ist also schon recht spät, als ich endlich dort ankomme. Obwohl der Besucherstrom nur noch recht spärlich ist, stehen alle paar Meter Uniformierte, die die Leute in die richtige Richtung winken Foto dazu oder mit Megaphonen wichtige Durchsagen machen, die ich leider nicht verstehe Foto dazu. Irgendwann muss ich mir auch mal die Zeit nehmen, zu decodieren, was die Rolltreppen eigentlich sagen. Die meisten Rolltreppen sprechen hier nämlich (nicht währen der Fahrt,nur am Anfang). Wahrscheinlich sagen sie, dass jetzt eine Rolltreppe kommt und man vorsichtig sein muss oder so, keine Ahnung, eines Tages werde ich mal genau hinhören und mein Wörterbuch benutzen.

Da ist es nun also endlich, das Expo-Gelände Foto dazu. Ich fahre eine Station weiter als die Masse, weil das Büro für die Presse-Akkreditierung am Westeingang ist. Obwohl das erwartete Bestätigungsfax nicht eingetroffen ist, liegt mein Presseausweis zur Abholung bereit. Das ist sehr erfreulich, weil es mir lange Verhandlungen und Erklärungen erspart. So habe ich nun also für den Rest meiner Zeit hier eine Dauerkarte und kann nochmal wiederkommen, wenn es mir gefällt. Christian hat mir das Versprechen abgenommen, etwas über die Expo zu schreiben, wenn ich mich schon als Journalist akkreditiere, hmm, mal schauen, ob mir was spannendes einfällt.

Gleich am Westeingang steht der japanische Pavillon Foto dazu, den will ich doch gleich mal als erstes besuchen. Wie von der Expo in Hannover gewohnt, stehen vor den Hauptattraktionen lange Menschenschlangen; klar, es ist ja auch ein Samstag, und ausgerechnet auch noch einer an einem langen Wochenende. Die angezeigte Wartezeit springt gerade von 90 auf 100 Minuten Foto dazu. An meinem ersten Expo-Tag in Deutschland hatte ich noch Hemmungen, meinen Ich-bin-wichtig-Ausweis zu benutzen, aber hier gehe ich gleich zur Information und sage, dass ich gerne den Pavillon besichtigen möchte. Zu meiner Überraschung werde ich nicht vorgelassen: Journalisten dürfen in diesem Pavillon während der Öffnungszeiten nicht fotografieren, sondern können ihn nach schriftlicher Voranmeldung außerhalb der Öffnungszeiten besuchen – morgens zwischen 8:30 und 8:50 oder abends zwischen 21:00 und 22:00. Mit dem Anmeldeformular bewaffnet, wende ich mich erst einmal der nächsten Attraktion zu und versuche dort mein Glück.

Am Nagoya Earth Tower beträgt die Wartezeit 80 Minuten Foto dazu. Ich frage an einem Seiteneingang nach einem Pressezugang und werde von einer aufgeregten Japanerin zu einer Art Empfangsschalter geführt. Der dort Sitzende ruft einen dritten Japaner an, der anscheinend ein bisschen besser Englisch kann, aber auch nicht sehr viel. Jetzt sind sie schon zu dritt und beraten, was zu tun ist. Meine Visitenkarte wird gründlich unter die Lupe genommen, und dann fragen sie irgendwas auf Japanisch – wie oft unsere Zeitschrift erscheint? Wann sie erscheint? So ganz kapier ichs nicht, aber irgendwann geht es weiter. Nach Rücksprache mit einer vierten Person und der Bemerkung, dass es heute aber sehr voll ist, führen sie mich dann endlich in das große Kaleidoskop, anscheinend das Herzstück dieses Pavillons. Es ist zwar ganz nett anzuschauen Foto dazu Foto dazu Foto dazu, aber wenn ich dafür 80 Minuten Schlange gestanden hätte, dann hätte ich mich echt geärgert, glaube ich. Insofern genau wie auf der deutschen Expo. Meine Begleiter schauen mich ganz ungläubig an, als ich nach einer Minute andeute, dass ich weitergehen will. Sie bleiben wie angewurzelt stehen und schauen andächtig das Kaleidoskop an, also bleibt mir nichts anderes übrig, als es auch noch eine Zeitlang zu bewundern. Immerhin habe ich so die Muße, doch noch ein interessantes Foto zu machen, das mir sonst vielleicht durch die Lappen gegangen wäre Foto dazu. Tja, und das wars auch schon. Die anderen Attraktion, die der Turm laut Prospekt zu bieten hat, kriege ich nicht zu sehen. Oder doch, klar! Die "Aqua Wall" ist gar nicht innen, sondern damit ist tatsächlich der Sprühnebel gemeint, der an den Ecken des Turms zu sehen ist Foto dazu. Und die windbetriebenen Xylophone stehen ebenfalls draußen vor der Tür Foto dazu Foto dazu. So ist das begehbare Riesenkaleidoskop also tatsächlich das Einzige, wofür man hier Schlange steht. Immerhin ist es das weltgrößte und hat einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde, so steht es jedenfalls im Prospekt zu lesen (47 Meter hoch, 40 Meter Durchmesser).

Auf dem Gelände einer Ausstellung, deren Leitmotiv die Weisheit der Natur ist, muss natürlich der Müll umweltfreundlich getrennt und recycelt werden. Deshalb gibt es separate Mülleimer für brennbaren Abfall, unbrennbaren Abfall, Essstäbchen, Zeitungen und Prospekte, Plastik, PET-Flaschen, Biomüll, Pappbecher und sogar ein Gefäß für Getränkereste. Man kann also nicht einfach von Mülleimern sprechen, es handelt sich hier um ausgefeilte Entsorgungsstationen, und an jeder solchen Station steht jemand bereit, den Besucher bei der Wahl des richtigen Mülleimers zu beraten Foto dazu.

Als ich das erste Mal am deutschen Pavillon vorbeikomme, hat der gerade wegen eines Stromausfalls geschlossen Foto dazu. Zwei Mitarbeiterinnen stehen am Eingang, verbeugen sich andauernd höflich und entschuldigen sich in geschraubtem, höflichem Japanisch (keigo) bei der Kundschaft. Huch, das sind ja sogar Deutsche, wie ich an den blonden Haaren und dann am Namensschildchen erkenne. Na klar, warum sollten am deutschen Pavillon nicht auch ein paar Deutsche arbeiten? Da der eigentliche Pavillon nicht zugänglich ist, sichte ich das Warenangebot: Eine Flasche Weißbier für umgerechnet 7 Euro fuffzich Foto dazu, da wart ich doch lieber, bis ich wieder zu Hause bin. Dazu ein eigentlich nicht ganz dazu passender Oktoberfest-Bierkrug für umgerechnet 17 Euro Foto dazu, ein Kleiner Feigling für 1,50 und Bad Reichenhaller Alpensalz für 3,75 Foto dazu. Stolze Preise. Bier und Kleiner Feigling kann ich ja noch ein bisschen verstehen, aber was die Japaner wohl an deutschem Salz toll finden mögen, das erschließt sich mir nicht.

Ich schlendere ein Weilchen durch die Gegend und besuche wahllos den türkischen und den griechischen Pavillon, weil dort die Schlangen gerade kurz sind. Zurück am deutschen Pavillon sehe ich, dass er wieder in Betrieb ist – mit einer langen Schlange davor. Also wende ich mich wieder an die Information – mein Presseschildchen trage ich weisungsgemäß um den Hals –, wo eine Japanerin mich bittet, zu warten. Ich warte bestimmt fünf Minuten, bis sie sich bei mir entschuldigt, dass leider kein Ansprechpartner für die Presse da sei (auf Deutsch, inzwischen hat sie mitgekriegt, dass ich Deutscher bin). Das macht doch nichts, ich bin schon damit zufrieden, wenn ich einfach nur den Pavillon besichtigen darf. Das ist kein Problem, zusammen mit einer Gruppe von Leuten, die "Easy Access"-Tickets haben, werde ich an der Schlange vorbeigelotst und in so eine Art Mini-Achterbahn verfrachtet. Dort gibts nichts wirklich Weltbewegendes zu sehen, und Fotos gelingen bei dem Licht und dem Geschaukel natürlich auch nicht recht Foto dazu.

In den dann folgenden Ausstellungsräumen präsentiert Deutschland einige seiner Forschungsinstitute und Firmen, immer bemüht, dem Leitmotiv "Die Weisheit der Natur" gerecht zu werden. So sieht man neben den Strömungssimulationen für Flugzeuge Foto dazu Videos von fliegenden Vögeln, neben der Erklärung eines schmutzabweisenden Anstrichs Foto dazu Plastik-Lotusblätter mit darauf tropfendem Wasser Foto dazu (oder sind die etwa echt?) und neben Modellen von Tragekonstruktionen Foto dazu Knochen(modelle).

Faszinierend zum Spielen (ich bleibe da eine ganze Weile, aber keiner der vorbeilaufenden Japaner scheint es zu kapieren) ist die akustische Kamera Foto dazu. An einem Ring sind (wenn ich mich recht erinnere) 37 Mikrofone angebracht, und aus den Laufzeitdifferenzen errechnet das Ding, woher Geräusche kommen. Die Webcam in der Mitte dient mehr der Demonstration, das akustische Bild wird ihrem Bild überlagert. Einige Japaner gucken komisch, während ich abwechselnd pfeifend und händeklatschend vor dem Ding herumhüpfe. Wenn ich einfach pfeife, ortet das Ding die Lärmquelle tatsächlich genau an meinem Mund. Aber wenn ich währenddessen fotografiere etwas weiter unten, was natürlich kein Wunder ist, denn die direkte Sicht auf meinen Mund ist ja blockiert, und auch der Schall muss einen Umweg nehmen Foto dazu.

Als nächstes gehts in den französischen Pavillon. Deutschland und Frankreich teilen sich ein Gebäude, die gemeinsame Grenze bildet der Verkaufsraum, wo es deutsche und französische Mitbringsel gibt.

Während der deutsche Pavillon abgesehen von der komischen Achterbahn eine nüchterne Technik-Ausstellung beinhaltet, sind die Franzosen die Sache künstlerischer angegangen. Der Pressesprecher führt mich herum und erklärt mir alles, sonst hätte ich die interessanteste Installation womöglich gar nicht kapiert: Auf einer vielleicht 4 × 8 Meter großen Fläche wird auf jeden Besucher ein Spot projiziert, der ihm automatisch folgt Foto dazu. Auf einer großen Leinwand leuchten im Wechsel verschiedene Schlagwörter auf, außerdem die Positionen aller gerade anwesenden Besucher Foto dazu. Wenn sich genügend Besucher auf einem Begriff versammeln, läuft ein Film zu diesem Thema an. Hätte der Pressesprecher mir nicht die Erklärung aufgedrängt, wäre mir das vermutlich nicht aufgefallen. Dann haben sie noch ein ganz nettes würfelförmiges Kino mit Leinwänden an allen vier Seiten und der Decke Foto dazu Foto dazu Foto dazu.

Die Sonne geht allmählich unter, und ich beschließe, mit der Seilbahn ans andere Ende des Geländes zu fahren; hauptsächlich wegen der Aussicht Foto dazu, aber auch, weil ich allmählich los muss; meine Klassenkameradin Kathy hat mich zu einer kleinen Party eingeladen, und ich hatte mich für ungefähr 20 Uhr angekündigt. Das werde ich sowieso nicht mehr ganz schaffen. Alles in allem habe ich heute nur einen winzigen Bruchteil der Expo gesehen und beschließe, die freien Tage in der nächsten Woche für weitere Besuche zu nutzen, statt mir sonstige Reiseziele in Japan auszugucken. Schließlich ist nicht alle Tage Expo, und wenn man schon mal umsonst reindarf ...

Unterwegs ruft mich Kathy an, wo ich denn bleibe und bietet mir an, mich vom Bahnhof abzuholen. Das ist ja nett und außerdem sehr nützlich. Ich hatte mir zwar gestern einen Plan gezeichnet, wie ich zu ihr finde, aber den natürlich zu Hause vergessen. Zu meiner Überraschung wartet am Bahnhof ein Auto auf mich: Kim. Ich hatte wohl bei der Vorstellungsrunde nicht genau zugehört und gar nicht wahrgenommen, dass Kathy verheiratet ist. Ihr Mann ist ein ganz knuffiger Japaner, der außerdem fließend Englisch und Chinesisch spricht. Da zwei weitere Gäste nicht gekommen sind, bleibt die Party ein recht kleiner Kreis Foto dazu Foto dazu, und Kim ist so freundlich, alle bis nach Hause zu fahren. So muss ich das Abenteuer Umsteigen nicht nachts alleine meistern und gehe kein Risiko ein, den letzten Zug zu verpassen.

 

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©2005 by Harald Bögeholz