Heute radle ich mit schussbereiter Kamera zur Schule. Habe mir
vorgenommen, die frisch bestellten Reisfelder zu fotografieren. Leider
muss sich im Rucksack das Einstellrädchen irgendwie auf manuelle
Belichtung und irgendwelche zufälligen Parameter verdreht haben
und ich bemerke es nicht, sodass die Fotos hoffnungslos
überbelichtet sind. Zu meinem großen Erstaunen steckt im
RAW-Format aber so viel Reserve drin, dass sie sich sogar halbwegs
retten lassen . Irgendwas ist anders
heute auf dem Schulweg. Nach einiger Zeit dämmerts mir: Heute ist
Feiertag in Japan – midori no hi, der Tag des Grüns,
deshalb fehlen die ganzen Schüler, die mir sonst immer begegnen.
Yamasa hat eigene Regeln für die Feiertage, sodass wir heute
trotzdem Schule haben. Das ist mir auch ganz lieb so, ich bin
schließlich zum Lernen hier. Schlimm genug, dass nächste
Woche drei Feiertage hintereinander sind (die Yamasa übrigens
auch verschoben hat: Eigentlich ist Dienstag bis Donnerstag Feiertag,
aber Yamasa macht Mittwoch bis Freitag frei). Es fällt richtig
wohltuend auf, dass heute auch das nervtötende Gedudel des
Kindergartens fehlt.
In meinem Klassenzimmer sitzen heute ganz andere Leute – ach
ja, alle 14 Tage werden die Klassen ja neu zusammengesetzt. Das ist
gar nicht mehr mein Klassenzimmer; mein Name steht jetzt an einer
anderen Tür. Die Klasse ist größer geworden, wir sind
jetzt zu neunt. Die bisherigen sechs und drei Neue . So ganz glücklich
bin ich nicht, dass die Klasse jetzt so groß ist, aber mal
schauen, wie es sich in dieser Runde so lernt. Immerhin haben die
größeren Klassenzimmer Fenster, man kann es also auch
positiv sehen.
Wie jeder Freitag beginnt auch dieser mit einer Wiederholung der
Grammatik der letzten Woche, also ein relativ ruhiger Vormittag. Die
neue Grammatik ist auch nicht übermäßig schwer; ich
kannte sie zum Teil schon. Nur mit den Vokabeln haperts mal wieder;
ich schaffe es einfach nicht, jeden Tag ganz so viele neue Wörter
zuverlässig in meinem Kopf zu verankern. Insofern bin ich dann
doch ganz froh, dass es Freitags nur drei Stunden Unterricht gibt.
In der Raucherecke treffe ich Eva, Aya und Svetlana, die gerade
beraten, in welchem Restaurant sie wohl essen gehen wollen. Wenn es
nicht allzu weit weg wäre, würde ich auch gerne mitkommen;
will anschließend wieder zur Schule, um ausgiebig das Internet
zu benutzen. Unter anderem bin ich auch mit der Tagebuchschreiberei
ein wenig im Rückstand.
So einigen wir uns auf Denny's – das habe ich aus dem letzten
Jahr noch in ganz guter Erinnerung, und es ist gleich um die
Ecke . Dort gibts wahlweise
ziemlich japanisches oder weniger japanisches
Essen , für jeden Geschmack
etwas dabei.
Der Nachmittag im Aufenthaltsraum der Schule geht vollständig
für Rumsurfen im Internet, Tagebuchschreiben und Bildbearbeitung
drauf, musste halt auch mal wieder sein. Den Abend verbringe ich wie
jeden Freitag in der Campus-Bar, wo heute Declans Eltern aus
Australien zu Besuch sind . Im weiteren Verlauf des
Abends ergibt sich sogar noch Gelegenheit, etwas auf Japanisch zu
parlieren; ich komme mit einer Japanerin ins Gespräch, die
anscheinend auch Übung darin hat, in langsamen und einfachen
Sätzen zu sprechen. Später stellt sie mir ihren Ehemann vor,
einen Australier . Insgesamt wieder ein
lustiger Abend; heute trinke ich nicht ganz so viel Bier, sodass ich
mich nicht wieder von jemandem nach Hause bringen lassen muss, sondern
mit dem Fahrrad fahren kann. Den Pullover, den ich mir extra für
die Nacht mitgenommen hatte, brauche ich gar nicht, es ist eine
herrlich warme Frühlingsnacht.
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