26.4., Waschtag

Ich wache um kurz nach 5 auf, weil ich mir Sorgen um meine Hausaufgaben mache. Aber irgendwie finde ich es doch etwas früh zum Aufstehen, sodass ich mich im Halbschlaf hin und her drehe, wahrnehme, wie Chihiro anscheinend aufsteht, aber noch mein schönes, warmes Bett genieße. Als um 6 aber der Wecker klingelt, mache ich mich an die Arbeit.

Schlafen hat Wunder gewirkt, jetzt kapier ich die Grammatik von gestern auf einmal wieder. Ich mache meine Hausaufgaben im Bett, was in einem japanischen Zimmer bedeutet: auf dem Fußboden, aber schön kuschelig warm eingepackt. Als um 7 der normale Wecker klingelt, bin ich fast fertig, es hat sich also doch gelohnt, erst einmal zu schlafen.

Heute ist wieder Waschtag, und zu meiner Überraschung ist Keiko san um 7 schon im Bad mit der Waschmaschine zugange. So muss ich leider ein bisschen warten. Ich bin die Tage gefragt worden, warum man im High-Tech-Land Japan nicht gleichzeitig waschen und duschen kann – heute klärt sich diese Frage. Man kann im Prinzip durchaus, aber ..

Vor einigen Tagen war ich mir nicht sicher, wie oft das Badewasser eigentlich abgelassen wird, aber jetzt sehe ich klarer: Keiko san benutzt zum Waschen das Badewasser von gestern! Zu diesem Zwecke stellt sie eine kleine Wasserpumpe mitten ins Bad, hängt den einen Schlauch in die Wanne und den anderen in die Waschmaschine und pumpt Wasser in die Maschine. Was natürlich erfordert, dass man daneben stehen bleibt oder zumindest sehr genau aufpasst. Als die Maschine dann läuft, darf ich duschen, allerdings geht die Tür zwischen Dusche und dem restlichen Bad nicht ganz zu wegen der Wasserschläuche.

Noch während ich dusche, bleibt die Waschmaschine stehen und fängt an zu brummen. Ob sie wohl neues Wasser will? Immerhin stört mich Keiko san nicht im Bad, aber beim Frühstück kriege ich mit, dass das nochmal passiert: Na klar, immer, wenn die Maschine neues Wasser will, brummt sie und Keiko san muss laufen. Waschen ist hier also richtig Arbeit im Vergleich zu zu Hause. Außerdem verstehe ich heute auch, warum es nicht gut ist, wenn ich an einem Waschtag bis nach 7:30 im Bad bin. Von 7:45 bis 8:00 kommt nämlich Keiko san's Lieblings-Soap, die muss sie jeden Tag zum Frühstück schauen.

Schon letztes Jahr habe ich mich über die Einfachheit der japanischen Waschmaschinen gewundert – die Münzwaschmaschine im Studentenwohnheim hatte nur einen einzigen Knopf, und ich weiß nicht mal, wozu der gut war, denn nach Münzeinwurf hat die Maschine einfach losgewaschen. Meine damalige Vermutung, dass hier grundsätzlich kalt gewaschen wird, habe ich inzwischen von mehreren unabhängigen Quellen bestätigt bekommen, daher verzichte ich darauf, den Finger in die (mit offenem Deckel, Top-Lader) laufende Maschine zu stecken und mich zu vergewissern. Keiko san erklärt mir später, dass die Wäsche besonders schön sauber wird mit diesem Wasser, weil es noch ein bisschen warm ist von gestern (das Badewasser wird mit einer Art Iso-Matte abgedeckt, und dann kommt auf die Wanne noch ein Deckel drauf.)

Jetzt weiß ich also, was mit dem kostbaren Badewasser passiert, in dem die ganze Familie zwei Abende lang gebadet hat: Es dient noch einmal einem guten Zweck. Ich muss gelegentlich überprüfen, ob das Badewasser wirklich nur alle zwei Tage erneuert wird oder ob sie es vielleicht doch nur jeden zweiten Tag für die Wäsche aufbewahren und an den anderen Tagen ablassen.

Keiko san hat mich gebeten, morgen Nachmittag an ihrer Englisch-Konversationsrunde teilzunehmen. Zu diesem Zwecke will sie mich am midori suupaa treffen (suupaa ist die japanische Verballhornung von supermarket und midori ist Grün, und zwar das Grün von Pflanzen). Sie hat mir vor einigen Tagen erklärt, wo der sein soll, es mir auf einer Karte eingezeichnet und sich vergewissert, dass ich Hiragana lesen kann. Das stünde da in Hiragana auch dran. Ich habe nun schon seit Tagen auf meinem Schulweg versucht, diesen Supermarkt zu finden, aber Fehlanzeige – midori suupaa gibts nicht. Immerhin habe ich Tag für Tag eifrig lesen geübt. Da das Treffen morgen sein soll, mache ich heute auf dem Schulweg ein Foto vom wahrscheinlichsten Kandidaten für den Treffpunkt Foto dazu.

Vom Unterricht erzähle ich heute mal nicht viel, bin irgendwie etwas hinterher mit Tagebuchschreiben. Japanisch ist schwierig, das ist die Kurzzusammenfassung.

Nach dem Unterricht will ich mich wie üblich in den Aufenthaltsraum setzen, um mich zu entspannen und das dortige WLAN zu nutzen, aber Pustekuchen: Alle Tische sind in Benutzung, und zwar wird dort eifrig gekocht Foto dazu Foto dazu Foto dazu Foto dazu. Ich habe keine Ahnung, was hier vorgeht, was das für Leute sind, die hier kochen und so weiter, aber ich ziehe mich notgedrungen in den Computerraum zurück. Dort interessiert sich jemand für meine Kamera, wobei zur Abwechslung mal wieder ein (schlechtes) Foto von mir abfällt Foto dazu.

Später läuft mir Markus über den Weg, und wir spielen zwei Partien Go. Die erste gebe ich auf, weil ich irgendwie versäumt habe, ein hinreichend großes Gebiet zu machen (ansonsten verlief die Partie ausgesprochen friedlich). Allmählich beginne ich daran zu zweifeln, dass Markus nur ein bisschen stärker ist als ich, aber in der nächsten Partie macht er so viel Mist, dass er in einem recht frühen Stadium aufgeben muss. Schön, da habe ich also jemanden hier, gegen den ich gleichauf gut spielen kann. (Mich amüsieren zwischendurch ein wenig seine Kommentare. Er erählt mir andauernd, dies sei aber kein Joseki, und jenes hätte er noch nie gesehen. Tja, ich kann halt keine Joseki, alles original meine eigenen Züge :-) .)

Nach dem Abendessen zeige ich Keiko san das Foto von heute morgen und frage sie, ob das der Treffpunkt ist. Ja, klar, steht doch da! Was steht da? Na guriinhiru! Äh, ja? Und? Na, guriin! midori! Ach so, klar! Midori heißt Grün, und guriin ist die japanische Verballhornung des englischen Worts green, also in Keiko san's Kopf natürlich dasselbe. Dass es für einen Deutschen eine immense Transferleistung bedeutet, von midori suupaa auf guriinhiru zu kommen, selbst wenn es quasi im Klartext in Katakana dransteht, ist ihr wohl nicht in den Sinn gekommen. (Ich vermute übrigens, guriinhiru war mal green hill, bevor es Katakanifiziert wurde.)

 

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©2005 by Harald Bögeholz