Ich wache um kurz nach 5 auf, weil ich mir Sorgen um meine
Hausaufgaben mache. Aber irgendwie finde ich es doch etwas früh
zum Aufstehen, sodass ich mich im Halbschlaf hin und her drehe,
wahrnehme, wie Chihiro anscheinend aufsteht, aber noch mein
schönes, warmes Bett genieße. Als um 6 aber der Wecker
klingelt, mache ich mich an die Arbeit.
Schlafen hat Wunder gewirkt, jetzt kapier ich die Grammatik von
gestern auf einmal wieder. Ich mache meine Hausaufgaben im Bett, was
in einem japanischen Zimmer bedeutet: auf dem Fußboden, aber
schön kuschelig warm eingepackt. Als um 7 der normale Wecker
klingelt, bin ich fast fertig, es hat sich also doch gelohnt, erst
einmal zu schlafen.
Heute ist wieder Waschtag, und zu meiner Überraschung ist
Keiko san um 7 schon im Bad mit der Waschmaschine zugange. So muss ich
leider ein bisschen warten. Ich bin die Tage gefragt worden, warum man
im High-Tech-Land Japan nicht gleichzeitig waschen und duschen kann
– heute klärt sich diese Frage. Man kann im Prinzip
durchaus, aber ..
Vor einigen Tagen war ich mir nicht sicher, wie oft das Badewasser
eigentlich abgelassen wird, aber jetzt sehe ich klarer: Keiko san
benutzt zum Waschen das Badewasser von gestern! Zu diesem Zwecke
stellt sie eine kleine Wasserpumpe mitten ins Bad, hängt den
einen Schlauch in die Wanne und den anderen in die Waschmaschine und
pumpt Wasser in die Maschine. Was natürlich erfordert, dass man
daneben stehen bleibt oder zumindest sehr genau aufpasst. Als die
Maschine dann läuft, darf ich duschen, allerdings geht die
Tür zwischen Dusche und dem restlichen Bad nicht ganz zu wegen
der Wasserschläuche.
Noch während ich dusche, bleibt die Waschmaschine stehen und
fängt an zu brummen. Ob sie wohl neues Wasser will? Immerhin
stört mich Keiko san nicht im Bad, aber beim Frühstück
kriege ich mit, dass das nochmal passiert: Na klar, immer, wenn die
Maschine neues Wasser will, brummt sie und Keiko san muss laufen.
Waschen ist hier also richtig Arbeit im Vergleich zu zu Hause.
Außerdem verstehe ich heute auch, warum es nicht gut ist, wenn
ich an einem Waschtag bis nach 7:30 im Bad bin. Von 7:45 bis 8:00
kommt nämlich Keiko san's Lieblings-Soap, die muss sie jeden Tag
zum Frühstück schauen.
Schon letztes Jahr habe ich mich über die Einfachheit der
japanischen Waschmaschinen gewundert – die
Münzwaschmaschine im Studentenwohnheim hatte nur einen einzigen
Knopf, und ich weiß nicht mal, wozu der gut war, denn nach
Münzeinwurf hat die Maschine einfach losgewaschen. Meine damalige
Vermutung, dass hier grundsätzlich kalt gewaschen wird, habe ich
inzwischen von mehreren unabhängigen Quellen bestätigt
bekommen, daher verzichte ich darauf, den Finger in die (mit offenem
Deckel, Top-Lader) laufende Maschine zu stecken und mich zu
vergewissern. Keiko san erklärt mir später, dass die
Wäsche besonders schön sauber wird mit diesem Wasser, weil
es noch ein bisschen warm ist von gestern (das Badewasser wird mit
einer Art Iso-Matte abgedeckt, und dann kommt auf die Wanne noch ein
Deckel drauf.)
Jetzt weiß ich also, was mit dem kostbaren Badewasser
passiert, in dem die ganze Familie zwei Abende lang gebadet hat: Es
dient noch einmal einem guten Zweck. Ich muss gelegentlich
überprüfen, ob das Badewasser wirklich nur alle zwei Tage
erneuert wird oder ob sie es vielleicht doch nur jeden zweiten Tag
für die Wäsche aufbewahren und an den anderen Tagen
ablassen.
Keiko san hat mich gebeten, morgen Nachmittag an ihrer
Englisch-Konversationsrunde teilzunehmen. Zu diesem Zwecke will sie
mich am midori suupaa treffen (suupaa ist die japanische
Verballhornung von supermarket und midori ist Grün, und
zwar das Grün von Pflanzen). Sie hat mir vor einigen Tagen
erklärt, wo der sein soll, es mir auf einer Karte eingezeichnet
und sich vergewissert, dass ich Hiragana lesen kann. Das stünde
da in Hiragana auch dran. Ich habe nun schon seit Tagen auf meinem
Schulweg versucht, diesen Supermarkt zu finden, aber Fehlanzeige
– midori suupaa gibts nicht. Immerhin habe ich Tag
für Tag eifrig lesen geübt. Da das Treffen morgen sein soll,
mache ich heute auf dem Schulweg ein Foto vom wahrscheinlichsten
Kandidaten für den Treffpunkt .
Vom Unterricht erzähle ich heute mal nicht viel, bin irgendwie
etwas hinterher mit Tagebuchschreiben. Japanisch ist schwierig, das
ist die Kurzzusammenfassung.
Nach dem Unterricht will ich mich wie üblich in den
Aufenthaltsraum setzen, um mich zu entspannen und das dortige WLAN zu
nutzen, aber Pustekuchen: Alle Tische sind in Benutzung, und zwar wird
dort eifrig gekocht . Ich habe keine Ahnung,
was hier vorgeht, was das für Leute sind, die hier kochen und so
weiter, aber ich ziehe mich notgedrungen in den Computerraum
zurück. Dort interessiert sich jemand für meine Kamera,
wobei zur Abwechslung mal wieder ein (schlechtes) Foto von mir
abfällt .
Später läuft mir Markus über den Weg, und wir
spielen zwei Partien Go. Die erste gebe ich auf, weil ich irgendwie
versäumt habe, ein hinreichend großes Gebiet zu machen
(ansonsten verlief die Partie ausgesprochen friedlich).
Allmählich beginne ich daran zu zweifeln, dass Markus nur ein
bisschen stärker ist als ich, aber in der nächsten Partie
macht er so viel Mist, dass er in einem recht frühen Stadium
aufgeben muss. Schön, da habe ich also jemanden hier, gegen den
ich gleichauf gut spielen kann. (Mich amüsieren zwischendurch ein
wenig seine Kommentare. Er erählt mir andauernd, dies sei aber
kein Joseki, und jenes hätte er noch nie gesehen. Tja, ich kann
halt keine Joseki, alles original meine eigenen Züge :-) .)
Nach dem Abendessen zeige ich Keiko san das Foto von heute morgen
und frage sie, ob das der Treffpunkt ist. Ja, klar, steht doch da! Was
steht da? Na guriinhiru! Äh, ja? Und? Na, guriin!
midori! Ach so, klar! Midori heißt Grün, und
guriin ist die japanische Verballhornung des englischen Worts
green, also in Keiko san's Kopf natürlich dasselbe. Dass es
für einen Deutschen eine immense Transferleistung bedeutet, von
midori suupaa auf guriinhiru zu kommen, selbst wenn es
quasi im Klartext in Katakana dransteht, ist ihr wohl nicht in den
Sinn gekommen. (Ich vermute übrigens, guriinhiru
war mal green hill, bevor es Katakanifiziert wurde.)
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