Habe ich eigentlich schon erzählt, dass anscheinend alle
Hundehalter mit einem kleinen Schäufelchen in der Hand
herumlaufen? Und zwar sehen sich die Schäufelchen ziemlich
ähnlich; ich könnte wetten, es gibt diese standardisierten
Schäufelchen gleich dazu, wenn man einen Hund kauft, oder die
Zoogeschäfte führen diese speziell geformten
Hundescheißeschaufeln. Da ich heute wieder einmal mit der Kamera
im Rucksack radle, bin ich zu faul, ein Bilddokument von einem
Hundehalter anzufertigen (da mir das eh peinlich ist, werde ich mich
vielleicht eines Tages mal mit dem Teleobjektiv auf die Lauer legen).
Und erst recht habe ich noch keines dieser Schäufelchen in Aktion
gesehen; da müsste man einem Hundehalter wohl mal etwas
ausdauernder nachstellen. Ob es in Japan wohl eine Vorschrift gibt,
dass man beim Gassigehen das Schäufelchen immer deutlich sichtbar
zur Schau stellen muss?
Wir sind heute bei Lektion 24. Letztes Jahr habe ich über die
Tagebuchseite zu dieser Lektion als Überschrift "geben, geben und
bekommen" geschrieben – und dann keine Zeit gefunden,
tatsächlich ein Tagebuch zu schreiben. Da ist sie also wieder,
die Horror-Lektion – nie war der Unterschied zwischen Theorie
und Praxis so groß wie heute. Und zwar, weil ich die Theorie ja
letztes Jahr schon gelernt und in einer schriftlichen Prüfung
bewiesen habe, dass ich sie auf dem Papier beherrsche. Aber verflixt
und zugenäht, ich kriege es weder hin, das in gesprochener Form
halbwegs schnell zu verstehen, noch, es fließend
auszusprechen.
Worum es geht? An der Tafel steht es : Um die drei Verben
für geben (ich jemand anderem, Dankbarkeit seinerseits
ausdrückend), geben (jemand mir, Dankbarkeit meinerseits
ausdrückend) und bekomen (vielleicht noch etwas mehr Dankbarkeit
meinerseits ausdrückend). Und zwar verwendet man diese Verben
nicht nur, wenn Gegenstände übergeben werden, sondern auch,
wenn jemand eine Handlung für jemand anderen ausführt. Also
ungefähr so: Meine Mutter hat mir Essen-kochen gegeben. Oder, was
dasselbe bedeutet, aber etwas mehr Dankbarkeit ausdrückt, wenn
ich es recht verstanden habe: Ich habe von meiner Mutter Essen-kochen
bekommen.
Wenn man es so auf Deutsch erklärt, wird vielleicht immer noch
nicht deutlich, wo die Schwierigkeit liegt. Oben habe ich geschrieben
"mir" und "von meiner Mutter". Aber im Japanischen werden beide
Objekte mit derselben Partikel (ni) gekennzeichnet. Und genau
das ist das Problem: Meine Mutter ga ich ni Essen-kochen
gegeben und Ich wa Meine Mutter ni Essen-kochen
bekommen. ni markiert das Ziel einer Handlung, aber man
erfährt erst am Ende des Satzes, wie herum das nun ist mit der
Handlung. muzukashii (schwierig)! Mein Blick schweift immer
wieder auf die Durchhalteparole an der Wand . Dass es dann noch ein
anderes Wort für geben gibt, wenn ich jemand anderem etwas gebe
oder etwas Gutes tue, das macht den Kohl dann auch nicht mehr fett.
Und wenn man jemanden fragt, wer denn nun das Bier für die Party
kaufen geht (das war wirklich so in der Dialogübung drin, ich bin
unschuldig!), dann muss man sich in die Lage des Antwortenden
hineinversetzen und in der Frage das Wort verwenden, das die richtige
Richtung des Gebens aus der Sicht des Antwortenden bezeichnet. Ach,
ach! In der Theorie kann ichs perfekt, aber ohne Bedenkzeit, live und
in Farbe ... Zum Glück habe ich nicht den Eindruck, die
Klasse auszubremsen. Alle haben hieran zu knabbern, scheint echt eine
der typischen Hürden beim Japanischlernen zu sein.
Apropos Klasse: Heute ist noch eine neue Schülerin aus Hong
Kong zu uns gestoßen, die nach dem Einstufungstest in einer
niedrigeren Klasse gelandet war, sich aber dort gelangweilt hat. Ich
habe auch den Eindruck, dass das eine gute Entscheidung war; sie kann
bei uns gut mithalten. Aber ich weiß nicht, ob es an mir liegt,
irgendwie werde ich mit dieser Klasse nicht so recht warm. Wird es je
wieder eine so tolle Klasse geben, die so viel Spaß miteinander
hat wie letztes Jahr? Hier geht es irgendwie viel ernster zu, ich
sitze neben der strengen Svetlana aus Russland, die, wie ich
inzwischen weiß, Dozentin für Psychologie an einer
russischen Hochschule ist. Ein Eiswürfel verglichen mit dem
California Girl vom letzten Jahr, wenn Ihr wisst, was ich meine. Als
ich vor einigen Monaten eine Mail an meine alten Klassenkameraden
geschrieben habe, dass ich wieder nach Yamasa komme, da hat Gail
geantwortet, dass wir uns unbedingt treffen sollten (sie lebt und
arbeitet in Japan). Aber auf meine Mail von letzter Woche, dass ich
jetzt tatsächlich komme, habe ich noch keine Antwort :-(.
Nach dem Unterricht lungere ich wieder ein bisschen in der
Frühlingssonne herum, plaudere mit den Rauchern und gehe dann in
den Aufenthaltsraum, um in meine E-Mail zu schauen. Ein paar Leute
haben mir geschrieben, danke, aber irgendwie hätte ich gedacht,
dass ich mehr Leser habe. Na ja, vielleicht melden sich ja noch ein
paar. Hiko hat mir auf Japanisch geschrieben; ich brauche eine ganze
Weile, um alles zu verstehen. Aber ich kriege es hin.
Gegen 16 Uhr schneit Markus(?) herein, ein Kommilitone aus
Finnland. Ich habe glaube ich zu erzählen vergessen, dass Markus
auch ein Go-Spieler ist. Die Lehrer hier sind echt auf Zack: Als ich
mich vergangenen Freitag in der ersten Stunde vorgestellt und von
meinen Hobbys erzählt habe, da hat mich die Lehrerin gleich in
der ersten Pause Markus vorgestellt, der schon etwas länger hier
ist und auch Go spielt. Wir hatten uns schon mal darüber
unterhalten, dass wir uns von Declan mal das Spielmaterial ausleihen
müssen und ein Spielchen wagen; heute ist es so weit.
Declan ist dummerweise nicht da (obwohl eigentlich die offiziellen
Öffnungszeiten des International Office von 14:30 bis 16:30 sind.
Wir klopfen abwechselnd alle Viertelstunde an der verschlossenen
Tür, und gegen 17 Uhr habe ich endlich Glück: Declan ist da
und wir holen das Go-Material aus der Bar. Markus hat mir
erzählt, dass er im örtlichen Go-Club fast alle Spiele
gewonnen hat. Daraus schließe ich, dass er womöglich
stärker ist als ich und nehme Schwarz.
Wir haben verabredet, eine schnelle Partie zu spielen, 30,
höchstens 45 Minuten insgesamt. Ich spare mir die Details, aber
mit Komi habe ich um einen halben Punkt verloren. Hier ist also ein
Gegner, gegen den ich sehr schön gleichauf spielen kann. Nun
müssen wir nur noch die logistischen Probleme lösen, wie wir
an das Material herankommen (wir haben es zurückgegeben) und wann
wir Zeit haben.
Zum Abendessen gibt es wieder merkwürdige Dinge, deren Namen
ich mir nicht merken kann . Ich sollte sie wirklich
aufschreiben! So komische Knollen, die etwas mühsam abzupellen
sind und die man mit Soyasoße und Ingwer isst und diverse andere
fischige Sachen. Ich bin selbst überrascht, wie gut mir das Essen
hier schmeckt. Vielleicht liegts nur daran, dass ich nicht weiß,
was es ist :-). Nein, es muss an der guten Köchin liegen!
Wie immer redet Chihiro übrigens beim Abendessen kein Wort mit
mir. Irgendwie behandeln wir einander ungefähr so, als wäre
der andere nicht da. Ich glaube, wir sind beide schüchtern
– sie traut sich nicht, mich auf Japanisch anzusprechen (weil
ich eh nix verstehe) oder gar ihr Englisch zu benutzen (an das sie
nicht recht glaubt), und ich weiß auch nicht recht, wie und
worauf ich sie ansprechen soll. Egal, wir sind ja erst in der ersten
Woche, vielleicht wird das ja noch.
Nach dem Essen weist mich Keiko san darauf hin, dass es morgen
regnen wird. Ach so? Mist, ich habe meine Regenkleidung natürlich
vergessen und ebenso vergessen, heute mal was einkaufen zu gehen. Es
war ja zu befürchten, dass ich nicht vier Wochen lang Glück
mit dem Wetter haben würde. Aber Keiko san zaubert irgendwoher
einen Vorrat an Regenklamotten. Mal sehen ... zu klein, zu klein ...
die Regenjacke könnte passen. Ja, einen Regenmantel haben wir
jetzt schon; zwar nicht viel Platz drin, wenn ich ihn zumache, aber es
wird schon gehen. Regenhose finden wir keine; die japanische
Größe M ist einfach viel zu eng für meinen
Bauchumfang . Jedenfalls kümmert
sich Keiko san super nett um mich.
Ich entschuldige mich, um meine Hausaufgaben zu machen.
Anschließend lerne ich noch ein Stündchen Vokabeln, um dann
ab 22:30 diese Zeilen zu schreiben. Als ich gerade fast fertig bin,
bringt mir Keiko san noch meine Wäsche und fragt mich, ob ich ein
Bad nehmen will. Ach nein, danke, muss nicht sein. Außerdem
bittet sie mich, doch etwas früher zu duschen, wenn ich morgen
duschen will. Sie muss Wäsche waschen. Aha, hat sie da so einen
minutengenau festgelegten Rhythmus, dass ich nicht bis 7:35 im Bad
bleiben darf? In der Tat hat sie an einem der letzten Tage um diese
Zeit mal an die Badezimmertür geklopft. Muss ich mich also
benehmen, da könnt ja jeder kommen und am Waschtag fünf
Minuten länger duschen.
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