19.4., Noch ein Go-Spieler

Habe ich eigentlich schon erzählt, dass anscheinend alle Hundehalter mit einem kleinen Schäufelchen in der Hand herumlaufen? Und zwar sehen sich die Schäufelchen ziemlich ähnlich; ich könnte wetten, es gibt diese standardisierten Schäufelchen gleich dazu, wenn man einen Hund kauft, oder die Zoogeschäfte führen diese speziell geformten Hundescheißeschaufeln. Da ich heute wieder einmal mit der Kamera im Rucksack radle, bin ich zu faul, ein Bilddokument von einem Hundehalter anzufertigen (da mir das eh peinlich ist, werde ich mich vielleicht eines Tages mal mit dem Teleobjektiv auf die Lauer legen). Und erst recht habe ich noch keines dieser Schäufelchen in Aktion gesehen; da müsste man einem Hundehalter wohl mal etwas ausdauernder nachstellen. Ob es in Japan wohl eine Vorschrift gibt, dass man beim Gassigehen das Schäufelchen immer deutlich sichtbar zur Schau stellen muss?

Wir sind heute bei Lektion 24. Letztes Jahr habe ich über die Tagebuchseite zu dieser Lektion als Überschrift "geben, geben und bekommen" geschrieben – und dann keine Zeit gefunden, tatsächlich ein Tagebuch zu schreiben. Da ist sie also wieder, die Horror-Lektion – nie war der Unterschied zwischen Theorie und Praxis so groß wie heute. Und zwar, weil ich die Theorie ja letztes Jahr schon gelernt und in einer schriftlichen Prüfung bewiesen habe, dass ich sie auf dem Papier beherrsche. Aber verflixt und zugenäht, ich kriege es weder hin, das in gesprochener Form halbwegs schnell zu verstehen, noch, es fließend auszusprechen.

Worum es geht? An der Tafel steht es Foto dazu: Um die drei Verben für geben (ich jemand anderem, Dankbarkeit seinerseits ausdrückend), geben (jemand mir, Dankbarkeit meinerseits ausdrückend) und bekomen (vielleicht noch etwas mehr Dankbarkeit meinerseits ausdrückend). Und zwar verwendet man diese Verben nicht nur, wenn Gegenstände übergeben werden, sondern auch, wenn jemand eine Handlung für jemand anderen ausführt. Also ungefähr so: Meine Mutter hat mir Essen-kochen gegeben. Oder, was dasselbe bedeutet, aber etwas mehr Dankbarkeit ausdrückt, wenn ich es recht verstanden habe: Ich habe von meiner Mutter Essen-kochen bekommen.

Wenn man es so auf Deutsch erklärt, wird vielleicht immer noch nicht deutlich, wo die Schwierigkeit liegt. Oben habe ich geschrieben "mir" und "von meiner Mutter". Aber im Japanischen werden beide Objekte mit derselben Partikel (ni) gekennzeichnet. Und genau das ist das Problem: Meine Mutter ga ich ni Essen-kochen gegeben und Ich wa Meine Mutter ni Essen-kochen bekommen. ni markiert das Ziel einer Handlung, aber man erfährt erst am Ende des Satzes, wie herum das nun ist mit der Handlung. muzukashii (schwierig)! Mein Blick schweift immer wieder auf die Durchhalteparole an der Wand Foto dazu. Dass es dann noch ein anderes Wort für geben gibt, wenn ich jemand anderem etwas gebe oder etwas Gutes tue, das macht den Kohl dann auch nicht mehr fett. Und wenn man jemanden fragt, wer denn nun das Bier für die Party kaufen geht (das war wirklich so in der Dialogübung drin, ich bin unschuldig!), dann muss man sich in die Lage des Antwortenden hineinversetzen und in der Frage das Wort verwenden, das die richtige Richtung des Gebens aus der Sicht des Antwortenden bezeichnet. Ach, ach! In der Theorie kann ichs perfekt, aber ohne Bedenkzeit, live und in Farbe ... Zum Glück habe ich nicht den Eindruck, die Klasse auszubremsen. Alle haben hieran zu knabbern, scheint echt eine der typischen Hürden beim Japanischlernen zu sein.

Apropos Klasse: Heute ist noch eine neue Schülerin aus Hong Kong zu uns gestoßen, die nach dem Einstufungstest in einer niedrigeren Klasse gelandet war, sich aber dort gelangweilt hat. Ich habe auch den Eindruck, dass das eine gute Entscheidung war; sie kann bei uns gut mithalten. Aber ich weiß nicht, ob es an mir liegt, irgendwie werde ich mit dieser Klasse nicht so recht warm. Wird es je wieder eine so tolle Klasse geben, die so viel Spaß miteinander hat wie letztes Jahr? Hier geht es irgendwie viel ernster zu, ich sitze neben der strengen Svetlana aus Russland, die, wie ich inzwischen weiß, Dozentin für Psychologie an einer russischen Hochschule ist. Ein Eiswürfel verglichen mit dem California Girl vom letzten Jahr, wenn Ihr wisst, was ich meine. Als ich vor einigen Monaten eine Mail an meine alten Klassenkameraden geschrieben habe, dass ich wieder nach Yamasa komme, da hat Gail geantwortet, dass wir uns unbedingt treffen sollten (sie lebt und arbeitet in Japan). Aber auf meine Mail von letzter Woche, dass ich jetzt tatsächlich komme, habe ich noch keine Antwort :-(.

Nach dem Unterricht lungere ich wieder ein bisschen in der Frühlingssonne herum, plaudere mit den Rauchern und gehe dann in den Aufenthaltsraum, um in meine E-Mail zu schauen. Ein paar Leute haben mir geschrieben, danke, aber irgendwie hätte ich gedacht, dass ich mehr Leser habe. Na ja, vielleicht melden sich ja noch ein paar. Hiko hat mir auf Japanisch geschrieben; ich brauche eine ganze Weile, um alles zu verstehen. Aber ich kriege es hin.

Gegen 16 Uhr schneit Markus(?) herein, ein Kommilitone aus Finnland. Ich habe glaube ich zu erzählen vergessen, dass Markus auch ein Go-Spieler ist. Die Lehrer hier sind echt auf Zack: Als ich mich vergangenen Freitag in der ersten Stunde vorgestellt und von meinen Hobbys erzählt habe, da hat mich die Lehrerin gleich in der ersten Pause Markus vorgestellt, der schon etwas länger hier ist und auch Go spielt. Wir hatten uns schon mal darüber unterhalten, dass wir uns von Declan mal das Spielmaterial ausleihen müssen und ein Spielchen wagen; heute ist es so weit.

Declan ist dummerweise nicht da (obwohl eigentlich die offiziellen Öffnungszeiten des International Office von 14:30 bis 16:30 sind. Wir klopfen abwechselnd alle Viertelstunde an der verschlossenen Tür, und gegen 17 Uhr habe ich endlich Glück: Declan ist da und wir holen das Go-Material aus der Bar. Markus hat mir erzählt, dass er im örtlichen Go-Club fast alle Spiele gewonnen hat. Daraus schließe ich, dass er womöglich stärker ist als ich und nehme Schwarz.

Wir haben verabredet, eine schnelle Partie zu spielen, 30, höchstens 45 Minuten insgesamt. Ich spare mir die Details, aber mit Komi habe ich um einen halben Punkt verloren. Hier ist also ein Gegner, gegen den ich sehr schön gleichauf spielen kann. Nun müssen wir nur noch die logistischen Probleme lösen, wie wir an das Material herankommen (wir haben es zurückgegeben) und wann wir Zeit haben.

Zum Abendessen gibt es wieder merkwürdige Dinge, deren Namen ich mir nicht merken kann Foto dazu. Ich sollte sie wirklich aufschreiben! So komische Knollen, die etwas mühsam abzupellen sind und die man mit Soyasoße und Ingwer isst und diverse andere fischige Sachen. Ich bin selbst überrascht, wie gut mir das Essen hier schmeckt. Vielleicht liegts nur daran, dass ich nicht weiß, was es ist :-). Nein, es muss an der guten Köchin liegen!

Wie immer redet Chihiro übrigens beim Abendessen kein Wort mit mir. Irgendwie behandeln wir einander ungefähr so, als wäre der andere nicht da. Ich glaube, wir sind beide schüchtern – sie traut sich nicht, mich auf Japanisch anzusprechen (weil ich eh nix verstehe) oder gar ihr Englisch zu benutzen (an das sie nicht recht glaubt), und ich weiß auch nicht recht, wie und worauf ich sie ansprechen soll. Egal, wir sind ja erst in der ersten Woche, vielleicht wird das ja noch.

Nach dem Essen weist mich Keiko san darauf hin, dass es morgen regnen wird. Ach so? Mist, ich habe meine Regenkleidung natürlich vergessen und ebenso vergessen, heute mal was einkaufen zu gehen. Es war ja zu befürchten, dass ich nicht vier Wochen lang Glück mit dem Wetter haben würde. Aber Keiko san zaubert irgendwoher einen Vorrat an Regenklamotten. Mal sehen ... zu klein, zu klein ... die Regenjacke könnte passen. Ja, einen Regenmantel haben wir jetzt schon; zwar nicht viel Platz drin, wenn ich ihn zumache, aber es wird schon gehen. Regenhose finden wir keine; die japanische Größe M ist einfach viel zu eng für meinen Bauchumfang Foto dazu. Jedenfalls kümmert sich Keiko san super nett um mich.

Ich entschuldige mich, um meine Hausaufgaben zu machen. Anschließend lerne ich noch ein Stündchen Vokabeln, um dann ab 22:30 diese Zeilen zu schreiben. Als ich gerade fast fertig bin, bringt mir Keiko san noch meine Wäsche und fragt mich, ob ich ein Bad nehmen will. Ach nein, danke, muss nicht sein. Außerdem bittet sie mich, doch etwas früher zu duschen, wenn ich morgen duschen will. Sie muss Wäsche waschen. Aha, hat sie da so einen minutengenau festgelegten Rhythmus, dass ich nicht bis 7:35 im Bad bleiben darf? In der Tat hat sie an einem der letzten Tage um diese Zeit mal an die Badezimmertür geklopft. Muss ich mich also benehmen, da könnt ja jeder kommen und am Waschtag fünf Minuten länger duschen.

 

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©2005 by Harald Bögeholz