Ein fauler Samstag

Meine Gastfamilie macht heute einen Ausflug, unter anderem wollen sie den neuen Flughafen besuchen, um dort einkaufen zu gehen. Dort gibt es in der Tat eine ganze Einkaufsebene, die ich mit Louise bei meiner Ankunft auch kurz besichtigt, aber leider nicht fotografiert habe. Aber ist die soo doll, dass man dafür extra zum Einkaufen zum Flughafen fährt? Wahrscheinlich muss man Japaner sein, um das zu verstehen. Obwohl – mit Einkaufen hatte ich ja noch nie viel am Hut.

Keiko san hat mir erzählt, dass mein Vorgänger Samstags immer bis zum Mittag geschlafen hat. Da habe ich noch so für mich gedacht, dass ich vermutlich früher aufwachen werde. Bin ich auch zweimal, nämlich gegen 8 oder so, als die Familie aufgebrochen ist, und gegen 10. Aber dann hab ich mich nochmal rumgedreht und doch bis 12 geschlafen; der Kopf war noch etwas schwer. Das Frühstück hat so lange auf mich gewartet Foto dazu. Ich überlege kurz, ob ich mir die Bedienung von Mikrowelle und Grill zutraue, beschließe aber dann doch, dass das Frühstück auch kalt beziehungsweise ungetoastet schmeckt. Der Fernseher war nämlich bereits ein schlechtes Omen: Er wollte irgendwie nicht angehen, obwohl ich das Kanji für einschalten sicher zu kennen glaubte.

Auf dem Tisch liegt ein Schlüssel und ein Zettel: "Lieber Harald, bitte benutze den Schlüssel. Wir gehen jetzt. Keiko" Foto dazu. Wieder mal ein kleines Erfolgserlebnis, dass ich das lesen kann. Und es kommt noch besser: Ich kenne sogar das Kanji für nach Hause gehen (leider noch nicht das für Uhrzeit). So kann ich fast formvollendet auf die Rückseite des Zettels schreiben, "Bin spätestens um 8 zu Hause, Harald", bevor ich aus dem Haus gehe Foto dazu. Ich glaube jedenfalls, es ist richtig so; Hiko kann mich ja korrigieren, wenn ich mich irre :-).

Heute steht die Tür zu dem Zimmer offen, in dem Chihiro abends immer verschwindet. Ich erlaube mir, einen Blick hineinzuwerfen, verzichte aber anstandshalber auf Fotos. Es ist ein Zimmer im westlichen Stil mit einem ganz normalen Schreibtisch, an dem Chihiro wohl lernt, einem elektrischen Heizofen (nicht jeder hat den Luxus eines unbeheizten original japanischen Zimmers) und einem abgedeckten und ziemlich vollgemüllten Flügel. Ein Bett gibt es nicht. Mir scheint, Chihiro schläft tatsächlich bei ihren Eltern im Zimmer, kann das sein? Mit 17?! Ich konnte vorgestern Abend von weitem einen Blick ins Schlafzimmer erhaschen. Es liegt neben der Wohnküche und scheint auch ein japanisches Zimmer zu sein, und es waren Futons auf dem Boden ausgelegt. Ob die ganze Familie da drin schläft? Scheint so.

Was tun mit dem angebrochenen Tag? Ich dusche ausführlich und studiere dann den Stadtplan von Okazaki. Wenig ab von meinem Schulweg liegt ein Tempel, den werde ich heute mal besichtigen gehen. Zur Schule fahren muss ich ja auf jeden Fall, denn was wäre ein Tag ohne Internet? Die Familie hat zwar einen PC und im Flur steht ein Kästchen, das wie ein DSL-Router aussieht, aber ich will mich (noch) nicht aufdrängen. Außerdem ist wunderschönes Wetter, man muss einfach rausgehen.

Ein Teil meines Schulwegs ist der toukaidou, eine historische Straße von Edo (heute Tokyo) nach ... äh... ach, Harald und Geschichte. Jedenfalls ist die Straße ziemlich eng; ich würde sie eigentlich fast als einspurig bezeichnen Foto dazu. Ich schieße ein paar Fotos Foto dazu Foto dazu Foto dazu und besichtige dann den Tempel. Bei einem Nebengebäude(?) Foto dazu steht die Tür offen, sodass ich einen Blick ins Innere werfen kann Foto dazu. Das, was ich für das Hauptgebäude halte, hat im "Vorgarten" ansonsten einen sehr merkwürdig wachsenden Baum zu bieten, der liebevoll überdacht und abgestützt ist Foto dazu. Das Gegenlicht ist leider für Fotos das dümmstmögliche; von hinten sieht das Gebäude noch am besten aus Foto dazu (mit Friedhof).

Nach dieser kurzen Besichtigungstour verbringe ich einige Zeit im Aufenthaltsraum der Schule. Ein nicht unbeträchtlicher Teil meiner Zeit geht übrigens in diesem Urlaub für Bildbearbeitung drauf, sagte ich das schon? Thomas Saur ist schuld, ich fotografiere jetzt im Raw-Format. Das heißt, dass ich jedes einzelne Foto erst konvertieren muss, bevor ich meinen Web-Fotogalerie-Generator darauf loslasse. Dabei kann ich natürlich an verschiedenen Reglern drehen, den Weißabgleich verändern, die Belichtung ... ich glaube, ich muss mich ab sofort echt beherrschen in dieser Hinsicht, sonst komm ich hier zu gar nichts mehr. Fällt eigentlich auf, dass die Fotos diesmal lebendiger und bunter sind als im letzten Jahr?

Irgendwie muss ich mich mal kürzer fassen, also schneller Vorlauf zum Abend. Heute bringt der Hausherr eine Flasche Whiskey mit an den Tisch (Ballentines). Zu meiner Überraschung schenkt er Chihiro eine nicht ganz unbeträchtliche Menge ein, und mir tut es etwas leid, dass sie das Zeug mit Ginger Ale verdünnt. Auch ich bekomme eine Dosis, die ich als einen doppelten bezeichnen würde, mit reichlich Eis, und später schenkt er mir noch einmal großzügig nach. Da machen sich die (reichlichen) Hausaufgaben hinterher doch gleich viel beschwingter Foto dazu ...

 

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©2005 by Harald Bögeholz