Nach Tokyo ist anscheinend jede andere Großstadt weniger
spektakulär. Jedenfalls sind wesentlich weniger Menschen
unterwegs, als ich um kurz nach 10 meinen Stadtbummel beginne. In der
Nähe des Rathauses allerdings stehen Absperrungen und es beginnen
sich Menschen zu sammeln ; ich erinnere mich, dass
ich gestern aus dem Augenwinkel spezielle Parkverbotsschilder für
eine Veranstaltung heute wahrgenommen habe. Was für ein Ereignis
bevorsteht, sehe ich dann auf einem Schild vor dem Rathaus : Sydney feiert die
Rückkehr seines Teams von den Olympischen Spielen. Sind die also
auch zuende inzwischen ;-).
Da mich die Veranstaltung nicht interessiert und ich zudem nicht
weiß, wann sie eigentlich anfängt (ok, man könnte
fragen), schaue ich mir erstmal das Queen Victoria Building an, das
ein elegantes Einkaufszentrum beherbergt - mit Teppichboden auch auf
den Gängen . Einkaufen ist zwar nicht
so meine Sache, und Nobelboutiquen schon gar nicht, aber trotzdem
nehme ich mir recht viel Zeit, die Atmosphäre in mich
aufzusaugen. Und überlege in einem Souvenirladen ewig, was wohl
einem 12-Jährigen Spaß machen könnte außer dem
Standard-Bumerang, auf den man als erstes kommt, wenn man über
ein Mitbringsel aus Australien nachdenkt. Ich finde aber nichts.
Als ich um 12 das Gebäude wieder in Richtung Rathaus verlasse,
um mal nach der Veranstaltung zu sehen, sind deutlich mehr Leute da,
es spielt Musik und immer mal wieder kommen mit großem Trara
Ehrengäste in ihrer Limosine vorgefahren . Allzu lange kann es also
nicht mehr dauern. Obwohl sie mich also eigentlich nicht interessiert,
warte ich die Parade ab; wann ist man schließlich mal bei so
einem Jahrhundertereignis dabei? Höchstens alle vier Jahre!
Kurz bevor es dann wirklich losgeht, nehme ich belustigt zur
Kenntnis, wie die Veranstalter-Crew noch schnell
Australien-Fähnchen an alle austeilt, die noch keine haben, denn
schließlich soll ja fernsehwirksam damit gewunken werden. Noch
vor einer Stunde konnte man solche Fähnchen für einen Dollar
das Stück kaufen - komischerweise von anderen Verkäufern,
die nicht das offizielle Crew-T-Shirt trugen *g*. Als die Parade dann
endlich kommt, bin ich gezwungen, blind mit hochgehaltener Kamera zu
fotografieren, denn ich stehe zu weit hinten. Schieße also
wahllos ein paar Fotos, um zu dokumentieren, dass ich bei dem
wichtigen Ereignis dabei war, und ziehe dann weiter .
Als nächstes steht der Sydney Tower auf dem Programm, der zwar
nicht dem Eiffelturm nachempfunden ist, aber mit über 300 Metern
Höhe auch eine schöne Aussicht bieten soll . Der Eintrittspreis
schließt eine "Sky Tour" mit ein, auf die ich zwar keinen Wert
lege, die aber wohl die Höhe des Eintrittsgeldes rechtfertigen
soll. Oben schieße ich rundrum Fotos, von denen ich hoffe, dass
ich sie später vielleicht mit irgendeiner schlauen Software zu
einem nahtlosen Rundum-Panorama zusammensetzen kann .
Diese komischen Sky Tours finden nur alle 45 Minuten statt. Ich
fahre pünktlich kurz vor Beginn nach unten, um festzustellen,
dass die Tour natürlich gerade voll ist und ich Platz nehmen
darf, um auf die nächste zu warten. 45 Minuten sind
natürlich statistisch gesehen die schlechtest mögliche
Wartezeit. Als ich gerade am überlegen bin, ob ich den Firlefanz
nicht weglasse, kündigt jemand an, dass es aufgrund des
großen Andrangs in 20 Minuten eine Extra-Vorstellung geben wird.
Ok, also bleibe ich da.
Die Show ist recht nett gemacht; soll halt den Touris die Wunder
Australiens erklären. Das Highlight ist ein Rundum-Kino (na ja,
eine Leinwand vorne, eine links und eine rechts) mit beweglichen
Sitzen, in dem ein Film zeigt, was es in Australien alles zu sehen
gibt. Ich bin ganz zufrieden, so manches davon habe ich mit eigenen
Augen live gesehen; das Outback natürlich nicht. Es ist immer
wieder verblüffend, wie unglaublich viel realistischer ein Film
wirkt, wenn der Sitz dazu ein wenig wackelt und sich neigt, solche
Shows machen mir immer viel Spaß, ganz gleich, was das Thema
ist. Insofern hat sich das Warten doch gelohnt.
Mein Spaziergang fürt mich anschließend wieder zum Dawes
Point, von wo aus ich naiverweise gedachte, auf die Harbor Bridge zu
kommen. Ist natürlich Quatsch, die Auffahrt beziehungsweise der
Aufgang ist einen Kilometer weit weg; das hätt ich auch wissen
können, denn ich war ja gestern Abend schon da. So schieße
ich halt zum Vergleich noch einmal Referenzfotos aus (möglichst)
der gleichen Perspektive wie gestern (Tag:, Nacht: , Tag: , Nacht: ) und verfolge die
Brücke dann zurück, um einen Aufgang zu finden.
Als ich so unter der Brücke entlanggehe, fällt mir eine
Gruppe von Menschen auf, die auf einem Steg unterhalb der eigentlichen
Brücke entlanggeht . Sollte das der
Fußgängerweg sein? Oder der Eingang zum
südöstlichen Pylon, der laut meinem Reiseführer eine
Ausstellung über den Bau der Brücke beherbergen soll? Aber
die Leute tragen alle den gleichen Overall; es muss wohl was anderes
sein.
Das Geheimnis klärt sich wenige hundert Meter später, als
ich den Eingang zum Harbor Bridge Climb finde. Man kann also
tatsächlich auf die Brücke klettern. Na ja, was heißt
klettern, also auf Treppen und angeseilt und mit Geländern links
und rechts oben auf dem "Kleiderbügel" entlang gehen . Ich schaue gar nicht
erst, was es kostet; mir läuft die Zeit davon, die Aussicht von
einem hohen Gebäude hatte ich auch schon, und den Nervenkitzel
stelle ich mir nicht allzu groß vor. Davon stand übrigens
nichts in meinem tollen Reiseführer :-(.
Ein Stück weiter kommt dann eine Treppe, die mich auf die
Brücke führt. Ich laufe bis zur Mitte, schieße ein
paar Fotos von der Bucht , nochmal dem
Opernhaus und den Verkehrsschildern,
die eigentlich ganz deutlich sind, mir gestern im Berufsverkehr aber
gar so wenig geholfen haben und kehre dann um. Zu
meiner Überraschung weist ein Schild "Opera House" geradeaus
weiter die Brücke entlang. Dort will ich zwar hin, aber die Oper
ist doch links hinten und nicht geradeaus. Aber das Schild war
eigentlich unmissverständlich, also folge ich ihm leicht
misstrauisch. Und werde nicht enttäuscht: Zu meiner
Überraschung führt der Fußgängerweg weiter den
Highway entlang nach links in einem großen Bogen über eine
Bücke über die Innenstadt hinweg. Eine Umgehungsstraße
also nicht nur für Autos, sondern auch für
Fußgänger. Potthässlich natürlich, so direkt
neben einem dreispurigen Highway, aber führt tatsächlich auf
wohl kürzestem Wege zum Ziel. Mit einem Glasaufzug fahre ich
runter vom Highway zur Promenade, die zur Oper führt.
Für Oper an sich interessier ich mich ja gar nicht, daher
gehts gleich hektisch weiter in die Royal Botanic Gardens; ich will
eigentlich unbedingt vor Sonnenuntergang noch mit der Monorail einmal
um die Stadt fahren. Auffällig an diesen Gärten ist seine
Bürgernähe. Von wegen Rasen nicht betreten und Berühren
verboten: Ein Schild sagt explizit: Bitte laufen Sie auf dem Rasen,
riechen Sie an den Rosen, umarmen Sie einen Baum! Dieser Garten
gehört Ihnen! Das ist doch mal nett. Dafür sieht er gar
nicht schlecht aus. Und ist voll mit Schulkindern ; irgendwo hab ich ein
Schild gelesen, das für irgendwelche Ferien-Attraktionen für
Schüler wirbt; es scheint, als seien hier gerade Ferien.
Ich schaffe es tatsächlich kurz vor Sonnenuntergang, eine
Monorail zu besteigen . Das ist ein Rundkurs
durch die Stadt; ich fahre fast einmal ganz rum. Da die Fenster so
komisch vergittert sind, misslingen meine wenigen Foto-Versuche, aber
egal, Sydney sieht jedenfalls nett aus in der Abendsonne, mein Timing
war gut.
Die Sonne geht ja doch schrecklich früh unter; schon vor 18
Uhr. Sie haben halt keine Sommerzeit. Ach, verflixt, es ist ja hier
Frühling... egal. Ich habe mächtig Kohldampf und kehre in
einer Sushi-Bar ein. Als alle Angestellten mich mit
irasshaimase begrüßen, läuft mir ein Schauder
den Rücken runter und ich fühle mich plötzlich wieder
wie "zu Hause" in Japan. Irgendwie habe ich Japan schon vermisst. Und
ich finde es äußerst ungewöhnlich, dieses
irasshaimase außerhalb Japans zu hören; dies
müssen wohl echte Japaner sein.
Sind es auch, wie ich feststelle, während ich
genüßlich ein Tellerchen nach dem anderen mit leckeren
Sushi vom Förderband nehme und den beiden Sushi-Köchinnen
lausche, die sich munter auf Japanisch unterhalten. Da sie sich gut zu
kennen scheinen und mit voller Geschwindigkeit in der informellen
Stufe miteinander sprechen, verstehe ich kaum etwas, aber das bin ich
aus Japan schon gewohnt.
Nicht, weil ich wirklich unbedingt so dringend in diesem Restaurant
noch ein zweites Bier brauche, sondern hauptsächlich, weil mich
der Hafer sticht, auf Japanisch ins Gespräch zu bekommen, deute
ich auf mein leeres Bier und sage o kawari kudasai, woraufhin
sie mich freudig überrascht anschaut, losspurtet, mir noch ein
Bier bringt und mich anschließend fragt, ob ich Japanisch
spreche. Ich erzähle so gut ich kann, dass ich einige Zeit in
Japan war, um Japanisch zu lernen, sie lobt mein tolles Japanisch (auf
Englisch) und ich lobe ihr Englisch (auf Japanisch, ätsch!). Sie
ist seit zwei Jahren in Australien, ...
Ach, obwohl ich nicht klagen will - Australien war schon eine sehr
schöne Erfahrung -, vermisse ich Japan doch schon jetzt. Es ist
einfach so unglaublich spannend, eine neue Sprache zu lernen und
allmählich Tag für Tag immer mehr kleine Erfolgserlebnisse
zu haben. Ich muss unbedingt wieder nach Japan! Nach Australien
vielleicht bei der Gelegenheit auch, aber das muss ich dann anders
organisieren, mit weniger Kilometern auf dem Tacho. Ach ja, fast 3500
sind es bisher.
Als ich das Restaurant verlasse, ist es erst kurz nach 18 Uhr, aber
schon stockfinster. Ich schlendere die Oxford Street entlang, mache
ein paar Fotos und stürze mich dann
ins Nachtleben . Das ist aber eine andere
Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll ...
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