Ich checke um 9 aus dem Motel aus und gehe zum Frühstück
nebenan in das Internet-Cafe, das ich gestern geortet habe . Leider funktioniert die
Netzwerkverbindung nicht: Es sind zwar extra Steckdosen für Leute
mit eigenen Rechnern da, aber beide sind tot. Dann eben nicht.
Nach dem Frühstück ist mir irgendwie noch nicht nach
Autofahren zumute, und ich arbeite in der Morgensonne die
Tagebucheinträge der letzten zwei Tage nach. Anderthalb Stunden
später laufe ich kurz ein bisschen in Townsville herum , beschließe dann
aber, dass mich die Stadt nicht interessiert und fahre lieber in den
Zoo. Das Billabong Sanctuary liegt 17 km südlich von
Townsville, und ich hatte es mir extra vorgemerkt; primär, weil
ich mir mal einen Koala anschauen wollte. Und wegen der
Vögelchen. Und wenn ich schon mal da bin, kann ich auch die
Krokodile besichtigen.
Alles in allem ist der Zoo aber nicht berauschend. Als ich ankomme,
steht gerade die Krokodilfütterung auf dem Programm. Die
Krokodile haben aber keine rechte Lust. Der Tierpfleger erklärt,
dass ihnen kalt ist: Heute sind nur 25 Grad; unter 28 Grad frieren sie
und haben keine rechte Lust, sich zu bewegen. Er kriegt das ein oder
andere Krokodil aber dann doch motiviert, nach den dargebotenen
Fischen zu schnappen , und ich bin schon ein
bisschen überrascht, wie schnell und wie hoch so ein träge
aussehendes Biest schnappen kann .
Der Tierpfleger erklärt, dass Krokodile faule Zeitgenossen
sind. Im Wesentlichen warten sie unauffällig so lange, bis
passende Beute ihnen so dicht vors Maul kommt, dass sie sich nicht
allzu viel bewegen müssen. Ein ausgewachsenes Krokodil kann
angeblich bis zu 6 Monate im Wasser liegen und auf Beute warten. Dann
ist es aber wirklich hungrig; dann würde der Tierpfleger das
Gehege lieber nicht betreten. Als ich das Tempo sehe, mit dem sich die
Viecher mitunter kurzzeitig bewegen, wird mir im Nachhinein noch ganz
mulmig zumute: Damals, 1992 in Florida, bin ich für Fotozwecke
doch recht nahe an so einen regungslos daliegenden Alligator
rangegangen. Da habe ich wohl Glück gehabt, dass er keinen Hunger
hatte oder ich ihm zu unhandlich schien.
Was das Angebot an Vögelchen betrifft, bin ich von diesem Zoo
eher enttäuscht. Mit einer Ausnahme: Endlich kann ich die
Cassowaries besichtigen, die ich gestern so aufmerksam versucht habe,
nicht zu überfahren. Zwei Stück haben sie hier; wie ich von
einer Pflegerin erfahre, ein Männchen und ein Weibchen. Sie sehen
einander sehr ähnlich; hauptsächlich posiert das Weibchen
vor meiner Kamera . Ich würde sagen, so
ein Cassowarie reicht mir bis zum Bauchnabel; ich kann mir jetzt
vorstellen, dass so ein Viech einen doch ernsthaft angreifen
könnte, wenn es sich bedroht fühlt.
Die beiden sind in ihrem Gehege durch einen Wassergraben getrennt,
und die Pflegerin erklärt mir, das sei, weil das Männchen
gerade brütet und das Weibchen ihn mit ihrem Charme ansonsten zu
sehr von seiner Arbeit abhalten würde. Gut, dass sie mir das
erklärt hat; dass da Eier sind, sehe ich erst im Sucher meiner
Kamera durch das Teleobjektiv . Man erwartet also
Nachwuchs, schön. Schade nur, dass ich keine
Cassowarie-Küken zu Gesicht bekomme.
Ich gehe extra zeitig zu den Koalas, denn ich habe mir in den Kopf
gesetzt, mal einen Koala auf den Arm zu nehmen. Das steht hier
für 13:30 Uhr auf dem Programm, und ich möchte es nicht
verpassen. Wie erwartet, schlafen die Koalas . Das ist kein Wunder, denn
Koalas schlafen 20 Stunden am Tag. Die restliche Zeit essen sie. Was
für ein Leben! Ich kann mich wohl glücklich schätzen,
dass ich beobachten (und mit meiner Kamera festhalten) kann, wie ein
Koala aufwacht , sich einen Meter weit
einen Ast entlang bewegt , einen halben Meter nach
oben klettert und sich dann
zusammenknuddelt , um wieder
einzuschlafen . Gerald, hast Du
eigentlich schon einen Stoff-Koala? Die sind ja wirklich unglaublich
süß, die Viecher.
Als der offizielle Teil der Show beginnt, stelle ich mich extra
weit vorne in die Schlange, aber die Sorge war wohl unbegründet:
Jeder Interessierte darf den Koala mal halten. Im Vergleich zu seinem
Leben in freier Wildbahn hat dieser also einen knochenharten Job hier:
Bestimmt eine Viertelstunde "Arbeit" jeden Tag. Dem Koala ist es
offensichtlich völlig egal, ob er sich an einen Eukalyptusbaum
oder einen Touristen kuschelt. Außerdem macht er das ja jeden
Tag, sodass er dazu nicht wirklich aufwachen muss. Aber er hat die
Augen offen. Und duftet leicht nach Eukalyptus, wie in meinem
Reiseführer beschrieben. Da die Viecher sich von nichts anderem
als Eukalyptusblättern ernähren, dringen die
ätherischen Öle aus jeder Pore. Ein Koala fühlt sich
also an wie ein kiloschweres, weiches, kuscheliges Hustenbonbon. Ich
glaube, ich hätte auch gern einen zu Hause. Die Menge an
Zuwendung, die ein Koala zu brauchen scheint, harmoniert anscheinend
hervorragend mit meinem Lebenswandel in Hannover. Nur wo krieg ich das
dauerhaft warme Wetter und die Eukalyptusbläume her?
Der Australier, dem ich meine Spiegelreflexkamera in die Hand
drücke, gehört bereits zur verweichlichten
Digicam-Generation, die keinen Sucher mehr kennt, hält die Kamera
verwundert einen halben Meter von sich entfernt und schießt
blind ein paar Fotos. Dafür, dass er nichts gesehen hat, bin ich
recht gut getroffen ; bin ich froh, dass ich
wohlweislich vorher auf ungefähr Normalbrennweite und Automatik
gestellt habe. Ihm zu erklären, dass man durch einen Sucher
schauen und die Brennweite durch Drehen eines Rings am Objektiv statt
durch Tastendrücke verändern kann, hätte womöglich
zu lange gedauert *g*. Im Nachhinein wird mir übrigens klar, was
es mit den kostenlosen Fotos mit BYO Kameras auf sich hat, von denen
im Prospekt die Rede war. Bring Your Own, so einfach ist das :-).
Ich fotografiere noch einige Vögelchen - die meisten durch
Gitterstäbe, von denen man erstaunlich wenig sieht, wenn man das
Objektiv einfach direkt daran hält - und breche dann gegen 14:30
auf. Allmählich wird mir bewusst, dass ich mich wohl ein bisschen
beeilen muss. Ich komme auf meiner Australienkarte nur millimeterweise
voran, und in zehn Tagen will ich schon in Sydney sein. Dummerweise
überkommt mich bald eine bleierne Müdigkeit, und ich kann
absolut nicht mehr fahren. Die Straße ist so unglaublich
eintönig: Immer geradeaus, und das Auto vor mir fährt die
ganze Zeit exakt 100, *schnarch*. Ich biege auf einen Standstreifen
ab, klappe meinen Sitz zurück und mache ein Nickerchen. Nur etwa
20 Minuten, aber die wirken Wunder: Jetzt bin ich auf einmal wieder
wach und genieße es so richtig, diesen Highway
entlangzukullern.
In Ayr schieße ich nur schnell ein paar Fotos von der
Durchgangsstraße und fahre weiter . Einem Schild "Scenic
lookout" kann ich nicht widerstehen und kurve einen kleinen Hügel
hoch, der einen hübschen Rundblick bietet und auf dem ansonsten ein
paar Richtfunkantennen stehen . Ohne weitere
Verzögerungen komme ich gegen Sonnenuntergang in Bowen an. Da ich keine
Lust habe, nachts zu fahren, kehre ich hier ein. Dieser Ort ist noch
toter als Townsville; so gut wie alles hat hier um kurz nach 18 Uhr
zu. Aber sie haben hier auch zwitschernde Bäume; wieder sehe ich
so gut wie nichts, als ich im Dunklen unter dem Baum stehe, aber das
Blitzlicht-Foto zeigt im Nachhinein, was ich nur höre: ganz viele
Vögelchen .
Nachdem ich ein Stündchen in meinem Zimmer verbracht habe,
beschließe ich, ein Bier in der Bar zu nehmen, die zu diesem
Motel gehört. Dort sind immerhin einige wenige Menschen. Kaum
sitze ich an der Bar, schmeißt sich eine mittelalterliche
Australierin an mich ran, ob ich ihr nicht ein Bier ausgeben
möchte. Nein, eigentlich nicht, warum? Ob ich denn schon eine
Bleibe hätte für die Nacht? Ja, gleich hier im Motel. Das
ist ja schade *hicks* - sie wirkt leicht betrunken. Ob ich ihr nicht
ein Bier ausgeben möchte? Nein, ich sehe eigentlich keinen Grund,
warum. Sie schaut auf den Ohrring an meinem rechten Ohr und meint:
"Oh, you're a fag. That's why you won't buy me a beer." Damit ist
für sie alles klar, und ich mache keinen Versuch, ihr zu
erklären, dass ich gerne jemandem ein Bier ausgebe, der sich nett
mit mir unterhält, aber jeden, der mich als Eröffnung als
erstes fragt, ob ich ihm ein Bier kaufe, abblitzen lasse.
Außerdem hat fag irgendwie eine pejorative Konnotation.
Was ich kurz und völlig vergebens versuche, ihr auf Englisch zu
erklären. Also noch ein bisschen Fernsehen im Motelzimmer und
früh ins Bett.
| |
|