Ich wache um 7:30 auf und finde das aufgeklappte Handy neben mir,
so, als hätte ich es in der Hand gehabt. Offensichtlich bin ich
bei dem Versuch, den Wecker zu stellen, eingeschlafen. Aber die innere
Uhr hat mich genau zu dem Zeitpunkt geweckt, an dem ich sowieso
hätte aufstehen wollen, denn um 8 treffen wir uns zum
Frühstück.
Ich bin nicht der einzige, der ein bisschen unter
Startschwierigkeiten leidet; als ich um 8:15 in das Cafe gehe, wo wir
zum Frühstück verabredet sind, kommt mir Rudgiero(?)
entgegen, der sich wundert, dass er der einzige ist. Tja, alle anderen
haben halt gestern Abend noch etwas dolle gefeiert ...
Nach und nach trudeln aber alle ein, nur Annegret fehlt. Ich gehe
zurück zum Hotel und teste wieder mal mein Japanisch, indem ich
den Portier bitte, Annegret für mich anzurufen. Im Nachhinein
verstehe ich, warum er auf dieses Ansinnen etwas merkwürdig
reagiert. Mein Japanisch war glaube ich schon in Ordnung, aber zwei
Meter weiter hätte ein Telefon gestanden, mit dem ich dasselbe
hätte alleine bewerkstelligen können. Egal, beim
nächsten Mail. Annegret hat tatsächlich verpennt, aber macht
ja nichts, wir sind ja alle etwas spät dran heute.
Als wir im Auto sitzen, frage ich Declan, was er nun eigentlich
für das Parken bezahlt hat, und die Antwort haut mich fast aus
den Socken: 8400 Yen (über 60 Euro). Ich ahnte ja schon, dass es
teuer werden könnte, ein Auto anderthalb Tage lang in Tokyo
stehen zu lassen, aber so teuer? In strömendem Regen geht es nach
Ueno, wo wir eigentlich ausführlich im Park spazieren gehen und
dann ein Museum besichtigen wollten. Angesichts des Wetters
verschieben sich die Prioritäten ein wenig; wir eilen durch den
Park zum Museum, halten nur zwischendurch kurz an einem Schrein inne,
wo der auffälligste Anblick (leider) ein Hund mit Regenjacke
ist .
Das winzige Museum zeigt das Leben in Tokyo zu Anfang des 20.
Jahrhunderts , und wegen des Wetters
halten wir uns länger dort auf als es eigentlich nötig
wäre. Der Tag will irgendwie nicht so recht in Schwung kommen.
Nach dem Museumsbesuch gibt es ein bisschen Freizeit zum Shoppen -
Declan zieht sich irgendwohin zurück und lässt uns
zweieinhalb Stunden lang allein. In Abwandlung von "Todaiji in the
rain" summe ich heute vor mich hin "Ueno in the rain" und schlendere
lustlos durch die Straßen .
Einkaufen war noch nie ein besonderes Hobby von mir, und im Regen
macht es keinen rechten Spaß, durch die Stadt zu laufen.
Immerhin kaufe ich mir einen eigenen Regenschirm, denn der, den ich
gerade benutze, gehört Declan, und der wird uns ja heute Abend
verlassen. Zum Mittagessen kehre ich in einem kleinen japanischen
Restaurant ein, wo ich für 650 Yen ein erstaunlich günstiges
und reichhaltiges Mittagessen einnehme . Das Bier, das ich spontan
dazu trinke, kostet übrigens 670 Yen.
Zu den Entdeckungen des Nachmittags gehört ansonsten noch ein
Kapselhotel; nun weiß ich also, wo eines ist, falls ich mal in
Ueno billig übernachten will . Die Nacht kostet hier
3600 Yen. Eine Sauna scheint es auch zu geben, aber wenn ich das
Schild richtig vestehe nur zwischen 10 und 17 Uhr ? Das wäre ja
seltsam.
Im Anschluss fährt und Declan mit dem Auto über die
Rainbow Bridge auf die andere Seite der
Bucht an einen Ort namens Odaiba. Er wirft uns vor dem
Fuji-TV-Gebäude aus dem Auto, und wir
haben wieder zwei Stunden Zeit. Zeit wofür? Ich weiß nicht
so recht, was ich hier soll. Trotz des regnerischen Wetters -
inzwischen hört es ab und zu auch mal für ein paar Minuten
auf - drängen sich vor dem Gebäude und im Erdgeschoss die
Menschenmassen um irgendwelche Freizeitpark-Attraktionen, deren
Fun-Faktor sich mir nicht recht erschließen will . Ich erklimme mit Olivier
die Treppe zu einer Art Innenhof auf halber Höhe des
Gebäudes; auch hier alles voller Stände und Japaner. Wir
stellen uns in die Schlange vor einem Aufzug, der wohl auf eine
Ausichtsplattform führt, bis uns nach fünf Minuten bewusst
wird, dass alle eine Art Ausweis an einer Schnur um den Hals tragen.
Wir fragen einen der Umstehenden, und ja, für diesen Aufzug
braucht man ein Ticket oder eben diesen Tagesausweis, den hier alle
für die zahlreichen Attraktionen haben. Also nix Aussichtsdeck;
dafür geh ich jetzt nicht zurück ganz nach unten und kaufe
für 1000 Yen eine Tageskarte.
Auf dem Weg nach unten werden wir auf halber Höhe mit den
anderen Touristen zu einem Rundgang durch das Gebäude geschleust,
wo in engen Gängen anscheinend Fotos von Fernsehstars hängen
und irgendwelche Informationen über sie und das Fernsehprogramm
aushängen . Da ich keine Kanji lesen kann und auch die hiesigen
Soaps nicht kenne, versuche ich nur, so schnell wie möglich hier
rauszukommen.
Wieder an der frischen Luft, gehe ich auf die andere
Straßenseite rüber Richtung Bucht, knipse die
obligatorischen Fotos von Rainbow Bridge und
Freiheitsstatue , um dann den Rest unserer
freien Zeit im Einkaufszentrum Aquacity zu verbringen. Mein Versuch,
in einer Buchhandlung einen Stadtplan von Tokyo zu erstehen, scheitert
daran, dass sie nur japanische Pläne haben, in denen alles in
Kanji steht. Daher nehme ich doch Abstand vom Kauf.
Um 17 Uhr zurück am vereinbarten Treffpunkt offenbart uns
Declan, dass dies das Ende der Tour ist und die anderen nun
zurück nach Okazaki fahren. Annegret und mir empfiehlt er, mit
der Bahn nach Hause zu fahren, denn er käme mit dem Auto nicht
mehr in Shinjuku vorbei. So heißt es denn Abschied nehmen von
dem besten australischen Reiseführer, den ich in Japan je hatte.
Es war überwiegend eine tolle Tour; nur der heutige Tag war
irgendwie etwas schlapp. Aber ich freue mich schon darauf, etwas
auszuspannen.
Annegret und ich fragen uns am Bahnhof durch, in welche Richtung
wir denn nun fahren müssen, denn hier hängt kein
vollständiger Netzplan, sondern nur einer mit den Stationen
dieser Einschienenbahn. Nach erfolgreicher Navigation nach Shinjuku
gehen wir in einem Sushi-Restaurant lecker essen - einige Dinge, z.B.
bestimmte Muscheln, werden hier anscheinend superfrisch direkt aus
einem Aquarium geholt -, und zurück im
Hotel falle ich erst mal auf mein Bett und lasse das Erlebte an mir
vorüberziehen. Ich raffe mich auf, ein Stündchen lang
Ordnung in mein Tagebuch zu bringen und brenne für Annegret eine
DVD mit den bisher 3,2 GByte an Fotos - über 2500 Bilder!
Gegen 21:30 Uhr muss ich dringend schauen, dass ich ans Internet
komme. Nach zwei Tagen ohne Netz fühl ich mich schon ganz
unruhig. Ich frage also an der Rezeption, wo man denn hier das
Internet benutzen kann. Den Redeschwall, der dann als Antwort kommt,
muss ich leider mit der höflichen Frage nach einem Stadtplan
unterbrechen, den ich auch bekomme und auf dem mir der freundliche
Portier ein Kreuzchen macht, neben das er "GERA GERA BF1" schreibt.
Das dürften etwa fünf bis zehn Minuten Fußweg sein,
also los.
Ich komme unterwegs an einem Starbuck's vorbei und denke mir so,
Moment, haben die nicht in USA in jeder Niederlassung einen
kostenlosen Hotspot? Ich trinke einen ausgesprochen leckeren
Capuccino, dem ich ein Bier um diese Tageszeit (mittlerweile gegen 22
Uhr) trotzdem vorziehen würde. Und WLAN gibt es keines. Also
weiter. Obwohl ich noch nicht in der angepeilten Straße bin,
studiere ich die ganzen Leuchtschilder sehr aufmerksam daraufhin, ob
da nicht irgendwo intaanetto steht. Dadurch finde ich zwar kein
Internet, aber einen Go-Salon im siebten Stock eines Hauses. Als ich
mit dem Aufzug hochfahre, stehe ich aber vor verschlossener Tür;
ist vielleicht schon ein bisschen spät für Go (ca.
22:30).
Gera Gera erweist sich als recht großräumiges
Internet-Cafe, wo ich für 380 Yen die Stunde surfen könnte.
Und BF1 versteh ich erst im Nachhinein: Erstes Kellergeschoss
natürlich. Ich frage, ob ich meinen eigenen Computer benutzen
kann, aber jetzt wirds kompliziert. Obwohl ich auf Japanisch gefragt
habe, versuchen sie gar nicht erst auf Japanisch zu antworten, sondern
fangen sie an zu kichern und holen ein drittes Mädel herbei, das
ein bisschen Jenglisch kann. Jenglisch nenne ich ab sofort das
Englisch-ähnliche, sehr japanisch klingende
Nicht-ganz-Japanisch.
Sie fragt, ob ich denn ein Kabel habe, was ich verneine; das
Patchkabel liegt natürlich im Hotel :-(. Ich versuche zu
ergründen, ob ich denn ans Netz könnte, wenn ich
tatsächlich ein Kabel mitbrächte, komme aber nicht dahinter.
Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit Japanern denke ich, dass das
wieder die indirekte Art des Neinsagens ist, und wenn ich ein Kabel
hätte, würden sie sicherlich wieder ein anderes Problem
erfinden. Trotzdem lasse ich mir den Laden ein bisschen zeigen und
frage (mit Japanisch, Händen und Füßen), ob ich
vielleicht einfach das Netzwerkkabel von einem der PCs abziehen und in
mein Notebook stecken dürfte. Dieses Ansinnen versetzt sie in
helle Aufregung, und sie holt ihren Boss, der mir nach einer
höflichen Einleitung zu verstehen gibt: dame desu, was
glaube ich eine recht deutliche, also nicht gerade auf der
höchsten Höflichkeitsstufe angesiedelte Formulierung
für "das kommt überhaupt nicht in Frage, das darf man nicht"
ist. zannen desu ne (schade)!
Leicht gefrustet ziehe ich von dannen, versuche vor der Tür
des Ladens (noch im Untergeschoss) verstohlen, ob ich hier vielleicht
ein WLAN empfange, aber nein, nichts. Auf dem Rückweg komme ich auf
den Gedanken, es noch einmal zu versuchen. Da es regnet, ziehe ich
mich unter das Vordach eines (geschlossenen) Geschäfts
zurück, setze mich wie ein Penner auf den Boden, im
Schneidersitz, das Notebook auf den Knien, und Bingo! Ich bin drin!
Ein offenes WLAN, in dem mir ein DHCP-Server eine IP-Adresse gibt und
über das ich mit im Schnitt 30 KByte/s das Backup meiner Fotos
nach Hause fortsetzen kann. Nette Internet-Anbindung hier, das muss
man schon sagen. Nur ein bisschen unbequem. Ich könnte jetzt also
auch Fotogalerien ins Web uploaden, wenn ih denn nur Platz
hätte.
Na ja, das Platzproblem wird bald gelöst sein, denn Declan
will veranlassen, dass ich meine Fotos auf die Website von Yamasa
packen kann. Es ist sogar schon etwas passiert: Bei harald.yamasa.org
kommt eine andere Fehlermeldung als bei blarf.yamasa org. Leider hat
man mir die Daten für den FTP-Zugang noch nicht gegeben, sodass
ich noch nicht uploaden kann.
Zuerst dachte ich, die Passanten starren mich an, bemerke aber,
dass sie mich nur dann anstarren, wenn ich sie direkt ansehe. Solange
ich auf mein Display schaue und die Japaner nur verstohlen aus dem
Augenwinkel beobachte, zeigen sie keinerlei Reaktion, so als
nähmen sie mich nicht zur Kenntnis. Umso besser. Ich checke meine
Mail (hey, keiner schreibt mir!), mein Gästebuch (was ist los?
Keiner schreibt mir :-(), schaue kurz in mein Bankkonto (nanu, sollte
Heise nicht allmählich überweisen? Tokyo ist teuer, mir geht
das Geld aus) und chatte dann ein bisschen mit thl, jow und ea. Ich
ringe mit mir, ob ich einen Japaner bitten soll, ein Foto von mir zu
machen, wie ich da so im regnerischen Tokyo surfend in der Gosse
hocke, nehme aber davon Abstand. Und das mit dem Selbstauslöser
kommt sowieso nicht in Frage, da hier keine natürlichen Stative
vorhanden sind.
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