29.8., Ueno in the rain

Ich wache um 7:30 auf und finde das aufgeklappte Handy neben mir, so, als hätte ich es in der Hand gehabt. Offensichtlich bin ich bei dem Versuch, den Wecker zu stellen, eingeschlafen. Aber die innere Uhr hat mich genau zu dem Zeitpunkt geweckt, an dem ich sowieso hätte aufstehen wollen, denn um 8 treffen wir uns zum Frühstück.

Ich bin nicht der einzige, der ein bisschen unter Startschwierigkeiten leidet; als ich um 8:15 in das Cafe gehe, wo wir zum Frühstück verabredet sind, kommt mir Rudgiero(?) entgegen, der sich wundert, dass er der einzige ist. Tja, alle anderen haben halt gestern Abend noch etwas dolle gefeiert ...

Nach und nach trudeln aber alle ein, nur Annegret fehlt. Ich gehe zurück zum Hotel und teste wieder mal mein Japanisch, indem ich den Portier bitte, Annegret für mich anzurufen. Im Nachhinein verstehe ich, warum er auf dieses Ansinnen etwas merkwürdig reagiert. Mein Japanisch war glaube ich schon in Ordnung, aber zwei Meter weiter hätte ein Telefon gestanden, mit dem ich dasselbe hätte alleine bewerkstelligen können. Egal, beim nächsten Mail. Annegret hat tatsächlich verpennt, aber macht ja nichts, wir sind ja alle etwas spät dran heute.

Als wir im Auto sitzen, frage ich Declan, was er nun eigentlich für das Parken bezahlt hat, und die Antwort haut mich fast aus den Socken: 8400 Yen (über 60 Euro). Ich ahnte ja schon, dass es teuer werden könnte, ein Auto anderthalb Tage lang in Tokyo stehen zu lassen, aber so teuer? In strömendem Regen geht es nach Ueno, wo wir eigentlich ausführlich im Park spazieren gehen und dann ein Museum besichtigen wollten. Angesichts des Wetters verschieben sich die Prioritäten ein wenig; wir eilen durch den Park zum Museum, halten nur zwischendurch kurz an einem Schrein inne, wo der auffälligste Anblick (leider) ein Hund mit Regenjacke ist Foto dazu.

Das winzige Museum zeigt das Leben in Tokyo zu Anfang des 20. Jahrhunderts Foto dazu, und wegen des Wetters halten wir uns länger dort auf als es eigentlich nötig wäre. Der Tag will irgendwie nicht so recht in Schwung kommen. Nach dem Museumsbesuch gibt es ein bisschen Freizeit zum Shoppen - Declan zieht sich irgendwohin zurück und lässt uns zweieinhalb Stunden lang allein. In Abwandlung von "Todaiji in the rain" summe ich heute vor mich hin "Ueno in the rain" und schlendere lustlos durch die Straßen Foto dazu.

Einkaufen war noch nie ein besonderes Hobby von mir, und im Regen macht es keinen rechten Spaß, durch die Stadt zu laufen. Immerhin kaufe ich mir einen eigenen Regenschirm, denn der, den ich gerade benutze, gehört Declan, und der wird uns ja heute Abend verlassen. Zum Mittagessen kehre ich in einem kleinen japanischen Restaurant ein, wo ich für 650 Yen ein erstaunlich günstiges und reichhaltiges Mittagessen einnehme Foto dazu. Das Bier, das ich spontan dazu trinke, kostet übrigens 670 Yen.

Zu den Entdeckungen des Nachmittags gehört ansonsten noch ein Kapselhotel; nun weiß ich also, wo eines ist, falls ich mal in Ueno billig übernachten will Foto dazu. Die Nacht kostet hier 3600 Yen. Eine Sauna scheint es auch zu geben, aber wenn ich das Schild richtig vestehe nur zwischen 10 und 17 Uhr Foto dazu? Das wäre ja seltsam.

Im Anschluss fährt und Declan mit dem Auto über die Rainbow Bridge Foto dazu auf die andere Seite der Bucht an einen Ort namens Odaiba. Er wirft uns vor dem Fuji-TV-Gebäude Foto dazu aus dem Auto, und wir haben wieder zwei Stunden Zeit. Zeit wofür? Ich weiß nicht so recht, was ich hier soll. Trotz des regnerischen Wetters - inzwischen hört es ab und zu auch mal für ein paar Minuten auf - drängen sich vor dem Gebäude und im Erdgeschoss die Menschenmassen um irgendwelche Freizeitpark-Attraktionen, deren Fun-Faktor sich mir nicht recht erschließen will Foto dazu. Ich erklimme mit Olivier die Treppe zu einer Art Innenhof Foto dazu auf halber Höhe des Gebäudes; auch hier alles voller Stände und Japaner. Wir stellen uns in die Schlange vor einem Aufzug, der wohl auf eine Ausichtsplattform führt, bis uns nach fünf Minuten bewusst wird, dass alle eine Art Ausweis an einer Schnur um den Hals tragen. Wir fragen einen der Umstehenden, und ja, für diesen Aufzug braucht man ein Ticket oder eben diesen Tagesausweis, den hier alle für die zahlreichen Attraktionen haben. Also nix Aussichtsdeck; dafür geh ich jetzt nicht zurück ganz nach unten und kaufe für 1000 Yen eine Tageskarte.

Auf dem Weg nach unten werden wir auf halber Höhe mit den anderen Touristen zu einem Rundgang durch das Gebäude geschleust, wo in engen Gängen anscheinend Fotos von Fernsehstars hängen und irgendwelche Informationen über sie und das Fernsehprogramm aushängen Foto dazu. Da ich keine Kanji lesen kann und auch die hiesigen Soaps nicht kenne, versuche ich nur, so schnell wie möglich hier rauszukommen.

Wieder an der frischen Luft, gehe ich auf die andere Straßenseite rüber Richtung Bucht, knipse die obligatorischen Fotos von Rainbow Bridge Foto dazu und Freiheitsstatue Foto dazu, um dann den Rest unserer freien Zeit im Einkaufszentrum Aquacity zu verbringen. Mein Versuch, in einer Buchhandlung einen Stadtplan von Tokyo zu erstehen, scheitert daran, dass sie nur japanische Pläne haben, in denen alles in Kanji steht. Daher nehme ich doch Abstand vom Kauf.

Um 17 Uhr zurück am vereinbarten Treffpunkt offenbart uns Declan, dass dies das Ende der Tour ist und die anderen nun zurück nach Okazaki fahren. Annegret und mir empfiehlt er, mit der Bahn nach Hause zu fahren, denn er käme mit dem Auto nicht mehr in Shinjuku vorbei. So heißt es denn Abschied nehmen von dem besten australischen Reiseführer, den ich in Japan je hatte. Es war überwiegend eine tolle Tour; nur der heutige Tag war irgendwie etwas schlapp. Aber ich freue mich schon darauf, etwas auszuspannen.

Annegret und ich fragen uns am Bahnhof durch, in welche Richtung wir denn nun fahren müssen, denn hier hängt kein vollständiger Netzplan, sondern nur einer mit den Stationen dieser Einschienenbahn. Nach erfolgreicher Navigation nach Shinjuku gehen wir in einem Sushi-Restaurant lecker essen Foto dazu - einige Dinge, z.B. bestimmte Muscheln, werden hier anscheinend superfrisch direkt aus einem Aquarium geholt Foto dazu -, und zurück im Hotel falle ich erst mal auf mein Bett und lasse das Erlebte an mir vorüberziehen. Ich raffe mich auf, ein Stündchen lang Ordnung in mein Tagebuch zu bringen und brenne für Annegret eine DVD mit den bisher 3,2 GByte an Fotos - über 2500 Bilder!

Gegen 21:30 Uhr muss ich dringend schauen, dass ich ans Internet komme. Nach zwei Tagen ohne Netz fühl ich mich schon ganz unruhig. Ich frage also an der Rezeption, wo man denn hier das Internet benutzen kann. Den Redeschwall, der dann als Antwort kommt, muss ich leider mit der höflichen Frage nach einem Stadtplan unterbrechen, den ich auch bekomme und auf dem mir der freundliche Portier ein Kreuzchen macht, neben das er "GERA GERA BF1" schreibt. Das dürften etwa fünf bis zehn Minuten Fußweg sein, also los.

Ich komme unterwegs an einem Starbuck's vorbei und denke mir so, Moment, haben die nicht in USA in jeder Niederlassung einen kostenlosen Hotspot? Ich trinke einen ausgesprochen leckeren Capuccino, dem ich ein Bier um diese Tageszeit (mittlerweile gegen 22 Uhr) trotzdem vorziehen würde. Und WLAN gibt es keines. Also weiter. Obwohl ich noch nicht in der angepeilten Straße bin, studiere ich die ganzen Leuchtschilder sehr aufmerksam daraufhin, ob da nicht irgendwo intaanetto steht. Dadurch finde ich zwar kein Internet, aber einen Go-Salon im siebten Stock eines Hauses. Als ich mit dem Aufzug hochfahre, stehe ich aber vor verschlossener Tür; ist vielleicht schon ein bisschen spät für Go (ca. 22:30).

Gera Gera erweist sich als recht großräumiges Internet-Cafe, wo ich für 380 Yen die Stunde surfen könnte. Und BF1 versteh ich erst im Nachhinein: Erstes Kellergeschoss natürlich. Ich frage, ob ich meinen eigenen Computer benutzen kann, aber jetzt wirds kompliziert. Obwohl ich auf Japanisch gefragt habe, versuchen sie gar nicht erst auf Japanisch zu antworten, sondern fangen sie an zu kichern und holen ein drittes Mädel herbei, das ein bisschen Jenglisch kann. Jenglisch nenne ich ab sofort das Englisch-ähnliche, sehr japanisch klingende Nicht-ganz-Japanisch.

Sie fragt, ob ich denn ein Kabel habe, was ich verneine; das Patchkabel liegt natürlich im Hotel :-(. Ich versuche zu ergründen, ob ich denn ans Netz könnte, wenn ich tatsächlich ein Kabel mitbrächte, komme aber nicht dahinter. Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit Japanern denke ich, dass das wieder die indirekte Art des Neinsagens ist, und wenn ich ein Kabel hätte, würden sie sicherlich wieder ein anderes Problem erfinden. Trotzdem lasse ich mir den Laden ein bisschen zeigen und frage (mit Japanisch, Händen und Füßen), ob ich vielleicht einfach das Netzwerkkabel von einem der PCs abziehen und in mein Notebook stecken dürfte. Dieses Ansinnen versetzt sie in helle Aufregung, und sie holt ihren Boss, der mir nach einer höflichen Einleitung zu verstehen gibt: dame desu, was glaube ich eine recht deutliche, also nicht gerade auf der höchsten Höflichkeitsstufe angesiedelte Formulierung für "das kommt überhaupt nicht in Frage, das darf man nicht" ist. zannen desu ne (schade)!

Leicht gefrustet ziehe ich von dannen, versuche vor der Tür des Ladens (noch im Untergeschoss) verstohlen, ob ich hier vielleicht ein WLAN empfange, aber nein, nichts. Auf dem Rückweg komme ich auf den Gedanken, es noch einmal zu versuchen. Da es regnet, ziehe ich mich unter das Vordach eines (geschlossenen) Geschäfts zurück, setze mich wie ein Penner auf den Boden, im Schneidersitz, das Notebook auf den Knien, und Bingo! Ich bin drin! Ein offenes WLAN, in dem mir ein DHCP-Server eine IP-Adresse gibt und über das ich mit im Schnitt 30 KByte/s das Backup meiner Fotos nach Hause fortsetzen kann. Nette Internet-Anbindung hier, das muss man schon sagen. Nur ein bisschen unbequem. Ich könnte jetzt also auch Fotogalerien ins Web uploaden, wenn ih denn nur Platz hätte.

Na ja, das Platzproblem wird bald gelöst sein, denn Declan will veranlassen, dass ich meine Fotos auf die Website von Yamasa packen kann. Es ist sogar schon etwas passiert: Bei harald.yamasa.org kommt eine andere Fehlermeldung als bei blarf.yamasa org. Leider hat man mir die Daten für den FTP-Zugang noch nicht gegeben, sodass ich noch nicht uploaden kann.

Zuerst dachte ich, die Passanten starren mich an, bemerke aber, dass sie mich nur dann anstarren, wenn ich sie direkt ansehe. Solange ich auf mein Display schaue und die Japaner nur verstohlen aus dem Augenwinkel beobachte, zeigen sie keinerlei Reaktion, so als nähmen sie mich nicht zur Kenntnis. Umso besser. Ich checke meine Mail (hey, keiner schreibt mir!), mein Gästebuch (was ist los? Keiner schreibt mir :-(), schaue kurz in mein Bankkonto (nanu, sollte Heise nicht allmählich überweisen? Tokyo ist teuer, mir geht das Geld aus) und chatte dann ein bisschen mit thl, jow und ea. Ich ringe mit mir, ob ich einen Japaner bitten soll, ein Foto von mir zu machen, wie ich da so im regnerischen Tokyo surfend in der Gosse hocke, nehme aber davon Abstand. Und das mit dem Selbstauslöser kommt sowieso nicht in Frage, da hier keine natürlichen Stative vorhanden sind.

 

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©2004 by Harald Bögeholz