26.8., Kyoto

Heute wird ein langer Tag. Wir brechen um 7 auf in Richtung Link zu YamasaKyoto, und ich bin hundemüde, schlafe im Auto erst einmal. In unserer ersten Pause kaufe ich mir erst einmal Kaffee und etwas Süßes in der Hoffnung, dass mich das munter macht. Außerdem erstehe ich aus Neugier ein kleines Fläschchen von dem Muntermacher, den Declan in Notfällen immer benutzt Foto dazu. Ziemlich teuer das Zeug, über 300 Yen. Aber hat anscheinend einen ziemlich wirksamen Hallo-wach-Effekt. Es heißt irgendwas mit doraibu...Kanji..., scheint also für Autofahrer gedacht zu sein. Da ich so dringend nicht munter werden muss, hebe ich mir das Fläschchen für später auf.

In Kyoto fotografiere ich spontan ein Kuriosum, das mir schon mehrfach aufgefallen ist: Eine rote Ampel, die zusätzlich für geradeaus und links grün zeigt Foto dazu. Dazu muss man sagen, dass ein grüner Pfeil nach rechts ziemlich normal ist. An vielen Kreuzungen sind die Ampeln so geschaltet, dass sie, bevor sie ganz rot werden, noch für eine kurze Zeit nur für Rechtsabbieger grün zeigen, damit diese eine Chance zum Abbiegen haben (man beachte den Linksverkehr in Japan). Dass zusätzlich ein grüner Pfeil geradeaus da ist, sieht man eher selten. Das eigentliche Kuriosum ist nun nicht ausgerechnet diese Ampel in Kyoto, sondern etliche andere, die ich nur noch nicht geschafft habe zu fotografieren. Man stelle sich eine Kreuzung vor, an der es nur geradeaus oder nach rechts geht; links ist keine Straße. Und nun zeigt die Ampel zunächst gelb, um dann auf rot plus grüne Pfeile geradeaus und rechts zu springen. Wo ist da nun der Unterschied? Vorher durfte ich geradeaus oder nach rechts fahren und jetzt auch. Auch Declan kann sich das nicht erklären, es ist ihm aber tatsächlich trotz seiner zwölf Jahre in Japan noch nicht als widersinnig aufgefallen. Immerhin gibt es an der Kreuzung in Kyoto die Möglichkeit, nach rechts abzubiegen, sodass Rot plus die beiden grünen Pfeile tatsächlich etwas anderes bedeuten als ganz grün, nämlich rechts abbiegen verboten. Warum man allerdings das Rechtsabbiegen verbietet, verstehe ich nich recht, denn der Gegenverkehr hat doch sowieso Vorfahrt.

Unsere Besichtigungstour führt uns zunächst nach Link zu YamasaNijojo, eine große Festungsanlage mit zwei ineinander geschachtelten Mauern und Burggräben Foto dazu. In den Innenräumen ist das Fotografieren leider verboten, sodass ich die von Raum zu Raum immer prächtiger werdenden Wandgemälde wohl ohne Kamera im Gedächtnis behalten muss. Declan erzählt uns alles mögliche über die Geschichte dieser Burg, aber meine chronische Geschichtsschwächte, gepaart mit meinen Schwierigkeiten, japanische Namen auseinanderzuhalten, führt dazu, dass ich irgendwie nicht so recht kapiere, wer da nun gegen wen und warum eigentlich. Vielleicht werde ich das später nochmal irgendwo nachlesen.

Als bemerkenswert bleibt mir in Erinnerung, dass die Wandgemälde in den ersten Räumen Tiger darstellen sollen, die aber irgendwie etwas merkwürdig aussehen. Die Erklärung: Der Künstler hat nie einen Tiger gesehen, denn die Fotografie war noch nicht erfunden und in Indien war er noch nicht, kennt also nur das Fell toter Tiger und weiß, dass sie irgendwie ziemlich kräftig und katzenartig sind. Die aus dem Kopf gemalten Fantasietiger sehen daher ein bisschen wie eine Kreuzung zwischen Hund und Katze aus.

Wir schreiten einen Gang entlang, der im Zickzack am Rande des Gebäudes entlangführt und aus quietschenden Holzdiehlen besteht. Das Quietschen ist laut Declan beabsichtigt, damit sich niemand unbemerkt heranschleichen kann - auch ein Trick. Die Audienzzimmer sind stets zweigeteilt mit einer Stufe in der Mitte. Eine Hälfte des Raumes liegt höher als die andere, denn der Shogun kann natürlich nicht auf derselben Höhe wie seine Untergebenen sitzen. Je weiter wir in das Gebäude vordringen, desto höher steigen wir. Immer nur knapp 20 Zentimeter, aber die Sitzhöhe scheint immens wichtig zu sein. Ganz am Ende gibt es dann noch ein Audienzzimmer, wo der Platz des Shoguns tiefer liegt. Dieses diente dazu, kaiserliche Boten zu empfangen, denn der Shogun dient dem Kaiser und muss daher tiefer sitzen, wenn der Bote eine Nachricht vom Kaiser überbringt. Ansonsten sind die Innenräume sehr schlicht eingerichtet: Keinerlei Möbel stehen in den mit Tatami ausgelegten Zimmern. Sehr komfortabel war das damals nicht im alten Japan, ganz zu schweigen davon, dass die Räume nicht beheizbar sind.

Zum Mittagessen gibt es Soba, eine Art Nudelsuppe mit allerlei Zeugs drin, die wir wegen der Hitze kalt bestellen. Die Nudeln werden vor unseren Augen frisch gekocht, um dann anschließend in Eiswasser wieder abzukühlen, bevor sie auf den Tisch kommen. Recht lecker, nur passiert mir mittendrin ein Fauxpas: Ich habe nicht bemerkt, dass mitten in der Suppe ein kleines Bällchen Wasabi schwimmt und stecke es als Ganzes in den Mund. Das macht munter; nachdem ich mich von dem stechenden Schmerz erholt habe, der sich bis herauf in meine Nebenhölen zu erstrecken scheint, bin ich wacher als das eine Tasse Kaffee je geschafft hätte. Was sich ganz gut trifft, denn insgesamt bin ich doch an diesem Tag ziemlich müde; auch bei Declan scheint Sightseeing-Kondition zwischenzeitlich etwas nachzulassen Foto dazu.

Wir amüsieren uns noch über zwei Gaijin, die hinter uns versuchen, auf Englisch mit der Bedienung zu kommunizieren und gerne Reis statt Soba hätten. Das ist etwa so als würde man in ein Sushi-Restaurant gehen und nach einer Pizza fragen, weil man keinen rohen Fisch mag. Dies hier ist ein reines Soba-Restaurant - alle Gerichte auf der Karte sind Soba mit irgendwas drin :-). Was sie schließlich essen, kriege ich nicht mehr mit, denn der nächste Schrein wartet schon.

Yasaka jinja ist berühmt für das Link zu YamasaGion-Festival; siehe auch das erklärende Schild Foto dazu. Es fällt auf, das hier relativ viele Japaner beten. Das funktioniert so: Man wirft eine Opfergabe in den Trichter, läutet mit dem dicken Seil die Glocke, klatscht dann langsam zwei- bis dreimal in die Hände und verharrt dann eine kurze Weile im Gebet Foto dazu.

Mit dem Auto geht es jetzt in eine andere Ecke der Stadt, wo wir zunächst einen Blick ins Kanalmuseum werfen. Bei der Gelegenheit erfahre ich (erst), dass es einen Kanal gibt, der Kyoto mit dem jenseits einer Hügelkette gelegenen Biwa-See verbindet, was insofern erstaunlich ist, als der Kanal durch zwei Tunnel und über kilometerlange Viadukte führt und das Ganze Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut wurde. Das Foto, das die Schienen zeigen soll, über die die Boote über einen kleinen Hügel gekarrt wurden, ist irgendwie misslungen Foto dazu; jedenfalls kann man sich damit nicht so recht vorstellen, wie das Ganze funktioniert hat :-(.

Etwas weiter bergauf liegt Link zu YamasaNanzenji, ein Zen-Kloster. Auch hier ist leider das Fotografieren der Innenräume verboten, was ich aber immerhin erst erfahre, als ich in einem davon zwei Fotos geschossen habe Foto dazu Foto dazu. Hübsche Gartenanlagen, wo ich erstmals größere Kiesbeete sehe Foto dazu.

Wir gehen den Weg der Philosophen entlang, tensugaku no michi Foto dazu. Sieht gar nicht so übermäßig philosophisch aus Foto dazu; jedenfalls grenzen daran zahlreiche ganz normale Wohnhäuser an. Ist aber ein ganz netter Weg entlang einem Bächlein, über das alle paar Meter kleine Brücken führen Foto dazu.

Am Ende des Weges steht, Jishoji, ein Tempel, der so berühmt ist, dass wir in einer großen Welle von Touristen hinschwimmen Foto dazu. Was es damit nun genau auf sich hat, bekomme ich zwar wieder einmal nicht so richtig mit, macht aber nichts. Ich konzentriere mich darauf, alles in mich aufzunehmen und schöne Fotos zu machen Foto dazu Foto dazu Foto dazu; alles andere kann ich bei Bedarf immer noch nachlesen.

Man achtet in diesem Tempel besonders auf das richtige Moos, wie ich anhand vierer Holzkisten erfahre, in denen in kleinen Blumentöpfen insgesamt 48 verschiedene Moosarten ausgestellt und nach dem Grad ihrer Erwünschtheit sortiert sind. Es gibt also erwünschtes Foto dazu, geduldetes Foto dazu und solches Moos, das rausgezupft wird, wenn es sich hier blicken lässt Foto dazu. In der Tat ist der Moosbewuchs in den Gartenanlagen augenfällig Foto dazu; dass hier auch auf die korrekte Sorte geachtet wird, wäre mir allerdings ohne dieses Exponat nicht aufgefallen.

Allmählich sind die Füße wund vom vielen Rumlaufen, aber noch ist das Kulturprogramm nicht beendet: In der Abendsonne steht noch Heian jingu auf dem Programm, eine verkleinerte Nachbildung des kaiserlichen Heian-Palasts, der irgendwann mal abgebrannt ist Foto dazu Foto dazu Foto dazu.

Zum Abschluss der Tour springen wir im Einkaufs- und Vergnügungsviertel Gion aus dem Auto, um bummeln zu gehen, während Declan irgendwo einen Parkplatz sucht und sich später wieder mit uns trifft. Die Fotos vom Straßenbild dürften weitgehend für sich sprechen Foto dazu. Da ich mich hundemüde fühle, beschließe ich, dass jetzt die Stunde des magischen Fläschchens gekommen ist. Es handelt sich anscheinend um eine Mischung aus ultrastarkem Kaffee, Zucker und irgendwas Fruchtigem. Die Wirkung lässt nicht lange auf sich warten: Nach zwei Minuten bin ich hellwach.

Als ich in einem Pachinko-Laden zu fotografieren anfange, kommt sofort einer angerannt und verbietet es mir. Zwei Fotos Foto dazu Foto dazu habe ich aber schon im Kasten und nehme mir vor, auf zukünftig in Zweifelsfällen zägig loszufotografieren - schließlich bin ich Ausländer und kenne mich hier nicht aus -, was Annegret etwas rücksichtslos findet *g*.

Wir entdecken ziemlich lange Arkaden mit einem Geschäft neben dem anderen Foto dazu. Dazwischen finden sich zu meiner Überraschung immer wieder kleine Shinto-Schreine Foto dazu. Es wirkt fast so als wären sie schon immer da gewesen und das Einkaufszentrum im Laufe der Zeit drumherum gewachsen. Schon ein merkwürdiger Kontrast, wenn zwischen zwei modernen Läden einfach so ein Schrein steht Foto dazu. Und wenn man sich umdreht, erblickt man ein paar Meter entfernt das zugehörige steinerne Tor, ebenfalls eingepfercht zwischen modernen Gebäuden Foto dazu.

Nach Sonnenuntergang lauern wir mit Declan vor dem berühmten Teehaus ichiriki ochaya darauf, vielleicht eine Link zu YamasaGeisha zu Gesicht zu bekommen Foto dazu. Leider sagt mir keiner, dass wir deswegen da sind und Geisha heutzutage ein eher seltener Anblick sind. Daher habe ich meine Kamera nicht schussbereit beziehungsweise die Empfindlichkeit ungünstig eingestellt und den Blitz nicht an, sodass ich "aus der Hüfte" nur zwei unscharfe Bilder hinkriege, als tatsächlich eine Geisha aus einem Auto hüpft und eilends im Teehaus verschwindet Foto dazu. Dieses Teehaus ist übrigens der Schauplatz der berühmten Geschichte von den 47 Ronin, die ihren Herrn rächen und anschließend zum rituellen Selbstmord gezwungen werden. Muss ich auch nochmal im Detail nachlesen irgendwann; ist wohl auch ein bekanntes Kabuki-Stück.

Wir machen uns gegen 19:30 auf den Rückweg, und da Declan wie die meisten japanischen Autofahrer die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h recht freizügig interpretiert und 120 bis 140 fährt, kommen wir um 22 Uhr in Okazaki an. Donnerstags schließt die Campus-Bar eigentlich um 21:30. Aber da Declan der Chef des Ladens ist, hat er dem Barkeeper eine SMS geschickt, dass wir noch bei ihm einkehren wollen, und wir trinken noch ein Bier. Da niemand wusste, dass die Bar heute Überstunden macht, ist außer uns nur noch einer da, sodass Mike Zeit hat, noch zwei Abschiedspartien Go mit mir zu spielen, von denen er die zweite mit einem Punkt gewinnt (5 Vorgabe auf dem 13er Brett, aber ich merke, dass er Fortschritte macht). Vielleicht habe ich ja tatsächlich einen neuen Go-Spieler geworben - einen in Japan lebenden Franzosen! Er meint jedenfalls, dass er sich in dem Go-Salon mal nach Anfängerliteratur erkundigen beziehungsweise fragen möchte, ob mal jemand mit ihm spielt.

 

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©2004 by Harald Bögeholz