Heute ist der große Tag. Die Abschlussprüfung. Und ich
bin so entspannt, dass ich den Wecker ausmache, nochmal einnicke und
"erst" um 6:50 aufwache, na sowas. Beim Frühstück schaue ich
noch mal ganz kurz diagonal durch die Grammatik-Abschnitte der letzten
10 Kapitel, denke mir aber, dass es eh keinen Sinn hat, irgendwas ins
Kurzzeitgedächtnis zu packen. Denn ich lerne ja hier fürs
Leben und nicht für die Schule, also werde ich mich ohne die
sonst üblichen zwanzig "Reservevokabeln" im
Kurzzeitgedächtnis der Prüfung stellen und schauen, wie gut
ich abschneide. Da ich ja eh aufhöre, ist es für mich nicht
wichtig, die Prüfung zu bestehen; die anderen, die weitermachen
wollen, stehen unter größerem Stress, denn wenn sie nicht
mindestens 70 % schaffen, müssen sie die Klasse wiederholen
(Klasse = 14 Tage).
Es läuft gut, sehr gut! Ich habe in der letzten Zeit immer mal
wieder in mein Tagebuch geschrieben, dass ich noch etwas
enttäuscht bin, wie wenig ich in freier Wildbahn verstehe. Aber
heute wird mir bewusst, wie unglaublich viel ich in den letzten vier
Wochen gelernt habe. Hey, ich kann eine vollständig in Japanisch
abgefasste, zwei Stunden dauernde schriftliche Prüfung nicht nur
lesen, sondern auch schreiben(!) und habe nur an zwei Stellen leichte
Zweifel, ob das, was ich da geschrieben habe, auch korrekt ist.
Natürlich werde ich den ein oder anderen Schreibfehler oder
Grammatikfehler drin haben, aber mein Gefühl sagt mir eindeutig,
dass das ne Eins Minus ist. Erst morgen werde ich das Ergebnis haben.
Ach ja, und ich bin eine halbe Stunde vor Schluss fertig (als dritter
von sieben)!
Zwischendurch die mündliche Prüfung: Einer nach dem
anderen wird rausgerufen und unterhält sich 10 Minuten lang mit
der Lehrerin. Die übrigens während dieser Zeit nicht im
Klassenzimmer anwesend ist, aber ich glaube nicht, dass irgendjemand
hier im Traum an Abschreiben denkt. Wir sind schließlich alle
erwachsen. Die mündliche Prüfung wird sogar aufgezeichnet;
ich weiß nicht, ob sie das nur tun, um uns nervös zu
machen. Ich hatte aber noch nie Schwierigkeiten, in ein Mikrofon zu
sprechen. Wie so oft habe ich gelegentliche Aussetzer. Etliche Fragen
kann ich prima in (meinem) besten Japanisch beantworten, aber bei ein,
zwei Fragen steh ich auf dem Schlauch und versteh plötzlich nur
Bahnhof. Die Prüferin ist aber sehr verständnisvoll, gibt
mir Zeit, formuliert die Frage noch einmal etwas anders und ich komme
irgendwie zum Ziel. Keine Ahnung, wie ich hier abgeschnitten habe; ich
würde mir eine 3 geben (alte Schulnoten von 1 bis 6). Oder
vielleicht sogar ne 2; weiß nicht, wie hart die
Maßstäbe hier sind.
In der Stunde nach der Prüfung schauen wir ein Video, und ich
schwimme immer noch auf der Welle meines Erfolgserlebnisses: Ja, ich
kann dieses zugegebenermaßen speziell zur Übung gedrehte
Video fast vollständig verstehen und dazu Fragen beantworten. Am
Nachmittag kommt nochmal eine hammerharte Grammatiklektion, aber wenn
ich so darüber reflektiere, wie viel Japanisch ich vor vier
Wochen konnte, dann kommen mir vor Glück fast die Tränen.
Schließlich ist der Unterricht hier ausschließlich auf
Japanisch; die Lehrerin heute schreibt immer mehr Dinge nur noch mit
Kanji an die Tafel, und trotzdem kriege ich fast alles mit. Und wir
haben einen Heidenspaß, können sogar schon auf Japanisch
Witze reißen! Vielleicht nicht so, dass es Japaner lustig finden
würden, aber, hey, hier sind sieben Leute, die allesamt gerade
erst Japanisch lernen und sich tatsächlich heldenhaft verkneifen,
im Unterricht Englisch zu sprechen, auch wenn das oft sooo viel
einfacher wäre. Trotzdem haben wir viel zu lachen und lernen
miteinander und sogar voneinander. Schon jetzt beginne ich diese
Klasse zu vermissen.
Habe ich erzählt, dass uns Amy, die neue Schülerin,
Anfang der Woche wieder verlassen hat? Ich kann mir gut vorstllen, wie
schwierig es ist, in eine Gruppe von Leuten reinzukommen, die sich so
gut kennen und so viel Spaß miteinander haben. Ich hoffe, wir
haben sie nicht rausgemobbt; jedenfalls nimmt sie jetzt
Einzelunterricht.
Nachmittags spiele ich wie immer in der Bar Go mit Mike . Heute
kommt eine meiner Lehrerinnen rein, schaut sich das eine Weile an und
bittet mich dann, es ihr zu erklären. Auf Japanisch versteht
sich. So habe ich dann auch eine halbe Stunde Einzelunterricht, denn
irgendwie habe ich nicht so ganz das passende Vokabular dafür im
Kopf.
Sie stellt sich gar nicht so dumm an, hat aber nach einer Partie
schon genug. Nachdem Mike um 17 Uhr seine Bar schließt, quatsche
ich noch ein Stündchen mit diversen Leuten, um dann mit meiner
Klasse und einigen anderen in einem japanischen Restaurant feiern zu
gehen .
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