18.8., Die Abschlussprüfung

Heute ist der große Tag. Die Abschlussprüfung. Und ich bin so entspannt, dass ich den Wecker ausmache, nochmal einnicke und "erst" um 6:50 aufwache, na sowas. Beim Frühstück schaue ich noch mal ganz kurz diagonal durch die Grammatik-Abschnitte der letzten 10 Kapitel, denke mir aber, dass es eh keinen Sinn hat, irgendwas ins Kurzzeitgedächtnis zu packen. Denn ich lerne ja hier fürs Leben und nicht für die Schule, also werde ich mich ohne die sonst üblichen zwanzig "Reservevokabeln" im Kurzzeitgedächtnis der Prüfung stellen und schauen, wie gut ich abschneide. Da ich ja eh aufhöre, ist es für mich nicht wichtig, die Prüfung zu bestehen; die anderen, die weitermachen wollen, stehen unter größerem Stress, denn wenn sie nicht mindestens 70 % schaffen, müssen sie die Klasse wiederholen (Klasse = 14 Tage).

Es läuft gut, sehr gut! Ich habe in der letzten Zeit immer mal wieder in mein Tagebuch geschrieben, dass ich noch etwas enttäuscht bin, wie wenig ich in freier Wildbahn verstehe. Aber heute wird mir bewusst, wie unglaublich viel ich in den letzten vier Wochen gelernt habe. Hey, ich kann eine vollständig in Japanisch abgefasste, zwei Stunden dauernde schriftliche Prüfung nicht nur lesen, sondern auch schreiben(!) und habe nur an zwei Stellen leichte Zweifel, ob das, was ich da geschrieben habe, auch korrekt ist. Natürlich werde ich den ein oder anderen Schreibfehler oder Grammatikfehler drin haben, aber mein Gefühl sagt mir eindeutig, dass das ne Eins Minus ist. Erst morgen werde ich das Ergebnis haben. Ach ja, und ich bin eine halbe Stunde vor Schluss fertig (als dritter von sieben)!

Zwischendurch die mündliche Prüfung: Einer nach dem anderen wird rausgerufen und unterhält sich 10 Minuten lang mit der Lehrerin. Die übrigens während dieser Zeit nicht im Klassenzimmer anwesend ist, aber ich glaube nicht, dass irgendjemand hier im Traum an Abschreiben denkt. Wir sind schließlich alle erwachsen. Die mündliche Prüfung wird sogar aufgezeichnet; ich weiß nicht, ob sie das nur tun, um uns nervös zu machen. Ich hatte aber noch nie Schwierigkeiten, in ein Mikrofon zu sprechen. Wie so oft habe ich gelegentliche Aussetzer. Etliche Fragen kann ich prima in (meinem) besten Japanisch beantworten, aber bei ein, zwei Fragen steh ich auf dem Schlauch und versteh plötzlich nur Bahnhof. Die Prüferin ist aber sehr verständnisvoll, gibt mir Zeit, formuliert die Frage noch einmal etwas anders und ich komme irgendwie zum Ziel. Keine Ahnung, wie ich hier abgeschnitten habe; ich würde mir eine 3 geben (alte Schulnoten von 1 bis 6). Oder vielleicht sogar ne 2; weiß nicht, wie hart die Maßstäbe hier sind.

In der Stunde nach der Prüfung schauen wir ein Video, und ich schwimme immer noch auf der Welle meines Erfolgserlebnisses: Ja, ich kann dieses zugegebenermaßen speziell zur Übung gedrehte Video fast vollständig verstehen und dazu Fragen beantworten. Am Nachmittag kommt nochmal eine hammerharte Grammatiklektion, aber wenn ich so darüber reflektiere, wie viel Japanisch ich vor vier Wochen konnte, dann kommen mir vor Glück fast die Tränen. Schließlich ist der Unterricht hier ausschließlich auf Japanisch; die Lehrerin heute schreibt immer mehr Dinge nur noch mit Kanji an die Tafel, und trotzdem kriege ich fast alles mit. Und wir haben einen Heidenspaß, können sogar schon auf Japanisch Witze reißen! Vielleicht nicht so, dass es Japaner lustig finden würden, aber, hey, hier sind sieben Leute, die allesamt gerade erst Japanisch lernen und sich tatsächlich heldenhaft verkneifen, im Unterricht Englisch zu sprechen, auch wenn das oft sooo viel einfacher wäre. Trotzdem haben wir viel zu lachen und lernen miteinander und sogar voneinander. Schon jetzt beginne ich diese Klasse zu vermissen.

Habe ich erzählt, dass uns Amy, die neue Schülerin, Anfang der Woche wieder verlassen hat? Ich kann mir gut vorstllen, wie schwierig es ist, in eine Gruppe von Leuten reinzukommen, die sich so gut kennen und so viel Spaß miteinander haben. Ich hoffe, wir haben sie nicht rausgemobbt; jedenfalls nimmt sie jetzt Einzelunterricht.

Nachmittags spiele ich wie immer in der Bar Go mit Mike Foto dazu. Heute kommt eine meiner Lehrerinnen rein, schaut sich das eine Weile an und bittet mich dann, es ihr zu erklären. Auf Japanisch versteht sich. So habe ich dann auch eine halbe Stunde Einzelunterricht, denn irgendwie habe ich nicht so ganz das passende Vokabular dafür im Kopf.

Sie stellt sich gar nicht so dumm an, hat aber nach einer Partie schon genug. Nachdem Mike um 17 Uhr seine Bar schließt, quatsche ich noch ein Stündchen mit diversen Leuten, um dann mit meiner Klasse und einigen anderen in einem japanischen Restaurant feiern zu gehen Foto dazu.

 

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©2004 by Harald Bögeholz