9.8., Einkaufen in Nagoya

Habe ich heute schon gejammert, wie schwierig Japanisch ist? Der Unterricht ist jedenfalls wieder einmal eine große Herausforderung. Völlig erledigt radle ich trotzdem direkt nach der Schule zum Bahnhof, um nach Nagoya zu fahren. Ich brauch einfach Go-Material und ganz besonders dringend ein Wörterbuch.

Am Bahnhof wundere ich mich, dass nirgendwo Fahrräder stehen. Das kann doch irgendwie nicht sein. Irgendetwas in mir sagt mir, dass es sich wohl nicht geziehmt, mein Fahrrad einfach vor dem Eingang abzustellen, wie ich es in Deutschland ohne zu zögern getan hätte. Und richtig: Als ich mich ein wenig umschaue, entdecke ich auf der anderen Straßenseite beziehungsweise diagonal über eine Kreuzung einen Fahrrad-Abstellplatz. Da sind sie also, all die Fahrräder, und nicht zu knapp Foto dazu! Da ist meines ja in guter Gesellschaft.

Während ich bei meiner Erstbesichtigung eines japanischen Bahnhofs noch an totaler Reizüberflutung und Jet-Lag gelitten habe, studiere ich heute mit wachem Geist die aushängenden Pläne und stelle fest, dass es nicht wirklich schwierig ist, die diversen Arten von Expresszügen vom Bummelzug zu unterscheiden Foto dazu. Außerdem lasse ich mir von einem Japaner erklären - ähem, also eher vormachen, ich will mal nicht mit meinem lausigen Japanisch prahlen -, wie man den Fahrkartenautomaten benutzt. Erst Geld rein, dann Taste drücken; ich hatte es umgekehrt versucht. Um den Automaten zu benutzen, muss man wissen, wie viel die Fahrt kostet. Das ist aber kinderleicht rauszufinden, denn auf dem Streckennetzplan steht einfach an jedem Ort der Fahrpreis dran. Warum ist das in Deutschland nur so kompliziert? Da muss ich überlegen, welche Haltestelle in welcher Tarifzone liegt und Zonen zählen oder am Automaten in einer riesigen Tabelle von Haltestellen die gewünschte raussuchen und dann eine dreistellige Codezahl eingeben ... irgendwie gefällt mir das japanische System recht gut. Und für den Fall, dass man sich spontan überlegt, doch woanders hinzuwollen, gibt es anscheinend Automaten, mit denen man sein Ticket nachträglich verändern kann. Davon gehe ich jedenfalls aus; an den englisch beschrifteten steht "Fare Adjustment". Man muss sein Ticket übrigens am Ende der Fahrt wieder in den Automaten stecken; ich glaube in der RER in Paris ist es auch so. Kann man da auch noch nachlösen, Frieder? Wobei ich gelegentlich mal der Frage nachgehen muss, ob man hier in Japan auch was rausbekommen kann, wenn man weniger weit fährt als ursprünglich geplant.

Ich steige extra ganz vorne ein, weil ich den Zugführer besichtigen und vor allem fotografieren möchte. Ihr erinnert Euch an die Geschichte von meinem ersten Tag? Auch dieser Zugführer nimmt seinen Job sehr ernst, vollführt andauernd lustige Gesten und erreicht jeden Bahnhof exakt nach Fahrplan. Da ich eine halbe Stunde Zeit habe, schraube ich sogar meinem Polfilter vors Objektiv, in der Hoffnung, die Lichtreflexe auf der Scheibe damit bändigen zu können. Aber irgendwas habe ich anscheinend daran falsch vestanden; es nützt meinem Gefühl nach nicht wirklich was Foto dazu. Das muss ich mir irgendwann wohl von einem Fotokundigen nochmal erklären lassen.

In Nagoya nehme ich mir die Zeit, den gesamten Bahnhof gründlich zu besichtigen. Nicht nur aus purem Interesse an dem spannenden Bahnhof, sondern weil mir Mike den Tipp gegeben hat, dass es dort irgendwo eine Touristen-Info gibt, wo ich einen Stadtplan schnorren und mir erklären lassen kann, wie ich zu dem Go-Laden komme. Ich brauche fast eine halbe Stunde, um die komische Tourist-Info zu finden; irgendwie habe ich es etliche Male geschafft, daran vorbeizulaufen. Ist halt immer noch ein ungewohntes "Straßen"bild hier in Japan.

Ich frage auf Japanisch nach einem Stadtplan (nachdem mir Mike eingeschärft hat, das nicht mit Käse zu verwechseln, kann ich mir endlich, endlich das Wort chizu, mit kurzem i, merken) und zeige den Flyer von dem Go-Material-Laden vor. Die freundliche Dame erklärt mir daraufhin auf Englisch, dass ich nur eine Station weit mit der U-Bahn fahren muss, und zeichnet mir den Laden in meinem Stadtplan ein. Ich spiele kurz mit dem Gedanken, zu Fuß zu gehen, beschließe aber dann, dass die U-Bahn ja vielleicht auch sehenswert ist und außerdem draußen wieder die übliche Hitze herrscht (33 Grad, aber gefühlte Temperatur höher).

Ich finde den Go-Laden problemlos (Shogi führt er übrigens auch) und bekomme erst einmal eine Schale kalten Tee hingestellt. Das ist ja nett. Und sinnvoll, denn für die Dinge, die man hier kaufen kann, lohnt es sich, sich hinzusetzen und sich das gründlich zu überlegen. Hier gibt es nämlich das echte Spielmaterial, und das hat seinen Preis. Der Ladenbesitzer kann kein Englisch oder gibt es zumindest nicht zu. Na gut, dann müssen wir halt mit meinem lausigen Japanisch Vorlieb nehmen.

Ich schaffe es, ihm zu vermitteln, dass ich nicht viel Geld ausgeben kann, weil Yamasa bezahlt und ich nur ein begrenztes Budget habe. Daher lasse ich mir Glassteine zeigen und winke bei einem hübschen, dicken Brett aus Kaya gleich ab, sondern lasse mir ein dünneres zeigen. Auch das ist aber noch zu teuer - 10.000 Yen darf ich ausgeben. Also frage ich nach einem Klappbrett, und das liegt mit 3600 Yen endlich im erschwinglichen Rahmen. Zu Hause bei Christoph wärs billiger gewesen, aber na ja. Ich erkläre erfolgreich auf Japanisch, dass ich einem Freund Go beibringen muss und daher ein kleines Brett brauche, und er zieht ein gar nicht mal so hässliches 13 × 13-Brett aus dem Schrank, das auf der Rückseite ein 9 × 9-Spielfeld hat. Die Summe beträgt, wenn ich es recht gerechnet habe, 10.900 Yen, und ich erkläre ihm, dass ich ein kleines Problem habe, weil ich nur 10.000 Yen ausgeben kann. Ob wir vielleicht billigere Steine finden? Ich verstehe leider (die ganze Zeit schon) sehr wenig von dem, was er zu mir sagt, aber jetzt antwortet er (glaube ich), weil ich Japanisch lerne, gibt es mir den Kram für 10.000 Yen und legt sogar noch eine Filzmatte als Unterlage drauf. Na wer sagts denn, ich kann sogar schon auf Japanisch die Preise drücken *freu*.

Jetzt bitte ich ihn, mir doch noch ein paar schöne Bretter bzw. Tische (ich glaube, im Japanischen heißt beides goban) zu zeigen. Er stellt mir einen schönen Go-Tisch aus Kaya vor die Nase, in den ich mich echt verlieben könnte Foto dazu. Nach dem, was ich hier sonst so gesehen habe, ist er unter den großen Go-Tischen mit einem Preis von 28.0000 Yen (ja, vier Nullen, 28 man en) wohl obere Mittelklasse. Er ist anscheinend aus einem Stück, aber es gibt auch teurere mit noch schönerer Maserung. Schluck, das sind etwa 2000 Euro. Ich knalle versuchsweise ein paar schöne Muschel- und Schiefersteine aufs Brett, um mich an dem Gefühl und dem Klang zu erfreuen. Der recht hochwertig aussehende Satz Steine ist mit 16.000 Yen, ca. 120 Euro, gar nicht so teuer. Ob ich wohl gelegentlich schöne Steine brauche?

Der Ladenbesitzer erzählt mir eine ganze Menge über Go-Bretter; leider verstehe ich nur einen Bruchteil. Unter anderem sagt er, dass ich auf diesem Tisch gleich drei Steine stärker spielen würde, also Shodan (ich habe beschlossen, Christophs Rat zu folgen und nenne mich in Japan jetzt 3 Kyu). Irgendwie kenn ich die Szene aus Hikaru no Go :-). Auf einem etwas weniger teuren Tisch schätzt er meine Spielstärke dann als 1 Kyu ein. Ich sage zu ihm (hoffe ich), dass ich wohl doch erst einmal Shodan werden möchte, bevor ich mir einen solchen Tisch kaufe. Ich lasse mir noch eine ganze Menge über Go-Bretter erzählen und zeigen (das meiste leider für die Katz, weil mein Japanisch nicht ausreicht), um mich dann mit meiner Beute auf den Rückweg zu machen. Kurz denke ich darüber nach, dass man in Nagoya ja auch irgendetwas besichtigen könnte, aber ich muss ja noch ein Wörterbuch kaufen, also nehm ich wieder die U-Bahn.

Auf dem Weg aus der Station steigt wieder eine Beobachtung aus meinem Unterbewusstsein auf, die ich schon längst hätte machen können: Die Treppen sind anscheinend Einbahnstraßen (obwohl nirgends ein Schild steht), und kein Japaner kommt auf die Idee, auf der falschen Seite zu gehen Foto dazu.

Der Empfehlung von Mike folgend, schaue ich mich in einem Laden namens biku kamera um Foto dazu (häh? Große Kamera? Aber warum dann Big nicht mit g, sondern mit k?). Das hier ist das reinste Paradies für Gadget-Lover, Danny würde glaube ich vor Freude ausflippen. Als ich zu fotografieren anfange, kommt sofort einer angerannt und verbietet es mir. Immerhin hab ich den Wörterbuch-Stand Foto dazu und die D70 Foto dazu noch geschafft ;-).

Die Schwierigkeiten bei der Bedienung eines für Japaner gedachten elektronischen Wörterbuchs habe ich Samstag schon angedeutet. Dank Mike erkenne ich aber jetzt die wichtigsten Kanji wieder und spiele fast eine Stunde lang mit zwei Exemplarern herum. Warum nur zwei? Es gibt nur zwei mit Deutsch drin, und obwohl mein Englisch ganz ok ist und die Englisch-Wörterbücher in der Regel ein größeres Vokabular haben, habe ich mir doch irgendwie in den Kopf gesetzt, Deutsch haben zu wollen. Außerdem muss ich mich dann nicht zwischen 40 verschiedenen Modellen entscheiden, wenn es auch etwas teurer wird. Englisch ist natürlich auch mit drin, inklusive Englisch-Englisch (Oxford Advanced Learner's Dictionary und Concise Oxford Thesaurus), Englisch-Deutsch und Deutsch-Englisch (die taugen aber nix, da steht nicht mal concise drin ;-)). Da beide Wörterbücher das gleiche kosten, fällt die Wahl schwer, aber ich habe den Eindruck, dass das von Seiko mir weniger Tastendrücke abnötigt, wenn ich von den Kanji, die ich als Übersetzung zu Gesicht bekomme, die Aussprache wissen will. For the record: 36.500 Yen kostet das Gadget. Ich denke aber, die sind gut angelegt.

Nach dem Wörterbuchkauf ist mir nicht mehr nach Sightseeing zumute und es dämmert bereits. Daher trete ich den Rückweg an. Nach einigen Minuten Rumschlendern auf dem Bahnsteig fällt mir auf, dass die Japaner bereits Schlange stehen für den Zug. Mist, das hätt ich eher kapieren sollen, es ist doch Berufsverkehr! Überall wo später eine Tür sein wird, hängt ein Leuchtschild, auf dem meistens in Kanji, gelegentlich aber sogar in für mich lesbaren Buchstaben, das Fahrziel steht. Und dahinter eine ordentliche, zweireihige Schlange Japaner. Da ich erst kurz vor Ankunft des Zuges auf die Idee komme, dass man sich in eine Schlange stellen muss, muss ich im Zug leider stehen und habe so die Gelegenheit, die ausführlichen Warnungen über das unsachgemäße Wegwerfen von Zigarettenkippen zu würdigen Foto dazu.

Zu Hause studiere ich das Handbuch meines neuen Gadgets Foto dazu. Von den 348 Seiten enthalten immerhin 8 eine englischsprachige Kurzanleitung; der Rest ist fast ausschließlich auf Japanisch, aber auch eine englischsprachige Erklärung der Aussprache und Grammatik des Englischen sowie eine deutsche Liste mit ein paar Verben sind dabei.

Eigentlich müsste ich noch Hausaufgaben machen, aber als ich kurz in den Aufenthaltsraum gehe, spricht mich ein Mädel an, ob ich ihr nicht heute Go beibringen könnte. Tja, der Abend ist somit gelaufen ... da müssen die Hausaufgaben wohl bis morgen warten. War eh nur ein Blatt, das schaff ich bestimmt.

 

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©2004 by Harald Bögeholz