Nach der anstrengenden Freitagnacht brauche ich viel Schlaf und
stehe erst um 12:30 auf, natürlich nicht ohne mich von dem wieder
mal vergessenen Wecker um 6:30 kurz wecken zu lassen. Um 14 Uhr bin
ich mit Mike verabredet. Das reicht gerade noch zum Duschen,
Frühstücken (es gibt Sandwiches und eine Dose kalten Kaffee
aus dem Mini-Stop) und um den Upload der Fotos von gestern zu
starten.
Pünktlich um 14 Uhr treffe ich Mike im Mini-Stop, und wir
beraten, wohin wir zuerst gehen. Für mich
unverständlicherweise hat er kein Fahrrad, sodass wir alles zu
Fuß erledigen müssen. Wir wollen versuchen, ein Go-Brett
und Steine für die Bar zu kaufen, und außerdem will er mir
freundlicherweise bei der Auswahl eines elektronischen
Wörterbuchs behilflich sein.
Also geht es erst mal zum Go-Club, wo ich immerhin die Frage, wo
man Go-Material kaufen kann, noch auf Japanisch rausbringe, aber von
der Antwort nicht allzu viel verstehe. Aber dafür habe ich ja
Mike mit, der noch einmal nachfragt. In Okazaki scheints wirklich
nichts zu geben, außer vielleicht ein Klappbrett und
Plastiksteine in dem großen Einkaufszentrum. Aber da war ich
schon, habe nach Go gefragt und nur das Magnet-Brettchen bekommen, auf
dem ich seitdem mit Mike spiele. Der nächste Laden für
Go-Material scheint tatsächlich in Nagoya zu sein; der
freundliche Go-Salon-Besitzer hat einen Flyer mit Preisen und der
Adresse drauf. Immerhin weiß ich jetzt, wo ich hin muss und dass
dicke Go-Bretter aus Kaya nicht billig sind (das wusst ich schon
vorher). Beziehungsweise weiß ich, dass ich nach Nagoya fahren
und dann irgendeinem Japaner diesen Flyer unter die Nase halten muss,
um zu erfahren, wie es wohl weitergeht. Darauf ist nämlich zwar
ein Stadtplanausschnitt abgebildet, aber alles nur mit Kanji
beschriftet. Mike meint, auf dem Plan eine U-Bahn-Station zu erkennen,
ist sich aber auch nicht sicher, welche. Das wird noch ein Abenteuer
werden.
Ich frage Mike, ob er noch ein bisschen beim Go zuschauen
möchte. Schließlich lernt er eifrig, und zwei der Herren
beginnen gerade eine neue Partie. Da kann er sich ja mal ansehen, wie
eine Eröffnung auf dem großen Brett gespielt wird. Obwohl
ich ihm einschärfe, dass wir jederzeit gehen können, wenn es
ihm langweilig wird, hält er tatsächlich die ganze Partie
lang durch, obwohl sie fast eine Stunde lang dauert. Sie wird weit
über meinem Niveau gespielt, und ich bewundere wieder einmal, wie
vehement diese Dan-Spieler mit halbtoten oder einäugigen Gruppen
aufeinander losgehen, um dann schließlich ein Ko anzuzetteln, im
Verlaufe dessen Lebendiges zu sterben droht und Tote auferstehen. In
diesem Fall wird das Ko eröffnet und der andere denkt bestimmt
fünf Minuten lang nach. Offensichtlich zählt er Ko-Drohungen
und Punkte, beide starren angestrengt auf das Brett. Nach fünf
Minuten macht er einfach das Ko dicht und die beiden räumen die
Partie ab, ohne noch einen weiteren Zug zu machen. War das jetzt eine
Aufgabe? Die Situation ist so kompliziert gewesen, dass ich nicht
sagen kann, wer gewonnen hat. Von den mir aus Hikaru no Go bekannten
Formulierungen für Aufgabe habe ich von keinem der beiden Spieler
eine gehört. Faszinierend. Die beiden haben sich vor meinen Augen
heimlich darauf geeinigt, wer gewonnen hat. Ich muss noch viel
über Go lernen.
Bei der Suche nach einem Wörterbuch ist Mike ebenfalls
hilfreich, weil er einige der Kanji lesen kann, mit denen die
Knöpfe beschriftet sind. Unter all den Wörterbüchern
ist nur eines, das auch Deutsch dabei hat. Und natürlich:
Zielsicher habe ich das teuerste gefunden: 41.000 Yen (also etwas
über 300 Euro). Wir spielen bestimmt eine halbe Stunde damit
herum, bis wir ungefähr ergründet haben, wie man es bedient.
Es leistet durchaus das, was ich brauche, wenn die Bedienung auch
etwas umständlich ist. Das Problem: Wenn ich ein deutsches Wort
eingebe, bekomme ich die japanische Übersetzung nur mit Kanji
angezeigt. Das hilft mir bei der Aussprache aber herzlich wenig. Also
muss ich einen suupaajampu ins Kanji-Wörterbuch machen und
dort die Aussprache nachschlagen. Etwas mühsam, aber es scheint
keine einfacheren Wörterbücher zu geben. Die sind halt alle
für Japaner gedacht. Daher hat dieses auch einen Knopf, um sich
deutsche Wörter vorlesen zu lassen, aber natürlich keinen
für die Aussprache japanischer Wörter.
Ich könnte das Ding nun halbwegs beruhigt kaufen, denn es
leistet im Prinzip wie gesagt alles, was ich brauche. Aber Mike
empfiehlt, vielleicht doch noch einmal in Nagoya nach einem
einfacheren Modell zu schauen. Das mit der deutschen Aussprache brauch
ich ja nun wirklich nicht, warum also dafür bezahlen? Und in
Nagoya sollen sie billiger sein. Da ich da ja sowieso
baldmöglichst wegen Go-Material für die Bar hin möchte,
könnte ich das gleich mit erledigen. Andererseits könnte ich
so ein Wörterbuch im Unterricht tagtäglich gut gebrauchen,
um nebenbei Wörter nachzuschlagen, die ich noch nicht weiß.
Nach langem Zögern kaufe ich heute doch noch nicht.
Auf dem Rückweg erwerbe ich in einer Buchhandlung als Souvenir
die aktuelle Ausgabe einer Zeitschrift, deren Titel ich als <Kanji
für Monat> <unbekanntes Kanji> <Kanji für Go>
waarudo entziffere, also sowas wie Monthly Go World. Beim
Durchblättern denke ich wehmütig, dass es schon schön
wäre, Kanji lesen zu können. Es sind anscheinend eine ganze
Menge Go-Probleme drin. Vielleicht verstehe ich von denen ja ein paar,
auch ohne die Kanji drumherum zu kapieren.
Für den Abend ist ein großes Feuerwerk angesagt. Das
scheint es in dieser Dimension auch nur einmal im Jahr zu geben; ich
erfahre im Nachhinein, dass ca. 300.000 Leute dagewesen sein sollen
und es zweieinhalb Stunden lang (!) gedauert hat. Aber ich muss
dringend meine Wäsche waschen, und außerdem ist mir nach
Ruhe zumute. Ich gehe also heim, schreibe mein Tagebuch, wasche die
Wäsche und spiele ein bisschen Klavier. Dafür ist der
heutige Abend ideal, denn das Wohnheim ist natürlich so gut wie
ausgestorben, weil alle beim Feuerwerk sind.
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