7.8., Ein bisschen Go, ein bisschen Shopping

Nach der anstrengenden Freitagnacht brauche ich viel Schlaf und stehe erst um 12:30 auf, natürlich nicht ohne mich von dem wieder mal vergessenen Wecker um 6:30 kurz wecken zu lassen. Um 14 Uhr bin ich mit Mike verabredet. Das reicht gerade noch zum Duschen, Frühstücken (es gibt Sandwiches und eine Dose kalten Kaffee aus dem Mini-Stop) und um den Upload der Fotos von gestern zu starten.

Pünktlich um 14 Uhr treffe ich Mike im Mini-Stop, und wir beraten, wohin wir zuerst gehen. Für mich unverständlicherweise hat er kein Fahrrad, sodass wir alles zu Fuß erledigen müssen. Wir wollen versuchen, ein Go-Brett und Steine für die Bar zu kaufen, und außerdem will er mir freundlicherweise bei der Auswahl eines elektronischen Wörterbuchs behilflich sein.

Also geht es erst mal zum Go-Club, wo ich immerhin die Frage, wo man Go-Material kaufen kann, noch auf Japanisch rausbringe, aber von der Antwort nicht allzu viel verstehe. Aber dafür habe ich ja Mike mit, der noch einmal nachfragt. In Okazaki scheints wirklich nichts zu geben, außer vielleicht ein Klappbrett und Plastiksteine in dem großen Einkaufszentrum. Aber da war ich schon, habe nach Go gefragt und nur das Magnet-Brettchen bekommen, auf dem ich seitdem mit Mike spiele. Der nächste Laden für Go-Material scheint tatsächlich in Nagoya zu sein; der freundliche Go-Salon-Besitzer hat einen Flyer mit Preisen und der Adresse drauf. Immerhin weiß ich jetzt, wo ich hin muss und dass dicke Go-Bretter aus Kaya nicht billig sind (das wusst ich schon vorher). Beziehungsweise weiß ich, dass ich nach Nagoya fahren und dann irgendeinem Japaner diesen Flyer unter die Nase halten muss, um zu erfahren, wie es wohl weitergeht. Darauf ist nämlich zwar ein Stadtplanausschnitt abgebildet, aber alles nur mit Kanji beschriftet. Mike meint, auf dem Plan eine U-Bahn-Station zu erkennen, ist sich aber auch nicht sicher, welche. Das wird noch ein Abenteuer werden.

Ich frage Mike, ob er noch ein bisschen beim Go zuschauen möchte. Schließlich lernt er eifrig, und zwei der Herren beginnen gerade eine neue Partie. Da kann er sich ja mal ansehen, wie eine Eröffnung auf dem großen Brett gespielt wird. Obwohl ich ihm einschärfe, dass wir jederzeit gehen können, wenn es ihm langweilig wird, hält er tatsächlich die ganze Partie lang durch, obwohl sie fast eine Stunde lang dauert. Sie wird weit über meinem Niveau gespielt, und ich bewundere wieder einmal, wie vehement diese Dan-Spieler mit halbtoten oder einäugigen Gruppen aufeinander losgehen, um dann schließlich ein Ko anzuzetteln, im Verlaufe dessen Lebendiges zu sterben droht und Tote auferstehen. In diesem Fall wird das Ko eröffnet und der andere denkt bestimmt fünf Minuten lang nach. Offensichtlich zählt er Ko-Drohungen und Punkte, beide starren angestrengt auf das Brett. Nach fünf Minuten macht er einfach das Ko dicht und die beiden räumen die Partie ab, ohne noch einen weiteren Zug zu machen. War das jetzt eine Aufgabe? Die Situation ist so kompliziert gewesen, dass ich nicht sagen kann, wer gewonnen hat. Von den mir aus Hikaru no Go bekannten Formulierungen für Aufgabe habe ich von keinem der beiden Spieler eine gehört. Faszinierend. Die beiden haben sich vor meinen Augen heimlich darauf geeinigt, wer gewonnen hat. Ich muss noch viel über Go lernen.

Bei der Suche nach einem Wörterbuch ist Mike ebenfalls hilfreich, weil er einige der Kanji lesen kann, mit denen die Knöpfe beschriftet sind. Unter all den Wörterbüchern ist nur eines, das auch Deutsch dabei hat. Und natürlich: Zielsicher habe ich das teuerste gefunden: 41.000 Yen (also etwas über 300 Euro). Wir spielen bestimmt eine halbe Stunde damit herum, bis wir ungefähr ergründet haben, wie man es bedient. Es leistet durchaus das, was ich brauche, wenn die Bedienung auch etwas umständlich ist. Das Problem: Wenn ich ein deutsches Wort eingebe, bekomme ich die japanische Übersetzung nur mit Kanji angezeigt. Das hilft mir bei der Aussprache aber herzlich wenig. Also muss ich einen suupaajampu ins Kanji-Wörterbuch machen und dort die Aussprache nachschlagen. Etwas mühsam, aber es scheint keine einfacheren Wörterbücher zu geben. Die sind halt alle für Japaner gedacht. Daher hat dieses auch einen Knopf, um sich deutsche Wörter vorlesen zu lassen, aber natürlich keinen für die Aussprache japanischer Wörter.

Ich könnte das Ding nun halbwegs beruhigt kaufen, denn es leistet im Prinzip wie gesagt alles, was ich brauche. Aber Mike empfiehlt, vielleicht doch noch einmal in Nagoya nach einem einfacheren Modell zu schauen. Das mit der deutschen Aussprache brauch ich ja nun wirklich nicht, warum also dafür bezahlen? Und in Nagoya sollen sie billiger sein. Da ich da ja sowieso baldmöglichst wegen Go-Material für die Bar hin möchte, könnte ich das gleich mit erledigen. Andererseits könnte ich so ein Wörterbuch im Unterricht tagtäglich gut gebrauchen, um nebenbei Wörter nachzuschlagen, die ich noch nicht weiß. Nach langem Zögern kaufe ich heute doch noch nicht.

Auf dem Rückweg erwerbe ich in einer Buchhandlung als Souvenir die aktuelle Ausgabe einer Zeitschrift, deren Titel ich als <Kanji für Monat> <unbekanntes Kanji> <Kanji für Go> waarudo entziffere, also sowas wie Monthly Go World. Beim Durchblättern denke ich wehmütig, dass es schon schön wäre, Kanji lesen zu können. Es sind anscheinend eine ganze Menge Go-Probleme drin. Vielleicht verstehe ich von denen ja ein paar, auch ohne die Kanji drumherum zu kapieren.

Für den Abend ist ein großes Feuerwerk angesagt. Das scheint es in dieser Dimension auch nur einmal im Jahr zu geben; ich erfahre im Nachhinein, dass ca. 300.000 Leute dagewesen sein sollen und es zweieinhalb Stunden lang (!) gedauert hat. Aber ich muss dringend meine Wäsche waschen, und außerdem ist mir nach Ruhe zumute. Ich gehe also heim, schreibe mein Tagebuch, wasche die Wäsche und spiele ein bisschen Klavier. Dafür ist der heutige Abend ideal, denn das Wohnheim ist natürlich so gut wie ausgestorben, weil alle beim Feuerwerk sind.

 

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©2004 by Harald Bögeholz