Seit gestern habe ich irgendwie Heimweh; insbesondere durch den
harten Stoff im Unterricht bin ich gerade irgendwie nicht mehr scharf
auf noch mehr neue Eindrücke. Zum Frühstück gibts daher
Rührei mit Schinken und Toast . Aber nicht mit amerika no
koohii, das ginge dann doch zu weit. Heute muss ich zur
Abwechslung mal nur die neuen Vokabeln wiederholen, schaffe die
Hausaufgaben also mit Links nach dem Frühstück. Leider
stellt sich im Laufe des Unterrichts heraus, dass ich nicht bemerkt
habe, dass die Rückseite des zusammengefalteten DIN-A3-Blatts
auch voller Aufgaben gewesen wäre. Mist, dann darf ich die jetzt
heute nachholen.
Auf dem Weg zur Schule werde ich an den letzten drei Kreuzungen
wieder von freundlichen Yamasa-Angestellten über die Straße
gewunken . Das ist ja cool, da kann
man sorglos einfach ohne zu bremsen über die Kreuzungen brettern,
den netten Schülerlotsen ein ohayo gozaimasu
entgegenschmettern und braucht sich keine Sorgen über den Verkehr
zu machen.
Der Unterricht ist hammerhart. Wie anhand der Hausaufgaben schon
vermutet, werden einige neue grammatische Formen einfach
vorausgesetzt. Völlig erledigt beschließe ich daher
mittags, den Heimweh-Tag fortzusetzen, und statt Sushi oder Ramen
lasse ich mir von Mike in der Zig-Zag-Bar ein Sandwich machen.
Ich bin mir nicht sicher, ob das beabsichtigt ist, aber dadurch,
dass wir Lektion 19 vor 17 und 18 gemacht haben, fehlt von 17
irgendwie die Form, um eine Verpflichtung auszudrücken. Diese
kommt aber in den Hörübungen am Nachmittag gnadenlos dran
und ist ausgerechnet die komplizierteste von allen.
Ein Beispiel: Aus haraimasu (bezahlen) wird
harawanakerebanarimasen (man muss bezahlen). Der ganze
Rattenschwanz nakerebanarimasen ist bei allen Verben gleich und
lediglich schwierig auszusprechen. Aber aus dem i in
haraimasu wird ein wa - aus anderen Silben bei anderen
Verben würde was anderes. Das Ganze hat zwar ein System, das ich
im Prinzip mit genügend Zeit und Papier und Bleistift beherrsche.
Aber in Echtzeit scheint es mir so gut wie unmöglich, und selbst,
wenn ich es mir vorher aufschreibe, brauche ich drei Anläufe, um
dieses Ungetüm fehlerfrei auszusprechen. Es tröstet mich nur
ein kleines Bisschen, dass selbst die JET-Teacher, die schon seit
einem Jahr in Japan leben, Schwierigkeiten mit der Aussprache haben.
Immerhin haben wir viel zu lachen, weil sich alle andauernd
verhaspeln.
Nach dem Unterricht schwirrt mir der Kopf so, dass ich meine
Gedanken erst einmal an einem 9 × 9-Gitter ausrichten
möchte. Ich gehe in die Zig-Zag-Bar, um mit dem Barkeeper Mike Go
zu spielen. Eigentlich wollte ich Apfelsaft trinken, aber ich
betrachte es als Wink des Schicksals, dass der ausgerechnet heute alle
ist und bestelle mir doch ein Bier. Irgendwie habe ich das
Gefühl, dass ich mir das jetzt verdient habe. Wir spielen Go, bis
Mike die Bar um 17 Uhr dicht macht (Montags bis Mittwochs nur 11 bis
17 Uhr, wir sind schließlich nicht zum Saufen, sondern zum
Lernen hier).
Ich falle in meinem Wohnheimzimmer auf mein Bett und wache um 19
Uhr mit knurrendem Magen wieder auf. Heute kann ich meine Hausaufgaben
bestimmt nicht auf nüchternen Magen machen. Getreu dem Vorsatz,
heute möglichst mal keine neuen Eindrücke mehr zu sammeln,
gehe ich wieder zu Denny's. Das Steak sieht lecker aus, aber das
gleiche Essen zweimal, das ginge ja nun doch zu weit. Daher sollens
heute mal Spaghetti sein; auf dem Bild sehen sie sehr lecker aus, mit
irgendwelchem Gemüse drin und (Parma?) Schinkenscheiben drauf. Da
kann man ja wohl nichts falsch machen.
Pustekuchen! Die Spaghetti sind nicht warm, sondern
eisgekühlt. Und obendrauf etwas, das ich zunächst für
eine Art Kartoffelpüree halte. Es entpuppt sich als - tja, wie
beschreib ich das - Petersilien-Eis? Es ist so eine Art Salatdressing
in Eis-Form, ganz leicht süßlich. Schmecken tuts
übrigens hervorragend, aber es ist wieder mal ein völlig
neues Geschmackserlebnis. Da geht man einmal ohne Kamera aus dem Haus,
weil man den festen Vorsatz hat, keine neuen Eindrücke zu
sammeln, und dann sowas!
Die Hausaufgaben ziehen sich endlos hin; um 23:30 verlier ich die
Lust und gehe rüber zum Bierautomaten. Fehlanzeige! An allen
Fächern leuchtet in Kanji etwas auf, das ich als das Symbol
für gibts grad nicht wiederzuerkennen glaube. Aber es kann doch
nicht sein, dass jemand beide Bierautomaten und den
Zigarettenautomaten gleichzeitig leer gemacht hat! (Wieder ist die
Kamera zu Hause, denn ich hatte nicht mit neuen Eindrücken
gerechnet :-(.)
Ich studiere die Aufschrift des Automaten, und nach einer Weile
dämmert es mir: <Kanjikanji (Nacht?)> 11 <Kanji für
Uhrzeit/Stunde> kara <Kanjikanji> 5 <Kanji für
Uhrzeit/Stunde> made <Kanjikanji...> <Kanji
für gibtsgradnich> <Kanjikanji...> shimasu. Von
23 bis 5 Uhr also kein Bier. Dann trinke ich halt als Schlaftrunk
ein bisschen von dem japanischen Sake, den ich am Wochenende gekauft
habe.
Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich schon ziemlich
schlapp, daher wird das Ganze heute mal nicht so lang. Aber eines
fällt mir noch auf: Heute kann ich anscheinend kostenlos
telefonieren. Jedenfalls habe ich gerade 10 Minuten lang meine Mutter
angerufen und mich dabei gewundert, dass die sonst dort eingeblendete
Anzeige mit dem Restbetrag fehlt. Und tatsächlich: Nach Ende des
Gesprächs hat sich das Guthaben auf meiner Prepaid-Karte nicht
vermindert. Na das ist ja nicht schlecht; ob das immer nach 23 Uhr so
ist? Ich werde es gelegentlich rausfinden.
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