6:30, auf gehts! Ich ertappe mich kurz bei dem Gedanken, dass ich
jetzt ja nicht mehr im bijinesu hoteru bin, mein
Frühstück folglich nicht ganz so früh einnehmen
müsste und vielleicht noch ein Viertelstündchen ... aber
nein, ich habe ja die Hausaufgaben noch nicht fertig. Also ab unter
die Dusche und los zu Denny's zum Frühstück.
Denny's hat mit seinem amerikanischen Pendant eigentlich nur
gemein, dass es 24 Stunden lang geöffnet hat. Ok, es gibt einige
amerikanisch beziehungsweise europäisch angehauchte Sachen auf
der Karte, aber man kriegt auch ein ziemlich originales
Frühstück. Ich entscheide mich heute für die
Luxus-Version mit gegrilltem Lachs für 820 Yen . Hey, das ist
immer noch billiger als das Frühstück Palermo im Mezzo, und
es gibt - das haben sie vom US-Denny's übernommen - free refills,
also kostenlos Kaffee nach (weiß nicht, was das auf Japanisch
heißt, aber wenn ich raten müsste, würd ich auf
furii rifiru tippen :-)). (Irgendwie vermiss ich das
Frühstück Palermo aber doch; ich fürchte, ich krieg
erste Anflüge von Heimweh *seufz*.)
Ich habe von Ooyama san einiges gelernt, sodass ich diesmal die
Frage, ob ich meinen Kaffee amerikanisch möchte, verstehe und
verneine. Die Frage, ob heiß oder kalt, habe ich schon vorher
verstanden, aber wenn man als Nichtjapaner hier einen Kaffee ordert,
dann wird man auch gefragt, ob man eine dünne Plörre
möchte, die auch mal ne Weile neben einer Kaffeebohne gestanden
hat, aka amerika no koohii, oder richtigen Kaffee. Heut gibts
also richtigen Kaffee.
Bei meinem Frühstück wäre normalerweise natto
dabei; eine Tatsache, die ich in meinem verschlafenen Zustand ganz
übersehen habe. Es ist schon praktisch, blaue Augen und blonde
Haare zu haben, denn die Bedienung fragt mich, ob ich statt
natto lieber ein Ei haben möchte, und ich überlege
kurz: Über natto habe ich schon viel gelesen,
insbesondere, dass die Konsistenz von den meisten Nichtjapanern als
ausgesprochen eklig empfunden wird, manche Nichtjapaner den Geschmack
aber durchaus mögen. Was es so genau ist, habe ich vergessen, ich
glaube halbverfaulte Bohnen oder so. Weiterhin habe ich gelesen, dass
sich Japaner schlicht nicht vorstellen können, dass ein
Nichtjapaner natto mag, und ich denke mir, ich muss es
vielleicht nicht ausgerechnet am Montagmorgen zum Frühstück
probieren. Außerdem freuen sich Japaner angeblich, wenn man
natto ablehnt, weil es sie in ihren Vorurteilen bestärkt.
Also lieber ein Ei
Das Ei ist nicht mal roh, wenn es auch nicht allzu viel Wärme
abgekriegt hat. Als ich so frühstücke, stößt noch
ein Kommilitone zu mir, aber ich mache trotzdem nebenbei meine
Hausaufgaben, denn von nichts kommt nichts.
Auf dem Weg zur Schule radle ich heute erstmals den Weg, den die
anderen nehmen. Aus irgendeinem Grund bin ich bisher immer eine
Parallelstraße gefahren, und so ist mir entgangen, dass Yamasa
doch tatsächlich auf den letzten drei Kreuzungen vor der Schule
jeweils eine Art Schülerlotsen postiert hat. Ich bin zu verdutzt,
um anzuhalten und ein Foto zu machen - vielleicht morgen. Jedenfalls
steht der da auf der Kreuzung, trägt eine Yamasa-Fahne und achtet
darauf, dass wir nicht vom Querverkehr überfahren werden. Sachen
gibts! Es handelt sich bei diesen Kreuzungen übrigens nicht um
Autobahnen oder Bundesstraßen, sondern um verschlafene
Kleinstadtsträßchen. Aber immerhin, ich muss bei den
letzten drei Kreuzungen nicht mehr darüber nachdenken, ob die
Autos jetzt erst von rechts oder von links kommen. Auf dem Parkplatz
von Denny's steht übrigens (jedenfalls tagsüber) auch immer
ein uniformierter Wärter, dessen Aufgabe es laut Ooyama san ist,
den Leuten einen freien Parkplatz zu zeigen, wenn sie selbst nicht auf
Anhieb einen sehen. Na ja, jeder braucht ja irgendeine
Arbeit ...
Als ich anfing, Japanisch zu lernen, habe ich gedacht, das ist ja
praktisch: Man braucht die Verben nicht zu konjugieren, die
Substantive nicht zu deklinieren, ich, du, er, sie, es, ganz egal,
Singular, Plural, alles das gleiche, der, die das, kein Unterschied.
Stattdessen nur drei verschiedene Höflichkeitsstufen und ab und
an verschieden höfliche Vokabeln für ein und dieselbe
Sache, das kann doch nicht so schwer sein.
Spätestens heute dämmert mir aber, dass die Verben doch
flektieren, und zwar ganz gewaltig. Bei den Substantiven wurde ich die
Tage schon hellhörig, weil man bei Aufzählungen nicht nur
ein "und" zur Auswahl hat, sondern zwei. Mit der einen Sorte von "und"
(to) macht man eine Aufzählung, die implizit
vollständig ist, also A to B meint, dass es kein C gibt.
Und mit ya zählt man Dinge beispielhaft auf, von denen es
noch ein paar mehr geben könnte.
Bei Handlungen, also den Verben, ist es nun aber komplizierter. Die
können nämlich irgendwie lose aneinandergereiht werden
(te-Form) oder so miteinander verbunden, dass die eine erst
nach Beendigung der anderen erfolgt (...te kara). Ganz zu
schweigen von "darf ich etwas machen?" (...te mo ii desu ka?)
und "man darf etwas nicht machen" (...te wa ikemasen), sollte
es besser nicht oder nicht ausgerechnet jetzt machen (sumimasen,
chotto). Tja, und dann gibt es auch hier noch eine ta-Form,
und wenn ich eine Reihe von Handlungen aufzählen will, die nicht
notwendigerweise vollständig, sondern nur beispielhaft ist (was
habe ich gestern gemacht? Im Wesentlichen dies und das), dann muss ich
den Kram in der ta-Form (bei der nicht nur ein ta
angehängt wird, sondern sich u.U. auch weitere Silben
verändern) mit ri aneinanderhängen. Und so. Na das
kann ja heiter werden! Ich glaub, ich weiß demnächst
überhaupt nicht mehr, wie ich einen grammatikalisch korrekten
Satz sprechen soll.
Ich bewundere wieder mal, wie gut die Lehrer ihre Späße
und Showeinlagen vorbereiten, um ihren Unterricht rein auf Japanisch
durchziehen zu können. Umemura sensei hat doch tatsächlich
einen dreckigen Teller dabei, um ihn putzen und anschließend
sagen zu können, dass er jetzt sauber geworden ist - kirei ni
narimashita . Auch die Adjektive flektieren übrigens, wenn es
ums Werden geht; das fühlt sich irgendwie wie ein Übergang
zum Adverb an.
Nach Schulschluss spiele ich ein bisschen Klavier, bin heute aber
nicht inspiriert. Ich quatsche mit ein paar Leuten und schaue dann in
die Zig-Zag-Bar, die heute nur bis 17:00 geöffnet hat. Werktags
soll man nämlich nicht trinken. Außer Mike, dem Barkeeper,
ist keiner da. Er meint, dass er gerade nichts Besseres zu tun hat und
ob ich ihm nicht noch ein bisschen Go-Unterricht geben will. Ihr ahnt
es ... bis 17 Uhr bin ich natürlich jetzt ausgebucht. Bei
Apfelsaft, just for the record. Es passieren manchmal schon ein paar
ziemlich komplizierte Dinge auf dem Brett, aber noch gewinne ich
meistens, wenn ich ihm vier Vorgabesteine (auf dem
9 × 9-Brett) gebe. Na ja, kommt Zeit, kommt
Spielstärke.
Ich beschließe, mir so ein elektronisches Wörterbuch
zuzulegen, wie es hier viele haben. Mein
Langenscheidt-Lernwörterbuch ist leider nur in einer Richtung -
Japanisch-Deutsch - und hat außerdem nur 2000 Wörter. Die
zwar besonders ausführlich, aber irendwie reicht es mir nicht.
Und die Gegenrichtung fehlt ganz gewaltig.
Auf dem Weg zum japanischen Äquivalent eines Media-Marktes
schaue ich in einen Computerladen rein. Das sind hier immerhin
Produkte, die man ungefähr einordnen kann. Als ich das erste Foto
von einer Ecke mit Zeichentrick-Krams mache , ist mir noch nicht klar,
dass dies die Porno-Abteilung ist. Das erschließt sich mir erst
später, als ich merke, dass dort was von Adult Game-DVD steht
(adarutogeemu) und ein Schild, auf dem ich Stop (in
romaji geschrieben), adarutokoonaa ("adult corner") und
18 (Jahre?) entziffern kann . Sind ja schließlich auch ziemlich
schockierende Anblicke, die sich einem hier bieten ! Ein Vorhang ist
aber nicht davor.
Bei Eiden probiere ich mindestens eine Viertelstunde lang diverse
elektronische Wörterbücher aus, um dann entnervt aufzugeben.
Ich kapier einfach nicht, wie man die Dinger bedient. Alle wichtigen
Tasten sind mit Kanji beschriftet, und wie zum Teufel soll ich wissen,
wie man ein japanisches Wort ausspricht, wenn es nur mit Kanji
angezeigt wird? Offensichtlich ist dies für Japaner gedacht, die
Englisch lernen wollen, und die armen Nichtjapaner schauen in die
Röhre. Ich überlege minutenlang, ob ich jemanden bitten
soll, mir die Bedienung zu erklären. Die Frage könnte ich
wohl auf Japanisch stellen, aber ich habe so viel Angst vor der
Antwort, dass ich es doch lasse. Um wenigstens eine kleine
Japanisch-Übung zu machen, bitte ich einen Verkäufer, mir
die eingepackte japanische USB-Tastatur mal zu zeigen chotto misete
kudasai, um sie dann als Souvenir für 1500 Yen zu kaufen.
Jetzt hab ich also eine japanische Tastatur ! Das mit dem
Wörterbuch muss ich mir aber noch überlegen.
Zum Ausklang des Abends mache ich noch ein Foto vom
Bierladen . Das orangene Leuchtschild
heißt biiru, das lilane uisukii, und das graue
kann ich nicht lesen. Aber wenn Ihr mal irgendwann in Japan Bier
braucht, prägt Euch das orangene Schild ein :-). Für akute
Notfälle wie gestern gibts auch Bier-Automaten.
Es ist schon erstaunlich, wie viel ich schon gesehen, aber
irgendwie noch nicht verarbeitet habe. Zum Beispiel klebt an den
Zigarettenautomaten anscheinend immer ein Schild dran, das einen auf
irgendeine der zahlreichen Gefahren des Rauchens hinweist . Es klebt
allerdings seitlich, sodass man es eigentlich nicht sieht, wenn man
sich einfach Zigaretten zieht.
Heute mache ich tatsächlich meine Hausaufgaben schon mal am
Tag vor dem Abgabetermin. Das war auch bitter nötig. Denn aus
irgendeinem unerfindlichen Grund sind wir von Kapitel 16 zu Kapitel 19
gesprungen und werden 17 erst morgen und 18 danach machen. Die
Hausaufgaben sind aber aus dem Lehrerheft für Kapitel 19 kopiert
und setzen daher 17 und 18 voraus. Was eine ganze Menge Grammitik und
weitere Verbformen bedeutet. Sie flektieren in der Tat ganz gewaltig,
die Verben, wer hätte das gedacht? Kein Wunder versteh ich kein
Wort Japanisch da draußen auf der Straße! Ich brauche daher
fast zwei Stunden, um dieses eine doofe DIN-A4-Blatt (doppelseitig)
fertigzukriegen. Gut, dass ich das nicht auf morgen vertagt habe.
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