2.8., Und sie flektieren doch ganz gewaltig

6:30, auf gehts! Ich ertappe mich kurz bei dem Gedanken, dass ich jetzt ja nicht mehr im bijinesu hoteru bin, mein Frühstück folglich nicht ganz so früh einnehmen müsste und vielleicht noch ein Viertelstündchen ... aber nein, ich habe ja die Hausaufgaben noch nicht fertig. Also ab unter die Dusche und los zu Denny's zum Frühstück.

Denny's hat mit seinem amerikanischen Pendant eigentlich nur gemein, dass es 24 Stunden lang geöffnet hat. Ok, es gibt einige amerikanisch beziehungsweise europäisch angehauchte Sachen auf der Karte, aber man kriegt auch ein ziemlich originales Frühstück. Ich entscheide mich heute für die Luxus-Version mit gegrilltem Lachs für 820 Yen Foto dazu. Hey, das ist immer noch billiger als das Frühstück Palermo im Mezzo, und es gibt - das haben sie vom US-Denny's übernommen - free refills, also kostenlos Kaffee nach (weiß nicht, was das auf Japanisch heißt, aber wenn ich raten müsste, würd ich auf furii rifiru tippen :-)). (Irgendwie vermiss ich das Frühstück Palermo aber doch; ich fürchte, ich krieg erste Anflüge von Heimweh *seufz*.)

Ich habe von Ooyama san einiges gelernt, sodass ich diesmal die Frage, ob ich meinen Kaffee amerikanisch möchte, verstehe und verneine. Die Frage, ob heiß oder kalt, habe ich schon vorher verstanden, aber wenn man als Nichtjapaner hier einen Kaffee ordert, dann wird man auch gefragt, ob man eine dünne Plörre möchte, die auch mal ne Weile neben einer Kaffeebohne gestanden hat, aka amerika no koohii, oder richtigen Kaffee. Heut gibts also richtigen Kaffee.

Bei meinem Frühstück wäre normalerweise natto dabei; eine Tatsache, die ich in meinem verschlafenen Zustand ganz übersehen habe. Es ist schon praktisch, blaue Augen und blonde Haare zu haben, denn die Bedienung fragt mich, ob ich statt natto lieber ein Ei haben möchte, und ich überlege kurz: Über natto habe ich schon viel gelesen, insbesondere, dass die Konsistenz von den meisten Nichtjapanern als ausgesprochen eklig empfunden wird, manche Nichtjapaner den Geschmack aber durchaus mögen. Was es so genau ist, habe ich vergessen, ich glaube halbverfaulte Bohnen oder so. Weiterhin habe ich gelesen, dass sich Japaner schlicht nicht vorstellen können, dass ein Nichtjapaner natto mag, und ich denke mir, ich muss es vielleicht nicht ausgerechnet am Montagmorgen zum Frühstück probieren. Außerdem freuen sich Japaner angeblich, wenn man natto ablehnt, weil es sie in ihren Vorurteilen bestärkt. Also lieber ein Ei

Das Ei ist nicht mal roh, wenn es auch nicht allzu viel Wärme abgekriegt hat. Als ich so frühstücke, stößt noch ein Kommilitone zu mir, aber ich mache trotzdem nebenbei meine Hausaufgaben, denn von nichts kommt nichts.

Auf dem Weg zur Schule radle ich heute erstmals den Weg, den die anderen nehmen. Aus irgendeinem Grund bin ich bisher immer eine Parallelstraße gefahren, und so ist mir entgangen, dass Yamasa doch tatsächlich auf den letzten drei Kreuzungen vor der Schule jeweils eine Art Schülerlotsen postiert hat. Ich bin zu verdutzt, um anzuhalten und ein Foto zu machen - vielleicht morgen. Jedenfalls steht der da auf der Kreuzung, trägt eine Yamasa-Fahne und achtet darauf, dass wir nicht vom Querverkehr überfahren werden. Sachen gibts! Es handelt sich bei diesen Kreuzungen übrigens nicht um Autobahnen oder Bundesstraßen, sondern um verschlafene Kleinstadtsträßchen. Aber immerhin, ich muss bei den letzten drei Kreuzungen nicht mehr darüber nachdenken, ob die Autos jetzt erst von rechts oder von links kommen. Auf dem Parkplatz von Denny's steht übrigens (jedenfalls tagsüber) auch immer ein uniformierter Wärter, dessen Aufgabe es laut Ooyama san ist, den Leuten einen freien Parkplatz zu zeigen, wenn sie selbst nicht auf Anhieb einen sehen. Na ja, jeder braucht ja irgendeine Arbeit ...

Als ich anfing, Japanisch zu lernen, habe ich gedacht, das ist ja praktisch: Man braucht die Verben nicht zu konjugieren, die Substantive nicht zu deklinieren, ich, du, er, sie, es, ganz egal, Singular, Plural, alles das gleiche, der, die das, kein Unterschied. Stattdessen nur drei verschiedene Höflichkeitsstufen und ab und an verschieden höfliche Vokabeln für ein und dieselbe Sache, das kann doch nicht so schwer sein.

Spätestens heute dämmert mir aber, dass die Verben doch flektieren, und zwar ganz gewaltig. Bei den Substantiven wurde ich die Tage schon hellhörig, weil man bei Aufzählungen nicht nur ein "und" zur Auswahl hat, sondern zwei. Mit der einen Sorte von "und" (to) macht man eine Aufzählung, die implizit vollständig ist, also A to B meint, dass es kein C gibt. Und mit ya zählt man Dinge beispielhaft auf, von denen es noch ein paar mehr geben könnte.

Bei Handlungen, also den Verben, ist es nun aber komplizierter. Die können nämlich irgendwie lose aneinandergereiht werden (te-Form) oder so miteinander verbunden, dass die eine erst nach Beendigung der anderen erfolgt (...te kara). Ganz zu schweigen von "darf ich etwas machen?" (...te mo ii desu ka?) und "man darf etwas nicht machen" (...te wa ikemasen), sollte es besser nicht oder nicht ausgerechnet jetzt machen (sumimasen, chotto). Tja, und dann gibt es auch hier noch eine ta-Form, und wenn ich eine Reihe von Handlungen aufzählen will, die nicht notwendigerweise vollständig, sondern nur beispielhaft ist (was habe ich gestern gemacht? Im Wesentlichen dies und das), dann muss ich den Kram in der ta-Form (bei der nicht nur ein ta angehängt wird, sondern sich u.U. auch weitere Silben verändern) mit ri aneinanderhängen. Und so. Na das kann ja heiter werden! Ich glaub, ich weiß demnächst überhaupt nicht mehr, wie ich einen grammatikalisch korrekten Satz sprechen soll.

Ich bewundere wieder mal, wie gut die Lehrer ihre Späße und Showeinlagen vorbereiten, um ihren Unterricht rein auf Japanisch durchziehen zu können. Umemura sensei hat doch tatsächlich einen dreckigen Teller dabei, um ihn putzen und anschließend sagen zu können, dass er jetzt sauber geworden ist - kirei ni narimashita Foto dazu. Auch die Adjektive flektieren übrigens, wenn es ums Werden geht; das fühlt sich irgendwie wie ein Übergang zum Adverb an.

Nach Schulschluss spiele ich ein bisschen Klavier, bin heute aber nicht inspiriert. Ich quatsche mit ein paar Leuten und schaue dann in die Zig-Zag-Bar, die heute nur bis 17:00 geöffnet hat. Werktags soll man nämlich nicht trinken. Außer Mike, dem Barkeeper, ist keiner da. Er meint, dass er gerade nichts Besseres zu tun hat und ob ich ihm nicht noch ein bisschen Go-Unterricht geben will. Ihr ahnt es ... bis 17 Uhr bin ich natürlich jetzt ausgebucht. Bei Apfelsaft, just for the record. Es passieren manchmal schon ein paar ziemlich komplizierte Dinge auf dem Brett, aber noch gewinne ich meistens, wenn ich ihm vier Vorgabesteine (auf dem 9 × 9-Brett) gebe. Na ja, kommt Zeit, kommt Spielstärke.

Ich beschließe, mir so ein elektronisches Wörterbuch zuzulegen, wie es hier viele haben. Mein Langenscheidt-Lernwörterbuch ist leider nur in einer Richtung - Japanisch-Deutsch - und hat außerdem nur 2000 Wörter. Die zwar besonders ausführlich, aber irendwie reicht es mir nicht. Und die Gegenrichtung fehlt ganz gewaltig.

Auf dem Weg zum japanischen Äquivalent eines Media-Marktes schaue ich in einen Computerladen rein. Das sind hier immerhin Produkte, die man ungefähr einordnen kann. Als ich das erste Foto von einer Ecke mit Zeichentrick-Krams mache Foto dazu, ist mir noch nicht klar, dass dies die Porno-Abteilung ist. Das erschließt sich mir erst später, als ich merke, dass dort was von Adult Game-DVD steht (adarutogeemu) und ein Schild, auf dem ich Stop (in romaji geschrieben), adarutokoonaa ("adult corner") und 18 (Jahre?) entziffern kann Foto dazu. Sind ja schließlich auch ziemlich schockierende Anblicke, die sich einem hier bieten Foto dazu! Ein Vorhang ist aber nicht davor.

Bei Eiden probiere ich mindestens eine Viertelstunde lang diverse elektronische Wörterbücher aus, um dann entnervt aufzugeben. Ich kapier einfach nicht, wie man die Dinger bedient. Alle wichtigen Tasten sind mit Kanji beschriftet, und wie zum Teufel soll ich wissen, wie man ein japanisches Wort ausspricht, wenn es nur mit Kanji angezeigt wird? Offensichtlich ist dies für Japaner gedacht, die Englisch lernen wollen, und die armen Nichtjapaner schauen in die Röhre. Ich überlege minutenlang, ob ich jemanden bitten soll, mir die Bedienung zu erklären. Die Frage könnte ich wohl auf Japanisch stellen, aber ich habe so viel Angst vor der Antwort, dass ich es doch lasse. Um wenigstens eine kleine Japanisch-Übung zu machen, bitte ich einen Verkäufer, mir die eingepackte japanische USB-Tastatur mal zu zeigen chotto misete kudasai, um sie dann als Souvenir für 1500 Yen zu kaufen. Jetzt hab ich also eine japanische Tastatur Foto dazu! Das mit dem Wörterbuch muss ich mir aber noch überlegen.

Zum Ausklang des Abends mache ich noch ein Foto vom Bierladen Foto dazu. Das orangene Leuchtschild heißt biiru, das lilane uisukii, und das graue kann ich nicht lesen. Aber wenn Ihr mal irgendwann in Japan Bier braucht, prägt Euch das orangene Schild ein :-). Für akute Notfälle wie gestern gibts auch Bier-Automaten.

Es ist schon erstaunlich, wie viel ich schon gesehen, aber irgendwie noch nicht verarbeitet habe. Zum Beispiel klebt an den Zigarettenautomaten anscheinend immer ein Schild dran, das einen auf irgendeine der zahlreichen Gefahren des Rauchens hinweist Foto dazu Foto dazu. Es klebt allerdings seitlich, sodass man es eigentlich nicht sieht, wenn man sich einfach Zigaretten zieht.

Heute mache ich tatsächlich meine Hausaufgaben schon mal am Tag vor dem Abgabetermin. Das war auch bitter nötig. Denn aus irgendeinem unerfindlichen Grund sind wir von Kapitel 16 zu Kapitel 19 gesprungen und werden 17 erst morgen und 18 danach machen. Die Hausaufgaben sind aber aus dem Lehrerheft für Kapitel 19 kopiert und setzen daher 17 und 18 voraus. Was eine ganze Menge Grammitik und weitere Verbformen bedeutet. Sie flektieren in der Tat ganz gewaltig, die Verben, wer hätte das gedacht? Kein Wunder versteh ich kein Wort Japanisch da draußen auf der Straße! Ich brauche daher fast zwei Stunden, um dieses eine doofe DIN-A4-Blatt (doppelseitig) fertigzukriegen. Gut, dass ich das nicht auf morgen vertagt habe.

 

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©2004 by Harald Bögeholz