28.7., endlich ein Fahrrad

06:30 Uhr aufstehen, duschen und hastig an die Hausaufgaben. Mist, Mist, Mist; ich schaffe es abends einfach nicht, meinen guten Vorsätzen vollständig treu zu bleiben. Ich lerne zwar auch nachmittags und abends noch etwas, aber ich weiß immer gar nicht, wo anfangen und beschäftige mich hauptsächlich mit den Vokabeln aus den ersten Lektionen, die mir noch fehlen. Daher fange ich irgendwie immer viel zu spät mit den Hausaufgaben an und muss dann morgens hetzen :-(.

Am Vormittag lernen wir, wie man Sätze miteinander verbindet und erklärt, wie man von A nach B kommt, indem man in Züge ein- und wieder aussteigt und irgendwo umsteigt Foto dazu. Ich ziehe bei den Übungen das große Los und werde gefragt, wie ich denn hierhergekommen bin. Die Anreise vom Flughafen Narita hierher gibt mir massenweise Gelegenheit, die Te-Formen von einsteigen, aussteigen und umsteigen zu üben. Grammatik ist cool, das kann ich, wenn auch nicht wirklich schnell genug, als dass ich die Geschichte schon fließend erzählen könnte.

In der Mittagspause fertige ich ein Bilddokument von einem Original-Japaner mit seinem Handtuch an Foto dazu. Wie praktisch, dass ich inzwischen gelernt habe, wie man einen Japaner höflich fragt, ob man ihn fotografieren darf. Und um die Frage eines einzelnen Herrn noch einmal öffentlich zu beantworten: Ja, ich habe auch die Antwort verstanden ;-).

Am Nachmittag stellt sich wieder eine neue Lehrerin vor, Kamisaka sensei Foto dazu. Und dann kommt es knüppeldicke: Sie hat eine sehr hohe Quietschestimme und spricht viel und schnell. Und die Hörübungen, die sie uns von CD vorspielt, sind nicht minder leicht zu verstehen. Zudem schreibt sie alles mit Kanji. Zwar mit furigama drunter - die Aussprache in Hiragana als Lesehilfe -, aber ich bin mir trotzdem nicht sicher, ob mich das nicht noch mehr verwirrt. Als ich aus diesem Nachmittagsunterricht herauskomme, befallen mich doch wieder Zweifel, ob ich in diesem Level richtig bin. Aber da muss ich jetzt durch - gambatte ne.

Zur Entspannung erstmal ins Seiyu Shopping Center; das ist das kleine, näher gelegene, das ich zuerst entdeckt habe. Auf dem Weg dorthin sehe ich endlich mal eine der Grillen Foto dazu, die es hier zu tausenden zu geben scheint und die den ganzen Tag über ein nicht endendes Hintergrundgeräusch produzieren; jedenfalls überall, wo es grün ist.

Für jeweils 105 Yen kaufe ich mir im 100-Yen-Shop eine 2-Liter-Flasche Mineralwasser und ein Paar Schaumgummischlappen fürs Wohnheim. Dann beschließe ich, dass ich doch ein Fahrrad brauche und schaue auf dem Weg zum Fahrradladen nochmal in der Schule vorbei, um aufs Klo zu gehen. Mist, nach einer Woche Japan hat meine Verdauung nun doch gemerkt, dass etwas anders ist, und ich habe Durchfall. Eine Kommilitonin warnt mich, dass die Tante in dem Fahrradladen versucht, die Leute abzuzocken und ihre Preise mit Nasenfaktor macht. Es sei ein unglaublich umständliches Prozedere, und ich solle doch auf jeden Fall versuchen, ihr die Kaution auszureden und keinesfalls mehr als 1000 Yen pro 14 Tage zu bezahlen. Ich bin mir plötzlich nicht mehr ganz so sicher, ob ich mich dem Projekt Fahrrad mieten auf Japanisch gewachsen fühle, ziehe aber los zum Fahrradladen. Wär doch gelacht; ich hab schon ganz andere Sachen hingekriegt.

Der Fahrradladen sieht etwas abenteuerlich aus Foto dazu. Wahrscheinlich ist Yamasa seine Haupt-Einnahmequelle, denn gleich am ersten Tag, als man mir den Stadtplan der näheren Umgebung in die Hand gedrückt hat, hat man mir darauf diesen Laden gezeigt. Ich erkundige mich nach jitensha no rentaru - wieder eines dieser praktischen Lehnwörter (von "rental"). Als ich sage, dass ich das Fahrrad für einen Monat brauche, will sie 3000 Yen haben. Ich frage, ob es nicht auch etwas für 2000 Yen gibt. Sie zeigt mir eine Rostlaube mit Platten, und ich frage mich, ob das ihr Ernst ist, und sie, wie ich damit fahren kann. Ich glaube, in der Antwort kommt das Wort für reparieren vor, das ich mir einfach ums Verrecken nicht merken kann, ich bin mir aber nicht sicher, ob sie sagt, dass ich das reparieren muss, oder dass ihr Kollege das reparieren würde. Ich frage sie daher, ob es nicht auch ein anderes Fahrrad gibt, und sie zeigt mir die Affenschaukel, die ich letztlich nehme und für die sie mir 3000 Yen abknöpft Foto dazu.

Ich glaube, das war gerade wieder die japanische Art, Nein zu sagen. Man fragt, ob man es billiger haben kann, und die Antwort ist nicht etwa ein klares Nein, sondern ein indirektes: Na klar, aber dann hat das Fahrrad halt einen Platten, keine Schaltung und kein Licht. Was ich jetzt unbedingt noch lernen muss, ist, wie man gegen diese Mentalität ankommt und seinen eigenen Willen bekommt. Heute klappt das jedenfalls noch überhaupt nicht, und ich bezahle 3000 Yen Miete und 3000 Yen Kaution. Dafür darf ich das Fahrrad aber so lange behalten, wie ich hier bin, also bis zum 29.8. Vielleicht habe ich also doch schon etwas gelernt, denn ich sage suggestiv sowohl ikkagetsu (einen Monat lang) als auch bis zum 29.8., was genau genommen ja etwas mehr als ein Monat und definitiv mehr als vier Wochen sind. Annegret, die rein zufällig auch gerade ein Fahrrad mietet, kriegt ihres für ein paar Tage weniger; vermutlich genau vier Wochen lang, obwohl sie genauso viel bezahlt und genauso lange hier bleibt wie ich. Sie hat also nicht so gut verhandelt.

Auf dem Rückweg zum Studentenwohnheim fühle ich mich wie der Affe auf dem Schleifstein. Ob ich wohl doch hätte nach einem größeren Fahrrad fragen sollen? Aber ich hab mir die Reihe ja angesehen, da war kein größeres. Na ja, immerhin kommt man schneller voran als zu Fuß

Fahrradfahren fühlt sich in Japan höchst seltsam an, denn Radfahrer fahren auf dem Gehweg, und der ist meist so schmal, dass es schwierig ist, an Fußgängern vorbeizukommen. Hinzu kommt natürlich der Linksverkehr: Ich bin inzwischen total verwirt und weiß überhaupt nicht mehr, in welche Richtung ich schauen muss, wenn ich über die Straße oder gar abbiegen will. Also immer in beide Richtungen schauen. Und ich vermisse sofort meinen Helm; witzig, wie sehr mir das Helmtragen in Fleisch und Blut übergegangen ist. Vermutlich werde ichs mir zu Hause dann erst wieder angewöhnen müssen, wenn ich jetzt immer "oben ohne" fahre.

Zurück im Wohnheim lerne ich ein Stündchen oder so, telefoniere lange (danke an die Anrufer) und setze mich dann an Fotogalerie und Tagebuch, nachdem schon die ersten Klagen kamen, dass es nicht weitergeht. Eigentlich wollte ich mal wieder was "richtiges" essen gehen, vielleicht zu Denny's und schauen, ob es da nicht ein Steak mit Pommes gibt oder so. Aber ein mächtiges Gewitter lässt diesen Gedanken gerade nicht sonderlich attraktiv erscheinen. Ich versuche eine Zeitlang, einen Blitz zu fotografieren (mit Belichtungszeiten zwischen 10 und 30 Sekunden), kriege aber keinen zu fassen Foto dazu. Als der Regen endlich aufhört, bin ich so hungrig und ungeduldig, dass ich mir einfach im Mini-Stop nebenan ein paar Sandwitches kaufe und das Projekt warmes Abendessen im Restaurant auf ein andermal verschiebe. Zumal Japanischlernen, Fotogalerie und Tagebuch, mit denen ich mich im Wechsel beschäftige, eine ganze Menge Arbeit machen.

 

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©2004 by Harald Bögeholz