06:30 Uhr aufstehen, duschen und hastig an die Hausaufgaben. Mist,
Mist, Mist; ich schaffe es abends einfach nicht, meinen guten
Vorsätzen vollständig treu zu bleiben. Ich lerne zwar auch
nachmittags und abends noch etwas, aber ich weiß immer gar
nicht, wo anfangen und beschäftige mich hauptsächlich mit
den Vokabeln aus den ersten Lektionen, die mir noch fehlen. Daher
fange ich irgendwie immer viel zu spät mit den Hausaufgaben an
und muss dann morgens hetzen :-(.
Am Vormittag lernen wir, wie man Sätze miteinander verbindet
und erklärt, wie man von A nach B kommt, indem man in Züge
ein- und wieder aussteigt und irgendwo umsteigt . Ich ziehe bei den
Übungen das große Los und werde gefragt, wie ich denn
hierhergekommen bin. Die Anreise vom Flughafen Narita hierher gibt mir
massenweise Gelegenheit, die Te-Formen von einsteigen, aussteigen und
umsteigen zu üben. Grammatik ist cool, das kann ich, wenn auch
nicht wirklich schnell genug, als dass ich die Geschichte schon
fließend erzählen könnte.
In der Mittagspause fertige ich ein Bilddokument von einem
Original-Japaner mit seinem Handtuch an . Wie praktisch, dass ich
inzwischen gelernt habe, wie man einen Japaner höflich fragt, ob
man ihn fotografieren darf. Und um die Frage eines einzelnen Herrn
noch einmal öffentlich zu beantworten: Ja, ich habe auch die
Antwort verstanden ;-).
Am Nachmittag stellt sich wieder eine neue Lehrerin vor, Kamisaka
sensei . Und dann kommt es
knüppeldicke: Sie hat eine sehr hohe Quietschestimme und spricht
viel und schnell. Und die Hörübungen, die sie uns von CD
vorspielt, sind nicht minder leicht zu verstehen. Zudem schreibt sie
alles mit Kanji. Zwar mit furigama drunter - die Aussprache in
Hiragana als Lesehilfe -, aber ich bin mir trotzdem nicht sicher, ob
mich das nicht noch mehr verwirrt. Als ich aus diesem
Nachmittagsunterricht herauskomme, befallen mich doch wieder Zweifel,
ob ich in diesem Level richtig bin. Aber da muss ich jetzt durch -
gambatte ne.
Zur Entspannung erstmal ins Seiyu Shopping Center; das ist das
kleine, näher gelegene, das ich zuerst entdeckt habe. Auf dem Weg
dorthin sehe ich endlich mal eine der Grillen , die es hier zu
tausenden zu geben scheint und die den ganzen Tag über ein nicht
endendes Hintergrundgeräusch produzieren; jedenfalls
überall, wo es grün ist.
Für jeweils 105 Yen kaufe ich mir im 100-Yen-Shop eine
2-Liter-Flasche Mineralwasser und ein Paar Schaumgummischlappen
fürs Wohnheim. Dann beschließe ich, dass ich doch ein
Fahrrad brauche und schaue auf dem Weg zum Fahrradladen nochmal in der
Schule vorbei, um aufs Klo zu gehen. Mist, nach einer Woche Japan hat
meine Verdauung nun doch gemerkt, dass etwas anders ist, und ich habe
Durchfall. Eine Kommilitonin warnt mich, dass die Tante in dem
Fahrradladen versucht, die Leute abzuzocken und ihre Preise mit
Nasenfaktor macht. Es sei ein unglaublich umständliches
Prozedere, und ich solle doch auf jeden Fall versuchen, ihr die
Kaution auszureden und keinesfalls mehr als 1000 Yen pro 14 Tage zu
bezahlen. Ich bin mir plötzlich nicht mehr ganz so sicher, ob ich
mich dem Projekt Fahrrad mieten auf Japanisch gewachsen fühle,
ziehe aber los zum Fahrradladen. Wär doch gelacht; ich hab schon
ganz andere Sachen hingekriegt.
Der Fahrradladen sieht etwas abenteuerlich aus . Wahrscheinlich ist Yamasa
seine Haupt-Einnahmequelle, denn gleich am ersten Tag, als man mir den
Stadtplan der näheren Umgebung in die Hand gedrückt hat, hat
man mir darauf diesen Laden gezeigt. Ich erkundige mich nach
jitensha no rentaru - wieder eines dieser praktischen
Lehnwörter (von "rental"). Als ich sage, dass ich das Fahrrad
für einen Monat brauche, will sie 3000 Yen haben. Ich frage, ob
es nicht auch etwas für 2000 Yen gibt. Sie zeigt mir eine
Rostlaube mit Platten, und ich frage mich, ob das ihr Ernst ist, und
sie, wie ich damit fahren kann. Ich glaube, in der Antwort kommt das
Wort für reparieren vor, das ich mir einfach ums Verrecken nicht
merken kann, ich bin mir aber nicht sicher, ob sie sagt, dass ich das
reparieren muss, oder dass ihr Kollege das reparieren würde. Ich
frage sie daher, ob es nicht auch ein anderes Fahrrad gibt, und sie
zeigt mir die Affenschaukel, die ich letztlich nehme und für die
sie mir 3000 Yen abknöpft .
Ich glaube, das war gerade wieder die japanische Art, Nein zu
sagen. Man fragt, ob man es billiger haben kann, und die Antwort ist
nicht etwa ein klares Nein, sondern ein indirektes: Na klar, aber dann
hat das Fahrrad halt einen Platten, keine Schaltung und kein Licht.
Was ich jetzt unbedingt noch lernen muss, ist, wie man gegen diese
Mentalität ankommt und seinen eigenen Willen bekommt. Heute
klappt das jedenfalls noch überhaupt nicht, und ich bezahle 3000
Yen Miete und 3000 Yen Kaution. Dafür darf ich das Fahrrad aber
so lange behalten, wie ich hier bin, also bis zum 29.8. Vielleicht
habe ich also doch schon etwas gelernt, denn ich sage suggestiv sowohl
ikkagetsu (einen Monat lang) als auch bis zum 29.8., was genau
genommen ja etwas mehr als ein Monat und definitiv mehr als vier
Wochen sind. Annegret, die rein zufällig auch gerade ein Fahrrad
mietet, kriegt ihres für ein paar Tage weniger; vermutlich genau
vier Wochen lang, obwohl sie genauso viel bezahlt und genauso lange
hier bleibt wie ich. Sie hat also nicht so gut verhandelt.
Auf dem Rückweg zum Studentenwohnheim fühle ich mich wie
der Affe auf dem Schleifstein. Ob ich wohl doch hätte nach einem
größeren Fahrrad fragen sollen? Aber ich hab mir die Reihe
ja angesehen, da war kein größeres. Na ja, immerhin kommt
man schneller voran als zu Fuß
Fahrradfahren fühlt sich in Japan höchst seltsam an, denn
Radfahrer fahren auf dem Gehweg, und der ist meist so schmal, dass es
schwierig ist, an Fußgängern vorbeizukommen. Hinzu kommt
natürlich der Linksverkehr: Ich bin inzwischen total verwirt und
weiß überhaupt nicht mehr, in welche Richtung ich schauen
muss, wenn ich über die Straße oder gar abbiegen will. Also
immer in beide Richtungen schauen. Und ich vermisse sofort meinen
Helm; witzig, wie sehr mir das Helmtragen in Fleisch und Blut
übergegangen ist. Vermutlich werde ichs mir zu Hause dann erst
wieder angewöhnen müssen, wenn ich jetzt immer "oben ohne"
fahre.
Zurück im Wohnheim lerne ich ein Stündchen oder so,
telefoniere lange (danke an die Anrufer) und setze mich dann an
Fotogalerie und Tagebuch, nachdem schon die ersten Klagen kamen, dass
es nicht weitergeht. Eigentlich wollte ich mal wieder was "richtiges"
essen gehen, vielleicht zu Denny's und schauen, ob es da nicht ein
Steak mit Pommes gibt oder so. Aber ein mächtiges Gewitter
lässt diesen Gedanken gerade nicht sonderlich attraktiv
erscheinen. Ich versuche eine Zeitlang, einen Blitz zu fotografieren
(mit Belichtungszeiten zwischen 10 und 30 Sekunden), kriege aber
keinen zu fassen . Als der Regen endlich
aufhört, bin ich so hungrig und ungeduldig, dass ich mir einfach
im Mini-Stop nebenan ein paar Sandwitches kaufe und das Projekt warmes
Abendessen im Restaurant auf ein andermal verschiebe. Zumal
Japanischlernen, Fotogalerie und Tagebuch, mit denen ich mich im
Wechsel beschäftige, eine ganze Menge Arbeit machen.
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