Heute gibts das letzte Mal Frühstück im Hotel , das ich
pünktlich um 7 einnehme, um möglichst viel Zeit für die
Hausaufgaben zu haben. Wenn ich nur flüssiger lesen und schreiben
könnte! Es geht im Prinzip ja schon, dauert nur ewig, und ich
muss andauernd Wörter nachschlagen, weil ich sie mir einfach
nicht schnell genug merken kann.
Um 8:20 schlepp ich mein Gepäck rüber ins
Studentenbüro, hocke mich ins Klassenzimmer und bastle an den
Hausaufgaben weiter. Ich schaffe sie fast ... es bleiben nur einige
wenige Kästchen leer. Puh! Der Unterricht ist hammerhart wie
gestern, macht aber einen Riesenspaß. Es geht alles immer ein
bisschen zu schnell, aber anders als in einer Mathematikvorlesung, wo
man irgendwann abgehängt wird und dann wars das, sammelt der
Lehrer einen immer wieder auf und zieht einen weiter. Da sich die
Lerneinheiten ca. im 10-Minuten-Takt abwechseln, dauern gelegentliche
Phasen von Unverständnis nie länger als ein paar Minuten.
Und sind ohnehin selten; irgendwas kriegt man immer mit. Wie zu
erwarten war, habe ich überhaupt kein Problem mit Grammatik; das
leuchtet mir alles sofort ein. Was fehlt, sind Vokabeln, Vokabeln,
Vokabeln. Und Übung im fließenden Lesen und Schreiben.
Zum Mittagessen probier ich chaashuumen - praktisch, dass es
von den Essen eine Plastik-Vorschau in einer Vitrine gibt . Der einzige für mich
erkennbare Unterschied zum ramen von gestern ist, dass etwas
mehr Fleisch dabei ist und es etwas mehr kostet . Ansonsten schmeckts mir
ausgesprochen gut.
Nach der Schule treffe ich Adele, die nach wie vor ganz heiß
auf Go ist. Sie wohnt in einem Zweier-Apartment, ist aber im Moment
allein dort und schlägt vor, dass ich sie dort besuchen komme.
Wir verabreden uns im Mini-Stop ; das ist ein rund um die Uhr
geöffneter kleiner Supermarkt direkt neben dem Studentenwohnheim.
Sicherheitshalber erst um 17 Uhr; wer weiß, wie lange der Umzug
dauert.
Jemand vom Studentenbüro fährt mich mitsamt meinem
Gepäck rüber zum Student Village, erklärt mir, wo ich
hier meine Schuhe abzustellen habe, zeigt mir mein Zimmer und sagt
mir, ich solle hier auf den Hausmeister warten. Ich nutze die Zeit, um
mein Notebook auszupacken, die Netzwerk-Steckdose zu testen
(funktioniert, juhuu, Internet auf dem Zimmer) und mein Gepäck
auszupacken. Als dann immer noch niemand kommt, mache ich einen
kleinen Rundgang und fotografiere ein bisschen. Wenn ich das so mit
Studentenwohnheimem vergleiche, wie ich sie aus Deutschland in
Erinnerung habe, so ist es doch recht luxuriös. Aber
natürlich nicht ganz so sauber und aufgeräumt wie ein Hotel,
das war ja klar.
Um zwanzig vor fünf - ich sitz hier mittlerweile fast
anderthalb Stunden rum, so viel zum Thema chotto matte, warte
mal kurz - fasse ich mir ein Herz und wähle die Nummer des
Hausmeisters. Es stellt sich heraus, dass es eine Frau ist, und sie
fragt mich, was ich wolle. Ich stottere auf Japanisch, das ich neu
hier angekommen bin. Ja und, was ich denn wolle? Ich habe noch nicht
die Grammatik und die Vokabeln parat, um ihr zu sagen, dass ich ja nur
deswegen anrufe, weil mir jemand sagte, ich solle auf sie warten, und
ich nun darauf warte, dass sie vielleicht irgendetwas von mir
will ... Zum Glück fällt mir ein, dass ich noch keine
Karte für das Telefon hier habe, um nach draußen zu
telefonieren. terefonkaado auf Japanisch; dass sie so viele
Lehnwörter aus dem Englischen haben, ist echt praktisch. Das
spült einem mühelos ein recht großes Vokabular ans
Land, sobald man sich an die japanische Aussprache gewöhnt
hat.
(arubaito ist übrigens ein Lehnwort aus der deutschen
Sprache und heißt Nebenjob ;-). Jennifer, die schon länger
in Japan lebt, hat mir irgendwann erzählt, dass sie besondere
Schwierigkeiten hatte, sich an die Lehnwörter zu gewöhnen,
weil die Japaner sie eben in ihre Sprache integriert haben und es
keine englischen Wörter mehr sind. maikaa (von "my car")
bedeutet ein eigenes, persönliches Auto. Und der Japaner spricht
dann eben nicht nur von seinem maikaa, sondern auch von deinem
oder anderer Leute maikaa, was für eine Amerikanerin, die
bei maikaa immer "my car" hört, sicherlich irritierend
ist. Wie jetzt: dein mein Auto? Dein oder mein Auto?)
Nachdem ich verstanden habe, dass ich mich für eine
Telefonkarte an Iijima san wenden muss, lege ich auf. Wenige Minuten
später steht die Hausmeisterin (den Namen habe ich schon wieder
vergessen, verflixt) vor der Tür, um mich herumzuführen.
Aha, es war also doch einfach nur ein Kommunikationsproblem.
Die erste Erkenntnis ist, dass die meinem Zimmer
nächstgelegene Toilette das Damenklo ist. Oops, hat aber trotzdem
funktioniert ;-). Genau genommen ist das ganze obere Stockwerk
eigentlich für Frauen, das untere für die Männer
(deshalb stehts am Klo auch nicht dran beziehungsweise ist nur drei
Meter weiter den Gang entlang an den Duschen ein winiziges Symbol).
Aus Platzmangel haben sie mich aber zu den Mädchen gesteckt, wie
passend *g*. Ich bin aber nicht der einzige, es wohnen wohl noch zwei
Jungs hier oben. Ansonsten gibts Aufenthaltsräume , Küchen , Mülleimer , Computer , Münzwaschmaschinen,
ein Klavier , ... und Regeln. Jede
Menge Regeln (siehe Fotos ). Damit das hier auch ein
anständiges Zusammenleben wird.
Ich beschließe ziemlich schnell, dass ich mir Schlappen
kaufen muss, denn barfuß laufen ist doof, und so super sauber
ist es wie gesagt auch nicht. (Dorothee hats gleich gesagt :-) )
Jetzt aber los, Adele treffen. Direkt neben dem Wohnheim ist wie
gesagt ein "Mini Stop", ein convenience store, der rund um die Uhr
geöffnet hat. Ich beschließe, dass dies für die Dauer
meines Aufenthalts mein selbstnachfüllender Kühlschrank ist.
Nur Bier gibts dort keins, aber auf dem Weg zu Adele sehe ich wenige
Häuser weiter einen Schnapsladen. Ich glaub, ich schrieb es
schon, aber es ist einfach unglaublich nützlich, Katakana lesen
zu können. Sonst wär ich an dem Leuchtschild biiru
womöglich vorbeigegangen, ohne seine Bedeutung für meinen
Alltag wahrzunehmen.
Wer immer eine Japan-Reise plant: Unbedingt vorher Katakana lernen,
es lohnt sich garantiert! Und zwar, weil eben genau die
Lehnwörter in Katakana geschrieben werden, die man mit etwas
Übung erraten kann. Hiaragana ist dagegen für die echt
japanischen Wörter und die grammatischen Endungen, und Kanji sind
ein weites Feld, also braucht man den Kram nur, wenn man ernsthaft
Japanisch lernen will ... aber wenn man auch sonst kein Wort
Japanisch kann, erschließen sich einem mit Katakana so wichtige
Dinge wie ramen (ist wohl ein ursprünglich chinesisches
Gericht, daher mit Katakana geschrieben), biiru und die Frage,
ob man an der Kaffeemaschine seinen Kaffee schwarz oder mit Milch
will.
Adeles Apartment ist auch ganz nett (ich vergesse komischerweise,
Fotos zu machen). Wir basteln gemeinsam ein Passepartout, um aus dem
ohnehin schon winzigen Magnet-Go ein 9 × 9-Brett zu
machen. Sie denkt viel nach und stellt sich sehr geschickt an;
interessant . Gegen Sonnenuntergang geh
ich nach Hause, versuche, noch ein bisschen zu lernen, verliere aber
schnell die Lust und gehe ins Bett. Bzw. auf den Futon. Ist gar nicht
ganz so hart, wie er aussieht ... und das Kissen ist mit Reis
oder etwas Ähnlichem gefüllt.
Irgendwie war gar keine Zeit für das Tagebuch; Mist, jetzt bin
ich einen Tag hinterher. Und die Internet-Verbindung hier im Wohnheim
ist leider sehr wechselhaft. Mal geht sie, mal geht sie überhaupt
nicht. Besser als gar kein Internet, aber unglaublich lästig,
wenn man versucht, eine aus ganz vielen Einzeldateien bestehende
Fotogalerie hochzuladen und man dann vor einem Trümmerhaufen
abgebrochener Uploads steht. Ich müsste mir mal eine
vernünftige Software dafür besorgen, dieses Filezilla
bringts irgendwie nicht wirklich . Verflixt und zugenäht,
irgendwie ist jetzt alles durcheinander; ich krieg die vier Bilder,
die ich vergessen hatte, einfach nicht in die Galerie rein. Da ich
diese Zeilen am übernächsten Morgen vor der Schule schreibe
und keine Zeit mehr habe, muss ich die Baustelle leider jetzt so
lassen, wie sie ist :-(.
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