Als ich aufwache, regnet es. Das ist ja mal ne Abwechslung. Aber
drückend heiß ist es draußen trotzdem schon - bin ich
froh, dass ich die Bedienung der Klimaanlage in meinem Hotelzimmer
durchschaut habe.
Das Frühstück bietet heute wieder mal zwei neue
Überraschungen - Mist, ich hab die Kamera nicht mit. Die eine ist
ein Tütchen mit grünen, rechteckigen Blättchen
(Seetang?), die andere ein Ei, das in einem Plastikschüsselchen
liegt. Ich frage die Hotelfrau, wie man das isst, und sie zeigt es
mir: Man nimmt so ein gründes Blättchen, weicht es in
Sojasoße ein und greift sich dann damit ein bisschen Reis, was
stäbchentechnisch bereits eine Übung für
Fortgeschrittene ist, die ich aber gut meistere. Da das Ei in einer
Schüssel liegt, keimt in mir ein Verdacht und ich drehe es
verstohlen auf dem Tisch: tatsächlich, roh.
Während ich noch so sinniere, was ich mit einem rohen Ei soll,
kommt eine Japanerin rein und demonstriert mir, wie man das isst. Bei
den Japanern geht das Frühstück übrigens superfix: In
kaum 10 Minuten hauen die sich das rein, dann sind sie wieder weg. Sie
schlägt jedenfalls ihr Ei in die Schüssel, würzt es mit
etwas Sojasoße und rührt es kräftig durch, ehe sie
sich etwas davon auf ihren Reis tut. Aha. Ich mache es genauso, und es
schmeckt gar nicht schlecht.
Annegret beschließt, das Studentenwohnheim besichtigen zu
gehen, und ich schließe mich ihr an. Es regnet nicht mehr und
ist - nachts um 8:30 Uhr wohlgemerkt - brüllend heiß. Die
Luftfeuchtigkeit liegt glaube ich in der Nähe von 100 % oder
kurz darüber, und nach dem nur zehnminütigen Spaziergang zum
Wohnheim bin ich komplett durchgeschwitzt. Ich flüchte kurz in
einen klimatisierten Supermarkt und kaufe mir eine Literflasche Wasser,
die keine Viertelstunde lang reicht.
Das Wohnheim kann man augenscheinlich nur mit Schlüssel
betreten, und auf einem Schild steht, dass alle Besucher sich beim
Manager anmelden müssen. Das ist uns zu doof, und wir gehen
zurück zur Schule, wo ich im Aufenthaltsraum die Klimaanlage
anwerfe, erst einmal ein halbes Stündchen Klavier spiele und dann
bei Eiskaffee aus dem Automaten diese Zeilen schreibe.
Ich wiederhole nochmal meine Katakana und stelle mit Genugtuung
fest, dass ich sie tatsächlich alle kann. Leider haperts mit dem
Schreiben mancher Hiragana noch, sodass ich weiter übe. Irgendwie
hab ich keine Lust, ernsthaft an meine Hausaufgaben zu gehen, und der
Tag tröpfelt so dahin, während ich abwechselnd ein paar
Schriftzeichen kritzle, Annegret "Für Elise" beibringe und
versuche, mir einige neue Vokabeln aus den ersten Lektionen meines
Japanischbuchs zu merken.
Beim nächsten Kaffee trifft mich die Erkenntnis wie ein
Blitzschlag. Mein Unterbewusstsein hatte schon registriert, dass der
gleiche Kaffee irgendwie manchmal mit Milch ist und manchmal ohne,
obwohl ich doch immer den linken Knopf unter dem gleichen Bild
gedrückt habe . Tja, aber da gibt es vier Knöpfe unter
zweimal dem gleichen Bild, und jetzt kann ich auf einmal Katakana
lesen! burakku ist schwarz ("black"), kuriimu ist Milch
("cream"), die beiden komplizierten Kanji dann wohl offensichtlich
Zucker, und der vierte Knopf ist für Milch und Zucker. Ich hatte
bisher immer den linken gedrückt, aber nicht immer unter
demselben Foto. Tja, und dann gabs halt manchmal mit Milch und
manchmal ohne.
Der Eiskaffee kostet übrigens 70 Yen. Auf Wunsch einer
einzelnen Dame: das sind 52 Cent. Ein Euro sind etwa 135 Yen.
Eselsbrücke zum Kopfrechnen: Man denke sich, Yen sind Cent und
ziehe ein Viertel des Betrages ab. Oder für ganz Faule: Man denke
sich, Yen sind Cent, wundere sich im Urlaub, wie teuer alles ist und
spare, um dann nach der Rückkehr festzustellen, dass doch alles
25 % billger war als gedacht.
Ich verstehe die Welt um mich herum auf einmal viel besser, seit
ich Katakana lesen kann. Es geht zwar noch etwas langsam, aber
immerhin. Auf dem Ding neben dem Waschbecken steht arukooru
("alcohol") und unten für die Doofen supurei botoru
("spray bottle"). Wie konnte ich Depp nur nach Japan fahren, ohne
Katakana zu lernen? Na ja, das wäre ja jetzt geschafft, dank der
einprägsamen Eselsbrücken-Bildchen, die auf dem
Übungsmaterial von meinem Sensei sind . Und jetzt weiß ich
auch, dass ich zum Naschen kashiyuu nattzu gekauft habe.
Jason mault, dass ihm langweilig ist und blättert lustlos in
seinem Japanischbuch. Er meckert, dass sein Unterricht langweilig ist
und er doch eigentlich schon viel zu viel weiß, um im
Anfängerkurs zu sein. Wir lesen uns gegenseitig ein paar
Sätze aus Lektion 2 vor, und ich denke mir im Stillen, dass die
Yamasa-Leute das in seinem Fall schon vollkommen richtig
eingeschätzt haben ;-). (Was allerdings mich betrifft, bin ich
mir nicht sicher, ob man mich nicht doch überschätzt hat. Au
Backe, morgen ist Lektion 14 dran!) Und sehr geduldig ist er auch
nicht. Ich schmeiße daher eine Folge Hikaru no Go an und habe
sofort drei aufmerksame Zuschauer, die auch noch drei weitere Folgen
durchhalten (à 20 Minuten). Nur Jason haut nach ein paar
Minuten ab.
Es ist Wahnsinn: Schon jetzt fangen die Puzzleteile in meinem Kopf
an, ineinander zu greifen. Ich verstehe bei Hikaru no Go immer mehr.
Zwar immer noch nicht so viel, dass ich der Handlung ohne Untertitel
folgen könnte, aber es macht einen Riesenspaß. Und ich habe
nur ein minimal schlechtes Gewissen wegen der Hausaufgaben, die ich
immer noch nicht gemacht habe, denn immerhin lerne ich mit Hikaru no
Go ja auch Japanisch.
Abends setze ich mich dann doch noch an die Hausaufgaben, aber ich
habe sie unterschätzt: Ich schaffe sie nicht vollständig und
schlafe mehr oder weniger über meinen Büchern ein, um um
Mitternacht nochmal kurz aufzuwachen und das Licht auszumachen.
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