Nach dem Frühstück schaue ich um 8:30 mit Annegret , einer
Deutschen, die ebenfalls in meinem Hotel wohnt, im Studentenbüro
vorbei in der vagen Hoffnung, dort Iijima san anzutreffen. Aber
ntürlich haben die heute frei. Einer sitzt immerhin da und passt
auf die Schreibtische auf - und erklärt mir, dass alle heute frei
haben.
Mir ist über Nacht durch den Kopf gegangen, dass ich
eigentlich unbedingt in dem Hotel bleiben möchte, wenn es schon
keine Gastfamilie gibt. Ob ich es wohl noch hinkriege, dass ich nicht
ins Studentenwohnheim ziehen muss? Neben den weltlichen Aspekten, dass
es im Hotel Frühstück gibt, das Zimmer täglich
aufgeräumt wird und das Hotel unmittelbar neben der Schule ist,
hat es nämlich noch einen anderen Vorteil: Es hilft der
Selbstdisziplin. Denn um 23 Uhr macht es zu, und Frühstück
gibt es nur von 7 bis 8. Da ich ja nicht zum Saufen, sondern zum
Japanischlernen hier bin, passt mir das eigentlich ganz prima. Abends
in der Zig-zag-Bar ein paar Biere nehmen, aber dann hat man eine prima
Ausrede, ins Bett zu gehen statt mit Jason und den anderen
amerikanischen Jungs noch loszuziehen und Okazaki unsicher zu machen.
Ich muss Montagmorgen unbedingt mit Iijima san sprechen.
Scheiße, das wird knapp. Ich muss das bis 9 geregelt haben, denn
dann geht der Unterricht los, und ich glaube, das Studentenbüro
ist erst ab 8:30 besetzt. Und wenn es nicht klappt mit dem Dableiben,
dann muss ich ja mein Geraffel aus dem Hotel rausräumen und im
Studentenbüro ablegen ...
Im Aufenthaltsraum bin mich mit Annegret zunächst allein und
spiele erstmal ein bisschen Klavier. Blöd, dass ich meine Noten
nicht mithabe, aber wer ahnt denn auch, dass es hier ein Klavier geben
würde? Nach einer halben Stunde kommen drei japanische
Mädels herein und unterhalten sich in ihren hohen
Piepsestimmchen in einem wahnsinnigen Tempo und mit großer
Lautstärke. Ich frage mich, was die bei Yamasa wohl studieren -
Japanisch kann es ja wohl nicht sein. Nach einer Weile merke ich, dass
sie das, was sie da sagen, ablesen. Sie studieren also anscheinend ein
Theaterstück ein. Das Ganze macht jedenfalls einen
Heidenlärm, ist aber irgendwie eine authentische Atmosphäre,
um Katakana zu lernen.
Nach einer kurzen Tagebuchpause geht es an die letzten Katakana.
Das Schulmädchen-Theaterstück ist inzwischen zum Glück
zuende, dafür kommt jetzt eine Japanerin mit einem Cello rein und
fängt ganz ungehemmt an zu üben . Das ist ja schon lustig
hier, dass man zum Üben in einen großen Aufenthaltsraum
geht. Immerhin spielt sie nicht schlecht, sodass es sich gut ertragen
lässt. Ich frage mich nur, was all diese Japaner mit dem
Yamasa-Institut zu tun haben. Oder sind das Außenstehende, die
hier einfach hemmungslos den klimatisierten Raum ausnutzen? Das kann
ich mir aber nicht vorstellen. Vielleicht sind es Japanisch-Lehrer,
die hier ihre Freizeit verbringen. Ich kenn ja noch bei weitem nicht
das gesamte Personal der Schule ... hier sollen, wenn ichs recht
mitgekriegt habe, 68 Lehrer arbeiten und ca. 300 Studenten sein. Das
Cellospiel dauert nur wenig länger als ich brauche, um ein Foto
zu machen und diesen Absatz zu tippen; sehr ausdauernd ist die
Japanerin nicht.
Der Vormittag vergeht wie im Fluge mit Katakana und kaltem
grünem Tee , gefolgt von Sushi zum
Mittagessen . Anschließend gehe
ich mit Annegret beim Postamt vorbei, um festzustellen, dass es wie
bei uns auch üblich samstags und sonntags zu hat. Und jetzt ist
endlich das Abenteuer Go-Salon angesagt. Ich hatte Annegret von Go
erzählt und sie kommt mit, um sich das mal anzuschauen.
Diesmal ist der Laden geöffnet, an ca. fünf Brettern wird
gespielt, alles ältere Herren . Ich ziehe die Schuhe aus, weil man
das augenscheinlich hier so macht (es stehen ganz viele Schuhe im
Eingangsbereich) und bin mir zwar ziemlich sicher, dass man sich aus
dem Regal irgendwelche Plastikschlappen nehmen darf, verzichte aber
doch und betrete den Raum lieber barfuß. Wieder einmal muss ich
feststellen, dass ich noch erschreckend wenig Japanisch verstehe :-(.
Erst als ein mitleidiger Japaner mir auf Englisch sagt, dass man mich
gerade gefragt hat, ob ich ein Anfänger bin, dämmert mir,
dass ich das eigentlich hätte verstehen müssen und antworte,
dass ich 5 Kyu spiele. Der Ladenbesitzer will daraufhin mit mir
spielen, ich nehme aber erst einmal mit Annegret Platz und
erkläre ihr die Regeln. Wir spielen aber dann nicht, weil es
keine 9 × 9-Bretter gibt und auch nichts greifbares,
womit man das große Brett abdecken könnte.
Jetzt komme ich auf das Angebot des Ladenbesitzers zurück, und
er gibt mir vier Steine Vorgabe. Nach den ersten 30 Zügen wird er
plötzlich weggerufen, entschuldigt sich, bleibt 5 Minuten weg und
fragt mich als er wiederkommt, ob wir die Partie abbrechen können
und ich mit einem anderen Gegner Vorlieb nehme. Ich hoff jetzt mal,
das war nicht wegen meines schlechten Spiels. Ich nehm aber nicht an,
denn der Gegner, den er mir jetzt vor die Nase setzt, gibt mir
fünf Steine. Wir spielen eine ganz nette Partie; insbesondere im
Endspiel kann ich ihn mit ein, zwei netten Zügen nochmal ins
Schwitzen bringen. Obwohl Schwitzen hier sowieso angesagt ist, in dem
Laden ist eine Affenhitze. Lieber wäre mir allerdings gewesen,
ich hätte vorher den dicken Fehler nicht gemacht und auch sonst
ein bisschen besser gespielt, aber na ja: Mit 6 Punkten verloren. Er
lobt mich anschließend und meint, dass ich in Japan wohl eher 3
Kyu bis 1 Kyu wäre, vielleicht Shodan (er will mir wohl
schmeicheln, so gut habe ich nun wirklich nicht gespielt). Das deckt
sich also mit der Erfahrung, dass man in Japan auf seine
Spielstärke 2 draufaddieren darf.
Er bietet mir eine 4-Steine-Partie an, die ich aber ablehne: Nach
anderthalb Stunden in der Affenhitze raucht mir der Kopf, und ich will
lieber noch ein bisschen in einem Raum mit Klimaanlage japanisch
lernen. Jetzt bedeutet mir jemand auf Englisch, dass ich noch 700 Yen
fürs Spielen bezahlen muss, also doch. Ich hatte schon zu hoffen
gewagt, das wäre hier für nichtsahnende Europäer
vielleicht kostenlos, aber er kassiert doch einen Preis im
üblichen Rahmen. Ich wusste schon vorher, dass die Go-Salons in
Japan üblicherweise kostenpflichtig sind. Dafür bekommt man
kalten grünen Tee serviert.
Nach noch einer Runde Katakana treffe ich Adele und Jason (der sich
die Haare kurzgeschoren hat, was ihm m.E. nicht so richtig gut steht)
und erzähle ihnen von meinem Go-Erlebnis. Die beiden fragen mich,
ob ich es ihnen beibringen kann - ha, wieder zwei Opfer. In
Ermangelung von Spielmaterial setzen wir uns an mein Notebook und
benutzen den SGF-Editor von Cgoban - geht auch. Jason kapiert das
Spiel nicht so recht und verliert schnell die Lust, aber Adele ist ein
Naturtalent. Mit vier Steinen verlier ich (auf dem
9 × 9-Brett), mit dreien auch. Bei der dritten Partie
schafft sie es doch tatsächlich, mir ein Seki in mein Gebiet zu
zaubern, was ich sonst nur von Dan-Spielern gewohnt bin, und ich
verliere wieder. Alle Achtung. Mal schauen, wie lange ich sie bei der
Stange halten kann.
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